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Wir werden dem Diktator Mubarak noch nachweinen

Die Chancen des ägyptischen Präsidenten, politisch noch irgendwie zu überleben oder zumindest ehrenvoll abzutreten, sind geringer als die auf einen Lotteriegewinn. Noch kleiner sind aber die der Ägypter, ihrer Nachbarn und der Europäer, dass sie sich nach dem Ende der Umbruchsperiode zumindest mehrheitlich als Gewinner fühlen werden.

Das bevorstehende Ende Mubaraks merkte ich vor 14 Tagen – also noch vor den ersten Demonstrationen – bei einem längeren Gespräch mit einem höherrangigen ägyptischen Diplomaten. Dieser sprach zu meiner Überraschung schon damals von der Ära Mubarak nur noch in der Vergangenheit und schloss schon damals aus, dass Hosni Mubarak von seinem Sohn beerbt werden könnte.

So wie in einer Demokratie eine noch so erfolgreiche Partei irgendwann abgewählt wird, ist es auch bei Diktatoren: Jede politische Uhr läuft einmal ab. Auch wenn Mubarak „nur“ ein autoritärer Diktator war, der lediglich das Machtmonopol verteidigt hat, nicht jedoch wie ein totalitäres Regime auch das Denken, das Privatleben, das Wirtschaftsleben seiner Untertanen komplett zu kontrollieren versuchte.

Die drei Jahrzehnte Mubaraks sind Geschichte. Sie sind aber keineswegs nur negative Geschichte. Denn sie haben für die Ägypter auch eine lange Periode des Friedens bedeutet. Das war nach den davorliegenden ständigen Nahostkriegen ein gewaltiger Wechsel – ein Wechsel freilich, dessen sich der Großteil der heutigen Ägypter auf Grund ihres Alters heute gar nicht mehr bewusst ist. Diese Generation fühlt sich daher dem Diktator gegenüber logischerweise zu keinerlei Dank verpflichtet. Ganz im Gegenteil: Sie macht ihm – neben vielem anderem – das gute Verhältnis zu Israel und den USA zum Vorwurf.

Dennoch war es eine große Leistung Mubaraks, sich weder vom arabischen Nationalismus noch vom islamischen Fanatismus in einen weiteren Krieg gegen Israel schicken zu lassen. Obwohl es für bedrängte Herrscher immer eine bewährte Strategie ist, sich bei inneren Schwierigkeiten gegen einen äußeren Feind zu wenden.

Vieles andere steht aber auf der Negativliste Mubaraks. Letztlich stürzt er über eine Revolte gegen Armut und Arbeitslosigkeit. Wirtschaftlich hat das Land überhaupt nur dank der immensen Geldflüsse aus den USA überleben können. Kairo war nach Israel der zweitgrößte Empfänger amerikanischer Hilfe. Dennoch machten sich immer stärker die negativen sozialen Faktoren bemerkbar:

  • Ein explosives Bevölkerungswachstum, das alle fünf Jahre die Zahl der Ägypter um rund zehn Prozent vermehrt, also um die Größe der österreichischen Bevölkerung;
  • die endemische Korruption;
  • der Rohstoffmangel (der Ägypten zum Unterschied von einigen anderen islamischen Ländern nicht einmal eine mit Petrodollars gekaufte Prosperität ermöglicht);
  • und eine Religion, die ganz offensichtlich der schlimmste Entwicklungs- und Wachstumshemmer in allen Ländern ist, wo sie die Mehrheit hat (selbst bei den im Öl schwimmenden Golfstaaten ist es ja zweifelhaft, ob diese bei Versiegen des Ölstroms auch nur ein Jahr lang ohne Krise überleben können).

Alle vier Faktoren wird es aber auch nach Mubarak geben. So wie es sie in ganz ähnlicher Weise auch in Tunesien nach dem Abgang des dortigen Diktators gibt. Wer glaubt, dass der Sturz eines Potentaten daran etwas ändert, der täuscht sich.

Denn am Ende einer Revolution werden zusätzlich die Kosten des Umsturzes als weitere Last dazukommen: die Zerstörungen der Revolutionszeit; das Ausbleiben der Touristen; das Zögern der Investoren; die offene Frage, ob die USA weiterhin alljährlich so tief in die Geldtasche greifen werden (auf republikanischer Seite gibt es ja viel Kritik an der Auslandshilfe); und die vermutliche Vertreibung eines Großteils auch der mittleren Führungsschicht, welche erst nach einer längeren Übergangsfrist durch eine neue ersetzt werden wird.

Natürlich gibt es in Ägyptens Städten eine Mittelschicht. Diese träumt nun von einer rechtsstaatlichen Demokratie nach europäischem Muster. Eine solche würden wir den Ägyptern auch heftig wünschen. Doch fehlen dem Land und insbesondere den islamischen Zivilisationen ein von den armen und überwiegend ländlichen Massen mitgetragener kultureller Wurzelgrund und eine ökonomische Basis. Nur darauf aber kann sich in aller Regel eine stabile Demokratie entwickeln. Demokratie kann man einer Kultur nur schwer aufpfropfen, wenn sie noch nicht reif dafür ist.

Daher sind drei andere Szenarien für die Zukunft Ägyptens viel wahrscheinlicher.

  1. Die erste Variante: Nach Wochen und Monaten der Turbulenzen, nach ein oder zwei schwachen Übergangsregierungen, wohl auch nach einem chaotischen Wahlgang wird sich ein neuer Diktator an die Spitze setzen, etwa ein starker Mann aus der Armee. Und zumindest anfangs wird er sogar Zustimmung finden, weil sich die Ägypter dann schon längst wieder nach Ruhe und Ordnung sehnen werden, weil sie gemerkt haben werden, dass eine Revolution die Töpfe des Landes nicht gefüllt, sondern noch leerer gemacht hat. Sollte sich der neue starke Mann auch weiterhin an den Friedensvertrag mit Israel halten, sollte er etwas von Wirtschaft verstehen und weniger korrupt sein als die Vorgänger, würde das der Region wieder auf etliche Zeit Stabilität schenken.
     
  2. Die zweite Variante ist wahrscheinlicher: nämlich, dass sich bei Wahlen unter den ungebildeten Massen islamistische Parteien durchsetzen werden. Dabei sollte man weniger an den Iran als Modell denken, sondern an die Schreckensherrschaft der Hamas im Gaza-Streifen, die ja zunehmend totalitäre Züge annimmt. Man sollte nicht vergessen: Die Hamas ist ursprünglich durchaus demokratisch an die Macht gekommen, weil sie weniger korrupt schien als alle anderen Alternativen. Eine solche islamistische Herrschaft würde zweifellos gegenüber Israel und dem Westen viel aggressiver werden; sie würde die vom bisherigen Regime noch tolerierte koptische Minderheit zu Menschen zweiter Klasse degradieren; sie würde die Wirtschaft des Landes noch mehr lähmen; und sie würde auch wohl keine weiteren Wahlen zulassen, bei denen sie wieder abgewählt werden könnte – zumindest keine freien.
     
  3. Es gibt aber eine noch schlimmere dritte Variante: Dass keine politische, religiöse oder militärische Kraft die Kontrolle über Ägypten in die Hände bekommt, dass vielmehr jahrzehntelang bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, dass jede Ordnung zusammenbricht, dass immer wieder ausländische Armeen intervenieren, wenn auch erfolglos. Beispiele für diesen Weg sind etwa Afghanistan oder Somalia.

Europa sollte sich jedenfalls gut anschnallen angesichts dessen, was da auf den Kontinent zuzukommen droht. Dabei haben wir noch gar nicht davon gesprochen, dass Symptome der tunesisch-ägyptischen Krankheit noch in einem Dutzend weiterer arabischer Staaten zu beobachten sind.

PS: Nichts ist so dramatisch, dass es nicht auch Grund zum Lachen gäbe. Den gibt das Verhalten der europäischen Sozialdemokraten: Sie sind seit einigen Tagen die lautesten, wenn es darum geht, die USA als Hauptschuldige an den ägyptischen Zuständen zu beschimpfen, und darum, einen rascheren Umsturz in Ägypten zu verlangen. Dabei verdrängen sie voller Chuzpe die peinliche Tatsache, dass die Staatspartei des Diktators Mubarak bis heute Vollmitglied in der Sozialistischen Internationale ist. Auch jene aus Tunesien war das – bis man sie nach dem Umsturz blitzschnell hinausgeworfen hat. Diese sozialistische Komplizenschaft gegenüber der Mubarak-Diktatur kontrastiert mit der lautstarken Denunziation Ungarns als „auf dem Weg zur Diktatur“ befindlich. Aber sich für irgendetwas noch zu schämen ist ja schon lange keine politische Kategorie mehr.

PPS: Die Sozialistische Internationale hat übrigens auch keinerlei Probleme damit, dass ihr Präsident Giorgos Papandreou heißt, der im Nebenberuf griechischer Ministerpräsident ist. Und uns allen als solcher sehr teuer ist.

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