308.957 Euro – das ist verdammt viel Geld. Je nach Präferenz kann man dafür vierundzwanzig fabrikneue Autos (Typ Seat Ibiza) kaufen oder als Hausbesitzer in eine gemütliche Villa einziehen. Man kann natürlich auch dreißigtausend Mal zum Chinesen Mittagessen gehen. Wie gesagt, die Präferenzen sind verschieden.
308.957 Euro – das ist exakt jene Summe, die das österreichische Kunstministerium (BMUKK) in den Jahren 2001 – 2011 zur Unterstützung und zum Vorteil eines gewissen Dr. Menasse zur Verfügung stellte.
Nun tauchen zwei Fragen auf. Erstens: Wer zum Kuckuck ist dieser Dr. Menasse eigentlich? Antwort: Robert Menasse, Dr. phil., ist ein Wiener Schriftsteller, der Romane und zeitkritische Essays schreibt. Laut Aussage des Philosophen Konrad Liessmann bezeichnete Menasse sich selbst als Produzent von „Weltliteratur“ – eine Eigendefinition, deren Berechtigung hier mangels Wissen über Verbreitung und Verkaufszahlen Menassescher Bücher nicht näher diskutiert werden kann.
Die zweite Frage lautet: Was hat es mit den genannten 308.957 Euro auf sich, die das österreichische Kunstministerium zum Vorteil des Herrn Menasse in den Jahren 2001 - 2011 aus seinem Budget abzweigte? Antwort: Diese Summe setzt sich zusammen aus sechsundzwanzig Einzelförderungen und Abgeltungen, die in der nachfolgenden Tabelle detailliert aufgelistet sind. 289.357 Euro waren „direkte“ Geldflüsse auf das Konto Robert Menasses, 19.600 Euro waren „indirekte Förderungen“ (Übernahme von Übersetzungskosten durch das BMUKK).
Tabelle der BMUKK-Einzelförderungen und Abgeltungen:
Jahr |
Art der Förderung |
Betrag |
2001 |
Werkstipendium |
4.380,- (Umrechnung aus ATS) |
2003 |
Erich-Fried-Preis |
14.600,- |
2004 |
Reisestipendium |
2.277,- |
|
indirekte Förderungen (Übersetzungskosten) |
2.200,- |
|
Werkstipendium |
6.000,- |
2005 |
Werkstipendium |
6.000,- |
|
Reisestipendium |
500,- |
2006 |
Werkstipendium |
6.000,- |
2007 |
Werkstipendium |
6.000,- |
|
indirekte Förderungen (Übersetzungskosten) |
3.400,- |
2008 |
Werkstipendium |
6.000,- |
|
Kostenerstattung Computer |
1.200,- |
|
indirekte Förderungen (Übersetzungskosten) |
2.000,- |
2009 |
zwei Abgeltungsraten für Manuskriptankäufe |
Insgesamt 180.000,- |
|
Werkstipendium |
6.000,- |
|
indirekte Förderungen (Übersetzungskosten) |
6.500,- |
2010 |
indirekte Förderungen (Übersetzungskosten) |
5.500,- |
2011 |
Musil-Stipendium |
50.400,- |
Gesamt: 308.957,- Euro
Würde man die genannte Gesamtsumme zehn Jahre lang als Monatsraten überweisen, käme der Begünstigte auf ein durchschnittliches monatliches Salär von 2.574 Euro.
Haben und Nichthaben
Da der „freie Schriftsteller“ Robert Menasse in der Öffentlichkeit vor allem als olympisch entrückter Kritiker des verfilzten und korrupten österreichischen politischen Systems bekannt ist, liegt die Frage nahe, wie ausgerechnet Menasse es geschafft hat, in den Rang eines staatlichen Dauer-Stipendiaten aufzurücken. Das ist eine erstaunliche Position in einem Land, in dem Literaten und Autoren üblicherweise am Hungertuch nagen.
Zur Klärung dieses Phänomens erlaubte sich der Verfasser dieses Beitrags einen Blick hinter die Kulissen der österreichischen staatlichen Literaturförderung. Am Beispiel der drei am höchsten dotierten Menasse-Zuwendungen (Erich-Fried-Preis, 180.000-Euro-Manuskripte-Deal sowie Musil-Stipendium) wurde untersucht, wie die Vergabevorgänge im Einzelnen über die Bühne gingen.
Das Ergebnis dieser Untersuchung – um es vorwegzunehmen – war das erschütternde Zustandsbild einer staatlichen „Literaturförderung“, die in Wahrheit nichts anderes ist als eine Geldverteilungsmaschine zum Vorteil einiger weniger Monopol-Autoren, die aufgrund ihrer raffiniert angelegten Netzwerke mit staatlichen Geldströmen geradezu überflutet werden. Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind unbekannte Kriterien in diesem pseudobürokratischen System aus Freunderlwirtschaft und Gewohnheitsrechten.
Doch gehen wir chronologisch vor und betrachten den ersten unserer drei Beispielfälle: Im Jahr 2003 erhielt Robert Menasse den mit 14.600 Euro dotierten Erich-Fried-Preis. Als Allein-Juror seitens des BMUKK fungierte dabei der Schriftsteller Robert Schindel. Nun wäre ja alles in Ordnung gewesen, wenn … ja wenn Robert Schindel nicht zufälligerweise erstens als recht guter Freund Menasses bekannt gewesen wäre und zweitens nicht als direkter Nachbar des Ausgezeichneten ein Haus im Waldviertel bewohnt hätte.
Die finanztechnischen Auswirkungen dieser – im wahrsten Sinne des Wortes – „gutnachbarschaftlichen Beziehungen“ erbosten damals einige österreichische Autoren auf das Heftigste. Vor allem Michael Amon, ein Romancier aus Gmunden, sprach (in einem Standard-Artikel vom 29.11. 2003) von einem „Skandal“ und einer „offensichtlichen Freunderlwirtschaft“. Erbost forderte er in seiner Stellungnahme „die Abschaffung des ganzen Preisverleihungsunfugs mitsamt der Vergabeklüngelei bei Stipendien“.
Sein Protest verhallte allerdings wirkungslos, und die unbeeindruckt weiterdampfende Netzwerk-Maschinerie im BMUKK ließ sich von den paar Sandkörnern im Getriebe nicht im Geringsten stören. Bald galt wieder der Grundsatz „Business as usual“.
Ein paar Jahre und etliche einkassierte Werkstipendien später gelang es Robert Menasse dann erneut, einen ganz besonders dicken Steuergeld-Fisch an Land zu ziehen. Das BMUKK kaufte dem selbsternannten Produzenten von „Weltliteratur“ im Jahr 2009 nämlich mehrere Manuskripte zu einem sagenhaft hohen Preis ab: Insgesamt 180.000 Euro überwies das BMUKK dem Schriftsteller Menasse für sein beschriebenes Altpapier. In einem Schreiben der Abt. IV/2 des BMUKK, das dem Verfasser vorliegt, wurde der Ablauf des Manuskripte-Deals detailliert geschildert: „Die Verhandlungen zum Ankauf des Vorlasses Robert Menasse führte noch zur Gänze der mittlerweile verstorbene Leiter des Literaturarchivs, Univ. Prof. Wendelin Schmidt-Dengler.“
Alles in Ordnung? Nun ja, solange man nicht daran Anstoß nimmt, dass Wendelin Schmidt-Dengler niemand anderer war als der ehemalige Doktorvater des angehenden Schriftstellers Menasse am Germanistik-Institut der Universität Wien. (Wie eng die freundschaftliche Beziehung zwischen Menasse und Schmidt-Dengler zeitlebens war, geht aus der Reaktion Menasses auf den überraschenden Tod seines Mentors im Herbst 2008 hervor: „Ich fühle mich buchstäblich verwaist, seitdem ich von seinem Tod erfahren habe“, bekannte Menasse im Ö1-Morgenjournal).
Das unerwartete Ableben Schmidt-Denglers brachte den Manuskripte-Deal etwas ins Stocken, aber schließlich sorgte der vom BMUKK eingesetzte Nachfolger Schmidt-Denglers, Dr. Bernhard Fetz, dafür, dass die Abwicklung des Manuskripte-Deals ordentlich zu Ende geführt werden konnte. Bernhard Fetz war übrigens der wohl bestgeeignete Mann für die Nachfolge des großen „WSD“: Genau wie sein Germanistenkollege Menasse hatte er einst bei Schmidt-Dengler promoviert.
Wenig mehr als ein Jahr nach Abschluss des Vorlass-Geschäfts bewarb sich Menasse dann um das höchstdotierte Literaturstipendium der Republik Österreich, nämlich das 50.400 Euro schwere Musil-Stipendium. Hätte Menasse leibhaftig vor der achtköpfigen Vergabe-Jury erscheinen müssen (was er natürlich nicht musste), hätte er sich wohl ähnlich gefühlt wie jemand, der zu guten Freunden auf eine Party eingeladen wird.
Der erste Juror, den er begrüßt hätte, wäre vermutlich der altbekannte Dr. Fetz gewesen, der – ganz im Stil Schmidt-Denglers – als Multifunktionär auf allen literarischen Hochzeiten tanzte. Flankiert wurde der Juror Fetz von mehreren anderen guten Bekannten des Stipendienwerbers: Zu nennen wäre hier etwa der Germanist Klaus Zeyringer, ein bewährter Freund und glühender Bewunderer Menasses. Zeyringer hatte in der Vergangenheit nicht nur persönlich mehrere Lesungen seines literarischen Idols moderiert (unter anderem im Literaturhaus Krems und beim Literaturfestival Leukerbad), er hatte auch Buchkritiken verfasst, die Menasse geradezu in den Himmel rühmten: Im Standard pries er ihn als „Kreuzung von Flaubert und Kundera“ und als einen Literaten, der ein „Sprachkunstwerk ersten Ranges“ geschaffen habe.
Eine andere gute Bekannte Menasses in der Auswahljury war die Germanistin Angelika Klammer, ehemals Lektorin bei Residenz. Ihre Amtszeit in diesem Verlag hatte sich zufälligerweise genau mit jener Zeit gedeckt, in der Menasse dort unter Vertrag war. (Nachdem Menasses "Schubumkehr" im Residenz-Verlag herausgekommen war, hatte der Schriftsteller im Gegenzug auch einen Beitrag für das von Klammer herausgegeben Buch "Querlandein" geschrieben.)
Die Jurorin Annegret Pelz schließlich hatte gemeinsam mit Menasse zu den Autoren des Bandes "Grundbücher der österreichischen Literatur" gehört. Im Jahr 2006 hatte sie außerdem am Germanistik-Institut der Universität Paderborn gearbeitet – also im selben Jahr, in dem Menasse an jenem Institut Gastdozent war. Alle diese merkwürdigen Zufälligkeiten hatten natürlich – laut dem Leiter der BMUKK-Abt. V/5, Ministerialrat Stocker, – absolut gar nichts damit zu tun, dass Menasse von dieser „objektiven“ und „unabhängigen“ Jury das Musil-Stipendium zugesprochen bekam. Die Entscheidung der Jury fiel im Übrigen „einstimmig“ – und wem bei solchen Hundertprozent-Wahlergebnissen gewisse Gepflogenheiten in der ehemaligen UdSSR einfallen, der sollte dringend einen Kurs für positives Denken besuchen.
Resümee
Auch neun Jahre nach der von Michael Amon konstatierten „Vergabeklüngelei“ bei BMUKK-Literaturstipendien haben sich die Usancen in der staatlichen Literaturförderung nicht geändert. Autoren, die nicht Teil von Netzwerken und Seilschaften im BMUKK sind, haben so gut wie keine Chancen, an Mittel der staatlichen Literaturförderung heranzukommen. Noch immer wird, statt liebevoll mit der Gießkanne das hoffnungsvolle Beet der Literatur zu begärtnern, „mit einer Art Wasserwerfer auf einige Wenige gezielt“ (Michael Amon).
Robert Menasse wiederum, der Virtuose auf der Klaviatur der Netzwerke, ist das herausragende Beispiel eines staatlichen Dauer-Stipendiaten, der seine Seilschaften gezielt einsetzt, um – völlig unabhängig vom Kriterium literarischer Qualität – ein wohliges finanzielles Fixum aus Steuergeldern einzustreifen. Sein in der Öffentlichkeit zelebriertes Auftreten als unbestechlicher Kritiker des „Verhaberungs“-Staates und der „Abkassierer“-Mentalität verkommt freilich angesichts seiner eigenen Methoden zur Lachnummer.
Eine letzte Anmerkung noch, um dem Vorwurf der Neiddebatte den Wind aus den Segeln zu nehmen: Es geht bei der Diskussion um das BMUKK-Förderungsunwesen gar nicht primär darum, spezielle Personen – insbesondere Robert Menasse – anzugreifen. Diese Diskussion ist kein Kampf gegen Menasse, sondern ein Kampf für all jene begabten, originellen und unendlich naiven Autoren, die sich alljährlich blauäugig und vergeblich um staatliche Stipendien und Förderungen bemühen – Förderungen, die insgeheim längst an die üblichen Monopolisten vergeben sind.
Diese naiven Autoren sollten endlich begreifen, dass ihnen die Rollen von nützlichen Idioten in einem abgekarteten Spiel zugemutet werden. Sie werden missbraucht als bunte und eindrucksvolle Legitimations-Kulisse für ein verfilztes, intransparentes und von Cliquen beherrschtes Förderungssystem, in dem die Geldströme an die immer gleichen Gagenkönige geschickt getarnt werden müssen.
Dietmar Horst, Dr.phil., geb. 1962, arbeitet als Landes-Vertragsbediensteter an der Universitätsklinik Salzburg. Als Nebenberufs-Autor veröffentlichte er mehrere Bücher, zuletzt die Biografie „Der Tänzer auf den Wellen“ im Berenkamp-Verlag (2010). Zu seinen Hauptinteressen gehört die Kritik an der monopolistischen staatlichen Literaturförderung in Österreich.