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Jetzt gibt es also den Gasvertrag zwischen Russland, der Ukraine und der EU. Letztlich läuft er auf einen Kern hinaus: Die beiden slawischen Länder haben in Anbetracht des kommenden Winters gut gepokert; die EU zahlt und haftet auch für die russischen Forderungen an die Ukraine. Langfristig sind die Karten aber ganz anders gemischt.
Es dürfte schon so sein, dass kurzfristig der EU kaum eine andere sichere und Risiko-freie Option übriggeblieben ist, wenn sie europaweit die Gasversorgung garantieren will. Immerhin kommt ja rund ein Drittel des EU-Gases aus der Sowjetunion, wovon rund die Hälfte durch die Ukraine fließt. Das lässt sich vorerst nicht dauerhaft substituieren, auch wenn Europas Gasspeicher derzeit sehr voll sind.
Die EU ist vor allem unter dem Druck ihrer östlichen Mitgliedsländer gestanden, die vor einem kalten Winter bangen. Dabei hätten westliche EU-Länder durchaus gern mehr Härte gegenüber dem doppelten Bluff der beiden Pokerpartner gezeigt. London&Co tun sich aber natürlich viel leichter, weil sie vom russischen Gas weitgehend unabhängig sind.
Aber lang-, nein: mittelfristig schneiden sich Russland und die Ukraine ins eigene Fleisch. Der Ukraine sollte klar sein: Es ist nicht nur für Russland doppelt interessant geworden, möglichst rasch noch mehr Gas-Pipelines an der Ukraine vorbei zu bauen. Damit in der Ukraine niemand mehr das für Westeuropa bestimmte Gas aus den Transitleitungen anzapfen kann. Und damit die Ukraine nicht mehr die EU zur Haftung für ihre Schulden zwingen kann. Natürlich verringert es langfristig den Stellenwert der Ukraine deutlich, wenn der Transit nicht mehr durch ihr Gebiet geht.
Gleichzeitig ist es für Europa dreifach wichtig geworden, sich möglichst rasch aus der Abhängigkeit auch von Russland zu befreien. Diese Befreiung wird nicht primär durch den Bau von Russland- und Ukraine-freien Pipelines erfolgen, sondern vor allem auch durch die Errichtung von Anlagen, mit denen Flüssiggas aus anderen Kontinenten in westeuropäische Netze gebracht werden kann.
Russland hat nun endgültig seinen Nimbus verloren, dass es in guten wie schlechten Zeiten ein absolut verlässlicher Energielieferant ist. Wer seine Halb-Monopol-Stellung einmal für Erpressung missbraucht hat, kann nie wieder den Nimbus „teuer, aber verlässlich“ erreichen, den sogar die Sowjetunion hatte. Das wird viele Investoren abhalten.
Ob das alles von Wladimir Putin ganz bis ans Ende durchdacht gewesen ist? Man zweifelt. Ist doch Russland mit seiner ganzen Wirtschaft fast total von den Erträgnissen des Energie-Exports abhängig. Ist doch der Energiepreis (dank des nordamerikanischen Frackings) trotz der Krise weltweit auf Talfahrt. Da wäre eigentlich für Moskau die Herstellung von Vertrauen im europäischen Ausland die allerwichtigste Investition in die Zukunft gewesen, selbst wenn man als Preis die alten Ukraine-Schulden abschreiben hätte müssen.
Die EU hat es nicht gewagt, Russland zu zwingen, sein Blatt offenzulegen. Damit ist der Bluff in dieser Pokerrunde gut für Moskau (und Kiew) ausgegangen. Aber eben um den für Moskau hohen Preis, dass Europas Energieindustrie nun alles tun wird, um nicht in eine weitere Hasard-Partie mit diesen beiden unverlässlichen Ländern zu geraten.
Beim Gas-Dealen war überraschend wenig vom Krieg die Rede. Aber dennoch ist klar: Die nunmehrige Lösung reduziert, wenn sie längerfristig hält, die Gefahr für die Ukraine. Moskau verliert ja eines seiner stärksten Motive, sich die Ukraine wieder als Vasall zu unterjochen, und deswegen seinen Eroberungskrieg wieder aufzunehmen.
So ist der Gasdeal zusammen mit den westlichen Sanktionen und dem Kriegsunwillen der russischen Bevölkerung nun ein weiterer Grund zu leichter Zuversicht, dass der Frieden halten könnte. Zumindest ist er das, wenn Putin rational agiert und sich nicht vom chauvinistischen Furor treiben lässt, der ja derzeit seine Popularitätswerte deutlich erhöht (und es weiter tun wird, solange es keine neuen toten russischen Wehrpflichtigen gibt). Aber diese Rationalität Putins ist keineswegs sicher, wie europaweit die aggressiven Manöver des russischen Militärs derzeit zeigen.