Europa gedenkt heuer des Ersten Weltkrieges, der eine historische Zäsur von ungeheuerlichem Ausmaß gewesen ist. Die Welt nach diesem Krieg ist eine grundlegend andere geworden; wir leben seither in einem neuen Zeitalter. Es hat noch keinen Namen, aber es ist, alles in allem genommen, das blutigste und grausamste Zeitalter der bisherigen Menschheitsgeschichte. Auch in der hiesigen Republik wurde des Weltkrieges „gedacht“ – und es ist dabei kaum eine Niederträchtigkeit ausgelassen worden, um damit das alte Österreich zu besudeln. Seine Kaiser, seine Generäle, seine Soldaten, seine politischen Strukturen, die Katholische Kirche.
Nicht, dass uns das überraschen sollte; es gehört zum politischen Alltag dieser Republik, freilich sei es hier erwähnt, auch um manifest zu machen, dass die Niedrigkeit dieser Tage sehr wohl zur Kenntnis genommen wird und Widerstand erfährt.
Kaiser Franz-Joseph habe in „verantwortungsloser Weise diesen Krieg entfesselt“, wird lautstark verkündet. Nebenbei in der Sommerfrische in Ischl sei der Krieg erklärt worden, heißt es. Es sei nicht mehr verhandelt worden, heißt es. Franz-Joseph habe den Krieg gewollt, heißt es.
Der Kaiser hat den Krieg nicht gewollt, und schon gar nicht hat er ihn vom Zaun gebrochen oder „entfesselt“. Den Krieg gewollt und herbeigezwungen haben die Mächte der Entente, also Russland, Frankreich und England, die sich ihrer vereinten Übermacht sehr bewusst gewesen sind. Kaiser Franz-Joseph ist der Herausforderung lediglich nicht mehr ausgewichen, weil es auch im Grunde keinen Spielraum mehr fürs Ausweichen gegeben hat. Und es ist nicht verhandelt worden, weil da nichts mehr zu verhandeln war.
Es war alles klar. Österreich war entschlossen, sich seiner schon damals laut angedachten Tranchierung zu widersetzen. Kein Staat der Welt kann über die Grundlagen seiner Existenz in Verhandlungen treten, wie es sehr viel später, aber sehr zutreffend der US-amerikanische Außenminister Kissinger geschrieben hat. Es ist auch nicht die österreichische Kriegserklärung an Serbien der Beginn des Weltkrieges gewesen, sondern die russische und die französische Mobilmachung. Und der eigentliche Beginn war ohnehin der Thronfolgermord von Sarajewo; das ist die eigentliche erste Kriegserklärung von 1914, die Serbiens an Österreich nämlich.
Das Kriegsmanifest Kaiser Franz-Josephs
„An Meine Völker!
Es war Mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die mir durch Gottes Gnade noch beschieden sind, Werken des Friedens zu weihen und Meine Völker vor den schweren Opfern und Lasten des Krieges zu bewahren. Im Rate der Vorsehung ward es anders beschlossen.
Die Umtriebe eines hasserfüllten Gegners zwingen Mich, zur Wahrung der Ehre Meiner Monarchie, zum Schutze ihres Ansehens und ihrer Machtstellung, zur Sicherung ihres Besitzstandes nach langen Jahren des Friedens zum Schwerte zu greifen. Mit rasch vergessendem Undank hat das Königreich Serbien, das von den ersten Anfängen seiner staatlichen Selbständigkeit bis in die neueste Zeit von meinen Vorfahren und Mir gestützt und gefördert worden war, schon vor Jahren den Weg offener Feindseligkeit gegen Österreich-Ungarn betreten.
Als ich nach drei Jahrzehnten segensvoller Friedensarbeit in Bosnien und der Hercegovina Meine Herrscherrechte auf diese Länder erstreckte, hat diese Meine Verfügung im Königreiche Serbien, dessen Rechte in keiner Weise verletzt wurden, Ausbrüche zügelloser Leidenschaft und erbittertsten Hasses hervorgerufen. Meine Regierung hat damals von dem schönen Vorrechte des Stärkeren Gebrauch gemacht und in äußerster Nachsicht und Milde von Serbien nur die Herabsetzung seines Heeres auf den Friedensstand und das Versprechen verlangt, in Hinkunft die Bahn des Friedens und der Freundschaft zu gehen. Von demselben Geiste der Mäßigung geleitet, hat sich Meine Regierung, als Serbien vor zwei Jahren im Kampfe mit dem türkischen Reiche begriffen war, auf die Wahrung der wichtigsten Lebensbedingungen der Monarchie beschränkt.
Dieser Haltung hatte Serbien in erster Linie die Erreichung des Kriegszweckes zu verdanken. Die Hoffnung, dass das serbische Königreich die Langmut und Friedensliebe Meiner Regierung würdigen und sein Wort einlösen werde, hat sich nicht erfüllt. Immer höher lodert der Hass gegen Mich und Mein Haus empor, immer unverhüllter tritt das Streben zutage, untrennbare Gebiete Österreich-Ungarns gewaltsam loszureißen. Ein verbrecherisches Treiben greift über die Grenze, um im Südosten der Monarchie die Grundlagen staatlicher Ordnung zu untergraben, das Volk, dem Ich in landesväterlicher Liebe Meine volle Fürsorge zuwende, in seiner Treue zum Herrscherhaus und zum Vaterlande wankend zu machen, die heranwachsende Jugend irrezuleiten und zu frevelhaften Taten des Wahnwitzes und des Hochverrates aufzureizen.
Eine Reihe von Mordanschlägen, eine planmäßig vorbereitete und durchgeführte Verschwörung, deren furchtbares Gelingen Mich und Meine treuen Völker ins Herz getroffen hat, bildet die weithin sichtbare blutige Spur jener geheimen Machenschaften, die von Serbien aus ins Werk gesetzt und geleitet wurden. Diesem unerträglichen Treiben muss Einhalt geboten, den unaufhörlichen Herausforderungen Serbiens ein Ende bereitet werden, soll die Ehre und Würde Meiner Monarchie unverletzt erhalten und ihre staatliche, wirtschaftliche und militärische Entwicklung vor beständigen Erschütterungen bewahrt bleiben.
Vergebens hat Meine Regierung noch einen letzten Versuch unternommen, dieses Ziel mit friedlichen Mitteln zu erreichen, Serbien durch eine ernste Mahnung zur Umkehr zu bewegen. Serbien hat die maßvollen und gerechten Forderungen Meiner Regierung zurückgewiesen und es abgelehnt, jenen Pflichten nachzukommen, deren Erfüllung im Leben der Völker und Staaten die natürliche und notwendige Grundlage des Friedens bildet. So muss Ich denn daran schreiten, mit Waffengewalt die unerlässlichen Bürgschaften zu schaffen, die Meinen Staaten die Ruhe im Innern und den dauernden Frieden nach außen sichern sollen. In dieser ernsten Stunde bin Ich Mir der ganzen Tragweite Meines Entschlusses und Meiner Verantwortung vor dem Allmächtigen voll bewusst. Ich habe alles geprüft und erwogen. Mit ruhigem Gewissen betrete Ich den Weg, den die Pflicht Mir weist.“
So hat es Kaiser Franz-Joseph in seinem Kriegsmanifest „An Meine Völker“ niederschreiben lassen. Und genauso ist es auch gewesen. Ein Dokument, das historische Größe atmet.
Von der Kriegsschuld
In den Krieg Österreichs mit Serbien hätte sich übrigens gar niemand einmischen müssen. Keine andere Großmacht außer Österreich war bedroht oder auch nur herausgefordert. Es ist kein englischer oder russischer Thronfolger niedergeschossen worden, und auch kein französischer Staatspräsident. Aber alle drei Mächte haben Serbien und haben einander für den politischen Mord von Sarajewo die Rückendeckung gegeben. Niemand hat Rußland oder Frankreich gezwungen zu mobilisieren, also das Schwert zu ziehen, um es bildlich zu verdeutlichen. Aber sie haben es getan, weil nämlich dieser Krieg von den liberalen und atheistischen Eliten des Westens gewollt und geplant war.
Es habe völlig unverständliche Kriegsbegeisterung gegeben, werden wir medial und pseudohistorisch belehrt. Unsere Groß- und Urgroßväter seien singend in den Krieg gezogen! Ja, das ist heute ganz unbegreiflich. Wer würde wohl für diese Republik und ihre Politfunktionäre in den Krieg ziehen? Warum auch? Die Kriegsbegeisterung von 1914 wird heute verurteilt. Ein politisches System, das mit der Tötung von hunderttausenden und aberhunderttausenden ungeborenen Kindern, das mit dem Massenmord am Fließband der Abtreibungskliniken seit Jahrzehnten kein Problem hat, ergeht sich in verlogenem Pazifismus und weichlichem Gewinsel, weil unsere Groß- und Urgroßeltern Krieg geführt haben.
Wie es der Selige Franz Jägerstätter, Bauer, Mesner und Märtyrer, sagte, der dem National-Sozialismus bekanntlich den Wehrdienst verweigert hat – „Für den Kaiser wäre ich in den Krieg gegangen“. Nein, wir müssen uns dessen nicht schämen, dass unsere Groß- und Urgroßväter für den Kaiser in den Krieg gegangen sind. Wir können stolz darauf sein. Und wir sollten stolz darauf sein.
Es ist wahr, wir sind damals zu einem ungünstigen Zeitpunkt einer gigantischen Übermacht gegenübergestanden. Das hat der alte Kaiser auch sehr deutlich gesehen, denn er war alt, aber nicht senil. Und er hat das Verhängnis geahnt; aber das Verhängnis war nicht unsere Schuld und von ihm auch nicht mehr abwendbar. Der Kaiser wird mit den Worten zitiert: „Wenn die Monarchie schon zugrunde gehen soll, dann soll sie wenigstens in Ehren zugrundegehen.“
Das hat der Kaiser und das haben viele bei uns damals sehr wohl auch als möglichen Kriegsausgang erkannt; man wusste, dass es um Sein oder Nichtsein geht. Aber man wusste auch, dass durch feiges Nachgeben das Unheil nicht mehr aufhaltbar war. Und in dieser Gesinnung sind damals auch die Völker der Monarchie dem Kaiser gefolgt. Und genau das ehrt auch die damaligen Generationen, denn es war das ein heroischer Akt der Selbstverteidigung und so auch ein gerechtfertigter Krieg.
Über die Niederlage
Wir haben diesen Krieg verloren. Die Konservativen haben oft die Kriege verloren. Sie haben verloren mit den letzten Legionen unter den Trümmern Roms; sie haben vergeblich Konstantinopel für die Christenheit halten wollen; sie haben verloren bei Culloden und in der Vendée, im Sonderbunds- und im Sezessionskrieg, bei Solferino und bei Königgrätz.
Wir haben 1918 verloren – auf beiden Seiten der Front übrigens. Die Engländer haben es nur erst später als wir gemerkt. Diese Auseinandersetzung ist sehr alt, und sie dauert auch heute fort. Es ist das die Auseinandersetzung zwischen uns und zwischen ihnen. Sie, das sind die Barbarenhorden, die das Römische Reich zertrümmern und Europa für ein halbes Jahrtausend ins Dunkel tauchen. Sie sind die Nivellierer, die Bilderstürmer, die nichts Schönes vertragen, weil es ihre Hässlichkeit entlarvt (frei nach Carl Amery, der seinerseits eine Erkenntnis aus Jakobitischer Literatur zitiert); sie, das sind die Cromwells und die Robespierres, die Lenins und Hitlers, die Sansculotten und die linken Kommissare, und heute die Emanzipierten und die Modernen.
Das Recht aber, das sollte uns immer bewusst bleiben, steht nicht automatisch beim irdischen Erfolg, auch wenn es schön ist, hier Erfolg zu haben. Das Recht steht beim Gekreuzigten, wie wir als Christen wissen sollten. Und, durch alle Niederlagen hindurch, das mag uns Trost und Ermutigung sein, sind wir nie völlig besiegt. Denn die Konservativen sind es, die letztlich, allen Gegenbehauptungen zum Trotz, die ächzende Welt zusammenhalten. Weil es ohne die grundlegenden Gefühle und Loyalitäten keine Zivilisation gibt; weil es ohne die wahren Werte, deren Verwaltung den Konservativen überantwortet ist, kein Überdauern des Menschen auf Erden geben kann.
Und aus dieser Einsicht heraus wird von den Konservativen in diesem Land nach wie vor gehandelt; denken wir nur an die schweren Nachkriegsjahre, den opfervollen Kampf um Österreich, den Wiederaufbau aus den Trümmern des Jahres 1945. Und dass Österreich heute immer noch ein Land ist, in dem man Menschlichkeit, Ritterlichkeit, Schönheit vorfindet, ist ganz wesentlich dieser Geisteshaltung zu verdanken. Denn das ist eben auch der Geist der alten Monarchie, der bis heute nicht verschwunden ist aus diesem Land; weshalb es auch immer noch ein gesegnetes Land ist. Es liegt auch an Ihnen, diesem Geist in den nachfolgenden Generationen Lebendigkeit zu bewahren. Das Kostbare und Wahre muss weitergegeben werden. Lassen Sie sich dazu ermutigen.
Dr. Albert Pethö, Historiker und Publizist, lebt in Wien.