Intensive Krippen-Betreuung als latent destabilisierender Einfluss

Familienministerin Sophie Karmasin meinte unlängst, dass sich die frühkindliche Fremdbetreuung positiv auf die Entwicklung insgesamt und auch auf die weitere Bildungskarriere auswirkt. In der Krippe sieht sie eine Bildungschance, die jenen Kindern verwehrt bleibt, die in den ersten drei Lebensjahren zuhause aufwachsen. Daraus schließt die Familienministerin, dass Krippen verstärkt zu fördern sind.

Heute gibt es aber eine Reihe aussagekräftiger Untersuchungen zu Fragen der sozio-emotionalen und kognitiven Entwicklung von Kindern in Tagesbetreuung. Unter der Regie des renommierten National Institute of Child Health and Development (NICHD) entwickelte eine Gruppe weltweit führender Spezialisten für frühkindliche Entwicklung Anfang der 1990er Jahre ein ausgefeiltes Untersuchungsdesign, in dem nahezu alle Faktoren berücksichtigt wurden, die für die kindliche Entwicklung relevant sind. Mehr als 1.300 Kinder, überwiegend aus weißen Mittelschichtfamilien, im Alter von einem Monat wurden in die Studie aufgenommen. Über einen Zeitraum von 15 Jahren wurden dann die kognitive Entwicklung und das Verhalten der Kinder detailliert gemessen.

Am beunruhigendsten war der Befund, dass Krippenbetreuung sich unabhängig von sämtlichen anderen Messfaktoren negativ auf die sozio-emotionalen Kompetenzen der Kinder auswirkt. Je mehr Zeit die Kinder kumulativ in einer Einrichtung verbrachten, desto stärker zeigten sie später dissoziales Verhalten wie Streiten, Kämpfen, Sachbeschädigungen, Prahlen, Lügen, Schikanieren, Gemeinheiten begehen, Grausamkeit, Ungehorsam oder häufiges Schreien. Unter den ganztags betreuten Kindern zeigte ein Viertel im Alter von vier Jahren Problemverhalten, das dem klinischen Risikobereich zugeordnet werden muss. Später konnten bei den inzwischen 15 Jahre alten Jugendlichen signifikante Auffälligkeiten festgestellt werden, unter anderem Tabak- und Alkoholkonsum, Rauschgiftgebrauch, Diebstahl und Vandalismus. (Die Journalistin Kathleen Parker, deren familienorientierte Rubrik in der Washington Post in zahlreichen amerikanischen Zeitungen nachgedruckt wird, sieht in dem NICHD-Bericht einen Hinweis darauf, "dass wir eine Generation von Kindern erziehen, die für die Schule, aber nicht für die Gesellschaft vorbereitet wird".)

Noch ein weiteres, ebenfalls unerwartetes Ergebnis kristallisierte sich heraus: Die Verhaltensauffälligkeiten waren weitgehend unabhängig von der Qualität der Betreuung. Kinder, die sehr gute Einrichtungen besuchten, verhielten sich fast ebenso auffällig wie Kinder, die in Einrichtungen minderer Qualität betreut wurden. Grundsätzlich zeigte sich aber, dass das Erziehungsverhalten der Eltern einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Entwicklung ausübt als die Betreuungseinrichtungen (Der Abschlussbericht zu dieser „größten Langzeitstudie zur frühkindlichen Fremdbetreuung von Kleinkindern in den USA“ wurde in der Zeitschrift "Child Development", März/April 2007 veröffentlicht).

Diese in den letzten zehn Jahren erhobenen Daten belegen, so Dr. Rainer Böhm, Kinder- und Jugendarzt mit Schwerpunkt Neuropädiatrie (Kongresspräsident der 63. wissenschaftlichen Jahrestagung der Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin 2011 in Bielefeld), dass es sich bei den Verhaltensauffälligkeiten, die in der NICHD-Studie registriert wurden, nur um die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs handelt. Dank einer neuen Technik konnten Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten Ende der 1990er Jahre bei Kleinkindern in ganztägiger Betreuung in zwei Daycare Centers erstmals das Tagesprofil des wichtigsten Stresshormons Cortisol bestimmen. Entgegen dem normalen Verlauf im Kreis der Familie – hoher Wert am Morgen und kontinuierlicher Abfall zum Abend hin – stieg die Ausschüttung des Stresshormons während der ganztägigen Betreuung im Verlauf des Tages an, ein untrügliches Zeichen einer erheblichen chronischen Stressbelastung.

Eine Meta-Analyse einer niederländischen Wissenschaftlerin, die neun ähnliche Folgestudien auswertete, bestätigte diese Ergebnisse. Somit muss als gesichert gelten, dass besorgniserregende Veränderungen des Cortisolprofils vor allem bei außerfamiliärer Betreuung von Kleinkindern auftreten, und das selbst bei qualitativ sehr guter Betreuung.

Cortisol-Tagesprofile, wie sie bei Kleinkindern in Kinderkrippen nachgewiesen wurden, lassen sich am ehesten mit den Stressreaktionen von Managern vergleichen, die im Beruf extremen Anforderungen ausgesetzt sind.

Vor allem Kinder im Alter unter zwei Jahren zeigten nach fünf Monaten qualitativ durchschnittlicher Krippenbetreuung Cortisol-Tagesprofile vergleichbar mit den Werten, die in den 1990er Jahren bei zweijährigen Kindern in rumänischen Waisenhäusern gemessen wurden. Diese Befunde lassen keinen anderen Schluss zu als den, dass eine große Zahl von Krippenkindern durch die frühe und lang andauernde Trennung von ihren Eltern und die ungenügende Bewältigung der Gruppensituation emotional massiv überfordert ist. Demnach wirkt sich die Krippenbetreuung weder kompensatorisch noch schützend aus.

Einige Textpassagen aus dem von Rainer Böhm verfassten Artikel "Die dunkle Seite der Kindheit" in der FAZ vom 4.4.2012: „Alles in allem steht fest, dass Krippenbetreuung die Stressregulation auch langfristig negativ beeinflusst. Und: Das in der Öffentlichkeit verbreitete Mantra ist falsch, alle Probleme der Krippenbetreuung ließen sich alleine mit Qualität lösen. Erhöhte Stressbelastung und vermehrte Verhaltensauffälligkeiten wurden mittlerweile auch bei ersten systematischen Untersuchungen zur U3-Betreuung in Tagespflege gefunden. Durch nichts zu belegen ist dagegen die Hoffnung auf Förderung des Sozialverhaltens, die viele Eltern derzeit einen frühen Krippenbesuch in Betracht ziehen lässt.

Eine signifikante, moderate Förderung der Lernleistungen kann nur bei hoher Betreuungsqualität erwartet werden. Diese ist in deutschen Krippen derzeit nur in Ausnahmefällen anzutreffen. Die von der Bertelsmann-Stiftung mit großem publizistischen Aufwand plakatierte hohe Rate an Gymnasialanmeldungen nach Krippenbetreuung ist daher eher auf höhere Ansprüche der Eltern zurückzuführen und nicht auf einen tatsächlichen Gewinn kognitiver Fähigkeiten."

Diese Befunde decken sich mit einer Studie über den "Zusammenhang zwischen Quantität, Art und Dauer von externer Kinderbetreuung und Problemverhalten", die Margit Averdijk vom Institut für Soziologie an der ETH Zürich im Jänner 2012 veröffentlichte. Die Resultate zeigen klar: "Kinder, die in den ersten Lebensjahren außerfamiliär in Gruppen betreut wurden, weisen mehr Problemverhalten auf." Dies äußerte sich in den Bereichen "Aggression, Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Syndrom ADHS, nichtaggressives Problemverhalten wie Lügen und Stehlen sowie Angst und Depression." Immerhin: «Das Problemverhalten schwächt sich mit den Jahren ab, bei elfjährigen Kindern ist es nicht mehr feststellbar», sagt ETH-Forscherin Averdijk.

Das ist beruhigend, aber vielleicht trügerisch: Ein paar Jahre später, so zeigen Jay Belskys Studien, also bei 15-jährigen Jugendlichen, machen sich die negativen Auswirkungen wieder verstärkt bemerkbar. Belsky vermutet, dass die früheren problematischen Verhaltensmuster mit dem Eintritt in die Pubertät wieder aktiviert werden und einen Einfluss auf das Risikoverhalten und die Impulsivität haben. Dieser Negativ-Effekt wird nicht aufgehoben durch den leichten Vorsprung an kognitiven Fähigkeiten.

Auch Jesper Juul, renommierter Familientherapeut und Gründer von Familylab International, stellt heraus: ‚Kinderkrippen sind nicht immer so toll, wie sie allenthalben angepriesen werden. Er stellt lakonisch fest: «Kinderkrippen sind nicht für das Wohlbefinden der Kinder geschaffen worden».

Wissenschaftliche Studien bestätigen seine Aussage und zeigen, dass Krippenkinder nicht per se schlauer, früher entwickelt und sozial kompetenter sind. Im Gegenteil: Vor allem bei Kindern, die schon früh, also im ersten Lebensjahr, während mehr als zehn Wochenstunden in einer Krippe betreut werden, leiden das soziale Verhalten und die psychische Gesundheit.

Das haben Wissenschafter rund um den Engländer Jay Belsky, heute Psychologieprofessor an der University of California in Davis, USA, mit einer groß angelegten, inzwischen 15 Jahre andauernden Langzeitstudie belegt. «Eine geringfügige Verbesserung in kognitiven Fähigkeiten wie Spracherwerb oder Lesenlernen» attestiert Belsky den untersuchten 1300 Kindern. Zugleich aber auch «vermehrt Aggressivität, unangepasstes Risikoverhalten und soziale Auffälligkeiten». Umso mehr, betont Belsky, dürfe man diese Resultate nicht vernachlässigen, auch wenn der Effekt auf den ersten Blick klein sei: Gemäß Studie können «krippenerfahrene» Kinder später mit ihrem Problemverhalten ihre Kindergarten- oder Schulklasse entscheidend prägen. Alles in allem ist Belsky überzeugt, dass der Effekt am Ende gar nicht so gering ist: unter anderem, weil eine immer größere Anzahl von Kindern davon betroffen sein wird.

Deshalb, so monierte der Psychologe unlängst in einem Fachbeitrag, «ist es nicht länger haltbar, dass Entwicklungswissenschafter und Krippenverfechter die Auffassung verleugnen, dass frühe und extensive Krippenbetreuung, wie sie in vielen Gemeinden verfügbar ist, ein Risiko für kleine Kinder und vielleicht die ganze Gesellschaft darstellt». Auch diese Forschungsergebnisse decken sich mit der schon erwähnten Studie von Margit Averdijk vom Institut für Soziologie an der ETH Zürich:

Eine Untersuchung zum Einfluss der Sprachförderung in den Krippen Berlins ergab, dass hier kaum oder sogar negative ‚Erfolge’ feststellbar waren. Dieses Ergebnis nahmen die Sozialforscher eher verwundert zur Kenntnis, weil ja die politische Diskussion ständig die große Bedeutung der Sprachförderung, besonders für Kinder aus den bildungsferneren Bevölkerungsgruppen unterstrich. Kinderpsychologen überrascht dies gar nicht. Ihre Erklärung: Wie sollte im täglichen Multikulti-Gebrabbel von Krippenkindern jemand die deutsche Sprache erlernen? Dazu wäre die direkte Ansprache der Erzieherinnen und – falls vorhanden – Erzieher notwendig. Denen fehlt jedoch dazu – auch wegen eines zu großen Betreuungsschlüssels und ständigem Personalausfall – zwischen akuten Interventions-Notwendigkeiten, Baby-Wickeln und wichtigen Organisations-Arbeiten nicht nur die Zeit, sondern oft auch eine eigene Befähigung in der Anwendung der deutschen Sprache, besonders auf dem Hintergrund des großen Anteils an Krippen-Mitarbeiterinnen mit eigenem Migrations-Hintergrund. Fazit eines Kinderpsychologen: Ein ständiges Wiederholen der These, dass die Krippe eine große Sprachförderung ermögliche, macht diese Behauptung keinesfalls richtiger.

Anna Wahlgren – sie gilt als Familien-Kämpferin Schwedens und bezeichnet sich selbst als Feministin mit Blick für das Kindeswohl – in einem Interview: „Auf der ganzen Welt gibt es keinen Einjährigen, der sich freiwillig und gern von den Eltern und dem Zuhause verabschiedet, um den Tag irgendwo anders zu verbringen. Wir ignorieren die Bedürfnisse der Kleinen – und tief drinnen wissen wir das. Aber unser politisches und wirtschaftliches Denken trübt den Blick fürs Kindeswohl. Um den Kindern häusliche Geborgenheit zu ermöglichen, hält sie es für nötig und für möglich, die richtigen Prioritäten zu setzen: Dass man „ein paar Jahre lang von wenig Geld leben kann, wenn man seinen Lebensstandard herunterschraubt.“ Mehr als 70 Prozent der Schweden wollen das. Auch. Ihr Credo in Kürze: In den ersten drei Jahren brauchen Kinder feste Bezugspersonen. Im Tierreich werden die Jungen auch nicht zu früh „aus dem Nest geworfen“.

Carola Bindt, Kinder- und Jugendpsychiaterin an der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf, hat bei ihren Untersuchungen von Krippenkindern einen höheren Stresspegel (gemessen am Cortisol-Spiegel im Blut) festgestellt, als bei Kindern, die zu Hause oder von einer Tagesmutter betreut wurden. "Bei Kindern in der Krippe steigt dieser Wert im Lauf des Tages noch höher an", Dieses Mess-Ergebnis zeigt für sie nun nicht, dass alle Kinder in Krippen dauerhaft überfordert sind. Allerdings kann ein konstant hoher Stresslevel besonders bei anfälligen Kindern zu psychischer Auffälligkeit führen: "Sie sind aggressiver, impulsiver, kommen schlechter mit Belastung zurecht und können sich schlechter sozial integrieren", erklärt die Kinderpsychiaterin.

Dennoch widerspricht Bindt jenen Hardlinern, welche die Krippe verteufeln wollen: «Nicht die Krippen abschaffen – sondern die Qualität verbessern», fordert sie dringend. Das heißt für sie: «Altersgetrennte Gruppen, das gibt deutlich weniger Stress, und genügend Betreuungspersonen, die nicht nur pädagogisch gebildet sind, sondern vor allem feinfühlig auf die Kinder eingehen können und ihre Bedürfnisse verstehen. Und last, but not least eine möglichst geringe Betreuungszeit, vor allem bei den ganz Kleinen – wenn möglich lieber einen Vierstundenplatz statt einen Achtstundenplatz buchen und die Kinder so früh wie möglich wieder abholen.»

Sie findet es jedoch sehr wichtig, dass Mütter, die aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen gar keine Wahl haben, sich nicht zusätzlich von ihrem schlechten Gewissen zermürben lassen: «Kinder aus einem sozial schwachen Milieu können von einer qualitativ guten Kinderkrippe sogar profitieren, und das gelingt noch besser, wenn die Eltern sie dann entspannt wieder abholen.» Jay Belskys Langzeitstudie zeigt gar, dass ein günstiges familiäres Umfeld die negative Auswirkung von schlechten Kinderkrippen wieder aufwiegen kann.

Auch wenn viele Anhaltspunkte dafür existieren, dass Kleinstkinder bei Tagesmüttern in der Regel besser aufgehoben sind als in Krippen, verlangt auch diese Betreuungsform nicht selten zu viel. Ein Beispiel aus der Nachbarschaft von guten Freunden: Jeden Morgen dasselbe Weinen, wenn die gut einjährige Sarah von ihrer als Lehrerin tätigen Mutter um Punkt 7.30 Uhr zur Tagesmutter gebracht wird. Täglich dasselbe Ritual: „Du musst nicht weinen, bei Frau X ist es doch so schön. Gleich kommen auch wieder die anderen Kinder." Das Kind weint noch schluchzender. „Begreif doch, ich habe jetzt keine Zeit; ich muss pünktlich in die Schule, wo all die Kinder auf mich warten. Heute Nachmittag habe ich wieder mehr Zeit. Tschüs, ich hab dich lieb!“ So stressig beginnt in der Regel der Tag für Sarah. Jeden Morgen scheint sich erneut in ihrem kleinen Köpfchen das gleiche Gedankenkarussell zu drehen: „Ich bin Mama wichtig, so sagt sie, aber dann lässt sie mich hier im Stich. Also hat sie mich doch nicht lieb, bin ich ihr also nicht wichtig. – Nein, sie drückt mich doch immer so fest und gibt mir ein Küsschen. Aber die Kinder in der Schule sind ihr wichtiger, sonst bliebe sie ja bei mir.“ – „Tschüs, ich hab dich lieb!“ Wer kann eine solche Botschaft begreifen, ohne bitterlich zu weinen!

Bei aller Kritik an einer durch Staat, Medien, Wirtschaftsverbände und vielen Eltern favorisierten U3-Betreuung in Krippen oder bei Tagesmüttern ist das Ausmaß eines Erfolgs bzw. Misserfolgs dieser Aufwachsbedingungen von folgenden Faktoren abhängig:

  • Kommt ein Kleinkind direkt nach der Mutterschutz-Zeit (eine Säuglings-Schutz-Zeit gibt es noch nicht) oder – eine entsprechende Reife vorausgesetzt – im Alter von gut zwei Jahren in die Betreuung?
  • Wie zeitlich-emotional einfühlsam verlief bzw. verläuft für den Säugling bzw. das Kleinstkind die Phase des Hineinfindens in die Betreuungssituation?
  • Für wie viele Stunden täglich und wie viele Tage in der Woche ist ein Kleinkind in der Betreuung?
  • Existiert eine – belegbar und nicht deklariert – gute oder indifferente Mutter-/Elternbindung?
  • Sind Vater oder Mutter bei auftretenden Problemen schnell erreich- und verfügbar?
  • Achten Eltern und Betreuungspersonal auf ein abgestimmtes erzieherisches Vorgehen und informieren sie sich täglich gegenseitig über Entwicklungsschritte oder Vorfälle? (Das Personal beklagt ständig, dass Eltern beim Hinbringen und Abholen gar keine Zeit für wichtige Infos haben)
  • Wie viel belegbare Bindungs-/Umgangs-Zeit erhält das Kleinstkind innerhalb der Familie?
  • Handelt es sich um ein Angebot mit hoher oder durchschnittlicher Qualität und durch welche Kriterien wird dies deutlich?
  • Ist die Konstanz der Ersatz-Bezugspersonen innerhalb der Einrichtung groß oder wechseln diese häufig in der Kleinkindphase (bei Schichtdienst ist das unabhängig von einem möglichen Stellenwechsel täglich der Fall)?

Die wichtigsten Befunde weisen in dieselbe Richtung: Je früher und länger Kleinkinder in der Krippe oder anderen außerhäuslichen Betreuungs-Diensten verbringen, desto umfangreicher sollte mit mangelhafter individueller Förderung bzw. auftretenden Störungen gerechnet werden.

Zu diesen Zusammenhängen äußert sich der häufig als Krippen-Befürworter bemühte Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fthenakis (Gutachter der deutschen Bundesregierung, langjähriger Leiter des staatlichen Instituts für Frühförderung in München, Mit-Herausgeber des Familien-Online-Handbuches) in einem TAZ-Interview: "Die Bindungsqualität ist heute genauso so wichtig, wie früher (…). Die Eltern lassen sich durch nichts ersetzen (…). Man kann aber das Aufwachsen des Kindes bereichern, wenn es in eine Einrichtung von hoher Qualität geht."

Er führt weiter aus: „Bei Kindern unter zwei Jahren muss man sehr individuell schauen. Ich empfehle den Eltern, das Kind erst ab 18 Monaten in eine Einrichtung zu bringen. Vorher sollte es aber viel Kontakt mit Gleichaltrigen haben, etwa in Spielgruppen. Das Familiensystem bloß nicht geschlossen halten.“ Aber es gibt kein Konzept für alle, jedes Kind ist anders. „Ich habe meinen Sohn in die Krippe gebracht, und als ich sah, wie er reagiert hat, habe ich ihn wieder herausgenommen.“

Es ist höchste Zeit, die Dauer pro Tag, die Qualität der Betreuung, das Alter des Kindes, die ganz persönlichen Umständen einer Familie und die speziellen Bedürfnisse des Kindes in den Fokus der Forschung und des politischen Argumentierens zu rücken, fasst Jay Belsky zusammen. Er ruft auf, in der ganzen Diskussion, die er auch schon als «Krippenkrieg» bezeichnete, die humanitären Überlegungen nicht zu vergessen: «Was wollen nicht nur Mütter, Väter, Politiker und die Gesellschaft,sondern was wollen die Kinder                             

Dr. Albert Wunsch ist Psychologe, Diplom-Sozialpädagoge, Diplom-Pädagoge und promovierter Erziehungswissenschaftler. Er ist Vater von 2 Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern. Seine Bücher: Die Verwöhnungsfalle, Abschied von der Spaßpädagogik, Boxenstopp für Paare und: Mit mehr Selbst zum stabilen ICH - Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung, lösten ein starkes Medienecho aus und machten ihn im deutschen Sprachbereich sehr bekannt.

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