Und jetzt den EU-Beitritt auch für Marokko, Libyen & Co
19. März 2016 02:55
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 7:30
Es ist eigentlich nur noch peinlich, völlig unglaubwürdig und dumm, was uns da soeben als „europäische Lösung“ der Völkerwanderung verkauft wird. Glaubt denn auch nur ein einziger Europäer, dass durch die Vereinbarung der EU mit der Türkei die im Vorjahr weit mehr als eine Million Menschen ausmachende Massenmigration heuer wirklich auf 72.000 zurückgehen wird? Hat keiner der 28 Regierungschefs begriffen, was man alles mit diesem Deal auslöst? Dieser Deal hat in Wahrheit nur eine einzige Funktion: Ein paar Tage lang stehen EU und insbesondere Angela Merkel nicht mehr als Loser, sondern als erfolgreiche Macher da. Das wird aber nur ein sehr kurzes Glück sein.
Das einzig Positive im Vergleich zu den vielen in den letzten Tagen kursierenden Varianten ist, dass der Deal (vorerst!) mit 72.000 Syrern limitiert ist, die die Türkei legal nach Europa schicken kann - wenn zuvor ebensoviele illegal nach Europa gekommen, aber dann wieder in die Türkei abgeschoben worden sind. Ohne dieses Limit hätte Ankara spielend die Möglichkeit des Ringelspiel-Tricks gehabt. Es hätte einfach möglichst viele Menschen illegal nach Europa schleusen (lassen) müssen, um dann nach deren Rückschiebung in identischer Zahl viele legal nach Europa bringen zu können.
Es ist hingegen eine ganze Liste von Dingen, die das Abkommen mit der Türkei als schlimmen Fehler erkennen lässt:
- Sollte die Türkei plötzlich wirklich imstande sein, die illegale Migration auf dieses Maß zurückzuschrauben, dann gibt sie damit de facto zu, dass sie Hauptschuldiger für den riesigen Umfang der Migration im Jahr 2105 gewesen ist. Dann ist sie der Haupttäter, der die Migration nach Belieben steuert. Dann entpuppt sie sich eindeutig als erpresserisches Gaunerregime, das Europa nach Belieben mit in allen Ländern außer Deutschland unwillkommenen Menschen überschwemmt, bis es seine Wünsche erfüllt bekommt.
- Dann aber hat sich die EU vor den Augen der ganzen Welt erpressen lassen.
- Dann hat sie zugleich den Offenbarungseid abgelegt, das größte eigene Problem nicht selbst lösen zu können.
- Geht die Migration via Türkei aber nicht auf dieses Ausmaß zurück, dann steht die EU als blamiert und hineingelegt da. Dann zeigt sich, dass sich die Mafia des Schlepperwesens – mit engsten Korruptions-Kontakten hinein in staatliche Apparate – nicht um Beschlüsse von Politikern kümmert.
- In jedem Fall aber hat die EU mit einem Regime gedealt, das sich in den letzten Monaten weiter von allen demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben entfernt hat denn je in den letzten Jahrzehnten. Das die Medienfreiheit brutal beendet hat. Das die unabhängige Justiz bekämpft. Das politische Gegner einsperrt. Das gegen das kurdische Volk einen brutalen Krieg führt. Das sich wie einst die Osmanen direkt in die Geschicke zweier Nachbarländer einmischt. Von der „traditionellen“ Diskriminierung der Christen gar nicht zu reden.
- Es ist zwar in jeder Hinsicht richtig, dass die Flüchtlingslager rund um Syrien – nicht nur in der Türkei! – insbesondere von Europa weit besser finanziert werden müssen. Diesbezüglich hat Europa schändlicher- und dummerweise viel zu wenig getan. Es ist zum eigenen Schaden knausrig gewesen. Die Finanzierung der Flüchtlingslager aber müsste man auch ohne große Aufwertung der Türkei und ohne jeden Gegengeschäfts-Deal machen.
- Es ist völlig unklar, wie die 72.000 Menschen aufgeteilt werden sollen, die die Türkei nun in Kürze legal nach Europa schicken darf. Offenbar sind manche Länder von einer Aufnahmepflicht befreit. Das bedeutet naturgemäß neuen Hader. Zwar könnte Deutschland auch alle nehmen – sind das doch weit weniger, als irgendwer in Deutschland für das heurige Jahr erwartet hat. Das aber wird Berlin schon aus Prinzip niemals wollen (außerdem weiß jeder, dass es auch 2016 am Ende viel, viel mehr illegale Migranten sein werden, solange das europäische Asyl- und das Wohlfahrtssystem so sind, wie sie sind).
- Zusätzlich blamabel ist, dass die EU schon eine Reihe ähnlicher Flüchtlingsaufteilungsquoten und -mengen beschlossen hat, die aber mit dem realen Leben überhaupt nie etwas zu tun gehabt haben.
- Mit der legalen Hereinnahme der 72.000 Menschen ohne jede Prüfung würde Europa auch automatisch die zumindest verbal bisher aufrechterhaltene Fiktion aufgeben, dass man nur „schutzsuchenden“ Menschen für die Dauer irgendeiner Gefahr vorübergehend Aufenthalt gibt. (Freilich war in Wahrheit immer schon klar, dass die Migranten nicht vorübergehenden Schutz, sondern auf Einladung Angela Merkels die dauerhafte Einwanderung in die drei spendabelsten Wohlfahrtssysteme der Welt suchen).
- Die in Aussicht gestellte Visafreiheit für türkische Staatsbürger wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem neuen, weiteren Tor für illegale Immigration führen. Angesichts der derzeitigen Zustände in der Türkei ist es sehr wahrscheinlich, dass Europas asyltrunkene Gerichte asylsuchenden türkischen "Touristen“ dann auch Asylstatus einräumen.
- Dieses neue Tor dürfte überdies nicht nur von türkischen Staatsbürgern genutzt werden, sondern auch von Arabern und Afghanen. Waren doch zumindest in der Vergangenheit türkische Dokumente recht leicht gegen das nötige Bakschisch erhältlich.
- Noch gefährlicher ist, dass Ankara jetzt noch stärker auf seine Beitrittsperspektive pochen wird können. Mehrere Kapitel der Beitrittsverhandlungen sollen geöffnet werden. Damit zeigt sich wieder eine leider häufig vorkommende, aber dennoch katastrophale Dummheit der Diplomatie: Man glaubt, jetzt ein Problem zu lösen – indem man Versprechungen für morgen macht, die dann morgen aber noch viel größere Probleme schaffen werden. Man kann nämlich mit absoluter Sicherheit ausschließen, dass alle 28 Staaten in ihren Parlamenten oder gar – wie nicht nur in Österreich notwendig – bei einem Referendum ein Ja zum türkischen Beitritt sagen werden. Unerfüllbare Versprechungen für die Zukunft soll man aber nicht einmal andeutungsweise oder indirekt machen. Aber das wissen offenbar nur Staatsmänner. Einen solchen habe ich jedoch beim EU-Gipfel in Brüssel nicht gesichtet. Die Türkei wird dann noch viel aggressiver reagieren.
- Das allerschlimmste aber sind die Beispielsfolgen: Der ganze Mittelmeerraum sieht, wie sich die EU erpressen lässt. Daher wird man überall – egal wie der türkische Deal weitergeht – beschließen, jetzt selber mit Erpressungen anzufangen. Praktisch jeder Mittelmeeranrainerstaat, jeder libysche Kriegsherr wird nun selbst Migranten nach Europa schleusen beziehungsweise (dem Anschein nach) durch Schlepper dorthin bringen lassen. Sie werden das tun, bis Europa ihre horrenden Forderungen erfüllt – die wie bei der Türkei nicht nur in Geld bestehen werden. Wenn die Türken europäische Visafreiheit genießen, dann werden das auch Libyer, Algerier, Marokkaner, Ägypter, Libanesen, Tunesier haben wollen. Überdies wollen alle diese Länder schon lange die Mitgliedschaft in der EU. So wie die Türkei. All die nun drohenden Beispielsfolgen sind gar nicht absehbar. Gewiss: Bestechungen in „diskretem“ Rahmen sind in diesen Ländern leider oft notwendig. Aber der Unterschied zur nunmehrigen öffentlichen Erpressung wie im Fall der Türkei ist dramatisch.
- Natürlich werden die juristischen Kämpfer der Asylindustrie jetzt den positiven Teil des Türkei-Deals massiv bekämpfen, also die Abschiebung der illegalen Immigranten. Sie werden damit wohl bei europäischen Gerichtshöfen und nationalen Verfassungsgerichten auch einigen Erfolg haben. Dort hat ja seit Jahren blauäugig-utopistisches Gutmenschtum Einzug gehalten, das in Verbindung mit linken Gesellschaftszerstörern und (beim EGMR in Straßburg) Vertretern von selbst an Migrationsfreiheit interessierten Auswandererländern die klare Mehrheit hat. Diese juristische Macht wird die rasche Rückschiebung von illegal nach Europa Gekommenen verhindern, sie wird in jedem Fall Einzelverfahren durchsetzen. Diese werden mit Hilfe geschickter Anwälte der Migrationsindustrie auch künftig auf viele Monate und Jahre hinuaus verlängert werden können.
- In Wahrheit müsste die EU unbedingt den Mut haben, der Asylindustrie (von Amnesty bis Caritas) die juristischen Waffen zu entziehen. Es müssten einige EU-Richtlinien geändert werden. Die europäischen Gesetzgeber müssten die weltfremd-gutmenschliche Judikatur der diversen Gerichtshöfe durch authentische Interpretationen wieder redimensionieren. Notfalls müsste Europa – sollten die Gerichtshöfe weiter der Migration die Tore offen halten – auch die Genfer Flüchtlingskonvention kündigen (das ist problemlos möglich). Dabei ist diese im Kern ja durchaus positiv und vernünftig. Sie ist aber über viele Jahre durch Gerichte zu einer Maschine umgewandelt worden, die für die ganze Welt ein de facto freies Einwanderungsrecht (nur!) in Europa geschaffen hat. Was jetzt substanzielle juristische Bindungen dieser Gerichte erfordert.
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