Eminenz! Grundsätzlich sehen wir in der Einheit zwischen dem Bischof und seinen Gläubigen ein hohes und anstrebenswertes Ideal. Und wir stünden gerne in freudiger Übereinstimmung mit Ihnen. Leider machen Sie es uns diesbezüglich sehr schwer. Sie haben sich, wieder einmal ganz im Mainstream stehend, „selbstkritisch“ zum beliebten Thema „Kirche und National-Sozialismus“ geäußert: In der Gratisgazette „Heute“ zu den national-sozialistischen Novemberpogromen von 1938 unter dem Titel „Als die Synagogen brannten“.
Nicht, dass wir Stellungnahmen des Episkopates zu geschichtlichen Ereignissen für unangebracht hielten; ganz im Gegenteil. Die Kirche verwaltet die wahren Maßstäbe; der Klerus hat die Verpflichtung, sich hier zu äußern. Nicht dem Umstand mahnenden Erinnerns, sondern der von Ihnen vorgenommenen Akzentsetzung widersprechen wir. Sie verweisen auf ein Geschehen vor 75 Jahren in Mitteleuropa; auf damals begangenes Unrecht; auf die Plünderung und Zerstörung von über 1000 Synagogen und rund 7500 jüdischen Geschäften und Wohnungen. Sie erwähnen die Verwüstung jüdischen Eigentums auch in Wien.
Und dann erfolgt eine sehr spezielle Wertung; wir zitieren Sie: „Wie war es damals? Heute wissen wir, dass es der Startschuss für … die gezielte, geplante Vernichtung des jüdischen Volkes war. Dass es damals kaum klare Proteste gab … von den Kirchen, gab Hitler freie Hand … Schmerzlich müssen wir heute dieses weitgehende Schweigen eingestehen … Als Christen haben wir aus diesem Versagen gelernt …“.
Ihre Ausführungen, Eminenz, sind fragwürdig, wenngleich mit Sicherheit einer Vielzahl der derzeit politisch Mächtigen angenehm. Ihre Ausführungen sind nicht zu kritisieren, was Ihr Urteil über jene empörenden Übergriffe betrifft, die Sie erwähnen, aber sie sind fragwürdig, was Ihr Urteil über die Kirche betrifft.
Einflussreiche Kreise haben heute offenkundig großes Interesse daran, das Ansehen der Katholischen Kirche zu zerstören, diese zu instrumentalisieren, zu enteignen, als eigenständigen gesellschaftlichen Faktor auszuschalten. Ist Ihnen das noch nie aufgefallen? Endet Ihr historisch-politischer Horizont bei der „Nazi-Zeit“? Sind Sie der Meinung, dass ausschließlich der längst vergangene Hitler ein Kirchenhasser gewesen ist? Glauben Sie, dass heutzutage niemand mehr in gehässiger, gieriger, niedriger, verlogener Weise gegen die Kirche agiert?
Der Christliche Glauben soll ja ganz offensichtlich, wenn es nach den Wünschen derzeitiger politischer „Eliten“ in Europa geht, demontiert werden. Darum hört man beispielsweise auch so wenig davon, dass in den 1920er und 30er Jahren auch Kirchen und Klöster gebrannt haben, in Spanien beispielsweise, wo sie von den Bolschewiken und Anarchisten angezündet worden sind.
Die National-Sozialisten haben sich neben der Synagogen auch der Klöster angenommen, mit ebenfalls wenig freundlicher Absicht – wie bekannter sein sollte, als es ist; stets hat der „Fortschritt“ in seinen diversen Gestalten gegen die Klöster gezielt, auch das wäre ein Thema für eine Erzbischöfliche Betrachtung zur Geschichte. In Rußland hat Stalin in jenen Jahren einen großen Teil der Kirchen Moskaus weggerissen; und unsere Gegenwart wandelt sich so rasch ins Bösartige, dass derlei bald wieder ins Haus stehen könnte – bei uns, denn in Rußland baut man heute die Kirchen wieder auf.
Und was machen Sie, Eminenz? Sie erklären bei erstbester Gelegenheit, dass „es damals“, in jener zur politischen Punzierung heute so gerne herangezogenen „Nazi-Zeit“, „kaum klare Proteste gab … von den Kirchen“, und dass dies „Hitler freie Hand“ gegeben habe, „seine mörderischen Pläne anzugehen“. Also die „Kirchen“ sind schuld, wie Sie als Kardinal nicht anstehen, hier anzudeuten? Vorzugsweise natürlich die eine, die große und wahre Kirche, die Katholische?
Über das Schweigen
Sie schreiben: „Schmerzlich müssen wir heute dieses weitgehende Schweigen eingestehen. Jene einzelnen Stimmen, die sich erhoben und sich auf die Seite der Verfolgten stellten, waren viel zu wenige. Als Christen haben wir aus diesem Versagen gelernt.“
Tatsächlich, Eminenz, und gilt das auch für Sie selbst? Haben Sie gelernt, sich mutig auf die Seite der ungerecht Verfolgten zu stellen? Und haben Sie da nicht ein paar historische Details übersehen? Was ist mit den Stellungnahmen der Kirche, der einen wahren und vollständigen, der Katholischen nämlich, gegen die nationalsozialistische Rassenlehre? Nicht erst jetzt, Eminenz, schon damals, in den 1930er Jahren!
Nie gehört? Alles Schweigen? Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ sollte Ihnen doch bekannt sein; direkt gegen den National-Sozialismus gerichtet. Lange vor anderen. Vergessen?
Könnte und sollte man nicht viel eher, noch dazu als Kardinal und Erzbischof, darauf hinweisen, dass die Kirche, damals ihrer weltlichen Macht großteils schon entkleidet, sehr wohl versucht hat, zu verhindern, was immer nur sie verhindern konnte? Gewiss, in der Zeit der national-sozialistischen Besatzung war ein großer Teil des mitteleuropäischen Klerus mundtot gemacht; den Mund aufzumachen, hätte bedeutet, das Martyrium zu riskieren.
Ist übrigens einigen aus dem Katholischen Klerus ja auch zugestoßen, nicht wahr. Und den einen oder anderen Bischof gab es ja auch, der selbst damals den politisch Mächtigen nicht nach dem Mund geredet hat, denken wir nur an den Bischof von Münster. Wäre vielleicht für Sie, Eminenz, heute ein bedenkenswertes Vorbild.
Damals war Widerspruch, gar Widerstand, halt lebensgefährlich. Heute sind wir noch nicht so weit; man kann noch widersprechen. Tun halt wenige der gegenwärtigen Bischöfe hierzulande. Oder? Wann haben Sie, Eminenz, sich, beispielsweise, mutig und in deutlichen Worten öffentlich gegen die Abtreibung geäußert? Clemens Graf Galen, Bischof von Münster, hat, wenn wir uns recht erinnern, gegen die Euthanasie gepredigt, von der Kanzel, was gefährlich war, damals, in der „Nazi-Zeit“.
Wann haben Sie jemals von der Kanzel gegen die Abtreibung gepredigt? Oder gegen die linken totalitären Zwangstagsschulvorhaben? Gegen die unerträgliche linksextreme, blasphemische, pornographische und menschenverachtende „Kultur“-Politik hierzulande und gegen deren Kosten? Gegen die ganzen und völlig einseitig gehandhabten „Antidiskriminierungs“-Einschränkungen der freien Rede? Gegen die politischen Verfälschungen der Geschichte, mit dem Zweck, alles Gute aus der Vergangenheit verächtlich zu machen und speziell das alte und erhabene Katholische Österreich zu besudeln?
Denn Katholische Gesellschaftsmodelle sind als Vergleichsmaßstäbe zur Gegenwart besonders verhasst, weil nämlich potentiell sehr anziehend und wirkmächtig. Und was machen Sie gegen die Verfolgung von Katholiken, die sich dieses Recht zur freien Rede nicht nehmen lassen wollen, durch die Justiz der Republik (die Fälle Doppelbauer, Adam, Gehring sind da ganz aktuell; das Skandalurteil von Krems ist bereits vorliegend). Wir haben keinen Protest Ihrerseits wahrgenommen.
Wo mögen sie nur geblieben sein, die „klaren Proteste“, deren angebliches Ausbleiben in der Vergangenheit Sie der Kirche als „Versagen“ zuordnen? Sie tragen das Kardinals-Purpur, die Blutfarbe, weil ein Kardinal der Kirche jederzeit bereit sein sollte – nein, nicht zum Appeasement an linke Machthaber, sondern vielmehr zu etwas anderem: zum Einstehen für Glauben, ungerecht Verfolgte, Wahrheit. Bis zur letzten Konsequenz.
Über den Protest
1938, während der Pogrome, wurde also von den Christen und der Kirche geschwiegen. Aber wie hätte man denn protestieren können, im besetzten und unterworfenen Österreich? Hätten denn Sie, Eminenz, damals das eigene Leben für weithin hallenden Protest riskiert? Im Oktober 1938 war erst das Erzbischöfliche Palais gestürmt worden; lediglich auf die Worte des Kardinals Innitzer hin, dass Christus unser Führer ist. Ein Kleriker ist wegen dieser Worte seines Bischofs aus dem Fenster auf den Stephansplatz geworfen worden.
Wir sagen nun nicht, dass Innitzer besser geschwiegen hätte; durchaus nicht. Seine Worte waren die Ehrenrettung für einen sich damals nicht als besonders stark erweisenden Episkopat. Hat sich daran heute etwas geändert? Es sollte uns aber bewusst sein, dass der Ungehorsam gegenüber der Tyrannei Opfer fordert, damals wie heute.
Es hat eine befremdliche Optik, Eminenz, wenn jemand wie Sie, von dem man wirklich nicht den Eindruck übergroßer Tapferkeit hat, den vergangenen Generationen und Amtsbrüdern im Bischofsamt, mainstreamgefällig heute mangelnden Mut vorhält. Wäre da nicht eher „vor der eigenen Türe zu kehren“? Und meinen Sie wirklich, Eminenz, dass man einen Hitler durch „klare Proteste“ (so wichtig die damals gewesen und so wichtig die heute wären, zum richtigen Zeitpunkt und gegen die wirklichen Übelstände), meinen Sie also wirklich, dass man ihn so einfach von seinen Plänen hätte abbringen können? Was meinen Sie mit „klarem Protest“ und wie handhaben Sie solchen?
Worte können mächtig und sie können machtlos sein. Und manchmal müssen den Worten Taten folgen. Die uns bekannte Form des von Ihnen bevorzugten öffentlichen Protestes scheint uns nicht sehr wirkungsvoll. Glauben Sie denn, dass während des Blutbades der französischen Revolution etwa wahnsinnige Verbrecher wie Marat oder Robespierre durch schönbornschen „klaren Protest“ von irgendetwas hätten abgehalten werden können? Den einen musste man in der Badewanne abstechen, dem anderen den Kopf abschlagen, damit endlich Ruhe war.
Das war bei Hitler nicht anders. Als Österreich und Preußen damals Protest erhoben, gegen die Greueltaten der Revolution, hat ihnen das revolutionäre Frankreich einfach den Krieg erklärt. Und basta. Der einzige „klare Protest“, der bei Napoleon gewirkt hat, war Moskau, Leipzig und Waterloo; der einzige „klare Protest“, den Hitler verstanden hat, waren die Russen vor seinem Berliner Bunker. Und hätte der große und weise (und wahrscheinlich wesentlich mutiger als gewisse österreichische Bischöfe agierende) Papst Pius XII. nicht geschwiegen (er hat statt dessen Taten gesetzt, was Sie eigentlich auch wissen sollten), dann hätten unbedachte Worte aus seinem Mund abertausenden Weiteren im national-sozialistischen Machtbereich das Leben gekostet und man würde heute vom „blutigen Pius“ faseln, dessen unverantwortliche Rede schuldhaft ungeheures Leid über Europa gebracht habe.
Über die historische Betrachtung
Sie, Eminenz, pflegen historische Betrachtung mit markanten Auslassungen. Wo ist etwa das ehrende Erinnern an den tapferen Katholiken und Österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß? Der Widerstand, den er bis zum Opfer seiner selbst durchgehalten hat, hat Österreichs Okkupation durch Hitler für nahezu vier Jahre aufgehalten. Jahre, in denen Österreich ein Bollwerk der Freiheit geblieben war, auch und gerade für das verfolgte Judentum.
Und wie ist der Dank eines heutigen und an den unheiligen „Geist der Zeit“ überangepassten Klerus an diesen konsequent ein Katholisches Österreich verteidigenden Bundeskanzler Dollfuß? Dank an einen, der nicht „geschwiegen hat“? Man distanziert sich! Ein Distanzierungstaferl am Domportal von Linz, wo eine Inschrift an Dollfuß erinnert; und ein eiliger Bischöflicher Befehl, damit ein Dollfuß-Bildnis von der Wand einer Kirche entfernt wird, in Sankt Pölten; und noch ein weiteres Distanzierungstaferl, an der Christkönigs-Kirche im XV. Bezirk von Wien, die, sehr zum Ungemach für fortschrittlichen Gegenwartsklerus, einen Gedenkstein für den Priesterkanzler Seipel und den Helden- und Märtyrerkanzler Dollfuß vor der Fassade aufgestellt hat.
Wir zitieren: „Dieses Denkmal mit den Würdigungsworten für die Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel und Dr. Engelbert Dollfuß spiegelt die Situation Österreichs um das Jahr 1934 wider. Es bleibt nur als Zeitdokument und als Bestandteil dieses Kirchenbaues erhalten. Von den autoritären Aspekten der Politik von Seipel und Dollfuß distanziert sich die katholische Kirche heute auf allen Ebenen. Sie bekennt sich ausdrücklich …“ BlaBla „…lehnt Gewaltanwendung …“ BlaBla „… ist offen gegenüber …“ BlaBla …
Ein anständiger oder doch vielleicht eher ziemlich opportunistischer Text? Wir sind auch Kirche, Eminenz, und wir distanzieren uns nicht; wir bekennen uns vielmehr ausdrücklich zu Seipel und Dollfuß. Kann man denn einen Klerus noch ernst nehmen, der sich beständig für die Vorvorderen „entschuldigt“, sich von ihnen distanziert, sich peinlich berührt von den Großen und Treugebliebenen und Märtyrern einer vergangenen Zeit abwendet, weil einem das von den mickrigen Machthabern der Gegenwart anbefohlen wird?
Hat uns nicht Christus ein ganz anderes Beispiel gegeben? Sagt uns nicht unser Gewissen, dass derlei gegenwärtiges Herumdistanzieren einfach unehrenhaft, unwahrhaftig, undankbar, unedel ist? Wie können wir stolz sein auf unsere Bischöfe, was wir an sich wollten, wie können wir ihre geistliche Führung akzeptieren, angesichts dessen, was wir hier mit ansehen müssen?
Kurzes Schlusswort zum Versagen
„Als Christen haben wir aus diesem Versagen gelernt“, wie Sie schreiben, Eminenz. Tatsächlich? Haben wir das? Nun, wir wollen uns bemühen und hoffen, dass wir selbst auch immer den Mut aufbringen werden, den wir von Ihnen fordern.
Aber da wären natürlich auch ein paar Gesten, die Sie setzen könnten. Zur Buße für das Versagen und zum Zeichen, dass auch Sie „gelernt haben“. Zum Beispiel dieses unwürdige Distanzierungs-Taferl an der Christkönigskirche entfernen lassen. (Fürchten Sie nicht, dass solche Taferln dereinst Zeugnis gegen Sie ablegen werden)? Und Sie könnten endlich ein Denkmal für den Helden- und Märtyrerkanzler im Stephansdom anbringen lassen, in der Barbara-Kapelle beispielsweise, zum Ausgleich für die kommunistische Schwester-Restituta-Verunehrungsbüste daselbst.
Die Schwester Restituta war eine tapfere und beispielhafte Katholikin; ihr Andenken sollte hoch geehrt sein; ein derartiges „Denkmal“ ist eine Beleidigung; vor allem für sie, und dann auch für uns. Ihnen, Eminenz, wünschen wir persönlich alles Gute; wir meinen, dass Sie ein bedeutender Intellekt sind und ein großer Theologe sein könnten; Ihre Kirchenpolitik halten wir für skandalös. Uns wünschen wir Ihren Rücktritt vom Amt des Wiener Erzbischofs.
Dr. Albert Pethö, Historiker und Publizist, lebt in Wien.