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Sieben Jahre lang war der Nürnberger Gustl Mollath in einem psychiatrischen Krankenhaus interniert. Bis ihn jetzt endlich ein Gericht freiließ. Die Ursache des Justizskandals: Das ist die viel zu große Macht, die Psychiater und andere Psych.-Berufe errungen haben. Und diese Macht ist viel bedrohlicher als das parteipolitische Vorwahlgezänk, das in Deutschland um den Fall Mollath entbrannt ist.
Ohne in die Details des Falles eintreten zu wollen: Alles hat mit gegenseitigen Vorwürfen und Anzeigen im ehelichen Rosenkrieg begonnen. Daraus entstand das Drama des Herrn Mollath: Gerichtsgutachter attestierten ihm gravierende psychische Störungen und Wahnvorstellungen.
Ein Hauptgrund für diese Gutachten war, neben den Vorwürfen seiner Frau: Mollath hatte – im Gegenzug zu den ihn treffenden Anschuldigungen seiner einst besseren Hälfte – dieser (sowie etlichen ihrer Kollegen und Kunden) vorgeworfen, in ihrem Bankjob bei der HypoVereinsbank in Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäfte verwickelt zu sein.
Die Justiz und die Psychiater glaubten ihm aber nicht, gingen den Vorwürfen auch nicht sonderlich nach, sondern nähten ihn unbefristet in der Klinik ein. Dort wurde er seither behalten, denn dort traf ja dann ein weiterer Psych.-Vorwurf sogar wirklich zu: Der Mann zeigte keine Einsicht, dass er krank ist. Er kämpfte vielmehr immer weiter um die Wiedergewinnung seiner Freiheit. Lange Zeit vergeblich.
Aber dann passierte das Unerwartete: nicht die Justiz oder Polizei oder gar ein Psych., sondern ein interner Revisionsbericht der Bank fand heraus, dass Mollaths Vorwürfe zumindest großteils zutreffen. Was jedenfalls für die Bank spricht. Dennoch gab es noch etliche ablehnende Entscheidungen zu seinen Anträgen. Erst jetzt ließ ihn ein Obergericht in Freiheit setzen.
Ein beklemmender Justizskandal. In dessen Kern finden sich gleich zwei deprimierende Aspekte, die man immer öfter auch in Österreich beobachten kann: Erstens ist das die neuerlich bestätigte Tatsache, dass Polizei und Justiz nur ungern zum Umdenken bereit sind, wenn sie einmal in die falsche Richtung galoppieren. Zu ihren Galoppier-Stereotypen zählt etwa in Ehekriegen halt auch oft automatisch: Der Mann ist der Böse.
Noch beängstigender ist der zweite Aspekt: Das ist die viel zu große Macht, die Psychiater und Psychologen über unser Leben errungen haben. In allen möglichen Bereichen.
Über manche Aspekte dieses Psychosiegs könnte man ja fast lächeln, wenn nicht die Anlässe traurige wären: Heute kann fast kein Unglücksfall mehr passieren, ohne dass nicht sofort Psych.s auf Angehörige und Überlebende losgelassen würde. Früher hat einen halt – wenn man es überhaupt wollte – ein Priester unentgeltlich getröstet; aber diesen Beruf hat man ja längst zur Seite gedrückt (und es gibt auch viel zu wenig von ihnen). Jetzt wird hingegen ständig nach dem Psych. als fixem Bestandteil eines Unglücksablaufs gerufen.
Heute kann auch kaum ein Kind mehr Probleme in der Schule haben oder heftig pubertär werden, ohne dass es nicht sofort zu Psych.s geschickt wird, wo es mit Pillen oder kostspieligen Therapien gequält wird. Man wundert sich geradezu, dass es vor dem Psych.-Boom überhaupt jemanden gegeben hat, der seine Pubertät, seine Schulprobleme oder einen Unglücksfall überstanden hat.
Noch schlimmer: Am Beginn vieler Berufslaufbahnen - etwa eben auch des Richterberufs! - stehen psych. Gutachten. Mit vielen fragwürdigen Tendenzen. So berichten empörte alte Richter, dass manche höchstqualifizierte Richteramtsanwärter abgewiesen worden sind, weil ein Psych. gemeint hat, ein religiöser Mensch könne doch nicht ein guter Richter sein.
Über die Rolle der Psych.s in der Justiz kann man aber nicht einmal aus der Distanz lächeln. Denn dort maßen sie sich an, in Situationen die Wahrheit herauszufinden, wo diese einfach nicht herausfindbar ist. Viele Richter schließen sich aber allzu oft bedenkenlos den Psych.-„Erkenntnissen“ an. Statt den wunderbaren alten Rechtsgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ zu praktizieren, freuen sie sich über ein Gutachten, in dem ein Psych. behauptet, die Wahrheit herausgefunden zu haben. Und schon können die Richter ein „auf Gutachten gestütztes“ Urteil verkünden, das dann angesichts dieser Stütze meist auch in der Instanz hält.
Wie ist das Leben doch dadurch für die Richter leicht geworden! Sie müssen sich nicht mehr mit alten Rechtsgrundsätzen oder mit der philosophischen Erkenntnis „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ begnügen. Wunderbar. Die Wahrheit ist ja heutzutage nur jeweils ein Gutachten entfernt.
Das ist freilich für viele Opfer dramatisch. Denn in aller Regel können sie ja nicht mit dem Mollath-Zufall rechnen, dass zumindest Jahre später eine Bankrevision die Wahrheit aufdeckt und die Psychs. Lügen straft.
Man denke nur über den Fall hinaus. In wie vielen familienrechtlichen Konflikten verkünden die Psych.s bloße persönliche Meinungen als Wahrheiten, wie viele Kinderschicksale werden durch sie – bisweilen nach wenigen Minuten Diagnose! – entschieden. Was die Rolle der Psych.s besonders dramatisch macht: Immer öfter wird gerade bei Scheidungskriegen ein „Missbrauch“ erfunden und in die Schlacht geworfen. Gegen den (Ex-)Mann, gegen den neuen Freund der Mutter. Fast nie gibt es jedoch Beweise. Dennoch wird allzu oft ein Psych. zum allmächtigen Entscheider, der so tut, als könnte er alles herausfinden.
Einer aus ihrer Gilde hat vor kurzem in einem konkreten Fall diagnostiziert, ein tatverdächtiger Jugendlicher wäre noch zu unreif gewesen, um das Verbotene seiner Tat einzusehen. Der selbe Jugendliche ist aber davor nicht zu unreif gewesen, um Passanten mit Hilfe eines Messers um Handy und Bargeld zu erleichtern. Aber offenbar hat er halt nicht gewusst, dass man das eigentlich nicht tun sollte. Und daher könne man ihn doch nicht bestrafen.
Ein anderer Psych. hat sogar behauptet, dass 90 Prozent aller jugendlichen Straftäter eigentlich psych. Fälle seien. Das heißt natürlich im Klartext: All diese 90 Prozent gehören eigentlich ihm und seinen Berufskollegen.
Wenn solche Wahrheitsspender und Gurus Gehör finden, hört sich letztlich der Rechtsstaat auf. Denn die logische Folge aus all dem ist ja die Abschaffung von Straf- und Familiengerichten und ihre Ersetzung durch die Weisheit der allwissenden Psych.s.
Woher kommt dieser absurde Trend? Drei Wurzeln sind wohl entscheidend:
Zum ersten ist es für jeden Menschen, also auch einen Psych., sehr verführerisch, wenn ihm a priori die Behauptung abgenommen wird, dass er die Wahrheit kennt. Es erhöht das eigene Ego ungemein, wenn man das anderen einreden kann. Warum sollte man da zugeben, dass man eigentlich nur Vermutungen äußert, oder gar, dass man bloß aktuellen (Psych.-)Modetrends folgt?
Zum zweiten ist das gutachterliche Urteilen über andere Menschen eine einträgliche Einnahmequelle. Das ist selbst dann der Fall, wenn man sich mit seinen „Objekten“ eingehender, also zeitaufwendiger zu befassen bereit ist und nicht bloß eine Viertelstunde lang.
Und zum dritten ist dieser Trend eine logische Folge der reinen Quantität. Denn die Menschen mit irgendeiner Psych.-Ausbildung werden ja immer zahlreicher. Und wie in vielen anderen Bereichen gilt auch hier: Wenn es nicht genug Arbeit für eine Berufsgruppe gibt, schafft sie sich halt welche.
Aber schuld an dem Irrweg sind eigentlich die Richter, die Lehrer – und wir alle. Denn wir trauen diesen Psych.s viel zu viel zu. Wir fallen immer wieder auf ihre wissenschaftlich verbrämte Durchblicks-Attitüde hinein. Und mangels anderer Orientierungen gefällt uns das auch oft. Sind doch Seele und/oder Geist für die meisten von uns sowieso so etwas wie eine Blackbox. Uns ist jedenfalls das Psych.-Gerede viel lieber als die Erkenntnis, dass sich die Wahrheit gerne der menschlichen Erkenntnis entzieht. Das kennen wir ja auch in anderen Bereichen, wo Menschen massenweise und leichtgläubig einem Guru folgen. Umso lieber, je abstruser er ist.
Das alles heißt nun gewiss nicht, dass ich automatisch alle Psychologie und Psychiatrie für einen Nonsens halte. Aber den Psych.s stünde – wie vielen anderen Berufen – ein ordentliches Stück Demut und Bescheidenheit dringend an.