Parteitage sind in aller Regel Selbstbeweihräucherungs-Veranstaltungen. Was aber die SPÖ und ihr neuer Chef Christian Kern da jetzt bei ihrem Parteitag geliefert haben, übersteigt die Grenzen des Erträglichen. Kern hat die Partei zur Kirche überhöht – nein, noch weit darüber hinaus. Denn zumindest in der katholischen und in den meisten evangelischen Kirchen betreibt man seit langem ständig selbstkritische Gewissenserforschung. Die SPÖ hingegen hat das nicht notwendig. Sie ist durch Kern gottgleich geworden.
Denn nur noch so sind seine Worte beim SPÖ-Parteitag zu verstehen: „Wir sind eine Partei, die sich für keine Episode ihrer Geschichte rechtfertigen muss.“
Na bumm. Bisher waren nur der Gott der Christen und Allah der Moslems darüber erhaben, sich für irgendetwas rechtfertigen zu müssen. Jetzt tritt ihnen in der Person des bisherigen Eisenbahners Kern ein drittes göttliches Wesen an die Seite.
Oder meint der Herr Kern gar, dass er die Geschichte überprüft und dabei die absolute Unfehlbarkeit der Partei festgestellt hat? Darauf lässt ein weiterer Satz des neuen Hohepriesters der sozialdemokratischen Hochämter schließen: „In den 127 Jahren ihres Bestehens ist unsere Partei immer auf der richtigen Seite gestanden.“
Was für Kern „immer die richtige Seite" ist
- Also war es für den Mann die „richtige Seite“, dass die Partei lange Jahre in ihrem Parteiprogramm ausdrücklich die „Diktatur des Proletariats“ gefordert hat, und das noch dazu wenige Jahre nach der russischen Oktoberrevolution, die im Zeichen des gleichen Slogans letztlich Millionen Tote gefordert hat.
- Also war es für ihn die richtige Seite, als sozialdemokratische Politiker – die bis heute gefeiert werden! – ausdrücklich die Euthanasie gefordert haben; das ist nichts anderes als die gezielte massenweise Ermordung von Behinderten.
- Also war es für ihn die richtige Seite, als die Sozialdemokraten 1938 den Schulterschluss mit dem Ständestaat gegen die Bedrohung Österreichs durch Hitler verweigert haben.
- Also war es für ihn die richtige Seite, als sich der Sozialdemokrat Karl Renner 1938 ausdrücklich für den Anschluss ausgesprochen hat und 1945 fast noch begeisterter für Stalin.
- Also war es für ihn die richtige Seite, als sich 1945 nach Kriegsende mehrere führende Sozialdemokraten – im Gegensatz zu allen anderen damaligen Parteien – für eine Fortsetzung des Anschlusses ausgesprochen haben.
- Also muss es seit Kern umgekehrt die falsche Seite gewesen sein, als sich die SPÖ unter Alfred Gusenbauer zu den „braunen Flecken“ in der eigenen Parteigeschichte bekannt hat. Aber halt: Dialektisch muss das doch gleichzeitig auch wieder die richtige Seite gewesen sein, weil ja laut Kern die SPÖ nie auf der falschen Seite gestanden sein kann. Und Gusenbauer war ja SPÖ. Das wird wohl ein Fall für das neue Buch: „Kann es Widersprüche im Handeln Gottes und gottgleicher Wesen wie der SPÖ geben?“
- Also war es für ihn die richtige Seite, als die Wiener SPÖ für den Massenmörder Che Guevara ein Denkmal errichten hat lassen.
- Also war es für ihn die richtige Seite, als unter Kreisky und Androsch die bis dahin geringen (nicht einmal ein Viertel des heutigen BIP-Prozentsatzes ausmachenden) Staatsschulden auf ein seither nicht mehr kontrollierbar gewordenes Niveau explodiert sind.
- Also war es für ihn auch richtig, dass die SPÖ jahrelang einen Massenmörder namens Proksch massiv gedeckt hat, weil er ein Parteifreund ist.
- Also war es für ihn richtig, dass sich in der rotgrünen Gemeinde Wien die Schulden während einer einzigen Legislaturperiode verdreifacht haben, und dass gleichzeitig die Wiener Arbeitslosigkeit auf 15 Prozent, bei Jugendlichen sogar auf über 30 Prozent gestiegen ist (was weit über allen anderen Bundesländern liegt und einsamen Nachkriegsrekord darstellt).
- Also war und ist für auch ihn die kriminelle Korruption und Medienbestechung richtig, mit der sich die Gemeinde Wien das Wohlwollen der Medien kauft, die dann seit Faymann/Ostermayer auch auf Bundesebene in breiter Form praktiziert wird.
- Also ist es für ihn auch die richtige Seite, dass in Wien aus reiner Profitgier mit einem Hochhaus neben dem Konzerthaus der schlimmste Anschlag auf das Stadtbild seit 1945 geplant wird.
Tagelang müsste man aufzählen, was Herr Kern noch alles an schlimmen Dingen mit diesen seinen Aussagen jetzt eiskalt zur richtigen Seite der Geschichte erhebt. Gewiss sind auch allen anderen Parteien viele Fehler vorzuwerfen. Aber keine von denen stellt sich so wie Kern hin und erklärt sich mit so arroganter Hybris für fehlerfrei und über jede Rechtfertigungsnotwendigkeit erhaben.
Nach einem solchen Auftritt des neuen Parteichefs wäre es wohl passend gewesen, dass die Genossen auf ihrem Parteitag neben der Internationale noch ein weiteres Lied singen (wenn sie schon die Bundeshymne nicht mögen):
Zwei mal Drei macht Vier –
widdewiddewitt und Drei macht Neune!
Ich mach' mir die Welt – widdewidde wie sie mir gefällt ...
Hey Christian Kern, hollahi-hollaho-holla-hopsassa,
Hey Christian Kern, der macht, was ihm gefällt.
Kerns amüsante Traumwelt
Hinter dieser Übelkeit erregenden Anmaßung verschwinden alle sonstigen Aussagen Kerns bei seinem Antrittsparteitag fast in den Bereich des Lächerlichen.
- Etwa der Satz: „Meine persönliche Überzeugung ist, das sozialdemokratische Zeitalter fängt jetzt erst gerade an.“ Damit zeigt er, dass er außer von Geschichte auch von den internationalen Vorgängen in zahllosen Ländern Europas keine Ahnung hat. Denn in fast jedem Land steckt die Sozialdemokratie – sofern überhaupt noch vorhanden und nicht an Skandalen verendet – heute in der schwersten Krise der Nachkriegszeit.
- Köstlich auch die Formulierung: „Wir haben Lösungen gesucht, wo andere nur Antworten von vorgestern gegeben haben.“ Denn damit gibt Kern indirekt zu, dass die Sozialdemokratie sucht und sucht und sucht und nie funktionierende Lösungen findet – außer man hält immer noch mehr Schulden und immer noch mehr Zuwanderung für eine Lösung.
- Köstlich war auch dieser Tage ein Kern-Interview mit dem Satz: „Das Land mit den besten Wirtschaftsdaten ist derzeit Schweden.“ Abgesehen davon, dass das nicht ganz stimmt, so sollte Kern – wäre er ehrlich – jedenfalls schon dazusagen, dass die Schweden im Schnitt vier volle Jahre später in Pension gehen als die Österreicher, und dass sie jetzt die Grenzen viel dichter für weitere Asylwerber verriegeln als Österreich.
- Endgültig laut lachen kann man nur bei Kerns Parteitags-Satz: „Die Bundespräsidentenwahl hat mir gezeigt, dass wir alle Chancen haben.“ Also offenbar haben alle Medien falsch gemeldet, dass der SPÖ-Kandidat dabei nur 11 Prozent bekommen hat. Oder sind 11 Prozent vielleicht das, was Kern für „alle Chancen“ hält, die er selbst hat? Oder sind die Grünen für Kern schon überhaupt dasselbe wie seine eigene Partei?
- Geradezu ans Absurde Theater gemahnt sein Wortgeschwurbel zum britischen Brexit-Referendum: „„Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Referendum negativ ausgeht, wenn man davor zehn Jahre eine Fundamentalopposition gegen europäische Fragestellungen eingenommen hat.“ Wie bitte? Was heißt das? Was soll eine Fundamentalopposition gegen Fragestellungen eigentlich sein?
- Kern sagt in Hinblick auf das Briten-Referendum auch, dass es in Österreich kein Referendum geben wird. Da ist ziemlich heiter, dass absolut gleichzeitig der neue Star der französischen Sozialisten, Wirtschaftsminister Macron, ein Referendum für ein neues Europa-Projekt vorschlägt, um „die Wähler stärker einzubeziehen“. Aber zugegeben: Die Franzosen haben keinen Kern, der in seiner göttlichen Attitüde so lästiges Beiwerk wie die Wähler vollständig ersetzt.
- Ebenso schwurbelig-inhaltsfrei ist schließlich auch die Kern-Passage: „Digitalisierung und Globalisierung stellen so vieles in Frage. Was genau ist Erwerbsarbeit? Wie wird Arbeit in Zukunft verteilt? Das sind klassische sozialdemokratische Themen. Dazu brauchen wir eine akzentuierte Politik der SPÖ.“ Auch daraus kann wohl niemand auch nur den Hauch einer konkreten Antwort ablesen. Außer dass der ÖBB-geprägte Kern Digitalisierung und Globalisierung als Bedrohung ansieht. Und schon wieder umverteilen will.
Gar nicht mehr köstlich oder amüsant ist jedoch der Umstand, dass Kern das bei sämtlichen Umfragen für die Österreicher weitaus wichtigste Thema, also die Völkerwanderung, in 80 Minuten Parteitagsphrasen nur ganz am Rand gestreift hat. Offenbar glaubt der Mann wirklich, dass er sich die Welt machen kann, wie er will. Er übersieht nur, dass das größte Problem Österreichs und Europas – das ja auch das britische Referendum entschieden hat – auch dann nicht einfach verschwindet, wenn man es ausklammert.
PS: Bezeichnend für die rapid wachsende Entfernung der SPÖ von den Wählern ist, dass der bei den Bürgern beliebteste SPÖ-Politiker, also Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, auf dem Parteitag das niedrigste Wahlergebnis aller zur Wahl stehenden Genossen bekommen hat. Das heißt, wer wegen Doskozils Positionierung die SPÖ wählt, wird sie nicht bekommen.
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