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Europa ohne Strom

Die japanische Atomkatastrophe verändert Europas Zukunft mindestens genauso, wie es die Finanzkatastrophen einiger südeuropäischer Länder tun. Viele Deutsche und Österreicher freuen sich, dass als Folge der japanischen Katastrophe der Atomkraft offenbar keine Zukunft mehr bevorsteht. Deutschland hat schon acht Kraftwerke abgestellt. Und auch die nüchternen Schweizer wollen keine neuen AKW mehr bauen. Freilich werden die vorhandenen dort noch ein paar Jahrzehnte bespielt und der Nicht-Neu-Bauen-Wollen-Beschluss kann jederzeit revidiert werden, wie es etwa schon die Schweden einmal getan haben.

Die Freude über die Anti-Atom-Stimmung ist durchaus nachvollziehbar, auch wenn in Japan bisher trotz Tausender medialer Schreckensberichte kein einziges Todesopfer als Folge atomarer Strahlung bekannt geworden ist. Aber ebenso muss man darauf hinweisen, dass der Schaden in Japan doch deutlich größer ist als anfangs angenommen/befürchtet/erhofft.

Nukleare Strahlung ist etwas langfristig Unheimliches, und daher fürchten sich viele Menschen nachvollziehbarerweise vor ihr viel mehr als vor sonstigen Bedrohungen. Allerdings ist es Tatsache, dass andere Bedrohungen deutlich mehr Todesopfer gefordert haben als alle atomaren Schreckensszenarien. Und sie tun es täglich weiter: vom Straßenverkehr bis zu den vermeidbaren Krankheiten. Dennoch werden diese Bedrohungen von vielen Menschen nonchalant ignoriert, wie sie täglich durch ihren Lebensstil beweisen. Ebenso ignorieren sie die großen Opferzahlen anderer Methoden der Stromerzeugung.

Aber in demokratischen Gesellschaften sind natürlich die Ängste der Bürger ein relevantes Faktum. Und zwar unabhängig davon, ob sie von bestimmten Feinden der europäischen Gesellschaftsform aus ideologischen Gründen geschürt werden oder ob die Ängste objektiv in dieser Dimension berechtigt sind. Im deutschen Sprachraum ist die Atomangst jedenfalls Tatsache, auch wenn man sich anderswo über die „deutsche Angst“ lustig macht, die bezeichnenderweise für Engländer und Amerikaner ein deutsches Fremdwort geworden ist.

Diese Angst muss zweifellos auch die EU berücksichtigen, etwa bei ihren neuen AKW-Stresstests. Sie hat nun beschlossen, dass bei den Tests auch die Folgen eines Flugzeugabsturzes einzukalkulieren sind. Skurril bleibt freilich, dass ein ebensolcher Flugzeugabsturz auf eine der vielen großen Staumauern von Wasserkraftwerken in keinem europäischen Stress-Test erfasst wird. Dabei hätte ein dadurch ausgelöster Staumauer-Bruch ebenfalls verheerende Folgen.

Unabhängig davon kann man den europäischen – und zuletzt insbesondere den deutschen – Verantwortlichen einen großen Vorwurf nicht ersparen: Niemand macht die Menschen auf die gewaltigen Kosten und Risiken der neuen Atom- und Energiepolitik aufmerksam. Eines dieser Risiken ist die seit der deutschen Reaktor-Stilllegung stark gestiegene Gefahr großflächiger und langdauernder Stromausfälle. Dieser Gefahr steht in schizophrenem Gegensatz zu den zuletzt so beliebten Träumen von stromgetriebenen Autos.

Die Stromknappheit wird wohl erst im Winter wirklich spürbar werden. Bei den Preisen tut sie das schon jetzt. Die Stromverteuerungen, die vor allem wegen der kostspieligen Förderung von Windkraftwerken, von Bioenergie- und Solaranlagen entstanden sind,  haben bereits in den vergangenen Jahren deutlich mehr ausgemacht als die durchschnittlichen Pensionserhöhungen (von jenen Pensionisten, die ohnedies keine Erhöhungen mehr bekommen, sei hier gar nicht geredet). Und sie werden im kommenden Jahr noch viel schlimmer sein, wenn sich die Reaktorschließungen europaweit auswirken werden. Strom wird ja überwiegend mit langfristigen Terminverträgen verkauft.

Noch viel drastischer als auf die Konsumenten wirken sich die Stromverteuerungen auf die Arbeitsplätze aus. So haben spanische Ökonomen einen engen Zusammenhang zwischen der in Spanien besonders intensiven und teuren Alternativ-Förderung und der dortigen Arbeitslosigkeit mit Europarekord-Dimensionen nachgewiesen.

Aber das ist noch harmlos gegen das, was Europas Wirtschaft künftig bevorsteht. So hat Voest-Chef Eder schon angekündigt, dass die Stahlindustrie nur noch außerhalb Europas investieren wird. Und Klaus Kleinfeld, der Chef des globalen Aluminium-Konzerns Alcoa, hat angesichts der Stilllegung der Hälfte der deutschen Atomkraftwerke erklärt, dass der Konzern keine neuen Produktionsstätten in Deutschland aufbauen werde. „Die Industrie wird nur dahin gehen, wo sie verlässliche Rahmenbedingungen vorfindet.“

Ohne Industrie aber verarmt Europa dramatisch. Darüber können keine grünen Träume hinwegtäuschen.

Natürlich kann sich Europa, können sich europäische Staaten für diesen Weg entscheiden, wenn ihn die Mehrheit so will. Aber eines kann man von den politischen Führungen schon verlangen: Sie sollten den Menschen auch mit völliger Klarheit die Konsequenzen klarmachen. Es gibt in der Wirtschaftspolitik genausowenig wie anderswo irgendeinen Vorteil zum Nulltarif (also etwa die Befreiung von der Sorge vor Atomunfällen oder gar von der mythischen Gefahr einer angeblich vom Menschen ausgelösten globalen Erwärmung). There is no free lunch, heißt es in der pointierenden englischen Sprache.

Vorbereiten müsste man in einer fairen Information die Menschen auch auf die sonstigen Folgen von langanhaltenden Stromausfällen, bei denen auch keine Generatoren mehr helfen. Solche langen Ausfälle sind etwa für Tausende Patienten in Intensivstationen lebensbedrohend oder für die noch größere Zahl jener, deren Leben von regelmäßigen Dialysen abhängt. Die Bevölkerung kann bei einem Ausfall des Stroms weder über Fernsehen und Radio noch über Telefon und Internet informiert werden.

In die Analyse der Folgen von Stromausfällen gehört genauso die Versorgung mit Trinkwasser, die ohne Pumpen und Aufbereitungsanlagen vielerorts nicht funktionieren kann. Kläranlagen sind so wie Verkehrsampeln von elektrischer Energieversorgung abhängig. In den stromlosen Kühlanlagen der Supermärkte würden die Lebensmittel verfaulen. Und auch die Gewächshäuser brauchen Strom für die Durchlüftung.

Gewiss: Der atomare Kollaps in Japan ist eine Katastrophe. Man ist aber deswegen noch kein bezahlter Atomlobbyist, wenn man sich noch mehr vor den Folgen eines Zusammenbruchs der europäischen Stromversorgung fürchtet. Denn wenn dieser einmal eintritt, können seine vielen Ursachen nicht mehr binnen weniger Wochen behoben werden. Und selbst die utopischsten Alternativ-Szenarien kalkulieren die flächendeckende Versorgung mit Windmühlen und Solarpaneelen in Jahrzehnten. Ganz abgesehen davon, dass diese in Wahrheit weder finanzierbar noch technisch möglich ist.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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