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Eine Präsidentenwahl oder: So funktioniert Österreich

Wer studiert bei einem Vertragsabschluss, bei einem Kauf im Internet, bei einem Bankgeschäft all die langen Geschäfts- und Vertragsbedingungen, bevor er ankreuzt, dass er sie gelesen hat und mit ihnen einverstanden ist? Auch wenn die Menschen tausende Male gewarnt worden sind, tut das fast keiner.

Genau so haben sich seit Jahrzehnten ganz offensichtlich auch die Beisitzer bei Wahlen verhalten. Sie haben etwas unterschrieben, was der Wahrheit nicht entspricht, was sie oft gar nicht gelesen haben. So etwas geht im wirtschaftlichen Leben hundert Mal gut, kann aber einmal furchtbar in die Hosen gehen. Etwa, wenn man auf Grund seiner Lesefaulheit im Internet einer internationalen Betrügerbande in die elektronischen Hände fällt.

Genau dieses typische Verhalten vieler Menschen kommt einem in den Sinn, wenn man die Berichte der Wahlleiter und Wahlbeisitzer hört, die jetzt auf Grund der freiheitlichen Wahlanfechtung ziemlich blamiert vor dem Verfassungsgerichtshof über ihr Verhalten bei der Präsidentenwahl aussagen.

Fast ganz Österreich schüttelt darüber den Kopf. „Balkan“ oder „Bananenrepublik“ sind da noch freundliche Bezeichnungen.

Freilich: Wenn man bei der Bewertung dieses Verhaltens fünf Schritte zurücktritt, kann man auch einen etwas anderen Gesichtswinkel einnehmen. Denn:

  • Ist nicht der etwas schlampige Umgang mit Vorschriften vielleicht auch eine sympathische Eigenschaft?
  • Ärgern wir uns nicht oft furchtbar über beamtete Amtsschimmel und Paragraphenreiter, die uns mit der peniblen, aber sinnlosen Einhaltung des Buchstabens eines Gesetzes schikanieren und ärgern?
  • Gilt nicht der „Dienst nach Vorschrift“, also genau das, was jetzt von den Wahlbeamten gefordert wird, als die ärgste und einen Streik sogar übertreffende Kampfmethode von Beamtengewerkschaften?
  • Sind es nicht in Wahrheit oft die lobenswerten und intelligenten Beamten, die lösungsorientiert und kundenfreundlich arbeiten, auch wenn die Vorschriften das nicht ganz so vorsehen?
  • Wollen wir wirklich zu obrigkeitsgehorsamen Preußen werden, die nicht den Zweck, sondern nur den Buchstaben einer Norm sehen?

Auch wenn es in der gegenwärtigen nationalen Stimmung wohl ein Minderheitenvotum ist: Ich kann mich über Wahlleiter nicht erregen, welche die Stimmzettel nicht genau zu dem vorgeschriebenen Zeitpunkt zählen haben lassen, oder die auszählen ließen, auch wenn die Beisitzer nicht anwesend waren. Ich kann mich auch über Beisitzer nicht sonderlich erregen, die ein Wahlprotokoll unterschrieben haben, auch wenn sie nicht den ganzen Tag bei der Auszählung dabei gewesen sind.

Ich fürchte mich viel mehr vor der neuen Welle von behördlichen Sekkaturen, die ein penibles Urteil des Verfassungsgerichtshofes auslösen würde. Ich bin mir freilich angesichts der öffentlichen Stimmung und der großen Menge der Wahlschlampereien lange nicht mehr so sicher wie noch vor zwei Wochen, dass der VfGH die Wahlen nicht wiederholen lassen wird.

Trotz allem sollte bei der ganzen Wahlfarce nur eines relevant sein: Hat es irgendeine ernsthafte Gelegenheit gegeben, dass bei Auszählung der Wahlkarten Stimmzettel verschwunden oder ausgetauscht worden sind? Oder gibt es gar Hinweise, dass solche Manipulationen passiert sind?  Formalfehler hingegen sollten keine Wiederholung auslösen.

Zusätzlich zu dieser zentralen Frage stellen sich noch eine ganze Reihe anderer heikler Probleme und für manche Beteiligten sehr unangenehme Aspekte:

  1. Wo war eigentlich die Aufsichtspflicht der für Wahlen zuständigen Wahlbehörden, also des Innenministeriums beziehungsweise der Länder, in Hinblick auf die Durchführung der Wahlen in den letzten Jahrzehnten? Warum haben sie sich nicht immer schon durch stichprobenartige Überprüfung von der korrekten Abwicklung überzeugt? Warum wurden erst jetzt Anzeigen eingebracht, als die FPÖ aktiv geworden ist?
  2. Hat keine der Parteien – die ja in allen Wahlkommissionen Beisitzer und Wahlzeugen haben! – von der Nichteinhaltung des Gesetzes seit vielen Jahren gewusst? Oder war ihnen dies allen bisher wurscht?
  3. Warum haben die Parteien nicht wenigstens bei der jüngsten Stichwahl, nachdem am Sonntagabend klar geworden war, dass es ein Kopf-an-Kopf gibt, dafür gesorgt, dass am Montag alles penibel zugeht und dass alle Kommissionen gut besetzt sind?
  4. Warum haben das nicht auch Länder und Innenministerium besonders streng durchgesetzt?
  5. Warum hat der Gesetzgeber Wahlgesetze gemacht, sich aber nie von deren Praktikabilität überzeugt, die nach Aussage etlicher Wahlleiter so gar nicht einhaltbar ist (zumindest wenn nicht die Auszählung der Wahlkarten tagelang dauern sollte)?
  6. Wie hat die FPÖ ihre Beisitzer dazu gebracht, jetzt öffentlich zu sagen, sie hätten etwas mit Unterschrift bestätigt, was gar nicht stimmt? Sind sie von der Partei unter Druck gesetzt worden? Oder sind sie wenig intelligent, dass ihnen dieser Widerspruch nicht aufgefallen ist? Warum sind sie nicht von selbst im Wissen um die Knappheit der Wahl von Anfang bis Ende in den Kommissionen gesessen?
  7. War es nicht Betrug vieler Beisitzer, wenn sie Entschädigungen für das Dabeisein beim Auszählen bekommen haben, aber gar nicht dabei waren?
  8. Wie wird man umgekehrt künftig noch Beisitzer und Wahlzeugen finden, von denen ja die allermeisten an Montagen berufstätig sind, wenn künftig penible Präsenz notwendig sein wird?
  9. Müsste im Fall einer Wahlannullierung nicht die ganze Präsidentenwahl – also auch der erste Durchgang – wiederholt werden? Zwar ist dafür die Einspruchsfrist schon ungenutzt vorbeigegangen. Aber das bedeutet juristisch keineswegs das Gleiche wie die Rechtskraft eines Urteils. Und wenn es für eine Wiederholung ausreichende Zweifel am Ergebnis der Stichwahl gibt, so ist das Ergebnis des ersten Wahlgangs ja genauso zweifelhaft! Man denke etwa an das knappe Ergebnis zwischen den Kandidaten Griss und Van der Bellen.
  10. Im Falle einer Annullierung der Stichwahl kann es an etwas noch viel Gravierenderem ebenfalls keinen Zweifel geben: Dann haben wir auch einen genauso dubios zusammengesetzten Nationalrat! Bei dessen Wahl hat es ja viele knappe Teilergebnisse gegeben. Da kann das Verfassungsgericht ja doch nicht ernsthaft untätig bleiben, wenn er zu dem Schluss kommen muss, dass das mächtigste Gremium der Republik, der zentrale Gesetzgeber, noch zwei Jahre lang unkorrekt zusammengesetzt sein wird.

Hinter diesen fundamentalen Fragen treten die übrigen Details einer eventuellen Wiederholung weitgehend in den Hintergrund:

  • Wird der Gerichtshof nur eine Wiederholung oder auch ein neues Wahlgesetz verlangen (dessen Ausformulierung ja deutlich länger dauern würde, damit nicht wieder Pfusch produziert wird)?
  • Werden die gleichen Wahlberechtigten wählen dürfen, oder auch jene Jugendlichen, die inzwischen 16 geworden sind?
  • Wie kann man das Auszählen der Wahlkarten besser organisieren? Oder wird dann halt stur tagelang ausgezählt werden?
  • Wie sichert man einen einsamen Wahlleiter gegen Verdächtigungen oder gar gegen den vorwurf eines Amtsmissbrauchs ab, wenn Beisitzer und Zeugen einfach nicht erscheinen – wozu man sie ja nicht zwingen kann –, wenn er also alleine die ganze Kommission darstellt?

Der nächste ORF-Skandal

Egal wie das Verfahren ausgeht, so gibt es seit Montagabend jedenfalls einen neuen Skandal um den ORF. Er hat kleine Beamte, die in einer Wahlkommission saßen und die mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nichts Strafrechtliches angestellt, sondern sich nur um eine flotte Stimmauszählung bemüht haben, mit voller Namensnennung öffentlich an den Pranger gestellt. Der gleiche ORF schützt sonst hingegen oft auch schwere Rechtsbrecher durch volle Anonymität (insbesondere, wenn sie Migranten sind).

Es bleibt zu hoffen, dass sie den ORF jetzt deswegen klagen. Oder dass dies zumindest die Beamtengewerkschaft tut (Um gegen solche Untergriffe geschützt zu werden, zahlen die Beamten ja ganz schön viel ÖGB-Beiträge...).

 

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