Der frühere Präsident des Obersten Gerichtshofs, Hans Rzeszut, bringt in Kürze ein neues Buch über den Fall Kampusch und die merkwürdigen Todesfälle nach deren Flucht hervor. Dabei ist insbesondere das bisherige geringe Interesse eines Teils der Staatsanwaltschaft für die Hintergründe der Todesfälle und der Entführung von Natascha Kampusch von hohem Interesse. In der Folge im O-Ton die Einleitung und das erste Kapitel des Rzeszut-Buches. (Warnung vor dem Weiterlesen: In diesem Text sind auch einige sehr drastische und abschreckende Bilder enthalten, die aber wegen des rechtsstaatlich extrem wichtigen Zusammenhangs ausnahmsweise veröffentlicht werden. Am Ende dieses Textes gibt es eine vom Tagebuch erstellte kurze Zusammenfassung der zentralen Argumente dieses Kapitels)
„Bei Mord hört sich die Freundschaft auf!“ lautete einmal die Pointe einer satirischen schriftstellerischen Übertreibung. Sinngemäßes für die justizielle Ermittlungsverantwortung in einem Verdachtsfall schwerster Kriminalität wie zB. Mord und Kidnapping zu fordern, ist weder eine satirische, noch eine literarische Übertreibung. Zwingende öffentliche Kerninteressen, denen im Folgenden Rechnung getragen werden soll, und der speziell im Zusammenhang mit Kapitalverbrechen besondere gesellschaftliche Stellenwert von Tatsachenwahrheit gebieten es.
Tatsachenwahrheit ist Atemluft für gegenseitiges Vertrauen und wechselseitige Akzeptanz in zwischenmenschlichen Beziehungen welcher Art auch immer. Vorbehaltslose Orientierung an wahrheitsgemäßen Tatsachengrundlagen ist grundsätzlich unverzichtbar, sollen Begegnungskontakte dauerhaft von wechselseitigem Vertrauen getragen und von bleibend geordnetem Bestand sein. Ein wünschenswert konfliktfreies, gesellschaftliches Miteinander und geordnete zwischenmenschliche Begegnung können auf Dauer nur funktionieren, wenn sie von der Bereitschaft getragen sind, sich an die im Einzelfall jeweils entscheidungs- und handlungswesentlichen Tatsachengrundlagen zu halten und das eigene Verhalten darauf auszurichten. Ohne Tatsachenwahrheit gibt es kein Vertrauen und keine wechselseitige Akzeptanz. Jede fahrlässige (mehr noch dolose) Anknüpfung an unrichtigen, realitätsfremden, somit unwahren „Tatsachen“-Grundlagen führt zwangsläufig zu Konfliktstoff, Akzeptanzverlust und Spannungsrisken. Dies gilt für private (familiäre, freundschaftliche) und berufliche, geschäftliche, für individuelle und kollektive Beziehungen gleichermaßen. Einschlägige Erfahrungen zeigen, dass die temporäre Inanspruchnahme bzw. Durchsetzung unwahrer Sachverhaltsgrundlagen auf eine Unrechtsverwirklichung hinausläuft, die regelmäßig geeignet ist, mentale und rechtliche Schwelbrände auszulösen und damit dauerhaften Beziehungsfrieden auszuschließen.
Dass penibler Sorgfalt im Umgang mit der Tatsachenwahrheit im Bereich der Rechtsanwendung ein ganz besonderer Stellenwert zukommt, liegt auf der Hand und muss nicht ausführlich begründet werden. Die verfassungsrechtlich garantierte Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz setzt eine konsequente Anknüpfung an ausschließlich solchen Tatsachengrundlagen voraus, die der Realität entsprechend ermittelt wurden. Gleichbehandlung vor dem Gesetz verträgt sich nicht mit der Anwendung ein und derselben Gesetzesbestimmung auf in Wahrheit unterschiedliche, im Einzelfall jedoch realitätsfremd als gleichgelagert unterstellte Sachverhaltskonstellationen. Sinngemäßes gilt für jede rechtliche Differenzierung (in Wahrheit deckungsgleicher) Sachverhalte, die sich aus wahrheitswidrig unterschiedlichen Feststellungen ergibt. Im Spannungsfeld zwischen möglichst weitreichender individueller Gestaltungs- und Aktionsfreiheit einerseits und der Gesamtheit öffentlicher Interessen, insbesondere dem allgemeinen Interesse an in jeder Hinsicht verlässlicher Rechtssicherheit andererseits, hängt breite gesellschaftliche Akzeptanz jedweden Rechtsakts von nichts mehr ab, als von der Orientierung an vorbehaltsloser Tatsachenwahrheit.
Mit besonderer Akzentuierung gilt dies für die staatliche Rechtspflege, insbesondere für die Zivil- und (vor allem im Bereich schwerster Kriminalität) für die Strafgerichtsbarkeit, die unter strikter Beachtung einer Reihe von tragenden Grundsätzen neben der Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit auch Zielsetzungen zu verfolgen hat, die rechtstraditionell auf die Entwicklung, Erhaltung und Pflege des allgemeinen Rechtsbewusstseins ausgerichtet sind. Wenn nun in einem Ermittlungsfall schwerster Kriminalität entscheidende Funktionsträger anerkannte Fundamentalprinzipien materieller Wahrheitsfindung und grundlegende Denkgesetze serienweise mit den Füßen treten, um die fallbezogene Sachverhaltsebene im Kniefall vor unsachlichen Partikularinteressen realitätsfremd zu adaptieren, so alarmiert dies. Gravierende öffentliche Interessen stehen einem stillschweigenden Abfinden mit derartig abwegigen Ausuferungen entgegen. Sie geben den Anstoß für das nachfolgende Eingehen auf jene singulären Auffälligkeiten, die den Ablauf und die Einstellung des behördlichen Ermittlungsverfahrens zum sogenannten „Fall Kampusch“ signifikant geprägt haben. Bei diesem Ermittlungsfall ging es nicht allein um die mehr als achtjährige Abgängigkeit eines Schulkindes bzw. mit zunehmendem Zeitablauf einer jungen Frau, sondern auch um den angeblichen Selbstmord ihres mutmaßlichen Kidnappers Wolfgang Priklopil, sowie letztlich auch um die besondere Tragik eines zum Ermittlungsabschluss zeitnahen weiteren Todesfalls. Polizeioberst Franz Kröll, der zuletzt als Leiter der Sonderkommission des Bundeskriminalamts mit dem „Fall Kampusch“ befasst war, wurde am 27. Juni 2010, somit rund ein halbes Jahr nach offiziellem Ermittlungsabschluss erschossen aufgefunden.
Zu beiden Todesfällen stehen alarmierende Fakten, somit Tatsachen im Vordergrund, die für sich selbst Klartext sprechen. Sie bedürfen keiner spekulativen Interpretation, keiner „verschwörungstheoretischen“ Anreicherung. Wer im Anlassfall Ermittlungs- oder Evaluierungsverantwortung zu tragen hatte und von intaktem Gewissen bestimmt ist, kann nicht tatenlos hinnehmen, dass
- der Leichnam des angeblichen Selbstmörders Wolfgang Priklopil zumindest zwei jede für sich tödliche Verletzungen aufwies, die weder gleichzeitig durch ein und denselben Zugkontakt ausgelöst worden sein konnten, noch mit der Beschaffenheit der Vorderfront des Schnellbahntriebwagens in Einklang zu bringen sind;
- die polizeilichen Ermittlungen zum Ableben des Polizeiobersts Franz Kröll eine Reihe von derartig absurden Auffälligkeiten aufwiesen, dass es angesichts der besonderen und in mehrfacher Hinsicht akzentuierten Bedeutung des Ermittlungsanlasses schwer fällt, sie mit bloßem Versehen zu erklären.
Wie konnte es beispielsweise geschehen, dass qualifizierte Beamte einer Tatortgruppe eines von zwei Bohrlöchern(!), die sinnfällig als Doppelbohrung zur ursprünglichen Befestigung eines von der Loggiawand bereits demontierten Wäschetrockners erkennbar waren, als Projektileinschlag (!) beurteilen und der offiziellen, hinsichtlich der Schusshand und der Schussrichtung in Wahrheit seitenverkehrten Selbstmordversion zugrunde legen?
Wie konnte es geschehen, dass Polizeibeamte, die zur Ermittlung eines hochsensiblen angeblichen Selbstmordfalls herangezogen werden, zwei letztwillige Schreiben, die in einem frei zugänglichen, unversperrten Möbeltresor in der Wohnung des Toten auflagen, trotz Durchsuchung sämtlicher Räume zunächst nicht fanden, anlässlich der um Tage verspäteten Auffindung jedoch keine weitere Veranlassung trafen, obwohl die (noch dazu im wechselseitigen Vergleich unterschiedlichen) Unterfertigungen der beiden Schreiben krasse Abweichungen von erwiesenen Originalunterschriften des angeblichen Verfassers aufwiesen ? etc. etc.
Wer im Rahmen seiner Möglichkeiten nicht in der Lage ist, Missständen und Versäumnissen in einem gesellschaftlich wichtigen Bereich effizient zu begegnen, ist dennoch nicht der Verpflichtung enthoben, auf wahrgenommenen evidenten Korrekturbedarf wenigstens hinzuweisen. Was geeignet sein kann, gesunde Hemmschwellen gegen massive Unrechtsverwirklichung zu pflegen und zu erhöhen, kann nicht sinnlos sein.
Kapitel 1
Die Zeit ist die Mutter der Wahrheit. Auf Dauer duldet sie deren stiefmütterliche Behandlung nicht.
Der sogenannte „Fall Kampusch“ hat im Kern die Abgängigkeit der damals 10-jährigen Natascha Kampusch von den Morgenstunden des 2. März 1998 bis zum Frühnachmittag des 23. August 2006 und das von dem Kind bzw später von der jungen Frau während dieser Zeit Erlebte, vor allem aber auch das nach gesicherten objektiven Anhaltspunkten hochproblematische Ableben des in den Abendstunden des 23. August 2006 auf der Gleistrasse der Wiener Schnellbahn tot aufgefundenen Kidnappers Wolfgang Priklopil zum Gegenstand. Dieser Kriminalfall ist von einer außergewöhnlichen Komplexität an Sachverhaltsdetails und Auffälligkeiten gekennzeichnet, die das (mit Unterbrechungen insgesamt) rund zwölfjährige behördliche Ermittlungsverfahren geprägt haben. Eine nähere Erörterung der vielfältigen Kontakt- bzw. Beziehungsverflechtungen, die sich dabei ergeben haben, wird zur Vermeidung jedweder Ablenkung von den führend bedeutungsschweren objektiven Einzelheiten zunächst zurückgestellt und späteren Ausführungen vorbehalten.
Die zuständige Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren zu der mehr als achtjährigen Abgängigkeit eines minderjährigen Entführungsopfers erstmals bereits am 15. November 2006, somit nicht einmal drei Monate nach der am 23. August 2006 beendeten Abgängigkeit im Wesentlichen mit der Begründung ein, dass es sich bei dem tatverdächtigen Kidnapper Wolfgang Priklopil laut Opferangaben um einen Einzeltäter handelte, der als entlarvter Kindesentführer unter dem polizeilichen Fahndungsdruck Selbstmord verübt hätte, indem er sich in den Abendstunden des Tages, an dem er die Kontrolle über sein Opfer verloren hatte, vor einen herannahenden Schnellbahnzug auf die Gleistrasse legte. Mangels hinreichender Anhaltspunkte für die Tatbeteiligung von Komplizen sei davon auszugehen, dass der Einzeltäter aus dem Leben geschieden und das Ermittlungsverfahren demzufolge zu beenden sei.
Im Gegensatz dazu hatte die Staatsanwaltschaft noch im September 2006 – der damaligen strafprozessualen Rechtslage entsprechend - beim Untersuchungsrichter die Anordnung der Rufdatenrückerfassung zu insgesamt vier Telefonanschlüssen erwirkt, von denen ein Mobiltelefon für Wolfgang Priklopil, ein Festnetzanschluss für dessen Mutter zugelassen waren und zwei weitere Mobiltelefone von seinem langjährigen Freund und Geschäftspartner E.H. benützt wurden. Eine Auswertung der gesicherten Rufdaten, deren Rückerfassung aus damaliger Sicht nur bei aufrechtem Verdacht der Beteiligung eines oder mehrerer Komplizen an der Kindesentführung Sinn machte, wurde seitens der Staatsanwaltschaft in der Folge ebenso wenig veranlasst, wie die Ausschöpfung einer Reihe weiterer nahe gelegener Ermittlungsansätze, insbesondere eine untersuchungsrichterliche Vernehmung und teilweise auch Gegenüberstellung einander widersprechender Zeugen. Sachlich nicht nachvollziehbar war dabei vor allem die staatsanwaltschaftliche Abstandnahme von der Antragstellung auf untersuchungsrichterliche Vernehmung jener (mittlerweile bereits großjährigen) Zeugin, die am 2. März 1998 als damals zwölfjähriges Schulkind den Kidnapperzugriff auf Natascha Kampusch unmittelbar beobachtet und bei wiederholten polizeilichen Befragungen im Widerspruch zur Opferaussage immer wieder angegeben hatte, dass außer dem Hand anlegenden Gewalttäter ein weiterer Entführer als Lenker des Tatfahrzeuges beteiligt gewesen sei (dazu ausführlicher unten zu II.).
Dieser Widerspruch zwischen den Angaben der beiden unmittelbaren Zeuginnen des Entführungsablaufs betrifft eine in mehrfacher Hinsicht entscheidende Tatsache. Ob Natascha Kampusch am 2. März 1998 von Wolfgang Priklopil allein oder aber unter Beteiligung eines Mittäters entführt wurde, ist nämlich nicht nur für die Tatsachengrundlagen der Kindesentführung selbst, sondern auch deshalb von wesentlicher Bedeutung, weil ein polizeilich noch nicht bekannter Tatbeteiligter allgemein einsichtig ein massives Interesse daran hat, von einem Komplizen mit polizeilich bereits bekannter Identität nicht preisgegeben zu werden. Dass ein derartiges Interesse in Extremfällen geeignet sein kann, Handlungseskalationen bis hin zur verlässlichen Ausschaltung des Aufdeckungsrisikos auszulösen, ist naheliegend.
Davon ausgehend kommt objektiv gesicherten Detailfakten, die weder einzeln, noch in ihrem Zusammenhang damit in Einklang zu bringen sind, dass Wolfgang Priklopil noch am Leben gewesen sein soll, als sein Körper von dem Schnellbahn-Triebwagen erfasst wurde, dominierendes Gewicht zu. Jede unreflektierte Spontanerörterung der Fülle an komplexen Einzelheiten und Zusammenhängen könnte dazu führen, dass die Bedeutung entscheidender Begleitumstände unerkannt im Hintergrund bleibt. So gesehen erweist es sich daher als zweckmäßig, die vorliegende Fallerörterung systematisch wie folgt nach sachlichen Bedeutungsprioritäten zu strukturieren:
I. Objektiv gesicherte Fakten mit spezifischem Aussage- und Beweiswert in Richtung Mordverdacht zum Ableben des Wolfgang Priklopil
II. Atypische Auffälligkeiten und Widersprüchlichkeiten in wesentlichen Ermittlungsergebnissen, die dringenden Bedarf an weiterer Abklärung offen legten
III. Rechtsstaatlich untragbare Willkür im behördlichen Umgang mit sinnfällig wesentlichen Ermittlungsergebnissen und Ermittlungsansätzen
Es sind die Auffindungslage und die Verletzungen des Leichnams in Verbindung mit der Beschaffenheit der Triebwagenvorderfront und den Kollisionsspuren im Gleisabschnitt der Leichenauffindung, die zu der in Rede stehenden Ablebensproblematik entsprechend objektivierten Nachweis ermöglichen können. Entsprechend ihrer dominierenden Bedeutung sind sie – vorzugsweise zu Punkt I erfasst - an den Beginn der nachfolgenden Ausführungen zu stellen. Ihr Aussagewert ist schon für sich allein geeignet, jene offizielle Sachverhaltsversion, die der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungseinstellung, ihrer oberstaatsanwaltschaftlichen und ihrer ministeriellen Genehmigung und schließlich auch der abschließenden – sie verdient keine andere Bezeichnung - Reinwaschungsfarce durch die von den Bundesministerien für Justiz und für Inneres eingerichtete Evaluierungskommission mit angeblich internationaler Verstärkung (dazu später ausführlich zu Punkt III) zugrunde liegt, ad absurdum zu führen.
I. Objektiv gesicherte Fakten mit spezifischem Aussage- und Beweiswert in Richtung Mordverdacht
Die Tatsachengrundlagen, die entsprechend ihrer besonderen Bedeutung und ihres die gesamte Fallbeurteilung bestimmenden Aussagewerts hier vorgezogen behandelt werden, fanden im sicherheitsbehördlichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zum überwiegenden Teil überhaupt keinen Niederschlag. Dies gilt zunächst für all jene Details, die die Grundproblematik sogenannter „Bahn-“ oder „Schienenleichen“ betreffen.
1. Grundproblematik sog. „Bahn-“ oder „Schienenleichen“
Menschliche Körper, die von Schienenfahrzeugen erfasst und überrollt werden, weisen in der Regel schwerste Verletzungen und nicht selten bis zur Unkenntlichkeit reichende Entstellungsfolgen, Zerstückelungen und Streulagen auf. Die in der Praxis häufigsten Fälle tödlichen Kollisionsausgangs (Fälle sogenannter „Bahn-“ oder „Schienenleichen“) lassen sich in der Regel entweder fahrlässig ausgelöstem Unfallsgeschehen oder aber gezieltem Selbstmord zuordnen. In Ausnahmefällen besonderer (schwerst-)krimineller Deliktsintensität und Tatraffinesse kann das außergewöhnliche Zerstörungspotential von Zugkollisionen mit einem menschlichem Körper planmäßig auch dazu missbraucht werden, die vorausgegangene Ermordung einer Person durch Vortäuschung eines Unfallsgeschehens oder eines gezielten Selbstmords zu bemänteln. Eine zuverlässige Abklärung, ob in einem konkreten Fall ein derartiger Täuschungsverdacht in Betracht kommt oder jedoch mit Sicherheit auszuschließen ist, setzt regelmäßig, besonders aber unter entsprechend akzentuierten Rahmenbedingungen (zB. Indikation einer schlüssig nachvollziehbaren Mordmotivation etc.) eine Reihe bestimmter Untersuchungsschritte voraus, die sich nach einschlägigem rechtsmedizinischem Standard (vgl. etwa Grassberger/Schmid, Todesermittlung, 2. Auflage S. 194) im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen lassen:
a) Ermittlung der Körperregion, die mit dem Schienenfahrzeug nach dessen Frontbeschaffenheit primären Kontakt hatte (Hauptanstoßstelle);
b) Ermittlung allfälliger Verletzungen, die für einen Räderungs- bzw. Überrollvorgang atypisch sind, insbesondere im Bereich der Kopf- und Halsregion (Schlag- und Würgefolgen) sowie an Armen und Händen (allfällige Indikatoren von Gewaltabwehrversuchen);
c) Untersuchung der Mundschleimhaut und des Gebisses auf schlagbedingte Verletzungen bzw. Beschädigungen;
d) Detailermittlung sogenannter Vitalitätszeichen, d.h. von Verletzungsfolgen, die bei noch lebendem Körper ausgelöst wurden;
e) Bestimmung des Ausprägungsgrades von Totenflecken;
f) Toxikologisch-chemische Ermittlung in Richtung Sucht- und Arzneimittel;
g) Todeszeitbestimmung, insbesondere auch durch Messung der Körpertemperatur;
h) Prüfung der Bekleidung, insbesondere auch der Schuhe, auf tatrelevante Besonderheiten;
i) Festhalten der Lage des Leichnams im Zeitpunkt seiner Auffindung;
j) Festhalten tatrelevanter Spuren und Besonderheiten am Ort der Leichenauffindung, insbesondere von Blut- und Schleifspuren mit Augenmerk auf die Streuung allenfalls abgetrennter Körperteile und Bekleidungsstücke.
Im Anlassfall lag aufgrund der seit 3. März 1998 aktenkundigen Hinweise einer unbeteiligten Tatzeugin der konkrete Verdacht einer Beteiligung von zwei Komplizen an der Kindesentführung von Anbeginn des Ermittlungsverfahrens nahe. Davon ausgehend war das allfällige Interesse eines noch nicht polizeibekannten Täters am dauerhaften Stillschweigen seines Komplizen, von dessen bereits laufender polizeilicher Fahndung er Kenntnis hatte, nicht von der Hand zu weisen. Es lag daher eine im oben erwähnten Sinn besonders akzentuierte Rahmenbedingung vor, die durchaus geeignet war, eine plausible Drittmotivation in der Richtung zu indizieren, dass ein bereits polizeibekannter Komplize an der drohenden Preisgabe eines weiteren Tatbeteiligten gehindert werden sollte. Dessen ungeachtet unterblieb bei der Obduktion der Leiche des Wolfgang Priklopil jedwede Plausibilitätsprüfung dahin, ob das bei der Obduktion der Leiche dokumentierte Gesamtbild der Verletzungen mit der Beschaffenheit der den Körper rammenden Vorderfront des Schnellbahntriebwagens und mit den Details der Leichenendlage überhaupt in Einklang zu bringen war. Auf diese Vereinbarkeitsproblematik wird erstmals im Folgenden (insbesondere zu Punkt 3.) eingegangen. Dies - wie noch darzulegen sein wird – mit einem insgesamt alarmierenden Ergebnis.
2. Die Beschaffenheit der Vorderfront des Schnellbahntriebwagens
Bei der für den Anlassfall im Schnellbahnverkehr im Raum Wien maßgeblichen Zuggarnitur handelte es sich um einen dreiteiligen Schnellbahnzug bestehend aus einem elektrischen Schnellbahn–Triebwagen der ÖBB Reihe ET 4020 mit einer Spurweite von 1,435 m und einem Eigengewicht von 63 t , ferner einem Zwischenwagen und einem Steuerwagen (Abb. 1).
Die Unterseite der Triebwagenvorderfront ist in ihrer Gesamtbreite von 2,872 m mit einem Eisenrechen bewehrt, dessen Unterkante zu den Gleisschwellen einen Tiefenabstand von durchschnittlich ca. 28 cm aufweist (Abb. 2).
An der Unterkante des Frontrechens sind exakt oberhalb der ca. 6 cm breiten Laufflächen der rechten und der linken Bahnschiene jeweils ungefähr schienenbreite eiserne Plattenfortsätze angebracht, die ihrerseits zu den Schienenlaufflächen einen Tiefenabstand von ca. 7 cm aufweisen und ersichtlich darauf ausgerichtet sind, die Schienenlaufflächen im unmittelbaren Vorfeld der beiden Fronträder von allfälligen Hindernissen wie Fallholz oder Gesteinsbrocken freizuhalten (Abb. 3 und 4).
Jedes Triebwagenrad hat (ohne Mitberücksichtigung des Spurkranzes) eine Lauffläche von 12 cm Breite (Großaufnahme Abb. 5).
Die Gesamtlänge der dreiteiligen Zuggarnitur beläuft sich auf rund 70 m. Der frontseitige Radsatzabstand, d.i. der Abstand zwischen den beiden frontseitigen Räderachsen, beträgt 1,60 m. Dies bedeutet, dass dem jeweils ersten Triebwagenrad in einem Abstand von 1,60 m das jeweils zweite Rad nachfolgt.
Die dargelegte Beschaffenheit der Triebwagenvorderfront besteht aus unverrückbaren fahrzeugtechnischen Konstruktionsfakten, die keinen Interpretationsspielraum offen lassen. Ihre Kenntnis und Mitberücksichtigung ist eine unverzichtbare Basisvoraussetzung für die Prüfung und die Beantwortung der Frage, ob bzw. inwieweit die Verletzungen eines auf der Gleistrasse vorgefundenen menschlichen Leichnams ganz, teilweise oder überhaupt nicht mit dem Zugkontakt in Einklang zu bringen sind. Eine derartige Plausibilitätsprüfung ohne Gegenüberstellung der Einzelheiten der Kontaktfront des Zuges mit fallaktuellen Verletzungsfolgen ist unsachgemäß und daher in Wahrheit unbrauchbar. Zu dieser Einsicht braucht es keines speziellen rechtsmedizinischen Fachwissens.
Bereits an dieser Stelle ist festzuhalten, dass es der Alleininitiative einer Privatperson, nämlich dem Engagement von Karl Kröll, dem Bruder des unter ebenso tragischen wie im Kontext mit dem Anlassfall höchst fragwürdigen Begleitumständen aus dem Leben geschiedenen Polizeiobersts Franz Kröll (dazu ausführlicher weiter unten), zu danken ist, dass die technischen Details der in Rede stehenden Schnellbahn-Triebwagenreihe wenigstens nunmehr nach Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens die längst überfällige Beachtung finden können. Im Rahmen der gerichtsmedizinischen Obduktion des Leichnams von Wolfgang Priklopil wurde darauf nicht ansatzweise eingegangen. Der mit der Obduktion befasst gewesene Rechtsmediziner, der erst rund drei Stunden nach dem Kollisionsgeschehen am Auffindungsort der Leiche auf der Gleistrasse eingetroffen war und mit dem bereits in einen Leichensack verfrachteten Leichnam konfrontiert sowie dahingehend informiert worden war, dass ein seit Jahren polizeilich gesuchter Kindesentführer nach gelungener Flucht seines Opfers auf den Bahngleisen Selbstmord verübt hätte, räumte bei einer seiner ersten Befragungen zum Sachverhalt ein, bei Vornahme der Obduktion von dieser ihm gegenüber eröffneten Vorgeschichte beeinflusst gewesen zu sein.
Die Aussagen des Bahnpersonals, nämlich die Angaben des Triebwagenführers und des im Wageninneren der Schnellbahngarnitur mitfahrenden Zugbegleiters (funktionell auch als Zugführer bezeichnet) sind wegen erwiesener teilweiser Widersprüchlichkeit und vor allem wegen ihrer partiellen Unvereinbarkeit mit objektiv gesicherten Gegebenheiten entgegen der staatsanwaltschaftlichen Auffassung und der für deren Absegnung Verantwortlichen nicht geeignet , die offizielle Selbstmordversion zu stützen, geschweige denn sie zu tragen. Dies wird im Anschluss an die Darstellung der vorrangig ins Bewusstsein zu rufenden Detailfakten zur Leichenauffindung auf der Gleistrasse (im Rahmen der abschließenden Ausführungen zu Punkt I) eingehend begründet werden .
3. Die deutliche Sprache des Leichnams, von der niemand Notiz nahm
Die Endlage, in der die Leiche des Wolfgang Priklopil am 23. August 2006 gegen 21 Uhr auf der Gleistrasse der Schnellbahn zwischen den Stationen Praterstern und Traisengasse aufgefunden wurde, ist ein fotografisch gesichertes Faktum.
Dazu am Rande bemerkt: Den spezifischen Aussage- und Beweiswert des Leichnams und seiner Endlage in Richtung konkreten Mordverdachts zu erkennen und dennoch (mit oder ohne funktionsbedingter Handlungspflicht) untätig zu bleiben, wäre geeignet, den Vorwurf strafbarer Begünstigung zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund hingegen gäbe es keine Rechtfertigung dafür, den Beweiswert des Leichnams und seiner Auffindungslage weder bildlich, noch sonst zur Sprache zu bringen.
In wenigen Worten vorweg: Zeigt eine sogenannte Bahnleiche - wie im konkreten Fall - eine nahezu gänzliche Halsdurchtrennung und damit eine nahezu gänzliche Kopfabtrennung, so müsste diese, vorausgesetzt diese tödliche Verletzungsfolge wäre tatsächlich kollisionsbedingt auf der Gleistrasse ausgelöst worden, entweder durch eine Räderung oder durch ein Abreißen des Kopfes (Durchreißen des Halses) bewirkt worden sein.
Beide denkmöglichen Varianten einer kollisionsbedingten Kopfabtrennung scheiden im konkreten Fall jedoch aus:
Eine Kopfabräderung (Überrollen des auf der Lauffläche eines Schienenstranges aufliegenden Halses durch ein Triebwagenrad) hätte nämlich zwingend eine partielle Zermalmung der Halswirbelsäule und weiters zur Folge haben müssen, dass Kopf und Rumpf ohne intakte Gewebebrücke im Nackenbereich rechts und links von dem Schienenstrang der Halsauflage zu liegen gekommen wären (she. fallfremdes Vergleichsfoto laut Abb. 6).
Ein Halsabriss hinwieder, der wie hier von der Brustseite ausgegangen sein und lediglich einen Gewebeanteil der Nackenregion intakt gelassen haben sollte, hätte einen von der Triebwagenvorderfront ausgehenden Gewaltimpuls vorausgesetzt, der den Kopf des Wolfgang Priklopil an der Stirnseite, nicht aber am Hinterkopf hätte treffen müssen. Der Gesichtsschädel wird im Bericht des kriminalpolizeilichen Journaldienstes als „fast völlig intakt“ und das Gesicht als gut erkennbar beschrieben. Der im konkreten Fall erwiesene Verletzungsschwerpunkt in der Hinterkopfregion wäre lediglich mit einer dort auftreffenden Gewalteinwirkung in Einklang zu bringen, die vorliegend jedoch zweifelsfrei nicht geeignet ist, einen von der Brustseite ausgehenden Halsabriss mit einer im Nackenbereich intakten Gewebebrücke zu erklären. Eine Gewalteinwirkung gegen den Hinterkopf könnte eine partielle Halsdurch- oder Halsabtrennung nur dann schlüssig erklären, wenn sich die intakt gebliebene Gewebebrücke an der Halsvorderseite, somit brustseitig befände.
Dazu im Einzelnen:
Die polizeilichen Lichtbilder vom damaligen Einsatzort dokumentieren nachangeführte wesentliche Details:
Die Leiche liegt auf der Gleistrasse zur Gänze im Schienenzwischenbereich. Schon diese Beschränkung der Leichenendlage auf den Trassenbereich zwischen den beiden Schienensträngen spricht sinnfällig dagegen, dass irgendein über den Schienenzwischenbereich hinausragender Körperteil von einem Triebwagenrad überrollt worden sein könnte. Eine tonnenschwere Räderung eines Körperteils welcher Art auch immer zieht regelmäßig eine in rechts und links vom Schienenstrang gespaltene Endlage der geräderten Körperpartie nach sich. Die ab der Halsregion gegebene Brustlage des Oberkörpers geht gegen die Körpermitte zu allmählich in eine Seitenlage auf der linken Hüfte über (Abb. 8 und 9). Die von der linken Hüfte ausgehende Seitenlage ist mit einer leichten Schrittstellung der Beine verbunden, wobei das oben liegende rechte Bein eine leicht angezogene, das unten liegende linke Bein hingegen eine annähernd ausgestreckte Endstellung einnimmt. Die Längsachse des Oberkörpers (Wirbelsäule abwärts des Halsansatzes) bildet in ihrer Schräglage zur Schienenlängsachse mit der Innenseite des in Fahrtrichtung gesehen rechten Schienenstranges einen Winkel von ca. 60°. Der bis auf eine ca. 5 cm breite Gewebebrücke im Nackenbereich vom Rumpf getrennte Kopf berührt auf der linken Schläfe liegend mit der Kinnunterseite und der klaffend durchtrennten Halsregion ebenso die Innenseite des rechten Schienenstranges wie die rechte Schulterpartie und die Außenseite des rechten Oberarms. Während der Oberkörper – wie erwähnt – schräg zur Schienenlängsachse liegt, weisen die Beine annähernd achsenparallel gegen die kollisionsrelvante Fahrtrichtung des Schnellbahnzuges (erneut Abb. 8 und 9).
Zum äußeren Erscheinungsbild der Auffindungslage der bekleideten Leiche fällt auf, dass der rechte Schuh vom rechten Fuß gelöst (mit intakt gebundener Masche des Schuhbands) teils hinter, teils unter der linken Kniekehle liegt. Wäre diese Schuhendlage kollisionsbedingt zustande gekommen, hätte sie einen zweigeteilten Bewegungsablauf vorausgesetzt. Der Schuh müsste nämlich zunächst nach seiner durch Zugkontakt bewirkten Lösung vom rechten Fuss in Fahrtrichtung des Zuges über das linke Bein hinweg bis zu dessen Kniehöhe abgeschleudert worden, dann jedoch in der Gegenrichtung (!) ca. eine halbe Schuhlänge hinter bzw. unter die linke Kniekehle zurückgeschoben worden sein. Ein derartig gespaltener Bewegungsablauf ist mit der vom Zugkontakt linear allein in Fahrtrichtung ausgehenden Gewalteinwirkung nicht erklärbar. Die beschriebene Schuhendlage zwingt vielmehr zu der Überzeugung, dass der vom rechten Fuß gelöste Schuh in seine vorgefundene Endlage im Schienenzwischenbereich gelangt sein muss, bevor (!) ihn das linke Leichenbein teilweise (in der Zehen- und Ristpartie) bedecken konnte. Eine unter Zeitdruck spontane und im Detail unüberlegte Ablage eines anderswo Getöteten erklärt diese Auffälligkeit der Leichenauffindung vor allem im Hinblick auf die weitere Besonderheit uneingeschränkt schlüssig, dass die Gleistrasse trotz annähernd totaler Kopfabtrennung (Durchtrennung ua. auch der Halsschlagader !) im Kollisionsbereich lediglich atypisch geringfügige (!) Blutspuren aufwies. Speziell dazu eingehend später.
Dies ist weiters im Zusammenhang damit zu sehen, dass der Leichnam des Wolfgang Priklopil zwei gesonderte Verletzungen aufwies, die mit absoluter Sicherheit jede für sich allein tödlich waren, nämlich einerseits das ausgedehnte Schädelhirntrauma (Zertrümmerung der Hinterkopf- und Scheitelregion) und die annähernde Totalabtrennung des Kopfes, die ua auch eine Durchtrennung der Halsschlagader miteinschloss. Dazu ist vorwegzunehmen, dass eine gleichzeitige Verursachung dieser beiden tödlichen Verletzungen – aus gleichfalls noch darzulegenden Gründen – zwingend auszuschließen, lediglich das Schädelhirntrauma der Kollision mit dem Schnellbahnzug zuzuordnen und folgerichtig davon auszugehen ist, dass Priklopil im Kollisionszeitpunkt bereits tot und mit zuvor anderswo durchtrenntem Hals als Leiche auf der Gleistrasse abgelegt worden war.
Hinzukommt eine weitere gesonderte Verletzung, die ebenfalls geeignet war, zumindest mit höchster Wahrscheinlichkeit zum Tod zu führen. Es handelt sich dabei (laut Sektionsprotokoll Seite 4, fünfter Absatz) um einen „wie ausgestanzten ovalen Knochenbruch im rechten Scheitelbereich“. Ein„wie ausgestanzter ovaler“ Bruch des Schädelknochens ist plausibel nur als Folge einer von einem entsprechenden Schlagwerkzeug ausgehenden senkrechten ovalen Gewalteinwirkung auf die Scheitelzone erklärbar. Im Kontext mit den im Sektionsprotokoll zusätzlich konstatierten, für eine vorangegangene tätliche Auseinandersetzung typischen Verletzungen, nämlich Einreißungen im rechten Mundwinkel, Zahnbeschädigungen im Ober- und Unterkiefer sowie eine „vollständige Zerreißung des Bandapparates des rechten Handgelenks ohne Knochenschaden“, die die Annahme eines Abwehrversuchs nahe legt, ist der „wie ausgestanzte Knochenbruch im rechten Scheitelbereich“ als eine Verletzungfolge zu beurteilen, die für ein Schlagwerkzeug mit oval geformter Schlagfläche, nicht aber für eine Kollision mit einer Schnellbahngarnitur typisch ist. .
Zur Sondierung der sogenannten Anstoßstelle als jener Körperregion, die mit der Triebwagenvorderfront primären Kontakt hatte, sind die Verletzungen des Leichnams zu der Beschaffenheit der Triebwagenfront in Beziehung zu setzen. Dies ist im behördlichen Ermittlungsverfahren nicht geschehen und wird – wie erwähnt - erst durch den Vergleich mit den von Karl Kröll eigeninitiativ erwirkten technischen Zugunterlagen ermöglicht.
Im Sektionsprotokoll über die gerichtliche Beschau und die Öffnung der Leiche des Wolfgang Priklopil vom 24. August 2006 sind dazu folgende wesentliche Obduktionsergebnisse dokumentiert (Fettdruck hier nur zur Hervorhebung besonderer Bedeutung):
Die Rückenregion wies „spärlich ausgebildete, dunkelblau-violett gefärbte Totenflecken im oberen und unteren Rückenbereich“ auf, die „auf kräftigen Fingerdruck gerade noch wegdrückbar waren“.
Im Vordergrund des Verletzungsbildes wurde ein ausgedehntes, offenes Schädelhirntrauma festgestellt, wobei „der gesamte Schädel abnorm beweglich“ und „ein deutliches Knochenreiben wahrnehmbar“ war. In der rechten oberen Schädelregion wurde eine „3 cm lange und 2 cm breit klaffende Kontinuitätsdurchtrennung“, in der rechten unteren hinteren Scheitelregion eine „schrägverlaufende 3 cm lange glattrandige Zerreißung“ beschrieben, „aus der Gehirngewebe und Knochenstücke hervorstehen“. Im linken Hinterhauptsbereich wurde eine „5 cm lange, unregelmäßig geformte Kontinuitätsdurchtrennung“ festgestellt, „aus der ebenfalls Gehirngewebe und Knochenstücke hervorstehen“.
In der Gesichtsregion erwies sich das Nasengerüst beim Betasten als stabil.
In der Jochbeinregion wurden rechtsseitig eine „halbmondförmige, 4 cm lange braun-rot vertrocknete Schürfung“ und linksseitig eine „streifenförmige, 6 cm lange, bis 1 cm breite, stellenweise etwas unterbrochene, braun-rot vertrocknete Schürfung“ festgestellt.
Im rechten Mundwinkel fanden sich mehrere bis 2 cm lange Einreißungen. Im Ober- und Unterkiefer waren mehrere Zähne beschädigt. Ober- und Unterkiefer erwiesen sich „im rechten Anteil“ als „ etwas abnorm beweglich“. Im linken „Unterkieferwinkelbereich“ war eine „ schräggestellte, 5 cm lange , glattrandige Durchtrennung“ festzustellen, deren Wundränder „bis auf 6 cm braun-rot vertrocknete“ Schürfungen aufwiesen.
Hinter dem rechten Ohr fand sich eine „halbmondförmige 2 cm lange Kontinuitätsdurchtrennung“ mit Gewebebrücken in der Tiefe“.
An der linken Ohrvorderseite wurde eine „längsgestellte, 12 cm lange und bis zu 5 cm breit klaffende vollständige Durchtrennung der Hautweichteile“ in Verbindung mit einer Knochenfreilegung und einer „hinter dem Ohr lappenförmig abgehobenen Hautzone“ konstatiert.
Der Kopf der Leiche war lediglich im Nackenbereich über eine „schmale, 5 cm breite Hautbrücke mit dem Rumpf verbunden“, ansonsten vollständig abgetrennt. Stellenweise zeigten sich noch grau-schwarze Schmutzanhaftungen und „insbesondere an der Vorderseite des Halses und an der linken Halsseite eine bandförmige, bis 8 cm breite, braun-rot vertrocknete Schürfung.
Die Schulterregion wies eine „18 cm lange, nahezu glattrandige Durchtrennung der Haut“ mit Freilegung der Muskulatur auf, wobei „die Haut nach hinten Richtung Schulterblatt unterminiert bzw. geschoben“ war.
Die Halswirbelsäule war „zwischen dem 5. und 6. Halswirbel völlig durchtrennt“, das Halsmark „zerrissen“, die Speise- und Luftröhre wurden als „abgerissen“ beschrieben. Der Kehlkopf erwies sich als „nicht mehr beurteilbar, weil er „völlig zertrümmert, gequetscht“ war.
Im Bereich des rechten Nierenstieles wurden „mehrere bis 1 cm lange Einreißungen“ konstatiert.
An sonstigen Auffälligkeiten ergab eine „Doppelmesserschnittuntersuchung von Lungengewebe eine geringgradige Einschwemmung von Fettgewebsbestandteilen in die Lungenstrombahn im Sinne einer Fettembolie“.
Schließlich ergab sich im Bereich der rechten Elle eine „vollständige Zerreißung des Gelenkes bzw. des Bandapparates“ ohne Beschädigung eines Knochens.
An den oberen und unteren Extremitäten waren diverse oberflächliche Schürfungen festzustellen.
Zusammenfassend ergab die Obduktion nachangeführte traumatisch bedingte Veränderungen am knöchernen Skelett der Leiche: einen multiplen Schädelbruch im Scheitel- und Hinterkopfbereich, eine vollständige Durchtrennung der Halswirbelsäule zwischen dem 5. und 6. Halswirbel und eine Zerreißung des rechten Handgelenks im Bereich der Elle ohne jeden Knochenschaden.
Die abschließende Gesamtdiagnose enthält laut Sektionsprotokoll folgende Aufzählung: offenes Schädeltrauma, Kopfabtrennung, Brustkorbtrauma, Luftbrustfüllung rechts, Lungenprellung rechts, Nierenbeckenzerreißung rechts, Blutarmut der inneren Organe, mäßiggradige Herzerweiterung, mäßiggradige Verkalkung der Körperhauptschlagader.
Von den dargelegten Obduktionsergebnissen ausgehend kam der mit der Obduktion befasst gewesene Rechtsmediziner letztlich zu jenen Schlussfolgerungen, die in dem elektronisch veröffentlichten Einstellungsbericht zum Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien und andere staatsanwaltschaftliche Funktionsträger vom 24.November 2011 wie folgt wiedergegeben werden (Fettdruck und Unterstreichung hier zur Verdeutlichung hinzugefügt):
„In dem beim Landesgericht (zu ergänzen: für Strafsachen Wien ) am 11.9.2006 eingelangten Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen ao. Univ.Prof. Dr. D.U.R. vom 4.9.2006 wurde das Ergebnis der Obduktion des Leichnams des Wolfgang P. mitgeteilt (ON 207). Danach ist Wolfgang P. infolge eines ausgedehnten Schädelhirntraumas mit nahezu vollständiger Abtrennung des Kopfes an Hirnlähmung und daher eines gewaltsamen Todes gestorben. Das komplexe Verletzungsbild lasse sich durch eine Überrollung durch ein Schienenfahrzeug im Halsbereich erklären, wobei – unter Bedachtnahme auf die Auffindungssituation und das Verletzungsmuster – davon ausgegangen werden könne, dass der Mann am ehesten in Bauchlage im Schienenbereich, mit dem Hals auf einer Schiene, von rechts überrollt worden sein dürfte. Konkrete Hinweise für eine Beeinträchtigung durch Alkohol bzw. diverse Medikamente und Suchtgifte seien nicht zu erheben gewesen. Das Untersuchungsergebnis spreche – unter Bedachtnahme auf die aktenkundige Vorgeschichte – für eine Selbsttötung.“
Nach Maßgabe jener eindeutigen Fakten, die sich aus dem Sektionsprotokoll in Verbindung mit dem Lichtbildmaterial von der Beschaffenheit der Triebwagenfront und von den Details der Leichenauffindung ergeben, hält diese Expertise des Rechtsmediziners einer Überprüfung nicht stand:
Festzuhalten ist zunächst, dass die an der Unterseite des Frontrechens des Schnellbahn-Triebwagens jeweils exakt über den beiden Schienensträngen in einem Tiefenabstand von je 7 cm zu den Schienenlaufflächen angebrachten Metallplatten darauf ausgerichtet sind, die Schienen von potentiellen Hindernissen wie etwa Gesteinsbrocken oder Fallholz freizuhalten. Diese Metallplatten sind daher von ihrer Widmung her grundsätzlich geeignet, den Hals einer erwachsenen Person, dessen Durchmesser 7 cm regelmäßig erheblich übersteigt, umso mehr aber gegebenenfalls einen auf den Schienenstrang abgelegten menschlichen Kopf von der Schiene zu räumen, bevor ihn die dem Frontrechen nachfolgenden Triebwagenräder überhaupt erfassen könnten. Als in jedem Fall völlig undenkbar scheidet jedoch aus, dass die erwähnte Metallplatte die zum Schienenverlauf annähernd rechtwinkelige Ausgangslage des Halses bis zum unmittelbaren Kontakt mit dem vordersten Triebwagenrad unverändert belassen konnte, wie dies im Hinblick auf den schulterparallelen Verlauf der Halsdurchtrennung konkret der Fall gewesen sein müsste. Hinzukommt, dass ein (vom Rechtsmediziner – siehe oben - für wahrscheinlich gehaltenes) Überrollen eines auf der 6 cm breiten Schienenlauffläche gelagerten menschlichen Halses durch ein an seiner Lauffläche 12 cm breites Wagenrad (Abb. 5) eines 63 Tonnen schweren Schnellbahn-Triebwagens zwangsläufig zu einer partiellen Zermalmung der Halswirbelsäule führen müsste, wovon im konkreten Fall der bloßen Abtrennung der Halswirbelsäule „zwischen dem 5. und 6. Halswirbel“ keine Rede sein kann (Abb. 10 iVm. Sektionsprotokoll S. 4). Ein durch Räderung abgetrennter Leichenkopf müsste überdies (zwangsläufig ohne intakte Gewebebrücke im Nacken) in einer Endlage außerhalb des Schienenzwischenbereichs zu liegen kommen.
Die solcherart zweifelsfrei erwiesene Unhaltbarkeit der vom obduzierenden Rechtsmediziner behaupteten Überrollvariante legt die Prüfung der Frage nahe, ob nicht die denkmögliche Zweitvariante, wonach der Kopf kollisionsbedingt abgerissen worden sein könnte, in Betracht kommen kann. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt der Zuordnung der Anstoßstelle der Triebwagenfront zu einer bestimmten Körperregion ausschlaggebende Bedeutung zu. Zerreißungen setzen regelmäßig im Umfeld der Gewalteinwirkung ein und folgen dann deren Richtung. Auf den menschlichen Hals bezogen bedeutet dies: eine von der Brustseite ausgehende Halszerreißung setzt eine Gewalteinwirkung voraus, die gegen die Vorderseite des Kopfes gerichtet ist. Eine gegen die Hinterkopfregion gerichtete Gewalteinwirkung hinwieder kann geeignet sein, eine Halszerreißung auszulösen, die vom Nackenbereich ausgeht. Ein von der Brustseite ausgehender Halsabriss hingegen, umso mehr noch eine im Nackenbereich intakt verbliebene Gewebebrücke, ist mit einer kollisionsbedingten Gewalteinwirkung gegen den Hinterkopf zwingend unvereinbar. Das oben detailliert wiedergegebene Verletzungsbild (multipler Schädelbruch in der behaarten hinteren Scheitel- und vor allem Hinterkopfzone) führt zu der Gewissheit, dass der Körper des Wolfgang Priklopil vom Frontrechen des Schnellbahn-Triebwagens primär am Hinterkopf, keinesfalls jedoch im Gesichtsbereich gerammt wurde. Die im Nackenbereich intakt gebliebene Gewebebrücke hinwieder beweist, dass die Halsdurchtrennung tatsächlich von der Brustseite, nicht aber von der Hinterkopfseite ausging. Eine von der Brustseite ausgehende Kopfabtrennung hätte zwingend eine Anstoßstelle im Gesichtsbereich bzw. eine Gewalteinwirkung gegen die Kopfvorderseite zur Voraussetzung gehabt, die im konkreten Fall – bei wie dargelegt intaktem Gesichtsschädel– ebensowenig indiziert ist, wie jeder plausible Hinweis auf einen Überrollvorgang mit einem räderungstypischen Verletzungsbild.
Hinzukommt, dass schon im Bericht des polizeijuristischen Journaldienstes speziell auf die geringfügigen Blutspuren im Gleisabschnitt der Leichenauffindung hingewiesen wird und dieser Hinweis durch das polizeiliche farbfotografische Bildmaterial von der Kollisionsstelle voll bestätigt wird.
Aus den Lichtbildern von der Auffindung der Leiche, aus dem Sektionsprotokoll und aus dem Lichtbildmaterial von der Leichenobduktion in Verbindung mit der technischen Beschaffenheit der Schnellbahn-Zuggarnitur und der Triebwagenvorderfront ergeben sich zum Zustand der Leiche und zu den Details ihrer Endlage unbestrittene Tatsachen, die sowohl einzeln, vor allem aber in ihrem Kontext in die Richtung eines bloß vorgetäuschten Selbstmords von Wolfgang Priklopil weisen und daher nachhaltigen, bisher vernachlässigten Ermittlungsbedarf verdeutlichen. Wegen ihrer besonderen Bedeutung dazu nochmals in Übersicht die wesentlichen Details :
a) Der Leichnam lag zur Gänze (sohin einschließlich des Kopfes) im Trassenbereich zwischen den beiden Schienensträngen. Der Kopf des Toten befand sich in Seitenlage auf dem linken Ohr und berührte mit dem Gesicht die Innenseite des in Zugfahrtrichtung gesehen rechten Schienenstranges . Der Oberkörper, der in Brustlage mit dem annähernd gesamten Schulterbereich gleichfalls die Innenseite des rechten Schienenstranges berührte, war mit dem Kopf durch eine ca. 5 cm breite Gewebebrücke im Nackenbereich verbunden. Ab etwa der Körpermitte (Hüftbereich) ging die Brust- bzw. Bauchlage des Toten in eine leichte bogenförmige Seitenlage auf der linken Hüfte über. Auf diese Weise lag die Leiche vom Hüftbereich abwärts annähernd schienenparallel. Das im Bereich der Oberschenkel über dem linken Bein gelegene rechte Bein war im Gegensatz zu dem gestreckten linken Bein leicht angezogen, war diesem vorgelagert und bildete mit dem linken Bein eine Art liegende Schrittstellung. Der rechte Schuh lag vom rechten Fuß gelöst hinter der Kniekehle des linken Beins so platziert, dass Kollisionskontakt mit dem Schnellbahnzug zur Erklärung dieser Endlage ausscheidet. Wie erwähnt müsste der Schuh nämlich durch den Kontakt mit dem Schnellbahn-Triebwagen (noch dazu ohne jede Fuß- und Beinverletzung) vom rechten Fuß gelöst, zunächst ca. einen halben Meter in Fahrtrichtung des Zuges abgeschleudert und anschließend in die Gegenrichtung (!) unter die linke Kniekehle bewegt worden sein. Ein derartiger Ablauf des Körperkontakts mit einer fahrenden Zuggarnitur ist ausgeschlossen.
b) Auffallend ist weiters die Beschaffenheit der (bis auf eine Gewebebrücke im Nacken gänzlichen) Halsdurchtrennung. Bei der auf eine Totalköpfung hinauslaufenden Halswunde handelt es sich um eine völlig glattrandige, schnitt- bzw. sägeartige Durchtrennung des Halses, deren äußeres Erscheinungsbild ohne jeden Substanzverlust im Halsverlauf keine wie immer gearteten räderungstypischen Besonderheiten wie Quetschungszonen oder Fransenbildungen erkennen lässt. Die Herbeiführung einer derartigen Verletzung (Abb. 10) ist mit einer Kontaktausgangslage des Halses auf dem rechten (an seiner Lauffläche ca. 6 – 7 cm breiten) Schienenstrang und mit einer Räderung durch (an ihrer Lauffläche jeweils ca. 12 cm breite) Triebwagenräder nicht zu erklären. Abgesehen davon, dass diesfalls zwingend nur eine Totalabtrennung des Kopfes (ohne Gewebebrücke im Nackenbereich) in Betracht käme (she. Pkt. c), wäre zusätzlich die Verlagerung des abgetrennten Leichenkopfes in den Schienenzwischenbereich ausgeschlossen (Pkt. d).
c) Der seitens des Rechtsmediziners trotz der Obduktionsergebnisse für wahrscheinlich gehaltenen Räderung des - seiner Vermutung nach noch dazu mit dem Nacken nach oben - auf dem Schienenstrang aufgelegenen Halses widersprechen die mit der Auffindung der Leiche verbundenen, gesichert objektivierten Besonderheiten. Beim Überrollen eines menschlichen Halses durch die Räder eines 63 Tonnen schweren Triebwagens ist es ausgeschlossen, dass zwischen Leichenkopf und Leichenrumpf eine intakte (ca. 5 cm breite) Gewebebrücke im Halsbereich erhalten bleibt.
Weiters:
d) Im Fall einer Halsauflage auf der Schienenlauffläche ist es ebenso ausgeschlossen, dass Kopf und Körper der geräderten Leiche in eine gemeinsame Endlage innerhalb der beiden Schienenstränge gelangen. Ein vom Schienenzwischenbereich aus über einen Schienenstrang hinausragender Kopf, der im Fall seiner Abräderung zwingend gänzlich vom Rumpf getrennt wird, bleibt zwangsläufig in einer Endlage außerhalb des Schienenzwischenbereichs. Dies schon im Hinblick auf die Radfolge bis zum Zugstillstand, die eine Kopfverlagerung über den Schienenstrang hinweg (von außen nach innen) unmöglich macht.
e) Massive Bedenken gegen die offiziell als erwiesen angenommene Selbstmordversion resultieren ferner aus all jenen Aufschlüssen, die durch die Blutspuren an der Leiche wie auch am Ort der Leichenauffindung eröffnet werden:
aa) Die (eine Durchtrennung der Halsschlagader einschließende) Köpfung eines lebenden Menschen ist zwingend mit massivem spontanem Blutverlust verbunden. Im Zusammenhang damit fällt entscheidend ins Gewicht, dass die Doppelmesserschnittuntersuchung von Lungengewebe laut Sektionsprotokoll (Seite 5 vorletzter Absatz) eine (wenn auch geringgradige) Einschwemmung von Fettgewebe (Fettembolie) ergab, deren Auslösung eine im Zeitpunkt der tödlichen Gewalteinwirkung noch funktionierende Blutzirkulation voraussetzt. Nur (gegebenenfalls auch bereits abnehmend) zirkulierendes Blut kann Einschwemmungen dieser Art bewirken. Wenn nun bei erwiesenermaßen (noch) wirksamem Blutkreislauf zwar einerseits eine Fetteinschwemmung stattfand, andererseits jedoch an der Auffindungsstelle des Leichnams Spuren eines für die Durchtrennung der Halsschlagader typischen massiven Blutaustritts fehlen, dann spricht dies dafür, dass die jede für sich zwingend tödlichen Verletzungen, nämlich der multiple Schädelbruch und die Kopfabtrennung, nicht ein und demselben Ereignis zuzuordnen sind. Während das von Priklopil zuletzt getragene weiße Leibchen Spuren massiver Blutdurchtränkung erkennen lässt, finden sich im Trassenbereich der Leichenauffindung keine auch nur ansatzweise korrespondierenden Anhaltspunkte für massiven Blutaustritt. Dies spricht dafür, dass die zweifelsfrei für die Blutdurchtränkung des Leibchens ausschlaggebende Halsdurchtrennung bei noch aufrechter Blutzirkulation an einem von der Gleistrasse verschiedenen Ort stattfand und dabei auch die Fettembolie im Lungengewebe auslöste, während Wolfgang Priklopil bereits tot war, als sein Körper zur Vortäuschung seines Selbstmords auf die Gleistrasse der Schnellbahn abgelegt wurde. Dass dann trotz der multiplen Schädelzertrümmerung im Hinterkopfbereich kein nennenswerter Blutverlust mehr eintreten konnte, versteht sich von selbst. Dementsprechend lassen die aktenkundigen Farbfotografien von jenem Gleisabschnitt, in dem die Leiche Priklopils gefunden wurde, auch keine Bodenspuren massiven Blutaustritts erkennen. Die für die Rahmenbedingungen der Leichenauffindung auffallend geringfügigen Blutspuren wurden bereits im Bericht des polizeijuristischen Journaldienstes ausdrücklich festgehalten.
bb) Spuren massiven Blutaustritts sind wie erwähnt lediglich auf dem hellen Leibchen des Toten sichtbar. Eines der Lichtbilder (Abb. 11) zeigt die Leiche Priklopils in Rückenlage im offenen Leichensack. Auf diesem Bild ist ersichtlich, dass das Leibchen unterhalb der klaren Randausbildung der starken Blutdurchtränkung im Brustbereich auch eine Mehrzahl von Blutspritzern aufweist. Eine Leiche in Brustlage, aus deren unmittelbar zuvor durchtrenntem Hals massiv Blut austritt, kann nicht im Bauchbereich außerhalb des blutdurchtränkten Teils der Oberbekleidung zusätzlich Blutspritzer abbekommen. Ein bei Bauchlage ausgeschlossenes Zusammentreffen einer blutdurchtränkten Bekleidungszone mit außer- und unterhalb davon gesonderten Blutspritzern auf Bauchhöhe spricht dafür, dass die (ursprünglich mit Sicherheit stark) blutende Halsdurchtrennung auf Ursachen zurückgeht, die mit dem Ort der Leichenauffindung nichts zu tun hatten (Verdacht der Ablage der zuvor bereits anderswo getöteten, fast gänzlich enthaupteten Person auf der Schienentrasse).
cc) Die Leiche lag in Bauchlage mit der klaffenden Halswunde exakt auf einer der hölzernen Bahnschwellen, sohin an einer Stelle, an der massiv austretendes Blut erst in dem Ausmaß versickern konnte, in dem es über die Holzschwelle hinaus in den geschotterten Trassenbereich auslief. Die entsprechenden Abbildungen (Abb. 8 und 9) zeigen, dass der Oberkörper der Leiche in der zur Schwelle eingehaltenen Schräglage weitaus überwiegend mit dem linken Schulterbereich auf dem Schwellenholz zu liegen kam, während der rechte Schulterbereich darüber hinaus in den geschotterten Untergrund hinausragte, wo austretendes Blut zwangsläufig so versickern musste, dass es insoweit zu bloß reduzierter Durchtränkung des Leibchens hätte kommen können. Die massiv durchtränkte Brustzone des Leibchens hätte demnach der Schräglage auf dem Holzuntergrund folgend von rechts oben nach links unten verlaufen müssen. Die Brustaufnahme der Leiche in Rücklage im Leichensack (Abb. 11) zeigt jedoch gerade das Gegenteil: die blutdurchtränkte Leibchenzone reicht auf der rechten Brustseite tiefer als linksseitig. Sie ist daher mit den geringfügigen Blutspuren auf der Schienentrasse, dem Fehlen massiven Blutaustritts im Schienenbereich und der Auffindungslage der Leiche mit dem linken Schulterbereich auf der Holzschwelle objektiv gesichert nicht vereinbar.
dd) Der Leichenkopf weist außerhalb der Haarzone (von der Halsdurchtrennung abgesehen) an seiner linken Seite erhebliche Verletzungen auf: das linke Ohr ist unter Ausbildung einer entsprechend gravierenden Rißquetschwunde und einer hinter dem Ohr lappenförmig abgehobenen Hautzone in Richtung Scheitel nach oben verschoben (Sektionsprotokoll Seite 3 iVm Abb. 10) . Tritt ein derartiger Verletzungserfolg an einer (noch) lebenden Person ein, so verursacht bereits diese Verletzung allein massiven Blutaustritt. Die Fotografien des Leichenkopfes lassen jedoch trotz der durch das Sektionsprotokoll belegten Kopfverletzungen keinen adäquaten Blutaustritt (mit entsprechenden Abflusszonen bzw. Rinnspuren im Kopfbereich) erkennen. Die Verletzungen im Bereich des linken Ohrs und dessen Verschiebung in Scheitelrichtung ohne Blutaus- und Blutabflussspuren sprechen dafür, dass der Körper Priklopils bereits in leblosem Zustand im Schienenbereich abgelegt wurde. Das Fehlen massiven Blutaustritts im Kopfbereich ist anders nicht zu erklären.
Hinzuzufügen ist, dass eine massiv traumatische Einwirkung auf den Kopfbereich bei lebenden Personen nicht selten mit Blutaustritt aus Mund und Nase verbunden ist. Auch insoweit fanden sich an der Priklopil-Leiche nicht ansatzweise Blutausritts- bzw. Abrinnspuren.
f) Im inhaltlich bereits detailliert wiedergegebenen Sektionsprotokoll vom 24.August 2006 wurde unter anderem zur linken Ohrregion eine 12 cm lange und bis 5 cm breit klaffende, vollständige Durchtrennung der Hautweichteile und hinter dem Ohr eine lappenförmige Abhebung der Hautzone festgehalten.
Aus dem Foto der linken Seite des Leichenkopfes (Abb. 10) ergibt sich, dass die gesamte linke Ohrregion ausgerissen und in Richtung Scheitel nach oben verschoben wurde.
Die so dokumentierten Schädelverletzungen mit dem äußeren Verletzungsschwerpunkt im linken Hinterhauptsbereich (5 cm lange Trennwunde mit Austritt von Hirngewebe und Verschiebung der linken Ohrregion mit klaffender, 12 cm langer Trennungswunde nach oben in Scheitelrichtung) sind mit der vom obduzierenden Rechtsmediziner angenommenen Halsauflage auf der rechten Gleischiene und mit der weiters gemutmaßten von rechts einsetzenden Überrollung der Halsregion des in Bauchlage quer zur Gleistrasse gelegenen angeblichen Selbstmörders zweifelsfrei nicht vereinbar. Der Verletzungsschwerpunkt im Hinterkopfbereich und in der linken Ohrregion spricht vielmehr dafür, dass der Kopf im Kontaktzeitpunkt in Seitenlage auf der rechten Schläfe mit dem linken Ohr nach oben und mit dem Hinterkopf in Richtung des herannahenden Zuges auf dem (in Zugfahrtrichtung gesehen) rechten Schienenstrang abgelegt war, in dieser Ausgangslage von der rechten Front des Triebwagens (Frontrechen mit rechtsseitiger Metallplatte im Schienenabstand von 7 cm) erfasst, mit anschließender Halbdrehung in der Weise in die Auffindungsendlage an der Schieneninnenseite verlagert wurde, dass die rechte Ohrregion letztlich nach oben wies. Eine kontaktbedingte Bodenreibung der linken Kopfseite in Fahrtrichtung des Zuges scheidet als Erklärung für 12 cm lange und bis 5 cm breit klaffende Hautdurchtrennung und lappenförmige Abhebung der Hautzone hinter dem Ohr jedenfalls aus. Sie hätte nämlich zwangsläufig nur dazu führen können, dass die linke Ohrregion in Richtung Kiefer bzw. Hals ausgerissen und so nach unten verschoben worden wäre.
Schon das Fehlen von frischen Blutaustritts- und Blutabrinnspuren sowohl im Kopf- als auch im Halsbereich der Leiche legt nahe, dass Wolfgang Priklopil im Kontaktzeitpunkt bereits tot war (Ablage seiner Leiche mit dem Ziel einer möglichst weitgehenden Zertrümmerung des Leichenkopfes zwecks vollständiger Vernichtung der Spuren seiner tatsächlichen Tötung).
g) Aus dem Inhalt des Sektionsprotokolls fällt weiters auf, dass sich „im Bereich des rechten Scheitelbeines ein ovaler, wie ausgestanzter Knochenbruch“ zeigte (S. 4) und überdies Beschädigungen mehrerer Zähne des Ober- und Unterkiefers, mehrere bis 2 cm lange Einreißungen im rechten Mundwinkel (S. 2) sowie eine vollständige Zerreißung des rechten Handgelenks bzw. Bandapparats im Bereich der Elle ohne Knochenbeschädigung (S. 5) festgestellt wurden. Diese Verletzungen, insbesondere der „ovale, wie ausgestanzte Knochenbruch“ und die Verletzungen im Mundbereich weisen in ihrem Zusammenhang in die Richtung einer Gewaltanwendung, die für einen körperlichen Angriff und (auf Grund der Handverletzung) auch für einen damit verbundenen Abwehrversuch, nicht aber für Folgen einer in Selbstmordabsicht gesuchten Zugkollision typisch ist.
h) Dass Priklopil bereits als Leiche auf die Schnellbahngleise abgelegt wurde, folgt im Übrigen zusätzlich daraus, dass das Überrollen durch den Schnellbahnzug als gemeinsame Auslösungsursache sowohl für das ausgedehnte offene Schädelhirntrauma, als auch für die nahezu vollständige Halsdurchtrennung ausgeschlossen ist.
Dass eine beiderseits glattrandige Durchtrennung der Halsorgane und eine Durchtrennung der Halswirbelsäule exakt zwischen zwei Wirbeln ohne entsprechenden Substanzverlust im Halsverlauf bzw ohne entsprechend breite Zermalmungs- oder Quetschzone nicht durch ein Überrollen mit an der Lauffläche ca. 12 cm breiten Zugrädern erfolgen kann, liegt auf der Hand. In gleicher Weise versteht es sich von selbst, dass der Primärkontakt des Triebwagenfrontrechens, der gegen den Hinterkopf (!) des Wolfgang Priklopil gerichtet war und (dennoch !) in dessen Nackenbereich (!) eine intakte Gewebebrücke zurückgelassen haben soll, nicht so beschaffen sein konnte, dass er gleichzeitig eine völlige Durchtrennung der gesamten restlichen, noch dazu kontaktabgekehrten brustseitigen Halspartie zur Folge gehabt hätte. Das ausgedehnte offene Schädelhirntrauma und die Durchtrennung der Halsregion sind nur durch zwei gesonderte, zeitlich getrennte Gewalteinwirkungen erklärbar. Die (unvollständig gebliebene) Durchtrennung der Halsregion kann nicht auf das Überrollen durch den Schnellbahnzug zurückzuführen sein. Eine im Nackenbereich intakt gebliebene Gewebebrücke schließt ein „Abreißen“ der Luft- und Speiseröhre durcheine allfällige bloße Halsüberdehnung in Nackenrichtung bereits an sich aus, weil Luft- und Speiseröhre sowie die Halsschlagader durch ein bloßes, das Nackengewebe schonendes Zurückbiegen des Kopfes nicht abreißen können. Dies insbesondere dann nicht, wenn die Gewalteinwirkung - wie im konkreten Fall durch den Triebwagenfrontrechen – aus der Richtung der Hinterkopfregion kommt. Eine gegen die Hinterkopfregion gerichtete Gewalteinwirkung wäre nämlich zwangsläufig nur mit einer Kopfabtrennung bzw. einer Halszerreißung in Einklang zu bringen, die in umgekehrter Richtung vom Nackenbereich hätte ausgehen müssen und diesfalls lediglich brustseitig im Bereich der Halsvorderseite eine intakte Gewebebrücke hätte zurücklassen können.
i) Nach den bei der Obduktion angefertigten Leichenfotos wies das rechte Bein des Toten in Rückenlage auf dem Seziertisch dieselbe sinnfällige Kniebeugung auf, wie schon bei der Leichenauffindung auf der Schienentrasse.Die insoweit gleichbleibende Kniebeugung ist plausibel allein damit zu erklären, dass im Zeitpunkt der Leichenauffindung bereits partielle Totenstarre eingetreten war. Zur möglichst raschen Beendigung der Betriebsstörung des Schnellbahnverkehrs wurde die Leiche Priklopils bereits kurz nach ihrer Auffindung und annähernd zwei Stunden vor dem Eintreffen des Gerichtsmediziners von Organen der Feuerwehr in der Weise in einen Leichensack transferiert, dass sie dort in Rückenlage zu liegen kam. Wäre dies vor Eintritt der Totenstarre geschehen, wäre es schwerkraftbedingt zwingend zu einer uneingeschränkten Strecklage beider Beine ohne jede Kniebeugung gekommen.
j) Die Lichtbilder der für die Obduktion vorbereiteten, gewaschenen Leiche des Wolfgang Priklopil lassen kaum sinnfällige äußerliche Verletzungsspuren erkennen, sieht man von der eher schnittartigen, schmalen Halsdurchtrennung und dem weitestgehend verdeckt in der Haarzone gelegenen offenen Schädelhirntrauma in der Hinterkopfregion ab. Der im Übrigen bis auf oberflächliche Schürfungen äußerlich kaum verletzte Körper des Wolfgang Priklopil hat sich daher im Zeitpunkt des Zugkontaktes in einer Ausgangslage befunden, in der auf Grund einer bis auf den Kopf extremen Bodennähe der Kontakt mit der herannahenden Schnellbahngarnitur weitestgehend mit der Auswirkung minimiert wurde, dass die Schnellbahngarnitur die Kollisionsstelle passierte, ohne dabei eine kontaktbedingte Bewegungsturbulenz des flach liegenden Körpers auszulösen. Eine derartige Ausgangslage, in der die Körperpartien mit dem (vom Leichenkopf abgesehen) größten Bodenabstand die Triebwagenunterseite nach den Verschmutzungsspuren auf der Bekleidung gerade noch touchierten, ist keine Position, die Selbstmörder unmittelbar vor dem herannahenden Zug zu suchen pflegen. Mit einer unter Zeitdruck erfolgten Ablage eines bereits toten Körpers zwecks Vortäuschung von Selbstmord ist sie jedoch zwanglos in Einklang zu bringen.
Lediglich zur illustrativen Verdeutlichung sei hinzugefügt:
„So eine Zugleiche ist mir noch nie untergekommen!“ ist ein Statement, das nicht allein der rund ein halbes Jahr nach Einstellung des behördlichen Ermittlungsverfahrens unter tragischen Begleitumständen aus dem Leben geschiedene Polizeioberst Franz Kröll angesichts jener aktenkundigen Abbildung, die den bereits gereinigten, daher auf dem ersten Blick vom Hals abwärts nahezu unverletzten Leichnam des Wolfgang Priklopil auf dem Seziertisch zeigt, geäußert hat.
4. Die Angaben des Triebwagenführers
Die aus den dargelegten Fakten, somit aus zweifelsfrei objektivierten Gegebenheiten folgende krasse Unhaltbarkeit der gutachtlichen Bekräftigung der offiziellen Selbstmordversion durch den mit der Obduktion des Priklopil-Leichnams befasst gewesenen Rechtsmediziners wurde bereits dargetan. Die damit verbundene Einsicht strahlt demzufolge zwangsläufig auf den Stellenwert anderer Ermittlungsergebnisse aus. Dass aus den Angaben des Zugpersonals der Schnellbahngarnitur (Triebwagenführer und Zugbegleiter/Zugführer) für die der Einstellung des Ermittlungsverfahrens zugrunde liegende Selbstmordversion gleichfalls nichts zu gewinnen ist, ergibt sich schon daraus, dass die Angaben des Triebwagenführers E.M., die er am 23. August 2006 rund zwei Stunden nach dem Anlassgeschehen über seine Wahrnehmungen zur unmittelbaren Annäherung an die Kontaktstelle machte, erwiesenermaßen in wesentlichen Punkten den Tatsachen nicht entsprechen konnten und somit als teilweise objektiv wahrheitswidrig feststehen. Die entscheidenden Passagen hatten nachangeführten Wortlaut (Hervorhebungen durch Fettdruck zur Verdeutlichung hier eingefügt):
„Ich fuhr vom Bahnhof Wien Nord mit dem Schnellbahnzug in Richtung Floridsdorf und benützte das Gleis 1. Ich fuhr mit sechs Minuten Verspätung um 20.50 Uhr von der Haltestelle Wien Nord aus. Vom Bahnhof weg beschleunigte ich auf eine Geschwindigkeit von etwa vierzig km/h. Ich hatte das Abblendlicht eingeschaltet und achtete auf meine Signale. Diese Signale zeigten „Freie Fahrt“. Ich hatte etwa fünfhundert Meter zurückgelegt. Links des Gleises befindet sich in diesem Bereich Buschwerk. Die Strecke ist nicht beleuchtet. Ich bemerkte eine Bewegung von etwas Hellem. Diese Bewegung kam von links und dieser helle Schatten legte sich in den Gleiskörper. Ich erkannte dann, dass diese helle Gestalt ruhig quer zu meiner Fahrtrichtung auf den Schienen lag. Das Ganze geschah vielleicht fünf bis zehn Meter vor mir und ging recht rasch. Ich leitete sofort eine Schnellbremsung ein. Diese ist mit einem eher lauten zischendem Geräusch im Führerstand verbunden und dauert fünf bis zehn Sekunden. Noch während ich dieses Zischen hörte, hörte ich auch einen Anprall. Der Zug kam dann zum Stillstand und der Zugführer nach vor zu mir. Er ging auch dann zurück, um sich zu vergewissern, ob wir nun tatsächlich eine Person überrollten. Ich verständigte dann über Funk den Bahnhof und die Funkleitstelle. Der Zug ist dann auch nicht mehr verändert worden. Außer der hellen Gestalt habe ich während der Strecke vom Bahnhof bis zur Unglücksstelle keinerlei Personen wahrgenommen. Für mich sah es so aus, als hätte sich diese hell bekleidete Person vor den Zug gelegt. Ich bemerkte die Gestalt erst, als sich die Person vor den Zug legte. Ich konnte nicht sehen, wie sich diese Person den Gleisen näherte oder ob sie neben den Schienen hockte oder noch in aufrechter Position war. Den kurzen Moment, die ich dann die Person auf den Schienen liegen sah, konnte ich keine Bewegung des Körpers erkennen. Deshalb halte ich es für eine bewusste Handlung der hellen Gestalt.....“
Diese Angaben sind zunächst in sich widersprüchlich:
Die einleitende Wahrnehmung der angeblichen „Bewegung von etwas Hellem“, die „von links kam“, und die weitere Wahrnehmung, dass sich „dieser helle Schatten in den Gleiskörper legte“, worauf „diese helle Gestalt ruhig quer zur Fahrtrichtung auf den Schienen lag“, steht im Widerspruch dazu, dass der Triebwagenführer E.M. seinen fortgesetzten Angaben zufolge „nicht sehen konnte, wie sich diese Person den Gleisen näherte oder ob sie neben den Schienen hockte oder noch in aufrechter Position war.“ Abgesehen davon, dass der Zeuge das von ihm wahrgenommene Hindernis unterschiedlich mit „etwas Hellem“, „hellen Schatten“ , „heller Gestalt“ und schließlich „Person“ beschrieb und mit dem Hinweis darauf, dass der Zugbegleiter/Zugführer zurückging, um Gewissheit über die Kollision mit einer Person zu erlangen, eine zunächst noch aktuelle Unsicherheit über die Beschaffenheit des wahrgenommenen Hindernisses zum Ausdruck brachte, steht objektiv fest, dass Wolfgang Priklopil keineswegs quer zur Fahrtrichtung der Schnellbahn auf den Schienen lag, als er vom Zug erfasst wurde. Eine 1,68 m große Person, die (laut Obduktionsgutachten noch dazu in - zwangsläufig gestreckter - Bauchlage) quer zu den Schienen auf der Gleistrasse mit einer Spurweite von lediglich 1,435 m liegt, quert die Schienenlaufflächen einerseits mit der Kopfregion, andererseits am gegenüberliegenden Schienenstrang teilweise auch mit der (durch gestreckte Fußriste verlängerten) Fußregion. Eine derartige Kontaktausgangslage hätte demzufolge gravierende Verletzungsfolgen sowohl im Kopfbereich, als auch an den Füßen zur Folge. Der Leichnam Priklopils wies jedoch laut Sektionsprotokoll ausschließlich im Kopfbereich (Hinterkopf und Halsregion) schwerste Verletzungen auf, während der gesamte Unterkörper – von unwesentlichen Schürfungen abgesehen – so gut wie unverletzt blieb.
Ein derartiges Verletzungsbild wäre aber auch damit nicht in Einklang zu bringen, dass der Körper aus der angeblich schwellenparallelen Querlage kontaktbedingt in die annähernd schienenparallele Endlage geschleudert worden sein soll. Ein von der Vorderfront des Triebwagens ausgehender Anprallimpuls, der geeignet gewesen wäre, auf reibungsintensivem Untergrund eine nahezu 90-grädige Drehung des schwellenparallel quer gelegenen Körpers des angeblichen Selbstmörders in eine annähernd schienenparallele Endlage zu bewirken, wäre im Hinblick auf die nicht unerhebliche Bremsausgangsgeschwindigkeit der Schnellbahngarnitur zwangsläufig mit Stauch- und Rotationsturbulenzen verbunden gewesen, deren diesfalls gravierenderen Verletzungsfolgen nicht auf die Kopfregion beschränkt geblieben wären.
Die vom Triebwagenführer behauptete Querlage des Körpers findet demnach in den objektiv gesicherten Verletzungsfolgen keine Deckung.
Hinzu kommt: Wer nicht wahrgenommen hat, „ wie sich diese (zuvor wie erwähnt auch als etwas Helles, heller Schatten, helle Gestalt beschriebene) Person den Gleisen näherte oder ob sie neben den Schienen hockte oder noch in aufrechter Position war“, konnte in Wahrheit – noch dazu bei Dunkelheit in einem unbeleuchteten Streckenabschnitt und aus dem Führerstand eines mit bloßem Abblendlicht fahrenden, somit seinerseits in Bewegung und damit in Unruhe befindlichen Schnellbahntriebwagens – zuverlässig nichts wahrgenommen haben, was über ein helles Hindernis im Gleisbereich hinausging. Dazu der Triebwagenführer abschließend: “Den kurzen Moment, 'die' ich dann die Person auf den Schienen liegen sah, konnte ich keine Bewegung des Körpers erkennen.“ Damit im Einklang steht die Aussage des Zugbegleiters/Zugführers, wonach ihm der Triebwagenführer mitgeteilt hätte, erst aus nächster Nähe unmittelbar vor dem Anprall wahrgenommen zu haben, dass es sich bei dem Hindernis um eine menschliche Person handeln könnte.
Wer erst aus ca. 5 bis 10 m Entfernung ein Hindernis wahrnimmt, dem er sich mit einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 40 kmh nähert, und dazu noch angibt, eine Bewegung des auf den Schienen gelegenen menschlichen Körpers nicht erkannt zu haben, konnte - noch dazu zur Nachtzeit und auf unbeleuchteter Strecke – schon aus zeitlichen Gründen so gut wie keine Möglichkeit zu Beobachtungen einer angeblich vorausgegangenen Bewegungsphase gehabt haben.
Die dargelegten Besonderheiten in den fallbezogenen Angaben des Zugpersonals sind schließlich auch im Zusammenhang mit der Problematik allfälliger Reaktionsverspätungen zu sehen, mit deren Prüfung Fahrzeuglenker welcher Art auch immer in Kollisionsfällen mit Todesfolgen regelmäßig zu rechnen haben. Es trifft zwar zu, dass die Reaktionsmöglichkeiten, die dem Führer eines Schienenfahrzeuges, speziell dem Triebwagenführer einer Bahn- oder Schnellbahngarnitur offen stehen, wegen der Schienenbindung und des mit dem hohen Fahrzeuggewicht verbundenen hohen Trägheitsmoments vorweg weitestgehend reduziert sind. Ein dennoch nicht auszuschließender Vorwurf einer allfälligen Reaktionsverspätung kommt allerdings umso weniger in Betracht, je spontaner und unvorhergesehener der Reaktionsanlass aufgetreten war. Davon ausgehend kommt es den rechtlichen Interessen des für die Fahrzeugsteuerung Verantwortlichen regelmäßig entgegen, kann er sich – wie in Fällen sogenannter Bahn- oder Schienenselbstmorde erfahrungsgemäß nicht selten – darauf berufen, dass der Selbstmörder unmittelbar vor dem herannahenden Zug auf die Gleistrasse gestürzt oder gesprungen sei. Eine derartige Spontanversion wurde im vorliegenden Fall jedoch nicht vorgebracht. Die vom Triebwagenführer E.M. angedeuteten Einzelheiten der Kontaktannäherung und die auffallend zurückhaltende Bezugnahme auf Bewegungen in seinem Wahrnehmungsbereich sprechen daher dafür, dass die von ihm gesteuerte Schnellbahngarnitur in Wahrheit ein bereits vor ihrer Annäherung an die Kollisionsstelle auf der Gleistrasse ruhendes Hindernis, nämlich den (dort zuvor leblos abgelegten ) Körper des Wolfgang Priklopil gerammt hat.
Die hier zu Punkt I. zum weitaus überwiegenden Teil erstmals aufgezeigten Tatsachen und objektiv gesicherten faktischen Zusammenhänge, deren Relevierung ohne detaillierte Kenntnis sowohl des Obduktionsbefundes laut Sektionsprotokoll, als auch der konstruktiven Beschaffenheit der kollisionsbeteiligten Schnellbahngarnitur, insbesondere der Frontpartie ihres Triebwagens, nicht möglich gewesen war, eröffnet Beurteilungsgrundlagen, die auf eine vollinhaltliche Bestätigung der schon bisher geäußerten Kritik an der willkürlich gelenkten staatsanwaltschaftlichen Einstellung des Ermittlungsverfahrens hinauslaufen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Ablebens des Wolfgang Priklopil, vielmehr in untrennbarem Zusammenhang auch hinsichtlich der Kampusch-Entführung und schließlich auch in Bezug auf das tragische Ableben des Polizeioffiziers Franz Kröll. Die neuen Aufschlüsse sind geeignet, die Tragweite der offiziellen – man kann es nicht anders nennen - Kollektivwillkür bei der bisherigen Fallbehandlung in vollem Umfang zu entlarven. Dies mit einem Ergebnis, das bei ausschließlicher Sachorientierung und bei gewissenhafter Ausschöpfung sämtlicher nahe gelegener Ermittlungsansätze und -chancen ohne besonderen Mehraufwand wesentlich früher realisierbar gewesen wäre. Die zu I. aufgezeigten Tatsachengrundlagen, die die bisherigen Beurteilungsgrundlagen entscheidend erweitern, stehen mit den zahlreichen atypischen Auffälligkeiten und Widersprüchlichkeiten in den bereits zuvor bekannt gewesenen Ermittlungsergebnissen (dazu Punkt II.), wie auch mit dem Verdacht rechtsstaatlich untragbarer Tendenzen und Einflussnahmen im bisherigen behördlichen Umgang mit wesentlichen Ermittlungsergebnissen und -chancen (dazu Punkt III.) in fugenlosem Einklang. Sie bekräftigen sämtliche Vorbehalte, die seit Jahren von verschiedenen Seiten gegen das behördliche, insbesondere das staatsanwaltschaftliche Vorgehen im sog. Fall Kampusch und dessen oberbehördliche „Absegnung“ laut werden.
Hans Rzeszut ist ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofs und Strafrichter. Er war Mitglied einer Kommission des Innenministeriums zur Untersuchung der rund um die Causa Kampusch begangenen Fehler.
Vom Tagebuch erstellte kurze Zusammenfassung dieser Kritik am staatsanwaltlichen Vorgehen in diesem ersten Kapitel des Rzeszut-Buches. Schon dieses Kapitel weckt erhebliche Zweifel an der offiziellen Version des Falles:
1. Es ist keine Auswertung der Rufdaten vier verdächtiger Telefonanschlüsse vorgenommen worden.
2. Es hat keine untersuchungsrichterliche Vernehmung der Tatzeugin der Entführung von Natascha Kampusch gegeben, die immer von zwei Tätern gesprochen hat.
3. Der angebliche Selbstmord des angeblichen Einzeltäters Priklopil kann nicht so wie von den Behörden dargestellt stattgefunden haben. Es spricht alles dafür, dass sein Körper erst nach der Ermordung Priklopils auf die Schienen gelegt worden ist.
4. Das beweisen sowohl die Lage der Leiche und die Art der Verletzungen am Hals wie auch die technische Ausrüstung des Triebwagens.
5. Sowohl Kopf wie auch Rumpf lagen innerhalb der Schienen.
6. Der Kopf ist nicht ganz vom Rumpf abgetrennt.
7. Es gibt auffallend wenig Blutspuren.