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Das Zweite Vatikanische Konzil – Ein ausstehender Diskurs

Ein anspruchsvoller politischer Blog thematisiert aufgrund seiner Aufgabenstellung auch weiter zurückliegende Weichenstellungen, die zu den derzeitigen Zuständen in Politik und Kultur geführt haben. Da unsere österreichische und abendländische Kultur nun einmal von der Katholischen Kirche aufgebaut worden ist, hängen der Zustand der Kirche und der Zustand der weltlichen Gemeinschaft unweigerlich im Innersten zusammen. Der katastrophale Erosionsprozess unserer Zivilisation muss also mit einem Erosionsprozess in der Kirche zu tun haben.

Genau das meinte der damalige Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, in dem Interview mit Vittorio Messori „Zur Lage des Glaubens“ (1984), als er beim Thema „Drittes Geheimnis von Fatima“ von „Gefahren“ sprach, „die den Glauben und das Leben des Christen, damit das Leben der Welt bedrohen“. Wenn wir uns nicht dumm stellen, erkennen wir in den Weichenstellungen des II. Vaticanums eine solche Gefahr.

Zu diesem Thema ist vor nicht langer Zeit ein hervorragendes Buch eines römischen Spitzentheologen erschienen – im deutschen Sprachraum leider praktisch unbemerkt. Daher hier etwas ausführlicher: Brunero Gherardini, Das Zweite Vatikanische Konzil – Ein ausstehender Diskurs.

Typische Umstände unserer Zeit

Symptomatisch für unsere Zeit ist, dass die deutsche Übersetzung dieses hochinteressanten Werkes in einem sehr jungen und kleinen Verlag erscheinen musste. Offensichtlich will man in den etablierten Verlagshäusern die Wahrheit nicht hören – und noch viel weniger drucken. Mit dem Carthusianus-Verlag und dessen schmalem, aber exquisitem Buchprogramm ist dem Initiator Peter Barthold aber ein sehr schönes Projekt gelungen.

Symptomatisch für unsere Epoche der Kirchengeschichte ist, dass der Verfasser des Geleitwortes, Msgr. Mario Oliveri, Bischof von Albenga-Imperia, kürzlich von Papst Franziskus einen Koadjutor mit Nachfolgerecht aufgenötigt bekam. Der Verfasser des Vorwortes, Msgr. Albert Malcolm Ranjith, Erzbischof von Colombo, ist im neuen Pontifikat auch nicht mehr Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. Der Orden der Franziskaner der Immaculata, der das Verlagshaus betreibt, in dem die italienische Originalausgabe erschien, steht unter einer unverhältnismäßig brutalen kommissarischen Verwaltung. Kardinäle, Bischöfe und Ordensleute, die sich zum überlieferten Glauben und zur klassischen Liturgie bekennen, haben es derzeit in der Kirche sehr schwer.

Symptomatisch ist schließlich, dass sich viele Menschen, die etwas zu sagen hätten, erst gegen Ende ihrer Berufslaufbahn oder danach zu artikulieren wagen. Das gilt für Politiker, Wirtschaftskapitäne, Intellektuelle und Militärs genauso wie für Kirchenleute. Insofern findet man es bedauerlich, dass Brunero Gherardini, geboren 1925, Professor an der Lateran-Universität, Protestantismus-Spezialist, Kanoniker der Päpstlichen Basilika St. Peter, Konsultor der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse und Mitglied der Päpstlichen Akademie für die Theologie, erst spät im Leben mit seinem Widerspruch zur „offiziellen“ Bewertung des Zweiten Vaticanums an die Öffentlichkeit getreten ist.

Das Buch behandelt in neun Kapiteln grundsätzliche Fragen zu Bedeutung und Grenzen des Konzils, zu seiner Interpretation und zur Gesamtbewertung, und geht auf vier Einzelthemen (gemäß den betreffenden Konzilstexten) genauer ein: Liturgie, Religionsfreiheit, Ökumene und Kirche. Dem Autor gelingt es, sein großes Wissen interessant, geistreich, gelegentlich ironisch, mit tiefem Glaubenssinn und scharfem Verstand aufzubereiten.

Ein hohes Problembewusstsein und eine gewisse theologische Vorbildung sind beim Leser vorausgesetzt.

Die „Flucht vor Gott“ und das Wirken des Bösen

Um die euphorisch formulierten und gleichzeitig zutiefst verwirrenden Texte des Konzils richtig zu verstehen, bringt Gherardini den bewussten Abfall von Gott und den verführerischen Rausch des „Modernen“ ins Spiel:

„Vorherrschend war tatsächlich das fortschreitende schwächer werden des katholischen Selbstbewusstseins unter dem Druck einer Kultur, die sich unaufhaltsam auf der Flucht vor dem Übernatürlichen befand. Ihm gegenüber nahm, in Theorie wie Praxis, die Perspektive der Communio-Kirche Gestalt an und wurde wirklich vorherrschend. Nicht jene der wunderbaren communio sanctorum, die an die klassische Theologie gebunden war, sondern jene, die sich im Antlitz einer endlich modernen Kirche erkennen ließ. Ein endlich gemeinsames Haus, wo alle endlich Zugang hatten“ (45f).

Damit verbunden war eine für die „Aufklärung“ typische Fehleinschätzung der realen menschlichen Verfasstheit:

„[Das Konzil machte sich] daran, ohne eine angemessene Vorbereitung das Ideal des erwachsenen und emanzipierten Christen einzusenken (…). Daraus konnte nur eine Krise entstehen“ (46).

Und schließlich ging die Fehlentwicklung nicht „von selbst“ vonstatten, sondern bedurfte der Entscheidungen einer Gruppe von Männern, die aus welchen Gründen auch immer in die Fußstapfen des Verräters des ersten Jüngerkreises getreten sind:

„Es besteht eine gewisse Logik sogar in der Organisation eines teuflischen intelligence service im Zentrum der Kirche selbst, der vor ‚Intrigen, Morden, Komplotten‘ nicht zurückschreckt (es sind Fakten, die sich meiner Kontrolle entziehen und die ich entnehme aus: E. Frattini, L’entità, Roma, Fazi Ed. 2008)“ (88f).

Die falsch konzipierte „Menschenwürde“ als Grundlage einer falschen „Religionsfreiheit“

Das Thema der Religionsfreiheit, meiner Meinung nach der wirkmächtigste Punkt des Konzils, wurde durch die Erklärung Dignitatis humanae in entscheidender Weise verwirrt. Knapp fünfzig Jahre nach der Verabschiedung dieses vermutlich schädlichsten aller Konzilsdokumente sehen wir dessen verheerende Auswirkungen allenthalben.

Sämtliche Versuche, eine inhaltliche Kontinuität mit dem vorhergehenden Lehramt zu konstruieren, überzeugen nicht. Auch hoch gebildete Autoren differieren in der Analyse und Beurteilung dieses schillernden Dokuments erheblich (Andreas Laun, ausgezeichnet Roberto de Mattei in: Das Zweite Vatikanische Konzil – Eine bislang ungeschriebene Geschichte, Thomas Pink, zuletzt – sehr subtil – Edmund Waldstein, um nur einige zu nennen).

Man hat das Dokument in Kirche und Welt ernst genommen: Herausgekommen ist eine von der kirchlichen Führung selbst (!) verordnete Selbstaufgabe der katholisch geprägten Staaten und Völker. Jeder Versuch, die politische und kulturelle Sphäre nach den Grundsätzen des christlichen Glaubens und des Naturrechts zu gestalten, wird mit Verweis auf das „Gewissen“ anderer, z. B. islamischer Einwanderer, abgeschmettert bzw. aufgrund der erreichten Selbstzensur von vornherein unterlassen. Dabei ist die utopisch konzipierte „Gewissensfreiheit“ das maßgebliche Kriterium. Gemäß dieser Konzeption würden alle Menschen aufgrund einer „Gewissensentscheidung“ ihre „Religion“ ausüben. Hier dürfe man nicht interferieren, schon gar nicht durch die weltliche Autorität.

Nun, man muss nur betrachten, welche skurrilen, lachhaften oder auch grausamen Praktiken die nicht- und antichristlichen „Religionen“ vorschreiben – und die sollen ausgerechnet aus „Gewissensgründen“ praktiziert werden? Das spottet jeder Lebenserfahrung.

Und überhaupt: Wie viele Zeitgenossen leben denn wirklich – innengesteuert – nach ihrem Gewissen? Doch kaum mehr als eine winzige Minderheit.

Nachdem man aber gemäß Dignitatis humanae jeglichem Mumpitz alle möglichen Rechte zugesteht, ist damit der Weg der europäischen, christlichen bzw. postchristlichen Nationen auf ein Dritte-Welt-Niveau vorprogrammiert.

Gherardini meint, dass diese Erklärung zwar „in abstraktem Sinn (…) einwandfrei“ sei (eine Einschätzung, die der Rezensent nicht teilt), hält aber fest, dass es „kein absolut abstraktes Subjekt“ gibt, da jedes in konkreten Umständen und im Zusammenhang mit anderen steht.

Er weist darüber hinaus darauf hin, dass es gegenüber der geoffenbarten Wahrheit keine legitime Neutralität und kein Recht auf Ignoranz gibt:

„Man möge sich unterdessen daran erinnern, dass niemand gegenüber der Wahrheit (Gott, der Offenbarung, der wahren Religion) moralisch frei ist. Ihre Unkenntnis, wenn sie in direkter Weise freiwillig ist, insofern sie die Verweigerung dessen, was man zu wissen gehalten ist, beinhaltet, stellt sogar eine der schwersten moralischen Verantwortlichkeiten dar – vielmehr: die schwerste (…)“ (167).

Apropos Unkenntnis: Da Papst Franziskus in einer seiner vielen verunglückten Stellungnahmen den „Proselytismus“ ohne weitere Spezifikation als „Riesendummheit“ (solenne sciocchezza) verurteilte, gleichzeitig aber zur – ebenfalls nicht weiter spezifizierten – „Mission“ aufrief, ist folgende Bemerkung Gherardinis von plötzlicher Dringlichkeit:

„Es ist wahr, dass sich die Verurteilung des Proselytismus auf denjenigen erstreckt, der mittels Geldes, Versprechungen, Einschüchterung, Verleumdung und Nötigung vorgeht. Es ist aber auch wahr, dass man heutzutage von allen Kanzeln zum Proselytismus als solchem Nein sagt. Als ob er nicht zum Wesen der missionarischen Kirche gehörte“ (170).

Schlussfolgerung des Autors

Auch wenn Gherardini das Konzil nicht vollständig verwirft, sieht er doch klar den Zusammenhang der Konzilstexte mit den nachkonziliaren Verwirrungen und nennt Namen:

„Dass dann der liberale Geist der nachkonziliaren Epoche Freiräume für die Befreiungstheologien und die Theologien ‚im Genitiv‘ eröffnet hatte, stellt in der Tat kein Geheimnis dar. (…) K. Rahner, H. Küng, E. Schillebeeckx sind diejenigen Männer, die, wie ich schon öfter erwähnt habe, bahnbrechend waren, doch um sie herum tummelt sich die legio aus Mk 5,9“ (228f).

Gherardini sagt damit, dass die maßgeblichen Konzilstheologen vom Glauben abgefallen waren. Er rückt sie in die Nähe der „Legion“ von Dämonen, die der Herr aus dem Besessenen von Gerasa austrieb.

Keine unangemessene Bewertung.

Resümee

Nachdem heuer Gedenkveranstaltungen von inflationärem Ausmaß und ohne inhaltliche Bedeutsamkeit zum 50. Jahrestag des Abschlusses des Konzils (8. Dezember 1965) zu erwarten sind, haben wir jeden Anlass, dieses wichtige Buch gründlich zu konsultieren und daraus Konsequenzen abzuleiten. Besonders die österreichischen Bischöfe sollten das tun. Damit sich dann auch Politiker, Intellektuelle und Kulturschaffende danach richten können. Es wäre für alle von Nutzen.

In Zeiten enormen Konformitätsdrucks im Falschen und Revolutionären hat ein solches Buch geradezu konterrevolutionäres Potential.

Symptomatisch für unsere Zeit ist es demzufolge auch, dass in unseren Tagen ein verfehltes Konzil ausgerechnet von einem Papst wieder aufgegriffen wird, der mit dem Jesuitenorden einer Ordensgemeinschaft entstammt, die in fünfzig Jahren auf weniger als die Hälfte der Mitgliederanzahl gefallen ist (ca. 17.000).

Und die schon lange nicht mehr als katholische Vereinigung erkennbar ist.

Auch die Gesellschaft Jesu ist gleichzeitig Täter und Opfer der Apostasie in der konziliaren Kirche. Wo der Glaube verschwindet, verschwinden auch Vernunft und rechtes Wollen. Die (so gut wie) leere Hülle des Ordens wird im Dienst der weltlich Mächtigen für gründungsfremde Zwecke missbraucht.

Der Niedergang von Papsttum und Jesuitenorden, derzeit in einer einzigen Person versinnbildlicht, ist tragisch.

Und da, wie eingangs mit einem Zitat des damaligen Kardinals Ratzinger gesagt, der Zustand der Kirche sich unweigerlich auf den Zustand der Welt auswirken muss, sind die Irrungen eines verräterischen Konventikels von Kirchenführern und Theologen nahtlos auf Politik und Kultur übergegangen.

Das Buch wird daher auch dem politischen Beobachter, ob gläubig oder nicht, so manches Aha-Erlebnis liefern.

Ein großes Lob geht an die Übersetzerin, der eine sehr gut lesbare Textversion gelungen ist. Sie hat sich auch die Mühe gemacht, zahlreiche wertvolle ergänzende Erklärungen als Fußnoten anzufügen. Auch das Lektorat hat hervorragend gearbeitet.

Dank daher an Verleger und Übersetzerin und besonders an den Autor, dem wir zum 90. Geburtstag am 1. Februar herzlich gratulieren wollen!

Brunero Gherardini, Das Zweite Vatikanische Konzil – Ein ausstehender Diskurs, Deutsch von Claudia Barthold, Carthusianus-Verlag, Mühlheim/Mosel 2010, 239 S., 18.30 [A] http://carthusianus-verlag.de/ (Orig. Concilio Ecumenico Vaticano II – UN DISCORSO DI FARE, Casa Mariana Editrice, Frigento 2009)

MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe, Philosoph, Katechist

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