Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Angela Pyrrhus

Der gewaltige Wahltriumph der Angela Merkel wird sich als ein schlimmer Pyrrhus-Sieg erweisen. Denn sie hat gemäß dem endgültigen Ergebnis die in der Nacht ein paar Stunden greifbar scheinende absolute Mehrheit doch verfehlt. Und sie steht nun einer knappen, aber doch klaren Mehrheit von drei Linksparteien gegenüber.

Wohl wird diese Mehrheit eher nicht eine Regierung bilden. Die Sozialdemokraten wissen zu genau – zumindest solange dort Steinbrück und Steinmeier das Sagen haben –, dass diese Koalition mit DDR-Apologeten und westdeutschen Linksradikalen sofort zum Gespött werden und an den inneren Differenzen zerbrechen wird. Aber die SPD wird sich im Gegensatz zur letzten Wahl extrem teuer verkaufen und Merkel das Leben sehr schwer machen.

Möglicherweise tut die SPD das auch schon bei der Regierungsbildung. Diese könnte sehr leicht dann scheitern. Dann werden auch Verhandlungen CDU-Grüne oder auch Neuwahlen – als unwahrscheinlicher, aber nicht auszuschließender Fall – denkbar. Natürlich würde das Wort „Neuwahl“ erst nach ein paar Monaten des vergeblichen Ringens hinter Polstertüren und am Verhandlungstisch ausgesprochen werden.

Man muss sich die Absurdität immer wieder bewusst machen: Deutschlands Wähler haben eine Bewegung nach rechts gemacht – aber die Zusammensetzung des Bundestags und damit wohl auch die Politik der künftigen Regierung gehen nach links. Das ist zwar genau das, was die Mehrheit nicht gewollt hat. Aber die CDU wird keine Alternative haben, als entweder letztlich baldige Neuwahlen zu riskieren (in Deutschland ein absolut ungewöhnlicher Vorgang und bei einer Merkel doppelt unvorstellbar) oder noch weiter nach links zu rücken, egal in welcher Koalition oder auch als Minderheitsregierung. Als ob die Merkel-CDU nicht ohnedies schon in den letzten Jahren viel weiter nach links gerückt wäre, als sie es jemals ihren Wählern eingestanden hat. Und als es die CDU/CSU-Wähler wollen.

Dabei hat Merkel etwas andernorts nahezu Unvorstellbares geschafft: Überall werden in den Jahren der Wirtschaftskrise die Regierungsparteien abgestraft und meist abgewählt. Egal ob links oder rechts. Nur in Deutschland nicht. Dort ist zwar die FDP bestraft, aber die CDU bejubelt worden. Dennoch ist das eben ein Pyrrhus-Sieg für sie, ja letztlich geradezu ein strategisches Desaster.

Hauptschuld daran ist die Zersplitterung der bürgerlichen Stimmen. So viele Stimmen wie noch nie seit Gründung der Bundesrepublik sind diesmal ohne Gegenwert in Mandaten geblieben. Über 15 Prozent der abgegebenen und gültigen Stimmen haben sich in Rauch aufgelöst. Absolut dramatisch. Und das passierte überwiegend im bürgerlichen Lager.

Die Stimmen von „ProDeutschland“ hätten der „Alternative für Deutschland“ in den Bundestag geholfen. Oder: Alleine die „Alternative“ und die FDP hätten zusammen mit über neun Prozent die drittgrößte Partei des Landes gebildet. Dieses Potential nicht genutzt zu haben, ist ein schweres Versäumnis. Die einen hätten endlich erkennen müssen, dass die ständige Kreditgewährung an leichtlebige Schuldnerländer das Gegenteil von liberaler Ordnungspolitik und den Wünschen ihrer Wähler ist. Die anderen hätten einsehen müssen, dass Neugründungen auf der grünen Wiese letztlich fast immer chancenlos sind – auch wenn die Alternative gewiss einen Achtungserfolg erzielt hat.

Jetzt wird es extrem mühsam, vielleicht gemeinsam für die nächsten Wahlen ein liberales Projekt neu aufzustellen, das seine PS auch auf die Straße bringt. Inzwischen wird aber wohl die europäische Währungsfiktion endgültig kollabieren, weil niemand mehr die deutschen Spar-Forderungen ernst zu nehmen braucht. Inzwischen wird es in Deutschland wie auch in Europa noch mehr linke Gesellschaftspolitik von der Verstaatlichung der Kinder bis zur weiteren Einschränkung der Meinungsfreiheit geben. Inzwischen wird in Deutschland öffentlich nur noch ganz selten eine liberale Stimme zu hören sein.

Ich selber hätte in Deutschland wohl die Alternative gewählt (wie immer eben als „geringeres Übel“). Jetzt säße ich ohne einen einzigen Abgeordneten da, den meine Stimme ins Parlament gebracht hätte. Das wäre vier Jahre lang jetzt ziemlich schockierend und frustrierend geworden (das ist nun das viel „größere Übel“).

Das wird jedenfalls auch mein österreichisches Wahlverhalten beeinflussen, selbst wenn theoretisch eine der heimischen Wackel-Parteien meine Auffassungen ein wenig besser widerspiegeln würde als eine der sicher in den Nationalrat einziehenden. Denn bei einer Wiederholung der deutschen Entwicklung wäre mein Hauptmotiv zunichte gemacht: möglichst wirksam gegen die beiden Linksparteien und (fast) all ihre Vorstellungen von Wirtschaft und Gesellschaft zu stimmen.

PS: Die Wahlbeteiligung ist in Deutschland übrigens minimal gestiegen, aber mit 71,5 Prozent noch immer viel schlechter, als sie jemals in Österreich war. Und auch da war sie ja zuletzt schon recht tief. Dennoch ist nach dieser deutschen Wahl erneut das, was Nichtwähler damit vielleicht ausdrücken wollten, völlig irrelevant geblieben. Keine Sekunde denkt jemand daran oder diskutiert gar über eventuelle Botschaften der Nichtwähler. Und das sind angesichts ihrer Größe keineswegs nur-Hartz IV-Empfänger. All diese Nichtwähler haben die Chance versäumt, sich zwischen den einzelnen Übeln das geringere auszusuchen. Das macht mitschuld am größeren Übel.

 

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung