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Es ist ein absolutes Rätsel: Warum wird der Sumpf in der heimischen Staatsanwaltschaft nicht endlich trockengelegt? Wen soll es beeindrucken, wenn sich ständig – fast durchwegs BSA-geprägte – Staatsanwälte und ein in deren Windschatten nach oben gesegelter Sektionschef gegenseitig die Unschuld bestätigen und behaupten, dass die lange, von externen Spitzenjuristen aufsummierte Versäumnis-Liste bei der Nachforschung nach Zweittätern im Fall Kampusch gleichsam eine Fiktion sei? Warum scheuen sich diese Staatsanwälte und Sektionschefs, wenn sie sich schon so unschuldig fühlen, gegen jene Spitzenjuristen und ihre Vorwürfe mit Verleumdungsklagen vorzugehen? Hängt das vielleicht damit zusammen, dass dann viele Amts- und sonstigen Personen vor einem unabhängigen Gericht erstmals öffentlich und unter Wahrheitspflicht aussagen müssten? Ist das etwa auch der Grund, weshalb Frau Kampusch nicht klagt, obwohl ihr ja von den Kritikern ständig vorgeworfen wird, die Unwahrheit gesagt zu haben? Warum hat die ÖVP nun schon zum zweiten Mal eine so schwache Justizministerin nominiert, deren einzige Qualifikation ganz offensichtlich die Frauenquote ist, und die dieses ganze Netzwerk nicht in den Griff bekommt? Warum ist die Causa nicht wenigstens der Korruptionsstaatsanwaltschaft zugewiesen worden, die sich zumindest bisher als relativ unabhängig erwiesen hat?
Wer an der Präzision der Vorwürfe zweifelt, möge sich einfach deren penible Auflistung durch den früheren Präsidenten des OGH, Johann Rzeszut, (nochmals) in Ruhe durchlesen. Die vielen darin enthaltenen Hinweise auf und Beweise für das Vorhandensein mindestens eines Zweittäters – dessen Namen ja durchaus kein Geheimnis ist – wie auch auf schwere Fehler der Staatsanwaltschaft sind erdrückend. Sie sind jedenfalls so massiv, dass es unakzeptabel ist, wenn sie hinter verschlossenen Türen einer untereinander bestens vernetzten Staatsanwaltschaft und der dazugehörigen Ministerialsektion für erledigt erklärt werden. Umso mehr wenn der Selbstmord eines von der Zweittäterschaft überzeugten Kriminalbeamten diesen Vorwürfen schweres Gewicht verleiht.
Immerhin sind gravierende strafrechtliche Vorwürfe nach unserer Verfassung von einem unabhängigen Gericht in öffentlicher Verhandlung unter Vernehmung von Zeugen, die unter Wahrheitspflicht stehen, zu klären. Geheimfreisprüche der Justiz für sich selber sind hingegen unerträglich. Manche halten dem entgegen, in der Causa sei wenn auch spät in den letzten Monaten ja ohnedies noch ein Untersuchungsrichter eingeschaltet worden. Das aber kann niemanden beruhigen, wenn man die Zusammenhänge weiß: Denn ein solcher Untersuchungsrichter untersteht nach der famosen Strafprozessordnung (die ausgerechnet einer der prominentesten in dieser Causa – nicht – agierenden Staatsanwälte neu verfasst hatte) direkt der Staatsanwaltschaft. Er amtierte nicht öffentlich, und auch sein Bericht ist nicht veröffentlicht. Das ist also ganz etwas anderes als ein von der Verfassung vorgesehener unabhängiger Richter.
Dabei ist es gar nicht so wichtig, ob nun die Staatsanwälte wegen Amtsmissbrauchs angeklagt werden oder nicht. Es geht einzig darum, dass der Verdacht, mindestens ein weiterer des Kindesmissbrauchs Verdächtiger (oder zumindest Beihelfer) laufe unbehelligt herum, endlich mit der von der Bevölkerung mit Fug und Recht erwarteten Intensität von einem unabhängigen Gericht geprüft wird.
Es ist sogar durchaus nachvollziehbar, dass man als Staatsanwalt in den ersten Tagen des Wiederauftauchens Kampuschs deren Einzeltäterversion geglaubt hat. Wer könnte auch auf die Idee kommen, dass sie nicht die volle Wahrheit über die letzten Jahre sagt? Dazu kommt freilich, dass sie sofort von einem Netzwerk SPÖ-naher Helfer umgeben wurde, die diese Version massiv unterstützt haben.
In dieser Stimmungslage jener ersten Tage könnten die schweren Fehler von Justiz und Polizei begangen worden sein, ohne dass da unbedingt eine böse Absicht dahintergesteckt ist. Zu diesen Fehlern zählt etwa die sofortige Rückgabe wichtiger, seither nie wieder untersuchter Unterlagen an Kampusch; oder die unglaubliche Tatsache, dass die Leiche des Haupttäters ohne Obduktion sofort zur Verbrennung freigegeben worden ist (obwohl das sonst in jedem noch so unbedeutenden Fall passiert); oder dass sich der mögliche Zweittäter vor den Augen der Exekutive Dinge aus dem Hause des inzwischen toten Haupttäters holen konnte.
Sobald man aber Fehler begeht, neigt jeder Mensch dazu, diese lieber zu verteidigen als einzugestehen. Wer will sich schon als Stümper bloßstellen lassen?
Diese massive Kritik an der Justizministerin und den ihr formal unterstellten, sie aber immer wieder perfekt manipulierenden Staatsanwälten bedeutet auch keine Vorverurteilung von irgendjemandem. Das bedeutet nur ein Pochen auf den in jeder Demokratie und jedem Rechtsstaat bestehenden Anspruch, dass es keine geheime Kabinettsjustiz wie im Absolutismus mehr geben dürfe.
Manche werden nun meinen: Aber selbst wenn all das stimmt, hat Kampusch doch das Recht, endlich in Ruhe gelassen zu werden. Auch dem ist heftig ein fundamentales Grundprinzip des Rechtsstaats entgegenzuhalten: Die Strafverfolgung eines Rechtsbrechers ist mit gutem Grund Pflicht des Staates, und zwar unabhängig vom Wunsch des Opfers (dieser Wunsch ist nur in wenigen, unbedeutenden Delikten wie Beleidigungen relevant).
Soweit scheint die aus dem Arbeitsrecht kommende Justizministerin aber das Strafrecht offenbar noch nicht zu kennen. Denn sonst würde sie nicht den „Opferschutz“ als Argument für ihr Verhalten anführen.
Und warum sollte Kampusch überhaupt einen oder mehrere Zweittäter decken wollen? Darüber kann zwar nur spekuliert werden. Aber von einer Erpressung durch diesen Zweittäter oder gar einen dahinterstehenden Ring angefangen sind viele Zusammenhänge möglich, bis hin etwa zu einer überaus positiven emotionalen Beziehung Kampuschs mit diesem Zweittäter und seiner Familie oder bis hin zu einem einst abgelegten Schwur, an den sich Kampusch noch immer gebunden fühlen mag.
Ihr Motiv ist letztlich gleichgültig. Niemand will ja Kampusch den Prozess machen. Sie war eindeutig Opfer – wenn auch mutmaßlich nicht die ganze Periode über.
Um auch etwas Positives zu sehen: Zwar merkt man hinten und vorne nichts von einer Führung seines Regierungsteams, also etwa der Justizministerin, durch den ÖVP-Obmann. Aber im ÖVP-Klub gibt es immerhin den Mut ihres Universal-Abgeordneten Amon, das Versagen der Justiz durch eine parlamentarische Untersuchung zu kompensieren. Man darf gespannt sein, ob es bei diesem Mut bleibt.
Auf der anderen Seite signalisiert die SPÖ deutliche Nervosität. Denn ihr Justizsprecher Jarolim will die Untersuchung auf die Fehlleistungen des Innenministeriums und der Exekutive, insbesondere die Absetzung des Spitzenkriminalbeamten Haidinger hinlenken. Was durchaus erneut untersuchbar ist – obwohl es da keine offenen Fragen mehr geben dürfte –, aber die Absicht Jarolims ist unverkennbar, von seinen Parteifreunden in der Staatsanwaltschaft abzulenken. Und der ÖVP klarzumachen, dass er auch für sie Unangenehmes zum Thema machen wird, sollte sie auf einer parlamentarischen Untersuchung beharren.