Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Knapp vor der Fußball-Europameisterschaft ist der absolut ideale Zeitpunkt: Nie ist die Erpressungsmacht von Gewerkschaften größer als zu einem solchen Zeitpunkt. Nie ist es leichter, eine ohnedies schwache und schwankende Regierung unter Druck zu setzen. Das haben wir ja auch schon vor zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Brasilien gesehen.
In Brasilien war und ist die Rolle des Fußballs so dominierend, dass dann zumindest während der Spiele Ruhe und Konzentration auf den Sport einkehren konnten (was freilich nichts daran geändert hat, dass die Spiele für das brasilianische Team mit einem Debakel geendet haben). Ob das in Frankreich auch so sein wird, ist hingegen eher ungewiss. Noch dazu, wo das Land angesichts des islamistischen Terrors und der in Europa besonders großen Hooligan-Massen während der Spiele ohnedies bis zum letzten angespannt sein wird.
Das alles wissen die in Frankreich ohnedies immer besonders radikalen und gewaltfreudigen Gewerkschaften. Sie haben daher bis zum letzten gegen die geplante Arbeitsmarktreform der Regierung gekämpft. Mit Streiks, mit Demonstrationen, mit Blockaden.
Dieser Kampf wurde psychologisch noch dadurch intensiviert, dass die regierenden Sozialisten alles andere als wild entschlossen schienen, die Reform auch wirklich mit Punkt und Beistrich durchzuziehen. Prompt hat die Regierung einige Punkte zurückgezogen und sich auch bei den anderen verhandlungsbereit erklärt. Der verbliebene Rest ist keineswegs mehr dramatisch.
Umso dümmer ist es von der Regierung gewesen, sich mit der endgültigen Fixierung der Arbeitsmarktreform bis zur Periode der Fußball-Spiele Zeit zu lassen, wo sie doppelt verwundbar ist. Diese Reform hätte nach allen Regeln der politischen Taktik längst vorher beschlossen werden müssen. Und nicht erst ein Jahr vor der Wahl. Aber Sozialisten brauchen offenbar solange, um wenigstens ein paar der wirtschaftlichen Notwendigkeiten zu begreifen. In der Sache kann es freilich keine Zweifel geben, dass diese Reform und vor allem noch einige weitere, weit darüber hinausgehende notwendig sind. Denn:
Die Schwierigkeiten für Frankreich sind ganz ähnlich zu vielen anderen EU-Staaten. Der immer gleiche Kern: Der Sozial- und Wohlfahrtsstaat ist viel zu teuer ausgebaut worden, als dass er noch finanzierbar wäre, als dass unter seinen Rahmenbedingungen jemals wieder ausreichendes Wachstum entstehen könnte. Aber nur ein sattes Wachstum könnte jemals die Arbeitslosigkeit und die ständige Neuverschuldung wieder reduzieren. Deshalb kann keine Sanierung ohne Einschnitte ins Sozial- und Wohlfahrtssystem gelingen.
Solche Einschnitte aber treffen die Gewerkschaften ins Herz. Haben diese doch lange geglaubt, jeder Ausbau dieses Sozialsystems wäre eine irreversible historische Errungenschaft und absolut gerechtfertigt. Daher kämpfen sie fast logischerweise in allen Staaten gegen die notwendige Beschneidung der Arbeitnehmerrechte, auch wenn hohe Arbeitslosigkeit und dauerhafte Krisen die Folgen sind.
In einigen Staaten ist freilich der ökonomischen Vernunft ein Erfolg gegen das rigide Gewerkschaftssystem gelungen. Die wichtigsten Beispiele maroder Länder, denen wenigstens eine Teilsanierung und Zurückdrängung der Gewerkschaften gelungen ist:
In Österreich allerdings herrscht seit zehn Jahren Stillstand. Hier war im Gegenteil die Regierung der letzten acht Jahre ein verlängerter und gehorsamer Arm der Gewerkschaften – eine in ganz Europa einmalige Situation. Wie in Frankreich deutet Vieles darauf hin, dass auch hier erst bei einem großen Crash à la Griechenland Bereitschaft und Kraft zu Reformen und Einschnitten ins Sozial- oder Arbeitsrechtssystem wachsen werden. Auch der neue Bundeskanzler redet nur herum, hat aber bisher keine einzige substanzielle Reform konkret angekündigt, geschweige denn jene vielen, wo er in den Clinch mit der Gewerkschaft gehen müsste.
Während Österreichs Hauptproblem – die hohen Pensionen und vor allem das niedrige Pensionsantrittsalter – überhaupt noch nicht ernsthaft angegangen werden, versucht Frankreich wenigstens jetzt erste zaghafte Schritte bei seinem eigenen Zentralproblem. Das ist der völlig rigide Arbeitsmarkt, der dazu geführt hat, dass Arbeitgeber immer seltener neue Arbeitskräfte einstellen, weil sie fürchten müssen, diese nie wieder loszuwerden.
Freilich ist der in Frankreich geplante Katalog zwar durchaus sinnvoll, aber noch völlig unzureichend. Er kann daher gewiss nicht einen dramatischen Boom auslösen:
Man sieht: Es sind in Wahrheit minimale Reformen, die dennoch eine so große Mobilisierung auslösen. Freilich: Es gibt kein europäisches Volk, das in den letzten 250 Jahren so oft und so aggressiv auf die Straße gegangen ist wie die Franzosen.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.