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Auf den ersten Blick fühlen sich Geschichtsbewusste nach diesem Wahltag an die Zwischenkriegszeit mit all ihren schlimmen Seiten bis hin zum Bürgerkrieg erinnert. Es geht ein Spalt quer durchs Land. Viele Freundschaften sind zerbrochen. Das rote Wien und die großen Städte stehen einer schwarzen Bevölkerung in den Bundesländern gegenüber. Es ist in den letzten Wochen allzuviel emotional-moralistische Aufladung durchs Land gegangen, als dass das leicht mit ein paar besänftigend klingenden Politikerworten beseitigt werden könnte - die noch dazu scheinheilig wirken, weil sie umgehend von einem Tiefschlag begleitet werden.
Freilich: Es ist beim genaueren Hinschauen eine ganz andere Spaltung als vor 80 und 90 Jahren. Vor allem die Tatsache, dass die Arbeiter diesmal fast geschlossen zusammen mit einer deutlichen Mehrheit der Landbevölkerung und einer knappen der Selbständigen für den rechten Kandidaten gestimmt haben, unterscheidet die politische Soziologie gewaltig. Auf der anderen Seite steht diesmal eine klare Mehrheit der sogenannten Döblinger Regimenter, der Studierten, der Frauen und der besser Situierten (aber eben nicht der Selbständigen!).
Damit ist für beide Regierungsparteien das Ergebnis der Bundespräsidentenwahlen auch langfristig dramatisch. Beide müssen erstmals seit weit mehr als hundert Jahren eine totale Spaltung ihrer Kernwähler bilanzieren. Besonders schlimm ist das für die SPÖ. War sie doch immer „die“ Arbeiterpartei. Und jetzt sind die Arbeiter fast geschlossen beim Erzfeind gelandet.
Damit hat die Sozialdemokratie in Österreich ein Dilemma, das dem in anderen Ländern gleicht, aber in der Alpenrepublik noch viel krasser ist. Jetzt bleiben ihr nur die linken Intellektuellen, Studenten, Kulturszene und die eingebürgerten Migranten. Für all diese Gruppen sind aber auch die Grünen künftig eine echte Alternative, sind auch bei anderen Wahlen wählbar. Viele haben sich nur der besseren Karrierechancen wegen für die SPÖ entschieden. Diese Motivation fällt nun zunehmend weg. Während die Arbeiter, die fast überhaupt nicht grünanfällig sind, eben schon verloren scheinen.
Der neue SPÖ-Chef Christian Kern ist seiner ganzen Statur nach noch dazu auch alles andere als ein Arbeiterführer. Bisher hat er nicht einmal noch mit einer Silbe eine Rückeroberung der alten Stammwähler versucht.
ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner steht vor einem ziemlich parallelen Dilemma. Er hat sich ebenfalls vor allem durch Herumreden aus der Zerreißprobe zwischen total auseinanderziehenden Wählergruppen zu ziehen versucht. Sein in der Vorwoche verkündeter totaler Kuschelkurs mit dem Koalitionspartner wird Reinhold Mitterlehner da freilich überhaupt nicht helfen. Denn außer, dass er damit ein paar Tage in linken Medien kleine Streicheleinheiten bekommt, sind (ehemalige) schwarze Wählergruppen mit diesem Kuschelkurs überhaupt nicht einverstanden. Weder die Wertkonservativen noch die Wirtschaftsliberalen wollen ihn. Und die Gruppeninteressen von Bauern, Beamten und Gewerbetreibenden können angesichts der flauen Wirtschaftslage ohnedies nicht mehr bedient werden.
Der Kuschelkurs kann Mitterlehner also maximal zwei Jahre helfen. Bis zur Nationalratswahl – vorausgesetzt seine Partei lässt ihm so viel Zeit. Denn in der ÖVP wird mit Sicherheit jetzt in Bälde die Diskussion über Mitterlehners taktisches Ungeschick anheben.
Denn während die SPÖ einen historischen und fast irreversiblen Zerreißprozess zwischen zwei Lagern durchmacht, ist für die ÖVP aus eigener Dummheit die Präsidentenkür so blamabel verlaufen. Im ersten Durchgang hat es ja zwei der Partei relativ nahestehende Kandidaten gegeben. Hätte es nur einen gegeben, hätte also Mitterlehner diese Spaltung durch rechtzeitiges Agieren verhindert, dann wäre mit großer Wahrscheinlichkeit ein VP-naher Kandidat in der Stichwahl und höchstwahrscheinlich in der Hofburg gelandet. Jetzt hat die ÖVP nicht nur keinen Präsidenten, sondern auch zum ersten Mal eine Spaltung zwischen ländlicher und städtischer Stammwählerschaft.
Da sind ganz schwere strategische Fehler passiert. Die primär Mitterlehner zu verantworten hat.
Sein einziges Glück: Der einzige in der Partei, der das Unbehagen derzeit artikulieren könnte, wäre Erwin Pröll. Der aber ist selbst durch sein Verhalten rund um die Präsidentschaftskandidatur und als in Bälde Abtretender schwer angeschlagen. Das einzige andere Schwergewicht in der ÖVP ist derzeit der Oberösterreicher Pühringer (die restlichen Bundesländer-Chefs und erst recht die derzeitigen Bündeobmänner gehören ja nur der Fliegengewichtsklasse an). Aber Pühringer ist mit Sicherheit nicht der Typ, der den Oberösterreicher Mitterlehner stürzen würde.
Sebastian Kurz wiederum ist zwar österreichweit heute extrem populär, aber innerparteilich ist er zu schwach, um den Mund allzu kritisch gegen Mitterlehner aufmachen zu können. Damit würde er sich selbst nur schaden. Er muss derzeit schon froh sein, wenn Mitterlehner nicht allzu heftig mit SPÖ-Chef Kern gegen ihn intrigiert.
Aber auch Blau und Grün sollten trotz des für beide noch vor kurzem undenkbaren 50-Prozent-Erfolgs ein wenig selbstkritisch nachdenken. Denn bei beiden Parteien haben die jeweiligen Parteichefs durch ihre schrille Art keine Chance, den Erfolg der Präsidentenwahl bei der Nationalratswahl auch nur annähernd zu wiederholen. Zwar wird sicher keiner der beiden heutigen Parteichefs gestürzt werden, doch sollten beide ihre Attitüde überdenken. Zumindest wenn sie da wie dort dauerhaft zur dominierenden Partei der Linken beziehungsweise der Rechten werden wollen. Beide Parteien scheinen das aber auch zu spüren: Denn erstaunlicherweise hört man von beiden Seiten neuerdings bisweilen das Wort "Mitte" als Eigenpositionierung.
An sich scheint ja die FPÖ eindeutig im Vorteil zu sein. Sie führt seit der Migrations-Katastrophe bei allen Umfragen. Und die Mehrheit der Bürger steht seit Jahrzehnten rechts der Mitte. Nur wollen halt Viele aus dieser Mehrheit nichts allzu Radikales. Aber sie wollen eben auch keine verschnarchte ÖVP, die seit Jahren nur noch billiger Mehrheitsbringer der SPÖ ist, und die Michael Spindelegger gestürzt hat, weil dieser der SPÖ härteren Widerstand entgegengesetzt hat.
Ganz abgesehen davon muss aber auch der FPÖ klar sein: Keine Partei kann wohl jemals alleine die Regierungsmehrheit erreichen. Daher kommt es jetzt für Blau und Grün darauf an, gute und tragfähige Kontakte zu den anderen Parteien zu knüpfen. Dabei liegen freilich derzeit eindeutig die Grünen gegenüber der Strache/Hofer-Partei im Vorteil, da sie sich in den letzten Jahren als sehr anpassungsfähig erwiesen und vieles ihrer einstigen 68er Radikalität aufgegeben haben. Die FPÖ hingegen hat in den letzten Jahren – zum Unterschied von Jörg Haiders Zeiten, der sich die ÖVP stets als künftigen Koalitionspartner warmgehalten hat, – einen sehr kantigen Kurs verfolgt, der sie nun auf dem Partnermarkt deutlich schwerer vermittelbar macht.
Ob es wirklich ihr Ziel ist, ewig die erfolgreichste Oppositionspartei aller Zeiten bleiben zu wollen?
Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.