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Darwin und das Design drucken

In Österreich ist es um die zeitweilig recht heftig debattierte Intelligent-Design-Theorie ziemlich ruhig geworden. Das ist schade. Die Diskussion über die auf dem Zufallsprinzip begründete Evolutionstheorie einerseits und über das christlich inspirierte Denkmodell des absichtsvollen „Intelligent Design“ andererseits bliebe auch hierzulande eine Herausforderung. Auch wenn immer die Gefahr besteht, dass die Debatte in einen intellektuellen Stellungskrieg mündet, der von Schwarz-Weiß-Denken geprägt ist.

Die Frage, ob es den göttlichen Zündungsfunken bei der Lebensentstehung gab und ob seitdem eine steuernde Kraft hinter der Evolution steht oder nicht, diese Frage kann natürlich auch redundante Streitereien generieren. Dies passiert dann, wenn die jeweiligen Vertreter der beiden Denkfiguren in missionarischem Eifer die jeweils andere Seite überzeugen wollen.

Schon die zugrunde liegenden Begriffe „Glauben“ und „Wissenschaft“ legen nämlich fest, dass es im Prinzip um nur schwer verhandelbare Entitäten geht: Im Glauben manifestiert sich die religiöse Hoffnung auf die Existenz eines göttlichen Wesens, in der Wissenschaft erkennen wir die durch nachweisliche Fakten erklärbaren Dinglichkeiten des Daseins.

Wenn die Gläubigen und die Wissenschaftsanhänger einander in ihren gängigen Argumentationen die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes beweisen wollen, so bringt das also nicht viel. Die Gläubigen werden ihren Glauben nicht aufgeben, nur weil biologistische Hardliner wie etwa der weltbekannte Genetiker Richard Dawkins die Existenz Gottes leugnen. Und die Atheisten unter den Wissenschaftlern werden aufgrund ihrer Faktensammlungen und ihres materiebezogenen Denkens weiterhin das Vorhandensein des Göttlichen in der Evolution bezweifeln.

Soll man deswegen nun aufhören, diese grundlegenden Fragen des Lebens zu diskutieren? Zweifellos nicht. Im Gegenteil, wir brauchen sogar eine intensivere, vor allem aber eine besser geführte Debatte. Das bedingt jedoch, dass alle, die an der Diskussion teilnehmen, zuerst ihre eigenen Sichtweisen hinterfragen, damit sie eventuell vorhandene engstirnige Positionen bei sich selbst erkennen können. Engstirnigkeit lässt höherstehende Debatten einfach nicht zu.

Eine Diskussion wird zwangsläufig ergebnislos bleiben, wenn die Bornierten unter den Diskutanten die Denkweisen der Gegenseite a priori ablehnen. Und, wohlgemerkt, in der Intelligent-Design-Debatte sind gar nicht wenige Wissenschaftler die Engstirnigen: Wenn Wissenschaftler die mögliche Existenz eines „Intelligent Designers“ kategorisch negieren, dann entbehrt diese Ablehnung jeder rationalen Grundlage. Niemand hat bisher jemals wissenschaftlich bewiesen, dass es keinen solchen Designer gibt. Daher kann keine Wissenschaft der Welt von dessen gegebener Nicht-Existenz ausgehen, eine solche Grundannahme ist exemplarisch unwissenschaftlich und verbietet sich von selbst.

Freilich kann und darf man als Wissenschaftler aber die Theorie vertreten, dass es keinen Gott gibt. Diese in der Wissenschaft grundsätzlich altbekannte Problematik von streng auseinander zu haltenden nachweisbaren Gegebenheiten und rein theoretischen Annahmen wird leider auch von Wissenschaftlern gerne diffus behandelt, die Vermengung dieser Begriffe ist tägliche Realität.

Ähnlich verhält es sich mit der Haltung und den Argumentationslinien der Kirche. Wenn ernstzunehmende Kirchenvertreter biologisch-wissenschaftliche Erkenntnisse als solche akzeptieren (was zumindest die Elite der theologischen Vordenker ohnehin tut), dann steht einer Diskussion um die Hintergründe des Lebens und seiner Entstehung nichts im Wege. Wenn aber dogmatisch und kategorisch die wissenschaftlich beweisbaren Fakten der Evolutionstheorie geleugnet werden, dann ist die Debatte aus den obengenannten Gründen ebenfalls a priori sinnlos.

Zusammengefasst bedeutet das: Für die Evolution, die Entstehung der Arten und den grundsätzlichen Wandel des Lebens gibt es eine ganze Reihe von stichhaltigen wissenschaftlichen Beweisen. Dass die Evolution aber ausschließlich auf dem Zufall beruht und keiner steuernden Kraft unterliegt, ist eine theoretische Annahme, die bisher eben nicht zu beweisen war. Die Möglichkeit der Existenz eines Schöpfers, der schon vor der Entstehung des Lebens da war und dasselbe initiiert haben könnte, muss daher auch und vor allem nach streng wissenschaftlichen Kriterien zugelassen werden.

Auf der anderen Seite gibt es für das Vorhandensein dieses „Intelligent Designers“ aus der Sicht der Gläubigen eine ganze Menge an Belegen. Vor allem aber gibt es religiöse Überzeugungen, die eine Existenz des Göttlichen als gegeben beinhalten. Biologische und wissenschaftliche Erkenntnisse werden deswegen nicht von vornherein abgelehnt, sondern haben zweifellos ihren Platz, denn die Wissenschaft als solche ist grundsätzlich nicht der Gottseibeiuns der Kirche.

Denkt man beide Sichtweisen mit offenem Geist zu Ende, dann erkennt man, dass sich die „Intelligent Design“-Theorie und die Evolutionstheorie keineswegs gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr, dass die Denkmodelle sich sogar ergänzen, ja letztlich sogar ineinander fließen können. Die Existenz des Göttlichen widerspricht weder der Wissenschaft an sich noch der Evolutionstheorie im Speziellen. Und umgekehrt machen bei exakter Analyse sowohl Darwins Erkenntnisse wie auch die Ergebnisse modernster genetischer Forschungen das Vorhandensein eines Intelligent Designers keinesfalls denkunmöglich.

 Dr. Marcus Franz ist Arzt und Nationalrats-Abgeordneter des Teams Stronach.

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Ökosoziale Marktwirtschaft: Auf der Suche nach dem Dritten Weg drucken

Das nicht mehr ganz taufrische Konzept der „ökosozialen Marktwirtschaft“ steht im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion in der Politischen Akademie der ÖVP. Unter der Regie ihres Präsidenten, Werner Fasslabend, stellt Josef Riegler, Ex- Landwirtschaftsminister und Vizekanzler der Regierung Vranitzky III, seine Vorstellungen dieses bereits in den 1990er-Jahren entwickelten Programms vor. Als zweiter Redner auf dem Podium fungiert Gottfried Haber, an der Universität Krems lehrender Volkswirt, der zuletzt als aussichtsreicher Kandidat für die Position des Finanzministers gehandelt wurde.

„Leistungsfähig, fair und nachhaltig“ sei es, jenes Konzept, das die goldene Mitte zwischen freier Markt- und Planwirtschaft markiere. Mehr „soziale Gerechtigkeit“ solle damit verwirklicht werden. Die gegenwärtigen Herausforderungen, wie etwa der Klimawandel, oder die sich weltweit öffnende Schere zwischen Arm und Reich, verlangten nach globalen Antworten. Die Ökosoziale Marktwirtschaft sei jenes „Universalkonzept“, das diese Antworten zu geben imstande sei. Es beinhalte die Internalisierung externer Kosten – zum Beispiel jene der Umweltverschmutzung. Es werde das „ökologisch Richtige“ fördern.

Die Verwirklichung des Konzepts lebe von der Beteiligung aller. Der Einzelne könne im eigenen Umfeld viel bewirken: Durch überlegtes Einkaufen, sparsamen Umgang mit Energie, etc. Der „ökologische Fußabdruck“, müsse kleiner werden. Für die Unternehmen gelte dasselbe.

Die Gemeinden sieht Riegler in einer Schlüsselposition. Hier könne am meisten in Richtung Ökologisierung des Wirtschaftens getan werden. Der Staat schließlich solle mit einer sozial und ökologisch orientierten Steuerreform lenkend eingreifen, wobei auf eine ausgeglichene Haushaltsführung zu achten sei. Auf der Ebene der EU wären durch den Vertrag von Lissabon die notwendigen Grundpfeiler einer ökosozialen Ausrichtung der Union bereits errichtet. Weltweit schließlich bedürfe es „fairer Regeln“ („Global Governance“), die auch einzuhalten seien.

Speziell im Hinblick auf die „Klimaziele“ sei es bedauerlich, dass die Hauptproduzenten von Treibhausgasen, die USA, China und Kanada, abseits stünden. Es bedürfe eines neuen ordnungspolitischen Ansatzes, um der weltweiten Probleme im Hinblick auf die Klimaänderung Herr zu werden. So etwa brauche es „faire Energiepreise“. Die Steuern auf Energieträger seien zu niedrig. Finanztransaktionssteuern wären hilfreich, könnten allerdings nur international akkordiert eingeführt würden. Der Kampf gegen das „Krebsübel der Steuerhinterziehung“ sei zu forcieren, „Steueroasen“ seien trockenzulegen.

Internationale Organisationen, wie UNO, IWF und WTO seien zu stärken. Die entscheidende Frage laute letztlich: „Politik oder Diktatur der Konzerne?“ Letzterer sei durch ein „konstruktives Miteinander“ auf politischer Ebene zu begegnen.

Hausherr Werner Fasslabend stellt fest, dass Europa mit sieben Prozent der Weltbevölkerung zwar 20 Prozent der Weltwirtschaftsleistung erbringe, zugleich aber für 50 Prozent aller Sozialleistungen aufkomme. Inwieweit dieser Zustand im globalen Wettbewerb dauerhaft gehalten werden könne, sei die Frage…

Um seine Meinung zur ökosozialen Marktwirtschaft gebeten, ist Haber bemüht, geschickt zwischen Markt und Plan zu lavieren. Es gehe einerseits um Nachhaltigkeit – ein lobenswerter Ansatz – im Grunde aber jedenfalls um Marktwirtschaft, weil klar wäre, dass sie einer geplanten Ökonomie überlegen sei. Das Adjektiv „ökosozial“ bedeute seiner Meinung nach einen Pleonasmus, da Nachhaltigkeit im Zentrum jeder Marktwirtschaft stehe.

Wesentlich seien die Spielregeln, nach denen (weltweit) gewirtschaftet würde. „Reiche“ Staaten (wie die USA) dürften dabei nicht ausscheren. Allerdings dürfe man auch nicht übersehen, dass manche Volkswirtschaften bereits am Rande ihrer Belastungsfähigkeit angelangt seien. Preise sollten tatsächlich alle Kosten widerspiegeln.

Ein „ökosoziales“ Konzept verbiete nicht jede Umweltverschmutzung, es belaste nur deren Verursacher mit den entsprechenden Kosten. Zur Umsetzung müsste an den „Systemschnittstellen“ gearbeitet werden. Ohne weitgehende internationale Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen – unter strikter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips – gehe es nicht.

Résumé: Der Begriff Ökosoziale Planwirtschaft würde der Wahrheit deutlich näher kommen. Bereits vor vielen Jahrzehnten stellte Ludwig Mises fest, dass es illusorisch ist, einen „Dritten Weg“ zwischen Markt und Plan zu suchen: Tertium non datur. Ein bisserl schwanger sein ist unmöglich. Jeder noch so gut gemeinte Versuch, den Markt „bändigen“ zu wollen, führt zunächst zu nicht beabsichtigten Resultaten und in der Folge in eine Interventionsspirale. Am Ende steht eine völlig ineffiziente Kommandowirtschaft.

Jedes von Riegler gesprochene Wort, das, mit F. A. Hayeks Worten, auf eine „Anmaßung von Wissen“ hinausläuft, steht dieser Erkenntnis entgegen. Was soll „sozial gerecht“ bedeuten – außer: ein anderer zahlt – eine Umverteilung von Produktiven zu Unproduktiven? Was ist „ökologisch richtig“ und wer legt das fest? Wer soll die Hunderttausendschaften von ganz und gar unproduktiven Regulatoren und Kontrolleuren bezahlen, die vom Elfenbeinturm aus täglich neue Regeln ersinnen, mit denen sie arbeitenden Menschen das Leben schwer machen? Soll die Schaffung einer globalen Steuerwüste tatsächlich ein wünschenswertes Ziel sein? Haarsträubend!

Marktwirtschaft funktioniert ohne Prädikate! Sie basiert auf privatem, nicht auf öffentlichem Recht und auf Vertragsfreiheit. Rieglers Utopien jedoch nehmen privaten Akteuren jeden Spielraum. Hier wird von einer allwissenden und allmächtigen Zentralbürokratie (am Ende einem Weltstaat unter UNO-Fuchtel?) dem Bürger jeder einzelne seiner Schritte oktroyiert. Privateigentum und Freiheit sind damit de facto abgeschafft.

Enttäuschend, dass ein – vermeintlich liberaler – Ökonom, der mehrfach den Begriff „Austrian Economics“ ins Spiel bringt, nicht den Nerv hat, darauf hinzuweisen, dass Rieglers Ideen konsequent zu Ende gedacht auf eine Zwangswirtschaft unter einem (Öko-)Räteregime hinauslaufen. Spielt hier am Ende gar das Kokettieren mit einem künftigen Ministeramt auf einem ÖVP-Ticket eine Rolle…?

Dank gebührt Werner Fasslabend, der unmissverständlich klar macht, dass in einer global vernetzten, hochkomplexen Welt, eine Planökonomie zum Scheitern verurteilt ist. Ohne Millionen von unentwegt durch Preise gesetzte Signale, die eine Selbstregulation des gesamten Wirtschaftssystems sicherstellen, geht es nicht.

Wirtschaftsminister Ludwig Erhard schaffte einst mit seinem konsequenten Eintreten für die Marktwirtschaft das deutsche „Wirtschaftswunder“. Das war eine im wahrsten Sinn des Wortes soziale Großtat. Ebenso vehement sprach dieser hoch verdiente Mann sich für regionale Verantwortlichkeiten aus: „Wehe dem, der glaubt, man könne Europa etwa zentralstaatlich zusammenfassen, oder man könne es unter eine mehr oder minder ausgeprägte zentrale Gewalt stellen.“ Worte von zeitloser Gütigkeit.

Indes wurden die beispielhaften Lehren der Vergangenheit von Menschen, die keinen Tag ihres Lebens unter Marktbedingungen gearbeitet haben (was auf Josef Riegler in gleicher Weise zutrifft, wie auf 95 Prozent aller übrigen heute aktiven Politiker) leider allesamt vergessen!

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Wo bleibt das Positive? Hier ist es! drucken

Die Welt ist voller toller, positiver Entwicklungen. Nur wird darüber meist nicht berichtet, weil es nicht in ideologische Vorurteile passt. Oder weil viele Medienmacher an den Spruch glauben: Only bad news sells. Oder weil sehr oft Regierungen positive Nachrichten zu drechseln versuchen – was dann auch bei wirklich guten Nachrichten misstrauisch macht. Oder weil das Positive (abgesehen von seltenen Großereignissen wie dem Fall der Mauer) meist in ruhigen, langsamen Entwicklungen kommt und so als fader Normalfall empfunden wird. Das Negative aber passiert gern plötzlich. Es wird aber auch deshalb oft stark betont, um es noch zu verhindern.

Der Beispiele gibt es genug. Aus der großen wie auch aus der österreichischen Welt.

  • Vor den Vorhang gehört etwa die steirische Reformpartnerschaft: SPÖ und ÖVP haben es geschafft, für 2015 ein Budget ohne Neuverschuldung zu erstellen. Und doppelt sind sie zu loben, weil sie gleich dazu sagen, dass der Weg noch lange nicht zu Ende ist. Die Landesherrn Voves und Schützenhöfer bleiben auf diesem Weg, obwohl sie dafür von Bürgermeistern und manchen Wählergruppen heftig geohrfeigt worden sind. Die Steiermark hebt sich damit wohltuend von anderen Bundesländern ab, insbesondere von der Gemeinde Wien, wo sich die Verschuldung in einer einzigen Periode vervielfacht hat.
  • Zu loben ist auch die Vorarlberger Polizei, die eine große Bande von Fahrraddieben geschnappt hat. Denn sie hat bei der Bekanntgabe auch dazugesagt, dass die Täter Rumänen sind. Sonst geben Polizeisprecher ja immer öfter nur das völlig belanglose Lebensalter eines Verbrechers, aber nicht mehr dessen Herkunft an. Wir lernen: In Vorarlberg ist halt die Wahrheit immer noch wichtiger als die Political correctness mit all ihren Mechanismen, um unangenehme Wahrheiten zu verdrängen und verschweigen.
  • Noch einmal Vorarlberg: Dort hat das Ergebnis der Landtagswahl zur Folge, dass eine ganze Reihe von Abgeordneten in den Landtag gekommen ist, obwohl sie auf den Parteilisten weit hinten gestanden sind. Sie haben das Mandat aber durch die große Zahl von Vorzugsstimmen errungen, die für sie abgegeben worden sind. Ein solches Wahlrecht ist absolut nachahmenswert. Nur noch Niederösterreich und Südtirol orientieren sich noch stärker am Wollen der Wähler. Im Bund ist dieser hingegen nach wie vor bedeutungslos.
  • Die Österreicher sammeln mehr als das Doppelte der Menge an Elektroschrott, welche die EU als Zielvorgabe genannt hat. Absolut super. Dennoch denken die vielen grünen NGO nicht daran, auch einmal etwas gut zu finden. Dann wäre ja ihrem ewigen Jammern die Grundlage entzogen. Und nur mit Jammern kann man spendenfreudigen alten Frauen und populistischen Steuergeldverwaltern immer noch mehr Geld herausreißen.
  • In Deutschland schlägt der Bund bei Finanzverhandlungen mit den Ländern nun erstmals vor, dass diese selbst die Höhe von Zuschlägen bei Einkommen- und Kapitalertragsteuern festlegen können. Eine absolut kluge Idee, die auch längst in Österreich auf den Tisch gehören würde. Hier aber sagen immer alle Politiker: „Geht net“. Genau durch solche unterschiedliche Steuersätze wird – würde erstmals wirksamer Druck auf die Bundesländer ausgeübt, bei den Ausgaben sparsamer zu sein. Bisher ist es ja für die Politiker der Bundesländer sehr einfach: Sie hauen das Geld mit beiden Armen beim Fenster hinaus, aber der Bund muss den Missmut der Bürger über den Steuerdruck einstecken. In Deutschland wie in Österreich.
  • In Spanien ist der konservative Justizminister im Streit um das Abtreibungsgesetz zurückgetreten. Ein Mann mit Charakter, der zu seinen Überzeugungen steht und lieber auf Job und Gehalt verzichtet als auf seine Grundsätze. In Österreich hingegen wartet man seit der Regierungsumbildung immer nur auf die „Sozialpartner“, um Grundsätze zu haben.
  • Selbst eine Entwicklung, die häufig als Grund zur Sorge gilt (auch in diesem Tagebuch), kann verblüffenderweise positiv gesehen werden: das immer höhere Durchschnittsalter der Bevölkerung in Westeuropa, das automatisch Folge des Geburtenrückgangs und der steigenden Lebenserwartung ist. Zumindest zeigt eine Studie des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA in Laxenburg) eine erstaunliche Reihe positiver Auswirkungen und Zusammenhänge.
    - Die Arbeitskräfte sind zwar weniger, aber gebildeter und produktiver;
    - ältere Menschen verursachen weniger CO2-Emissionen und konsumieren weniger energieintensive Produkte;
    für die seltener gewordenen Kinder gibt es höhere Erbschaften;
    - die Lebensqualität steigt, weil weniger Zeitanteil für Arbeit und Haushalt aufgewendet wird;
    - Menschen verbringen trotz des höheren Lebensalters einen größeren Teil des Lebens bei guter Gesundheit.
    Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters ist dennoch unvermeidlich – aber nach den Erkenntnissen aus dieser Studie nun nicht mehr nur aus ökonomischen Gründen, sondern auch deshalb, weil sie sozial sehr sinnvoll ist. Weil es ja um das Weiterarbeiten gesunder, fähiger und meist auch arbeitswilliger Menschen geht. Dennoch dominiert zumindest bei den Sozialisten in allen Parteien gerade zu diesem Thema das gewerkschaftliche Krankjammern.
  • Besonders eindrucksvoll ist eine Zusammenstellung der Allianz-Versicherung über das weltweite Geldvermögen. Demzufolge ist die Zahl der Reichen (jener, die mehr als 31.800 Euro Geld besitzen), um 65 Millionen Menschen gesunken. Und die Mittelschicht (5300 bis 31.800 Euro) ist stark gestiegen: in Lateinamerika hat sie sich sogar verdoppelt, in Osteuropa fast verdreifacht und in Asien versiebenfacht. Wetten, dass dennoch unbeirrt weiter die linke Lüge „die Armut wird immer größer, die Reichen werden immer reicher“ ständig getrommelt wird? Leider auch als unreflektierter Bestandteil vieler christlicher Sonntagspredigten.

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Right is right and left is wrong! drucken

Ressourcenknappheit bedinge die Notwendigkeit, soziales Leben unter eine allgemeine Ordnung zu stellen: Der Ökonom Hans-Hermann Hoppe befasste sich bei einer Tagung seiner „Property and Freedom Society“ mit der Bedeutung von rechts und links im (eindimensionalen) politischen Ordnungsschema. Eine solche Ordnung diene dazu, den Menschen zu ermöglichen, in Frieden miteinander zu leben.

Selbst wenn wir im Garten Eden lebten, wo es alle materiellen Güter im Überfluss gibt, wäre eine solche Ordnung unerlässlich, weil auch hier – hinsichtlich Zeit und Raum – Knappheit herrsche. Selbst im Paradies wären Entscheidungen hinsichtlich der zeitlichen Reihenfolge nötig, in welcher Wünsche verwirklicht werden. Da sich etwa zwei Personen in einem begrenzten Raum zur selben Zeit nicht an derselben Stelle befinden könnten, wäre zur Konfliktvermeidung eine entsprechende Ordnung notwendig.

Die eindeutige Unterscheidung zwischen Mein und Dein sei in einer von Knappheit gekennzeichneten Welt eine entscheidende Voraussetzung dafür, betont Hoppe. Privates Eigentum bilde den Schlüssel. Privateigentum sei keine willkürliche Konstruktion, keine bloße Fiktion, sondern a priori wahr. Jedermann sei Eigentümer seines eigenen Körpers (John Locke hat diese Idee in seiner „Zweiten Abhandlung über die Regierung“ 1689 erstmals ausgeführt). Diese Tatsache sei nicht zu bestreiten, ohne sich dabei in einen logischen Widerspruch zu verstricken; Die Existenz privaten Eigentums somit unwiderlegbar bewiesen.

Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen links und rechts sieht Hoppe in der Anerkennung oder Ablehnung der Existenz individueller Unterschiede zwischen den Menschen. Für Rechte existierten derartige Unterschiede – auch solche hinsichtlich deren geistiger Fähigkeiten und der daraus resultierenden Konsequenzen. Diese Unterschiede seien – ob mit oder ohne den Einsatz von Gewalt – nicht aus der Welt zu schaffen.

Linke sähen das anders. Für sie resultierten allfällige Unterschiede ausschließlich aus Glück und Zufall (z. B. Ort der Geburt und Herkunft). Da das so sei, müssten derart „ungerechte“ Unterscheide (gewaltsam) eingeebnet werden.

Aus dem bisher Gesagten würde klar, dass libertäres Denken mit rechten Positionen kompatibel, mit linken dagegen unvereinbar sei. Linke Positionen stünden in direkter Opposition zu privatem Eigentum. In einem linken System hätten die Machteliten darüber zu entscheiden, wer „glücklich“ ist und wer nicht und welche Maßnahmen zum Ausgleich dieser „Ungerechtigkeiten“ zu ergreifen seien.

Da aber, bedingt durch menschliches Handeln, tagtäglich neue Ungleichheiten auftreten würden, wären unentwegte Interventionen unumgänglich. Der fortgesetzte (gewaltsame) Ausgleich von Ungleichheiten führe zwangsläufig zu einer totalitären Kontrolle durch den Staat.

Hoppe erläutert die praktische Unmöglichkeit eines „linken Libertarismus“ anhand der Haltung zur Frage der Immigration. „Linkslibertäre“ argumentierten auf Basis der „Menschenrechte“ pro unbeschränkte Immigration. Rechtslibertäre dagegen auf Basis des Eigentumsrechts dagegen. Privateigentum impliziere Diskriminierung. Es bedeute exklusive Nutzung, das heiße, bestimmte Menschen von seinem Gebrauch ohne weitere Begründung ausschließen zu können.

Da in einer Privatrechtsgesellschaft kein „Gemeineigentum“ – auch nicht an Grund und Boden – bestehe, sei der Aufenthalt daher nur mit Zustimmung des jeweiligen Eigentümers möglich. Eine (Massen-)Immigration gegen den Willen der Grundeigentümer könne somit unmöglich stattfinden. Der Staat als Anwalt der Bürger und Steuerzahler habe auf dem „Vollkostenprinzip“ zu bestehen und Zuwanderung auf öffentlichen Grund nur gegen vollen Aufwandsersatz zuzulassen.

Tatsächlich aber geschehe das genaue Gegenteil. Für die Volkswirtschaft unbrauchbare Immigranten würden sonder Zahl ins Land gelassen und die Kosten für deren Versorgung (in einem Akt der Untreue) den Steuerzahlern aufgebürdet. Da der ungezügelte Zuzug von nicht sinnvoll zu beschäftigenden Immigranten den Wohlfahrtsstaat an den Rand des Kollaps bringe, würde am Ende ein noch stärkerer Staat – zur Durchsetzung noch härterer Enteignungsmaßnahmen gegen die Bürger – notwendig.

Das von „Linkslibertären“ immer wieder vorgebrachte Argument, dass nicht nur Staatseigentum, sondern auch Privateigentum unrechtmäßig bestehen könne, sei grundsätzlich korrekt. Jedoch trage in jedem Fall der Ankläger (in diesem Fall derjenige, der behauptet, ein privater Eigentumstitel bestünde unrechtmäßig) die Beweislast. In jedem Fall zähle der ältere Titel.

 „Linkslibertäre“ sähen weder ein Problem im Kampf gegen die Diskriminierung von Minderheiten, noch darin, „affirmative actions“ zu ergreifen. Dabei würde jedoch übersehen, dass die Definition diskriminierter und daher angeblich schutzwürdiger Minderheiten der völligen Willkür der herrschenden Eliten überlassen bleibe. In aller Regel liefen alle Antidiskriminierungsmaßnahmen in der Praxis auf die Benachteiligung weißer, heterosexueller Männer hinaus…

Nach dem Motto „divide et impera“ hätten die herrschenden Eliten die Schwächung und letztlich die Beseitigung aller mit dem Staat konkurrierenden Organisationen auf ihre Fahnen geschrieben. Ganz oben auf der Agenda stehe die Familie (die auch schon Karl Marx als Erzfeind des „Fortschritts“ identifiziert hat).

Eine konsequente Antidiskriminierungspolitik führe zu diesem Ziel. Der Staat mache sich zum Anwalt der angeblich Diskriminierten und zugleich zu deren Vollstrecker. Die Gesellschaft würde damit in ihre kleinsten Teile aufgelöst – jedermann folglich zum Klienten und Komplizen des Staates – im Kampf gegen alle anderen Individuen, die um willkürlich verteilte Wohltaten konkurrierten.

Deklariere Etatisten seien realistischer als „Linkslibertäre“. Erstere wollten weiterhin ihre Pfründe genießen und freuten sich daher über jede Hilfe („linkslibertärer“) nützlicher Idioten.

Rechtslibertäre seien keine Kulturrelativisten. Niemals sollte der Fehler begangen werden, Staat und Volk miteinander zu verwechseln.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Krieg: Wozu er gut ist drucken

Heraklit sieht im Krieg den „Vater aller Dinge". Clausewitz eine „Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln". Hobbes erblickt in seinem Leviathan jene Kraft, die dem „Kampf aller gegen alle" ein Ende setzt und gewaltsam zum Frieden zwingt. Stanford-Historiker Ian Morris identifiziert ihn paradoxerweise als den eigentlichen, den wahren Friedensstifter auf Erden und meint im Krieg jenes Phänomen zu erkennen, das den Leviathan erst in die Welt setzt…

Der Übergang vom nomadischen Leben zur Sesshaftigkeit bringt, durch die damit verbundene Landbindung („Caging") völlig neue Bedrohungen mit sich. Wer die Früchte seines Feldes selbst ernten und nicht zusehen will, wie benachbarte Räuber sie ihm stehlen, muss wohl oder übel (wehrhafte) Wächter unterhalten. Je größer die bestellten Flächen, je wertvoller die potentielle Beute, desto zahlreicher die räuberischen Feinde.

Die „produktive Kraft" des Krieges liege nach Morris nun darin, dass ihm eine Tendenz zur Schaffung größerer Einheiten innewohne. In jedem Fall trifft es jedenfalls zu, dass der Leviathan durch den Krieg stärker wird – jedenfalls im Inneren. Nichts schart die Bürger zuverlässiger um seine Fahne, als der Kampf gegen einen äußeren Feind.

Der zunächst „mobile Bandit", der rücksichtslos raubend, sengend und mordend übers Land zieht, und nur an einem einzigen Coup interessiert ist, weicht nach und nach dem „stationären Banditen" (Mancur Olson), der seine Opfer am Leben lässt und ihnen weniger raubt, als sie zum schieren Überleben benötigen. Denn ihm liegt daran, sie dauerhaft auszuplündern, was den Einsatz nackter Gewalt reduziert.

Die Rivalität benachbarter stationärer Banditen führt zu „produktiven Kriegen", an deren Ende eben nicht die Auslöschung der unterlegenen Partei, sondern deren Integration ins Imperium des Siegers steht. Die Zahl der gewaltsam zu Tode kommenden Menschen sinkt, je größer die verbleibenden Einheiten werden. Sterben in der Steinzeit etwa 20 Prozent und im Mittelalter zehn Prozent der Menschen eines gewaltsamen Todes, so sind es im durch zwei Weltkriege geschlagenen 20. Jahrhundert nur noch ein Prozent. Der Clou: „Produktive Kriege" führen am Ende nicht nur zu mehr Sicherheit, sondern auch zu mehr Wohlstand – und zwar langfristig auch für die Verliererseite.

Der zentral regierte Weltstaat ist – nach Morris’ Vorstellung – das anzustrebende, den ewigen Frieden garantierende Ideal. Dass das Beispiel der – dank anmaßender Integrationsbemühungen – in ihre schlimmste Krise geratenen EU die Grenzen der Integration aufzeigt; dass nach Etablierung eines zentralistischen Weltstaates Kriege eben „Aufstände" genannt würden, nimmt der Autor nicht zur Kenntnis. Dass die „unsichtbare Hand des Marktes" (A. Smith) einer „unsichtbaren Faust des Leviathans" bedarf, um wirksam zu werden, ist eine bloße Behauptung, die jeder stichhaltigen Begründung ermangelt. In seiner „gewaltfreien", mechanistisch-technokratisch funktionierenden Welt ist keinerlei Platz für die Freiheit. Menschen agieren indes weder wie Insekten noch wie Automaten. Dass die Utopie des von Morris gewünschten, weltumspannenden, von ebenso weisen wie bürokratischen Gewalttätern regierten Termitenstaates tatsächlich dereinst das Ende der Geschichte markieren könnte, erscheint daher (Gottlob!) unwahrscheinlich.

Die provokanten Thesen des Autors sind brutale Schläge ins Gesicht all derjenigen, die der Anwendung initiierter Gewalt (nicht der Fähigkeit zur Selbstverteidigung!) grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Sie fordern allerdings zum Nachdenken und zur Überprüfung der eigenen Argumente heraus. Darin liegt wohl der größte Nutzen des vorliegenden Buches.

Krieg/Wozu er gut ist
Ian Morris
Campus Verlag 2013
527 Seiten, gebunden
ISBN 978–3–593-39716-0
€ 26,99,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Bravo Schottland, noch mehr Bravo Großbritannien drucken

Außer gierigem Regionalegoismus und Machtansprüchen von Lokalpolitikern hat es nie eine echte emotionale Motivation für die schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen gegeben. Diese sind nur dann nachvollziehbar, wenn Regionen ethnisch oder religiös diskriminiert worden sind oder noch immer werden, oder wenn sie nur als Kriegsbeute von einem Staat annektiert worden sind. Das überaus klare Ergebnis des schottischen Referendums ist damit ein großer Sieg der Vernunft.

Die Sezessionisten haben letztlich nur hohle Rhetorik anzubieten gehabt. Ihre einzige wirkliche Motivation war abgesehen von persönlichem Machtstreben schottischer Politiker bloß finanzielle Regionalgier. In den Jahrhunderten, als Schottland viel ärmer war als England, hat niemand nach einer solchen Sezession verlangt. Dieser Wunsch ist erst genau dann erwacht, als vor Schottlands Küsten Öl und Gas gefunden worden sind. Das wollten die Schotten plötzlich nur für sich und ihren Konsum (der sich wie immer als soziale Wohlfahrt tarnt).

Man stelle sich als Österreicher etwa vor, im steirischen Judenburg würde in großem Umfang Öl oder Gas oder Gold gefunden werden. Wetten, dass dann bald Funktionäre auch Sezessionsforderungen entfachen würden? „Steirisches Öl gehört der Steiermark!“ Und zwar nicht nur das Kürbiskernöl. Einst im Mittelalter hat die Steiermark ja auch nicht zu Österreich gehört, würde dann etwa als Begründung gesagt. In einer späteren Phase könnte dann freilich auch der plötzlich ölreiche Bezirk Judenburg die Unabhängigkeit von der Steiermark verlangen. Heute hingegen denkt in armen Bundesländern natürlich niemand an so etwas.

Mit solchem Regionalegoismus warten – nicht nur Schottland – vor allem jene auf, die sonst nicht oft genug von „Gerechtigkeit“ schwätzen, wenn sie eine Umverteilung in die eigenen Taschen verlangen. Die deutliche Mehrheit der schottischen Wähler hat aber dennoch klar Nein gesagt. Sie haben gespürt, dass trotz des jetzigen Ölsegens langfristig ein Zusammenbleiben sinnvoller ist. Dass dieses insgesamt gesehen auch ökonomisch rationaler ist als der kostspielige Aufbau neuer Staaten. Dass damit viel weniger Unwägbarkeiten verbunden sind. Und sie haben vor allem keinerlei Gefühl der Diskriminierung verspürt.

Nicht nur wegen dieses Ergebnisses eines "Stay together" ist Großbritannien zu beglückwünschen. Sondern vor allem wegen seiner Bereitschaft, ein solches Referendum – etwa im Gegensatz zu Spanien, Italien, der Ukraine und Russland – zu ermöglichen und jeden Ausgang anzuerkennen, also auch eine Sezession, ob man sie nun für begründet oder unsinnig hält. Nur eine solche Haltung respektiert wirklich die Würde der Menschen. Staaten dürfen keine Zwingburgen mehr sein.

Das in fairer Weise umgesetzt zu haben, ist ein wirklich historisches Verdienst der Briten. So wie sie einst durch die Habeas-Corpus-Akte weltweit den ersten Schritt hin zu verbrieften Menschenrechten gemacht haben.

Selbstbestimmung ist – wäre – überdies auch weltweit die weitaus beste Friedens-Strategie. Aber noch immer glauben viele Regierungen an imperiale Macht, an ihr „heiliges“ Eigentum über Menschen und Gebiete. Was noch viel Blutvergießen auslösen wird.

PS: Blamiert haben sich wieder einmal alle, die sich als Propheten versucht haben. Meinungsforscher und Medien haben ja fast alle von einem Kopf-an-Kopf berichtet. Sie haben damit weiter die eigene Glaubwürdigkeit unterminiert. Zehn Prozentpunkte Abstand zwischen Nein und Ja sind ja nicht gerade das, was man sich unter einem Kopf-an-Kopf vorstellt. Noch immer sind die Wähler der Souverän und niemand sonst, auch wenn er sich noch so wichtig macht.

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Der neue sozialistische Destruktionismus: Am Ende steht die Zwangswirtschaft drucken

Der Begriff Destruktionismus wurde von Ludwig Mises geprägt und bezieht sich auf Handlungen, die Kapitalverzehr nach sich ziehen – also das exakte Gegenteil von Kapitalakkumulation, die den Kapitalismus kennzeichnet. In einem Vortrag vor der „Property and Freedom Society“ beschäftigte sich Thorsten Polleit, Chefökonom der deutschen Degussa Goldhandelsgesellschaft, jüngst mit diesem Phänomen.

Nirgendwo in der westlichen Welt existiert ein Verlangen nach voll entwickeltem Sozialismus. Der Kollaps des Realsozialismus in Osteuropa, die Erkenntnis, dass sozialistische Systeme wenig produktiv sind und am Ende zur Auslöschung der individuellen Freiheit führen, hat seine Anziehungskraft erheblich reduziert. Nichtsdestotrotz wirken seine Versprechungen immer noch attraktiv.

Die Frage „Was ist Sozialismus?“ beantwortet Polleit mit einem Zitat: „Die Essenz des Sozialismus ist: Alle Produktionsmittel befinden sich unter der exklusiven Kontrolle des organisierten Kollektivs. Das – und alleine das – ist Sozialismus. Alle anderen Definitionen sind irreführend“ (Ludwig Mises). Unter sozialistischen Regimes sind die Produktionsmittel in öffentlicher Hand, der Markt ist gewaltsam ausgeschaltet und jede wirtschaftliche Aktivität folgt zentraler Planung. Sozialismus steht in diametraler Opposition zum Kapitalismus.

Sozialismus wird beherrscht durch ein gegen privates Eigentum und gegen private Eigentumsrechte gerichtetes Aggressionsprinzip. Die Existenz von Privateigentum ist aber keine willkürliche Annahme. Tatsächlich ist sie ein a priori-Recht, das auf dem unbestreitbaren Axiom menschlichen Handelns und auf dem Prinzip des Selbsteigentums basiert. Die „Unmöglichkeit des Sozialismus“ wurde von Ludwig Mises in seiner 1920 erschienenen Schrift „Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen“ eindrucksvoll dargelegt. Das Fehlen von Marktpreisen (und daraus resultierenden Signalen) führt zur permanenten Ressourcenvergeudung und damit zur unausweichlichen Verarmung der Gesellschaft.

Unter den verschiedenen Organisationsformen des Sozialismus ist der von Othmar Spann beschriebene „Ständesozialismus“ besonders hervorzuheben. Dabei wird das Privateigentum zwar nominell beibehalten, doch der Eigentümer ist auf die Rolle eines Verwalters reduziert, der maßgebliche Unternehmensentscheidungen nicht mehr frei treffen kann, sondern an staatliche Vorgaben gebunden ist. Mises hat dafür den Begriff „Zwangswirtschaft“ geprägt. Beispiele für diese Organisationsform bilden das Wirtschaftregime Deutschlands während des Ersten Weltkriegs („Hindenburgplan“) und Deutschlands Wirtschaft unter der Fuchtel der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren.

Interventionismus

Der politische Plan, der zur Zwangswirtschaft führt, ist der Interventionismus. Dieser versucht, Privateigentum an den Produktionsmitteln zu erhalten, aber unter autoritärem Kommando, das die Handlungsmöglichkeiten der Eigentümer strikt limitiert. Es handelt sich um den Versuch, einen Mittelweg zwischen Sozialismus und Kapitalismus zu beschreiten. Indes ist er von destruktiver Natur. Er bedeutet einen Angriff auf privates Eigentum und macht die Ökonomie (durch seine negativen Konsequenzen hinsichtlich der Kapitalakkumulation) ärmer, als sie es in einer Marktwirtschaft wäre.

Der Interventionismus führt zu Ergebnissen, die weniger wünschenswert sind, als seine Befürworter sich das vorstellen. Als Beispiel sei der Versuch genannt, den Milchpreis künstlich niedrig zu halten. Ergebnis wird Milchknappheit sein, da viele Produzenten sich aus dem Markt zurückziehen. Das wiederum führt zu weiteren hoheitlichen Maßnahmen – es kommt zu einer „Interventionsspirale“.

Ein aktuelles Beispiel ist die Währungsunion innerhalb der EU. Immer weiter reichende Interventionsmaßnahmen werden ergriffen: „Stabilitätsmechanismus“, Bankenunion, der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB – allesamt Aktionen, die die verbliebenen Reste des freien Marktes zerstören. Wie Mises bereits in seiner 1929 erschienen „Kritik des Interventionismus“ feststellte: „Es gibt keine Politik des Dritten Weges.“ Jeder Versuch, ihn zu beschreiten, führt in die Zwangswirtschaft.

Politik des trojanischen Pferdes

Es gibt drei Grundtypen von Interventionisten: den Naiven, der darin ein Vehikel zur Weltverbesserung sieht; den Egoisten, der sich von einer interventionistischen Politik persönliche Vorteile verspricht und den Kaltblütigen, den bedachten Sozialisten, der sich der destruktiven Kräfte des Interventionismus voll bewusst ist. Für ihn ist der Interventionismus ein Instrument, um die Gesellschaft seinem sozialistischen Ideal näher zu bringen. Er zielt auf die Installation des Sozialismus durch die Hintertür.

Relativierung privaten Eigentums

Der „demokratische Sozialismus“ möchte sein Ziel nicht gewaltsam, sondern mittels parlamentarischer Mehrheit verwirklichen. Seit den späten 1950er Jahren haben die deutschen Sozialisten nicht mehr die Absicht, die Produktionsmittel zu verstaatlichen. Stattdessen wird von ihnen nunmehr postuliert, dass kein Eigentümer privater Produktionsmittel der rechtmäßige Eigentümer aller Einkommen sei, die daraus resultieren. Ein Teil davon gehöre der Gesellschaft. Damit ist die Tür zur laufenden, allmählichen Beraubung der Eigentümer geöffnet. Die Organisation, der die Aufgabe zufällt, die Beute zu verteilen, ist der Staat.

Nach der Definition von Hans-Hermann Hoppe ist der Staat eine Unrechtsorganisation, die durch pure Gewalt entsteht und die durch das „Recht“, Steuern zu erheben, gekennzeichnet ist. Unter einer Mehrheitsherrschaft im Staat werden die Wähler jene politischen Kräfte an die Macht bringen, von denen sie sich versprechen, dass sie ihnen die größten Vorteile – auf Kosten anderer – bringen werden. Die herrschende Klasse lässt daher die Massen an ihrer Beute partizipieren – am Ergebnis ihrer Aggression gegen privates Eigentum.

Die Aggression des Staates nimmt sukzessive zu, und zwar notwendigerweise. Denn mächtige Interessengruppen versuchen, Recht und Ordnung entsprechend zu beeinflussen. Firmen sind darauf aus, subventioniert zu werden und viele Bürger trachten danach, Staatsanstellungen zu erhalten, etc. Der Staat kann unter diesen Umständen nicht gezähmt, sein unaufhörliches Wachstum nicht beschränkt werden. Ist er einmal etabliert, ist jeder Versuch, ihm Grenzen zu setzen, vergebens. Auch eine Verfassung ist nicht dazu in der Lage, seine Expansion zu verhindern. Ein verfassungsmäßig limitierter Staat ist ein Widerspruch in sich, eine praxeologische Unmöglichkeit. Selbst ein Minimalstaat wird sich zum Maximalstaat entwickeln.

Monetärer Interventionismus

Ein besonders wirkungsvolles Mittel zur Förderung des Staatswachstums ist der Interventionismus im Bereich des Geldwesens. Die volle Kontrolle über die Geldproduktion und -versorgung ist für den Staat daher unerlässlich. Die Einführung und der Einsatz von Fiat Money (Geld ohne jede materielle Deckung) spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Maximalstaates. Durch die künstliche Schaffung von Konjunkturzyklen (als Folge uneingeschränkter Geldproduktion) entstehen fortgesetzt Krisen, die den Ruf nach noch mehr staatlichen Interventionen zur Folge haben. Die Menschen halten Marktversagen für die Krisenursache und erwarten das Heil von staatlichen Regulierungen.

Zentralbanken manipulieren den Zins nach unten. Im Gegenzug gewährt der Staat großzügige Geschenke, die mit billigem Kredit finanziert werden. Alle scheinen (vorerst) zu profitieren – Geschäftsleute wie Arbeitslose. Doch die unausweichlich auftretenden Krisen bilden einen idealen Nährboden für das Staatswachstum. Die Naiven glauben, dass der Staat ihnen hilft, die Egoisten hoffen, er erhielte ihnen ihre Privilegien und die Kaltblütigen wissen, dass der Weg dadurch in Richtung der von ihnen erstrebten Zwangswirtschaft geht. In ökonomischer Hinsicht ist die Politik Nonsens; in politischer Hinsicht ist sie eine Strategie der fortgesetzten Sabotage.

In unserer Zeit werden die Ideen des Sozialismus nicht länger durch brutale Gewalt umgesetzt, sondern mittels wohlklingender Kompromisse. Zentrales Werkzeug dafür ist die Relativierung des Privateigentums: Kein Eigentümer privater Produktionsmittel ist rechtmäßiger Eigentümer aller daraus resultierenden Einkommen. Dadurch wird ein Quell permanenter Konflikte geschaffen. Denn die durch privates Eigentum gezogene Grenzlinie zwischen Mein und Dein existiert nicht länger. Rechtmäßig erworbenes Privateigentum steht zur freien Disposition – ist allmählicher Enteignung ausgesetzt.

Diesem Prozess sind keine Grenzen gesetzt. Ist erst einmal eine anfangs limitierte Enteignung erlaubt, gibt es keine Möglichkeit, einen prinzipiellen Einwand gegen eine weiterführende Aggression zu erheben. Das Recht zu diskriminieren, das von privaten Eigentumsrechten nicht zu trennen ist, wird unterminiert. Wird „Antidiskriminierung“ als moralisches Prinzip etabliert, wird es möglich, das Recht einzuschränken, mit seinem Eigentum anzufangen, was man möchte. Das aber reduziert die Möglichkeiten zu dessen fruchtbringendem Einsatz. Der „Erfolg“ ist eine Abnahme von Investitionen und damit geringerer Wohlstand.

Zusammenfassung

Die Welt steht heute unter dem Einfluss von Ideen, die im 20. Jahrhundert zu beispiellosem Elend geführt haben: sozialistische Ideen. Private Eigentumsrechte werden weltweit unterminiert und erodiert. Der neue sozialistische Dekonstruktivismus kommt in der Form einer Kultur des Relativismus privaten Eigentums daher. Das bringt Konflikte interner und internationaler Art mit sich.

Die Strategie, mit der diese „Kultur“ umgesetzt wird, ist der Interventionismus. Im politischen Sinne handelt es sich dabei um eine Strategie der Sabotage, die am Ende eine Zwangswirtschaft mit sich bringen wird – wie sie von den Nationalsozialisten in den 1930er Jahren zelebriert wurde…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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ÖVP neu: Vor der Wahl versprochen, nachher eiskalt gebrochen drucken

Der Kurs des neuen ÖVP-Obmannes ist nun auch aus seinem eigenen Mund zu hören - und macht fassungslos. Denn Reinhold Mitterlehner geht zu beiden zentralen Wahlkampf-Versprechen der Volkspartei öffentlich total auf Distanz. Er glaubt offenbar, dass mit dem Rücktritt eines Obmanns jede Festlegung einer Partei den Bürgern gegenüber entsorgbar ist.

Soll man, kann man dieser ÖVP künftig auch nur irgendetwas noch glauben? Wie sollen sich die ÖVP-Wähler nun vorkommen außer betrogen und verhöhnt, wenn es unter Mitterlehner nun eine völlig andere ÖVP gibt als jene, die sie gewählt haben? Mit welchem Recht werden Wähler eigentlich wie Sklaven verkauft und verschaukelt?

Der Wahlkampf ist nicht so lange her, als dass die Österreicher die beiden einzigen Festlegungen der Volkspartei vergessen hätten. Mit diesen Festlegungen hat die ÖVP ja wider viele Prognosen und gegen fast die gesamte Medienwelt ein recht respektables Wahlergebnis erzielt. Das war erstens: „Keine neuen Steuern“. Das war zweitens: „Das Gymnasium muss bleiben.“ Beide Sätze haben viele Österreicher doch noch einmal ÖVP wählen lassen.

Diesen glasklaren Festlegungen seien die nunmehrigen Aussagen Mitterlehners (in einem „Kurier“-Interview) gegenübergestellt.

Zuerst zum Stichwort neue beziehungsweise höhere Steuern: Zu solchen sagt Mitterlehner zwar „Nein“. Er fügt aber dann ungefragt den – dieses „Nein“ völlig ins Gegenteil verkehrenden – Satz hinzu: „Am Ende wird es aber einen Kompromiss geben müssen.“ Warum bitte? Warum hat die ÖVP dann ihren Wählern nicht vor der Wahl schon gesagt, dass für sie über allen Festlegungen der Kompromiss steht? Warum finden sich Steuererhöhungen nicht einmal im Regierungsprogramm dieser Koalition? Sind all die vielen Analysen von Ökonomen falsch, dass Österreich ein reines Ausgaben-, kein Einnahmenproblem hat?

Und zum Gymnasium wird Mitterlehner gefragt: „Gilt der strikte Satz Ihres Vorgängers weiterhin ,Nein zur Gesamtschule: Das Gymnasium muss bleiben‘?“ Die Antwort des nunmehrigen VP-Obmanns ist wiederum das Gegenteil der bisherigen ÖVP-Linie: „Ich möchte ihn nicht kommentieren. Ich möchte auch in der Bildung etwas gemeinsam weiterbringen. Wir brauchen auch hier den weiterführenden Kompromiss.“

Danke. Alles klar. Ach ja, noch etwas: Der Letzte möge bitte in der ÖVP-Zentrale das Licht abdrehen.

PS: Wenn Mitterlehner so innig mit Werner Faymann ist, wie (nicht nur) in diesem Interview, dann hätte er von diesem auch etwas lernen können (selbst ein Faymann hat ja bisweilen recht): Man darf seinen Wählern niemals vor der Wahl etwas versprechen, was man nachher nicht hält. Genau deswegen ist Faymanns Vorgänger Alfred Gusenbauer gestürzt. Und auch ein US-Präsident hat Wahlen schwer verloren, als er ein Versprechen gebrochen hat. Es hat gelautet: „No new taxes!“

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Wie recht Schäuble hat – auch wenn er nicht die volle Wahrheit sagt drucken

Der deutsche Finanzminister nennt Argentinien ein „Muster an Unsolidität“. In der Tat: Argentinien ist in den letzten Jahrzehnten von einem sehr reichen Land – reicher als das ganze Nachkriegs-Europa! – zu einem sehr armen abgestiegen. Die Frage ist nur: Warum handelt Wolfgang Schäuble nicht auch seinen Worten entsprechend?

Dass der argentinische Papst das katastrophale argentinische Finanzmodell nie kritisiert, ja es offenbar für richtig hält und nur die fleißigen Länder tadelt, haben inzwischen die Katholiken mit Staunen vernommen. Aber gut: Ein Papst muss ja nichts von Wirtschaft begreifen. Er hat andere Aufgaben. Und Franziskus ist durch seine Herkunft geprägt.

Weniger Anlass zum Staunen ist es, dass die linken Mainstream-Medien Argentiniens Sprachregelung sofort übernommen haben. Sie bezeichnen jene als „Geier“, die von Argentinien Skandalöses verlangen: Das Land soll Geld, das es sich ausgeborgt hat, auch einmal zurückzahlen! Zumindest jenes, das es sich unter Zuhilfenahme fremder Rechtsordnungen geliehen hat (weil es unter argentinischem Recht schon damals nichts mehr bekommen hätte).

Umso erstaunlicher ist, dass der deutsche Finanzminister nun plötzlich Klartext spricht: Argentinien lebe über seine Verhältnisse. Das Problem des Landes seien nicht die Fonds, die von Argentinien die Schuldenrückzahlung verlangen, und auch nicht der Internationale Währungsfonds, der dem Land kein neues Geld gibt. Das Problem sei Argentinien selber. Das Land bediene seine Schulden nicht und habe sich dadurch vom internationalen Zahlungsverkehr weitgehend abgeschnitten. „Wenn man auf Dauer mehr Geld ausgibt, als man erwirtschaftet, hat man Probleme.“

Mit jedem Satz, mit jedem Wort hat Schäuble Recht. Es ist dennoch absolut ungewöhnlich, dass ein maßgebender EU-Politiker die Wahrheit auch so offen ausspricht. Das wirft die große Frage auf: Warum spricht Schäuble so nur über das ferne Argentinien und nicht auch über das europäische Griechenland und andere Verschwender-Nationen?

Derselbe Schäuble war sogar der erste relevante Politiker, der ab 2010 die Deutschen und noch ein paar andere für Griechenland zahlen ließ. Das sei angeblich alternativlos. Dabei haben schon damals fast alle Finanzexperten gesagt, dass Griechenland seine Schulden niemals zurückzahlen wird. Weder die alten, mit deren Hilfe das Land lange über seine Verhältnisse gelebt hat. Noch die neuen von Schäuble ermöglichten. Für diese müssen nun Steuerzahler, Sparer und die nächsten Generationen aufkommen.

Schäubles nunmehrige Worte klingen daher sehr rätselhaft. Hat er vielleicht ohnedies Griechenland & Co gemeint? Hat er dieses Land, diese Länder nur aus europäischer Höflichkeit nicht genannt? Oder wollte er seinen damaligen Fehler halt nicht zugeben?

Die jetzige Erkenntnis kommt jedenfalls zu spät. Und sie hängt jedenfalls mit dem kometenhaften Aufstieg der „Alternative für Deutschland“ zusammen. Diese Partei ist ja genau wegen der Behauptungen Schäubles (und seiner Chefin Merkel) über die angebliche Alternativlosigkeit der gigantischen Hilfen entstanden.

Damit hat die „Alternative“ einen Erfolg erzielt – wenngleich indirekt. Aber es ist ja öfter in der Politik so, dass erst eine neue Partei die anderen zu einer Kursänderung veranlasst.

 

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Politik als Beruf drucken

1919 setzte sich Max Weber im Rahmen seiner Beschäftigung mit dem Thema „Geistige Arbeit als Beruf“ auch mit dem Phänomen des Berufspolitikers auseinander. Seine Überlegungen haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

Bis heute entzünden sich Debatten an folgenden beiden Fragen:

  1. Was veranlasst einen Menschen dazu, Politiker zu werden?
  2. Was qualifiziert ihn dazu?

Die Frage nach der Motivation ist schnell beantwortet. Weber: „Wer Politik treibt, erstrebt Macht – Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele – idealer oder egoistischer – oder Macht „um ihrer selbst willen“: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen.“

Für machtlüsterne und an keiner nützlichen Arbeit interessierte Charaktere scheint es ein prickelndes Gefühl zu sein, andere nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. So weit, so schlecht. Das indes ist noch nicht alles. Es geht auch um den Lebensunterhalt. Weber: „Es gibt zwei Arten, aus der Politik seinen Beruf zu machen. Entweder: man lebt „für“ die Politik – oder aber: „von“ der Politik.“ Die Zeiten, in denen rechtschaffene Honoratioren sich aus Idealismus und ohne Bereicherungsabsicht politisch betätigten, sind lange vorbei. Zumindest in Europa pflegen Politiker heute von der Politik zu leben.

Der österreichische Ex-Kanzler Sinowatz stellte – auf sich und seine rote Entourage bezogen – dankenswerterweise klar: „Ohne Partei sind wir nichts“. Er sagte damit indes nur die halbe Wahrheit, denn die Partei ihrerseits ist ja nichts ohne den Staat, dessen sie als Wirt und Werkzeug bedarf. Weber zum Wesen des Staates, den sowjetischen Revolutionär Leo Trotzki zitierend: „Jeder Staat wird auf Gewalt gegründet.“ Ohne dafür eine Volte schlagen zu müssen, lässt sich daraus ableiten: Politiker sind im Dienste des Staates agierende Gewalttäter.

Weber erläutert den Charakter des Politikers: „Der „Demagoge“ ist seit dem Verfassungsstaat und vollends seit der Demokratie der Typus des führenden Politikers im Okzident.“ Ein recht beunruhigende Diagnose, denn Demagogie bedeutet Volksverführung – und exakt darauf basiert der moderne Wohlfahrtsstaat denn auch. Wikipedia benennt zum Stichwort Demagogie zudem gleich in der ersten Zeile die „demagogische Hetze“.

Weber beschreibt die Herausbildung der „Figur des Parteibeamten“ und dessen Einfluss: „Die Vergebung der Ämter erfolgt in erster Linie nach der Leistung für die Partei.“ Daran, wohin die Reise der Demokratie mit allgemeinem, gleichem Wahlrecht geht, lässt Weber keinen Zweifel: „Den bestehenden Zustand darf man wohl eine „Diktatur, beruhend auf der Ausnutzung der Emotionalität der Massen“, nennen."

Wiewohl Weber diese Feststellung auf die Lage in England bezieht, gilt in Kontinentaleuropa zweifellos dasselbe. Wer die Macht zu wählen von jeder Verantwortung dafür entkoppelt, was die Gewählten in der Folge mit ihrem Mandat anstellen, sollte sich über die zunehmende Dysfunktionalität der zeitgenössischen Ochlokratie nicht wundern.

Für Weber handelt es sich um eine „Grundtatsache aller Geschichte, dass das schließliche Resultat politischen Handelns oft, nein: geradezu regelmäßig, in völlig unadäquatem, oft in geradezu paradoxem Verhältnis zu seinem ursprünglichen Sinn steht.“ Gut gemeint bedeutet eben selten gut gemacht.

Der Hang des Politikers zur Kontrolle und Regulierung aller Lebensbereiche resultiert unausweichlich in einer Interventionskaskade mit „Sperrklinkeneffekt“: Einmal etablierter Unfug wird niemals entsorgt, während täglich neuer hinzutritt. Am Ende steht die „imperiale Überdehnung“ des Staates im Inneren: Wer alles zu regeln trachtet, regelt am Ende gar nichts – es folgen Niedergang und Sturz ins Chaos.

Eine gute Zusammenfassung des Themas bietet Weber in diesem Satz: „Wer Politik überhaupt und wer vollends Politik als Beruf betreiben will, hat sich jener ethischen Paradoxien und seiner Verantwortung für das, was aus ihm selbst unter ihrem Druck werden kann, bewusst zu sein. Er lässt sich, ich wiederhole es, mit den diabolischen Mächten ein, die in jeder Gewaltsamkeit lauern.“

 „Diabolische Mächte“ – sie bilden wohl des Pudels Kern. Politik ist eben – wie der griechische Philosoph Epikur bereits vor 2300 Jahren urteilte – ein schmutziges Geschäft. Da Macht bekanntlich korrumpiert und jede politische Tätigkeit mit der Erlangung von Macht über andere Menschen verbunden ist, würde sie selbst Heilige in kürzester Zeit verderben.

Ein Dilemma: Jene Persönlichkeiten, die sich der Gefahren bewusst sind, die mit der Ausübung politischer Macht verbunden sind und diese daher mutmaßlich am behutsamsten einsetzen würden, meiden die Politik wie der Teufel das Weihwasser. Sie arbeiten lieber in der Privatwirtschaft – als Arbeiter, Angestellte, Kaufleute oder Freiberufler. Sie bedienen sich also wirtschaftlicher Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie streben keinerlei Macht über ihre Mitmenschen an, denn die kommt aus jenen Gewehrläufen, über die ausschließlich Politiker gebieten. Sie begegnen ihnen auf Augenhöhe – selbst als Generaldirektoren von Großunternehmen. Karriere jenseits der Politik macht derjenige, der seinen Mitmenschen die nützlichsten Dienste leistet.

Politikerkarrieren dagegen verlaufen anders: Entweder vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal des Parlaments oder über politische Vorfeldorganisation ins Ministerium. Der Umweg über irgendeine Art einer produktiven Tätigkeit ist nicht vorgesehen.

Um Einkommen zu erzielen, kommt daher kein wirtschaftliches, sondern das politische Mittel zum Einsatz, das auf den Imperativ „Her mit dem Zaster!“ hinausläuft, wie ihn die österreichische Innenministerin Mikl-Leitner so unübertrefflich elegant zu formulieren wusste. Der Dienst am Untertanen interessiert keinen. Man verfügt ja schließlich über die Macht, die Bürger nach Gutdünken zu enteignen. Weber formuliert es so: „Für die Politik ist das entscheidende Mittel: die Gewaltsamkeit…“

Die Frage nach der Qualifikation für ein politisches Amt ist also, zumindest in der Massendemokratie, ebenso leicht zu beantworten wie die nach der Motivation: Es braucht Gewaltbereitschaft, Rücksichtslosigkeit, die jederzeitige Neigung zu lügen und zu betrügen und (besonders bei linken Gruppierungen) die bedingungslose Unterwerfung unter das Credo der Partei, der man ja schließlich alles verdankt.

Ein Blick ins Parlament oder auf die Regierungsbank bestätigt das von Weber gezeichnete Bild: Nichts als „Parteibeamte“, gleich welcher Couleur. Kein Angehöriger der Nomenklatura hat (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) je ohne die Unterstützung politischer Seilschaften und außerhalb geschützter Werkstätten Karriere gemacht. Kaum einer davon versteht auf Grund eigenen Erlebens, dass Wohlstand auf Produktion und nicht auf Verteilung beruht.

Ein großer Teil der Politiker wäre – in Abwesenheit von Partei und allsorgendem Staat – im wahrsten Sinn des Wortes brotlos. Will einer in der Politik auch noch erfolgreich sein, muss er über die gleichen Qualifikationen verfügen, die einen einfachen Straßenräuber zum Räuberhauptmann und den schlichten Aufseher zum Lagerkommandeur avancieren lassen. In einer Privatrechtsgesellschaft – unter Ehrenmännern – sind derlei Kenntnisse nicht gefragt…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Gott, Geist und Geld drucken

Zwei Philosophen treffen sich zu einem von einem Kulturhistoriker moderierten Gespräch über Gott und die Welt. Diese Debatte bildet den Inhalt dieses Büchleins. Wer erwartet, dass die Diskutanten hierbei den Boden des akademischen Elfenbeinturms nicht verlassen werden, irrt.

Stellenweise geht es sogar außerordentlich praktisch zur Sache – etwa dann, wenn über den Staat oder über das moderne Geldwesen sinniert wird: „Wenn der Staat einmal eingerichtet ist, hat er die Tendenz, zu noch mehr Staat zu werden.“ Welcher mit beiden Beinen auf dem Boden stehende Zeitgenosse wollte das bestreiten? „Der Wohlfahrtsstaat finanziert sich ja heute über die Grenzen der Steuereinnahmen hinaus.“ Dieser Satz könnte glatt aus dem Mund eines libertären Ökonomen stammen.

Auf die höchst kontroversiell diskutierte „Revolution der gebenden Hand“ angesprochen, werden beide Diskutanten recht deutlich: Thomas Macho weist darauf hin, dass „das Geben … eine Erfindung von Menschen war, die Einfluss und Macht gewinnen wollten.“ Wie praktisch, dass das Geben heute nicht mehr aus der eigenen, sondern aus fremden Taschen finanziert wird!

Peter Sloterdijk diagnostiziert dagegen eine vom Staat angeordnete „Pflichtgroßzügigkeit“, ohne dass auch nur einmal gefragt würde, ob die Bürger denn überhaupt großzügig sein wollen. Moralisch sei und bleibe die Steuer jedenfalls eine zweideutige Angelegenheit.

Der Vertrauensverlust in Banken und Ökonomie führe zu einer Transformation der Vertrauens- in eine Spielerökonomie, was – auch – mit der Verzehnfachung der Geldmenge im Verhältnis zur realen Wertschöpfung zu tun habe. Fragen zur „Schuldnerkultur“ und zum Verhältnis von Schulden und Schuld werden mit Blick auf die Religionen untersucht.

Der dramatische Bedeutungsverlust der Religion führe in unseren Tagen zu einer umfassenden und unübersehbaren Werteumkehr. Heißt es in den Zehn Geboten „Du sollst nicht begehren“, lautet die Forderung im modernen Wohlfahrtstaat genau umgekehrt. Das Begehren (des anderen Gut) wird hier geradezu zur Tugend. Die „Seelenlenkung oder Herrschaft über den Menschen durch die Furcht“ („Phobokratie“) sei heute nicht mehr möglich – mit weit reichenden (keineswegs ausschließlich positiven) Konsequenzen.

Sloterdijks expliziten Hinweis auf die „Österreichische Schule der Nationalökonomie“ (im Zusammenhang mit einer Betrachtung ökonomischer Gleichgewichtsmodelle) hätten hier wohl die wenigsten erwartet. Der Mann hat zweifellos (auch) seine wirtschaftswissenschaftlich relevanten Hausaufgaben gemacht…

Gespräche über Gott, Geist und Geld
Peter Sloterdijk, Thomas Macho
Herder-Verlag, 2014
112 Seiten, gebunden
€ 12,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Bürgerrechte nach Wiener Art drucken

Es ist zum Lachen: Das Wiener Rathaus lässt die Bürger mitbestimmen – aber nur über eine völlig nebensächliche Frage. Hundert Mal wichtigere Dinge werden den Bürgern nicht zur Entscheidung vorgelegt.

Freilich sind – trotz eines gewaltigen finanziellen Aufwands der Rathausherren – die Wiener klüger als Rotgrün. Sie sind an der einzigen ihnen zur Entscheidung vorgelegten Frage völlig desinteressiert. Zu Recht. Denn ob die U5 auf den Plänen und Anzeigern künftig türkis oder rosa erscheinen wird, ist den Menschen wirklich schnurzegal. So durchschaubare Ablenkungsmanöver ziehen nur noch bei den allerbravsten Parteigenossen.

Die Wiener Bürger werden aber zu ihrem Zorn viel Wichtigeres nicht gefragt.

  • Sie werden nicht gefragt, um gleich mit der U5 anzufangen, ob eine aus einer einzigen neuen Station(!) bestehende Linie irgendeinen Sinn hat. Ob diese U5 nicht unbedingt zur Verbindungsbahn oder zur U3 gehen müsste (wo dann auch Park-and-Ride-Häuser gebaut werden können, die im Alten AKH nirgendwo gebaut werden können). In anderen Fragen schmeißt das Rathaus ja hinten und vorne das Steuergeld hinaus.
  • Sie werden auch nicht gefragt, ob eine andere U-Bahn nicht endlich direkt zum neuen Hauptbahnhof gehen soll. Dieser soll ja absurderweise neuerlich deutlich umfahren werden. Ich kann's ja nicht glauben, aber Eingeweihte nennen einen Grund für die Umfahrung des wichtigsten Bahnhofs Österreichs: Er war unter der schwarz-blauen Regierung beschlossen worden und wird deshalb vom Rathaus ignoriert.
  • Sie werden nicht gefragt, ob sie noch länger die von den Grünen ausgehende Sabotage des geplanten Autobahnringes hinnehmen, während die Tangente ja immer öfter kollabiert.
  • Sie werden nicht gefragt, ob sie einverstanden sind, dass mit ihrem Geld die Beamten des Rathauses weit fürstlicher entlohnt werden als Bundesbeamte.
  • Sie werden über die gigantischen Zeitungsbestechungen, die aus rein parteipolitischen Motiven erfolgen, nicht gefragt.
  • Sie werden nicht gefragt, wenn neben dem Konzerthaus ein Wien entstellendes Hochhaus gebaut werden soll.
  • Sie werden nicht danach gefragt, ob es endlich auch in Wien möglich sein soll, an Sonntagen ein Geschäft aufzusperren. Oder ob sie sich weiterhin stundenlang an Bahnhofs-Märkten drängen müssen, weil diese als einzige in der Tourismusstadt offen haben dürfen. Noch provozierender ist derzeit übrigens, dass die Sonntagsöffnung während des Song-Contestes an ein oder zwei Sonntagen plötzlich erlaubt sein soll. Es ist ja auch sonst in vielen Phasen jedes Wiener Hotelbett verkauft; es gibt also keinerlei Grund, nur die Anhänger der Schlager-Wettsingerei bevorzugt zu behandeln.
  • Sie sind auch nicht über die von ganz Wien benutzte Mariahilfer Straße befragt worden (nur die unmittelbar angrenzenden Stadtbewohner).

Noch hunderte spannende Fragen wüsste der Wiener, wo er seine Meinung klar und deutlich sagen würde. Über die er aber nicht abstimmen darf. Nur Rosa oder Türkis hat ihn nach Meinung des Rathausgewaltigen zu beschäftigen. Danke für die Intelligenz-Zumutung.

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

 

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Buchrezension: Ordnungspolitik für irrationale Menschen drucken

Entscheidenden Anteil am „deutschen Wirtschaftswunder“ nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Ideen der „Freiburger Schule“ (des „Ordoliberalismus“). Sie wurden von Männern um Walter Eucken und Friedrich August von Hayek formuliert und unter Wirtschaftsminister Ludwig Erhard als „Soziale Marktwirtschaft“ in die reale Politik umgesetzt.

Können die Erkenntnisse der modernen Psychologie mit dem Ordnungsgerüst des Ordoliberalismus zu einer Synthese gebracht werden, um daraus Erkenntnisse zur Gestaltung einer zeitgemäßen Wirtschaftspolitik ziehen zu können? Hintergrund dieses Gedankens ist die Tatsache, dass die Kunstfigur des von der wirtschaftswissenschaftlichen „Neoklassik“ geschaffenen „homo oeconomicus“ in der realen Welt nicht existiert. Der ausschließlich auf Grund rationaler Überlegungen seinen Nutzen maximierende, weder an seiner Umwelt noch an seinen Mitmenschen interessierte Zeitgenosse, der nach wie vor die Basis aller wirtschaftspolitischen Modelle bildet, ist noch niemandem je begegnet.

Wird aber die Wirtschaftspolitik auf dem Zerrbild des emotionslosen Arbeitsvermeiders und Nutzenmaximierers aufgebaut, sind Fehlprognosen auf Makroebene unvermeidlich. Menschen agieren eben nicht allein auf Basis ökonomischer Überlegungen. Sie handeln vielfach und in hohem Maße altruistisch. Wird dieses Faktum ausgeblendet, tendiert die Politik gerne zu massiven Freiheitseinschränkungen, die darauf abzielen, „moralisches“ Verhalten zu erzwingen. Am Ende steht eine Gesellschaft unfreier Bürger.

Psychologische Erkenntnisse sprechen eher dafür, den Menschen gute Entscheidungshilfen zu liefern und gefühlte Ungerechtigkeiten abzubauen, anstatt freie Entscheidungen zu unterbinden, um sie dadurch vor sich selbst zu beschützen.

Ein Verzicht auf die Grundannahme rational handelnder Wirtschaftsakteure stellt die Ökonomie indes vor beträchtliche Probleme, überhaupt noch wirtschaftspolitische Empfehlungen formulieren zu können. Einen Ausweg bietet die Berücksichtigung von Erkenntnissen, die in vielen psychologischen Untersuchungen zu Präferenzen, Anreizen und Handlungsmotiven von Menschen gefunden wurden.

Die Autorin dieses gut strukturierten, passagenweise leider etwas redundanten Buches stellt ordoliberale Grundsätze und psychologische Erkenntnisse gegenüber. Sie zieht aus den Pro- und Contra-Positionen ihre eigenen Schlüsse. Die Frage, ob in unserer Zeit der totalen Politisierung und Regulierung allen Handelns von einer „sozialen Marktwirtschaft“ überhaupt noch die Rede sein kann, bleibt jedoch unberücksichtigt.

Es fragt sich auch, ob der von der Autorin präferierte „libertäre Paternalismus“ nicht am Ende wieder in der „guten, alten Planwirtschaft“ münden könnte. Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Das klingt ein bisschen nach einem „veganen Rinderzüchter“. Dass aus libertärer Sicht bereits die zitierten Theoretiker des Ordoliberalismus weit übers Ziel geschossen und faktisch einer Sozialdemokratisierung der Gesellschaft das Wort geredet haben, sei nur am Rande erwähnt.

Dennoch: Das Buch enthält viele interessante Überlegungen – ist lesenswert!

Ordnungspolitik für irrationale Menschen
Inga Cornelia Schad
LIT-Verlag 2014
311 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-643-12443-2
€39,90,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Rauchverbot: Gouvernantenstaat in der Offensive drucken

Vornehmste Aufgabe des Staates ist die Sicherung von Freiheit, Sicherheit und Eigentum der Bürger. Zu diesem Zweck unterhält er entsprechende Organisationen: Militär, Polizei und Justizwesen. Die Qualität der Erfüllung dieser Kernaufgaben ist in Europa im Niedergang begriffen, was selbst glühende Etatisten schwerlich bestreiten können. Das Militär wird abgerüstet – angeblich veränderter Bedrohungslagen wegen.

Eine erfolgreiche Verteidigung gegen äußere Feinde erscheint daher mittlerweile illusorisch. Die Polizeien scheinen den Kampf gegen die Kriminalität auf breiter Front aufgegeben zu haben. Die katastrophalen Verbrechensaufklärungsraten sprechen Bände. Und im gerichtlichen Zivilverfahren ist der Rechtssuchende vielfach dazu genötigt, lange Jahre dauernde Prozesse zu erdulden, was mitunter glatt an Rechtsverweigerung heranreicht.

Entweder um das katastrophale Versagen bei seinen Kernaufgaben vergessen zu machen, oder weil grundsätzlich jeder maligne Organismus zum aggressiven Wachstum tendiert, mischt der Staat sich zunehmend in Angelegenheiten ein, die ihn nicht das Geringste angehen. Eindeutig in die Sphäre des Privatrechts fallende Angelegenheiten geraten mehr und mehr unter seine Kuratel. Inzwischen ist es so weit gekommen, dass die Nomenklatura (am Beispiel Wiens) sich anmaßt, Fahrradkurse für Migrantinnen auf Steuerzahlerkosten abzuhalten. Kein Witz.

Ein in den letzten Jahren besonderes üppig wachsendes Anliegen unserer allwissenden politischen Führer ist es, uns schlichte und gegenüber Gefahren aller Art ignorante Dumpfbacken vor allem und jedem zu beschützen – besonders vor uns selbst. Der Bürger – ein unmündiges Kind, das ohne die sorgsam leitende Hand des Großen Bruders nicht einmal mehr sicher aufs Klo findet. Ohne „Veggieday“ keine korrekte Ernährung. Ohne Strafsteuern auf Alkohol und Tabak keine Besinnung auf ein gesundheitsbewusstes Leben.

Das Thema Gesundheit hat es dem Leviathan besonders angetan. Die Sorge, dass der Bürger dieser durch Tabakgenuss schaden könnte, steht ganz oben auf seiner Agenda.

Wo gehobelt wird, da fallen allerdings Späne. Daher ist das Privatrecht das erste Opfer des heißen Bemühens des Staates. Über den Gesundheitsaspekt des Rauchens brauchen nicht viele Worte verloren zu werden. Dass Rauchen der Gesundheit nicht zuträglich ist, bestreitet keiner.

Allerdings ist die Erhaltung der Gesundheit keineswegs der einzige Vorsatz, der Menschen antreibt. Daneben existieren andere Wünsche. Die Freude am Genuss oder andere Ziele konkurrieren damit vielfach. Es ist die Sache jedes einzelnen – und nicht die des Staates – die Präferenzen entsprechend zu ordnen.

Gegen das Rauchen in der Gastronomie können durchaus gute Argumente ins Feld geführt werden. Dass vom Nebentisch herüberwehender Tabakrauch beim Essen stören kann, ist wahr. Dass in einem Raucherlokal arbeitendes Servierpersonal passiv mitraucht, liegt auf der Hand.

Es bedarf dennoch keines speziellen Gesetzes, das die Beziehungen zwischen Gastronomen und deren Kunden oder Angestellten im Hinblick auf den Tabakkonsum regelt. Ein generelles Rauchverbot in Gastlokalen, analog zu dem in öffentlichen Gebäuden herrschenden, bedeutet einen ungeheuerlichen hoheitlichen Übergriff in die Sphäre des Privatrechts.

Die angemaßte Gouvernantenrolle des Staates wird überdeutlich: Unterstellt wird, dass weder Kunden noch Servierpersonal fähig sind, zu entscheiden, in welcher Art von Gastwirtschaft sie zu speisen oder zu arbeiten wünschen: mit oder ohne Tabakrauch. Das aber ist eine unzulässige Prämisse.

Wer keinen Wert auf rauchfreie Umgebung legt, wird andere Lokale besuchen als militante Nichtraucher. Wer bei der Arbeit nicht geräuchert werden möchte, sucht sich einen entsprechenden Arbeitsplatz. In beiden Fällen agieren mündige (wahlberechtigte!) Bürger. An einer guten Auslastung ihrer Betriebe interessierte Wirte werden Angebote für die Wünsche beider Seiten bereitstellen.

Fazit: Weit und breit kein Grund für eine staatliche Intervention. Die ebenso pure wie sinnfreie Lust am Verbieten wird am Beispiel des „Nichtraucherschutzes“ in der Gastronomie exemplarisch deutlich.

Besonders übel ist es, wenn eine paternalistische Gesetzgebung nicht nur massiv in die Sphäre des Privatrechts eingreift (in der etwa Gastronomen und Konsumenten frei vereinbaren, ob und unter welchen Bedingungen eine Bewirtung stattfindet), sondern zugleich auch einen Schlag gegen die Rechtssicherheit führt. In Österreich schickt sich Gesundheitsminister Stöger (wer wäre für diese Position besser qualifiziert als ein gelernter Schlosser?) eben an, ein generelles Rauchverbot durchzudrücken.

Dies, obwohl man den Gastonomen vor einigen Jahren anheim gestellt hat, ihre Lokalitäten mit getrennten Bereichen für Raucher und Nichtraucher auszustatten. Viele Gastwirte haben das getan, durch zum Teil überaus kostspielige Umbauten ihrer Lokale. Diese erheblichen Investitionen würden sich jetzt – nach dem Willen des roten Gesundheitsministers, der Gottlob allerdings kaum über Kompetenzen verfügt und daher im Alleingang gar nichts tun kann – als „gestrandete Kosten“ erweisen. Ein Musterbeispiel, wie in der Alpenrepublik mit Unternehmern umgegangen wird.

Der Staat hat sich aus Angelegenheiten, die mündige Bürger auf Basis des bürgerlichen Rechts selbst regeln können, herauszuhalten. Dies umso mehr, solange er nicht imstande ist, seine Kernaufgaben annähernd angemessen zu erfüllen!

Der Produzent des Erfolgsstreifens „Und täglich grüßt das Murmeltier“ traf den Nagel auf den Kopf, wie u. a. dieser sieben Jahre alte Zeitungsartikel belegt: http://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/273094_Aushoehlung-des-Eigentumsrechts.html

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien. 

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Die Reichen und Wien drucken

Eine Liste jener Städte, in der die meisten Millionäre leben: Man liest dort von Monaco bis Paris, von Zürich bis Genf, von Florenz bis Hongkong dutzendweise wunderschöne Städte. Nur nirgendwo auf der Liste war Wien zu finden. Was, auch wenn man nicht reich ist, sehr schade ist. Denn Millionäre sind sehr nützliche und für eine Stadt lebenswichtige Lebewesen. Wien vertreibt jedoch die Reichen und zunehmend auch den Mittelstand durch hohe Gebühren, durch das immer weitergehende Verlangen nach neuen Steuern.

Reiche Menschen bringen Geld in eine Stadt, sie sorgen für Arbeitsplätze, sie geben dort, wo sie leben, viel aus. Und vor allem investieren sie ihr Geld. Denn gerade Millionäre sammeln Geld nicht unter dem Kopfpolster oder bringen es zu Null-Zinsen auf eine Bank, in Anbetracht der Inflation also mit massiven Verlusten. Sie legen ihr Geld eher in Erfindungen, in der Erzeugung oder im Handel an. Und da ist es für Wien zunehmend tragisch, dass Milliardäre in Tirol zu finden sind (etwa die Swarovskis), in Salzburg (etwa ein Mateschitz oder die Familie Porsche) oder in Niederösterreich (ein Graf oder ein Stronach).

Dabei waren die Familien all dieser reichen Menschen mit Ausnahme der Porsches 1945 nichts. Die Reichen sind fast alle durch eigene Tüchtigkeit – und sicher auch Glück – aufgestiegen. Damit verliert die von einem Teil der österreichischen Politik verlangte Erbschafts-Steuer ihre Hauptargumentation; diese Politiker behaupten ja, die Reichen wären deshalb so reich, weil sie ihr Vermögen geerbt hätten. Das ist aber Unsinn. Reiche haben von ihren Eltern primär Fleiß, Aufstiegswillen, Talente geerbt. Aber nicht das Geld.

Da Wien die weitaus höchste Arbeitslosigkeit Österreichs hat, wäre es besonders notwendig, wenn es sich um die Reichen kümmern würde, wenn es sie nach Wien locken würde, wenn es alles tut, dass in Wien mehr Leute reich werden. Das tut die Stadtverwaltung aber überhaupt nicht. Sondern sie ist nur in der Gegenrichtung aktiv.

Denn nach Überzeugung von Parteisekretären gewinnt man mit der Anlockung von Reichen keine Wahlen. Viel eher gelingt das, meinen sie, wenn man Stimmung gegen sie macht. Daher werden die Reichen durch Gebühren- und Steuererhöhungen und die immer noch weitergehenden Forderungen danach vertrieben. Auch wenn man sich nachher wundert, dass Wien nicht mehr der Magnet für Reichtum ist. Dass hier primär nur noch russische Oligarchen ihr nicht immer sauber erworbenes Geld ohne Rücksicht auf Verluste ausgeben – und auch die meist nur bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges.

Gewiss: Man kann einen Bill Gates oder einen Steve Jobs nicht in der Retorte züchten. Aber es wäre sehr weise, wenn das Rathaus ein wenig nachsinnen würde, warum etwa Computer und Internet heute praktisch zur Gänze von Amerika und Ostasien kontrolliert werden. Denn dann würde es zunehmend entdecken: Die Unzahl von Regeln, die Stadt, Bund und EU erstellt haben sowie die Höhe der in Österreich besonders argen Steuern (die in Wien durch die Kommunalabgaben und weit über den Kosten liegenden Gebühren nochmals höher sind!) sind der Hauptgrund, warum es in dieser Stadt so wenig Reiche gibt.

Auch wenn in Wien reiche Menschen Staatsoper und Musikverein konsumieren (in die das Rathaus übrigens praktisch nichts investiert), wenn diese Menschen in dieser Stadt eine Absteige haben, wenn sie auf Urlaub gerne nach Wien kommen: Ihren Sitz und ihre Investitionen haben diese Menschen meist nicht in Wien.

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

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Darf die Kirche zum Krieg rufen? drucken

Mit gutem Grund rufen die verzweifelten Kirchenführer des Nahen Ostens „Völkermord“. Sie vergleichen das Vorgehen der islamistischen Sunniten in Syrien und Irak mit den Taten der Nationalsozialisten. Was aber tut die Amts-Kirche?

Sie redet in katholischer wie evangelischer Form herum. Sie verlangt „politische Lösungen“. Als ob es die bei so entschlossenen Mördern gäbe! Gleichzeitig mit dem Gerede von „Politischen Lösungen“ werden Menschen von den Islamisten serienweise umgebracht, nur weil sie die „falsche“ Religion haben.

Niemand kennt die Opferzahlen, aber es sind jedenfalls viele Tausende. Mindestens Zehntausende vorchristliche Jesiden, Hunderttausende Christen sind auf der Flucht. Sie haben in den Bergen, bei den ebenfalls bedrohten Kurden nur ihr nacktes Leben vor dem islamischen Vormarsch retten können. Uralte Kultur, Jahrtausende werden von den Sunniten ausgelöscht. Und den Christen und Juden geht es unter den Schiiten kaum besser, die (noch?) in Bagdad herrschen. Alleine aus dieser Stadt sind Hunderttausende von ihnen weggezogen.

Die Kirchen stehen vor der entscheidenden Frage: Ist es gerechtfertigt, diesem Vormarsch des Islam auch militärisch, also unter Blutvergießen entgegenzutreten? Sie geben jedoch keine Antwort, sie haben sich nicht mit der Geschichte befasst, sie glauben "Kreuzzüge" habe es in nie christlich gewesenen Gebieten gegeben, sie sind völlig unvorbereitet.

Gerade haben die Benediktiner in Ungarns Pannonhalma groß das Jubiläum der drittältesten Kongregation ihres Europa prägenden Ordens gefeiert. Aber niemand sagt dabei offen: Hätte nicht Prinz Eugen – und dann später griechische und slawische Heere – die über den ganzen Balkan und Ungarn herrschenden und zweimal nach Wien vordringenden Moslems in vielen blutigen Schlachten zurückgeworfen, würden diese vielleicht heute noch über den Balkan herrschen. Dann gäbe es natürlich auch in Pannonhalma keine Benediktiner so wie während der ganzen Moslem-Herrschaft (Während die Kirche selbst unter kommunistischer Herrschaft trotz aller Verfolgungen überleben konnte).

Die Türken auch in Österreich feiern gerade den Wahlsieg ihres neuen Präsidenten Erdogan. Das sei ihnen unbenommen. Auch wenn die Einseitigkeit der Medien jeden demokratischen Charakter der Wahl zur Farce machte. Auch wenn Erdogans 52 Prozent keineswegs so überragend sind, wie von seinen Anhängern erwartet. Von allen Türken stellte sich ja nur eine Minderheit hinter ihn; denn die 52 Prozent sind nur die zur Wahl gegangen Menschen.

Es sei aber schon an die von Erdogans Anhänger inszenierten antiisraelischen Aufmärsche in Wien und in anderen Europäischen Städten erinnert, an denen sich auch einheimische Linksradikale und wahrscheinlich auch rechte Antisemiten beteiligt haben. Jetzt hört man keinerlei Reaktion von diesen Gruppierungen. Die Türken, die sich so um Gaza gesorgt haben, schweigen total zu den im Namen einer Religion vorgetragenen Gemetzeln ihrer sunnitischen Glaubensbrüder in Syrien und Irak. Obwohl diese Gemetzel ein Vielfaches der Opfer fordern, die es im Gaza-Streifen gibt. Hingegen bräuchte die in Gaza herrschende Hamas nur den Raketen-Beschuss Israels und den Bau von Tunnels einstellen, und sofort hätte sie Frieden. Die Christen und Jesiden haben gar niemanden beschossen, sondern sind völlig friedlich gewesen.

Wer bei diesen antijüdischen Protesten nicht die totale Einäugigkeit erkennt, sollte besser zum Augenarzt gehen als in den ORF.

Aber zurück zur Kirche. Dass ein Teil der malträtierten Christen den Papst anerkennt, ein anderer nicht, spielt in Zeiten der Ökumene hoffentlich keine Rolle mehr. Umso größer ist die Rolle, die das jahrzehntelang gehörte Friedensgeplapper in der katholischen wie auch in anderen Kirchen spielt. Wie oft haben wir da das Wort „Pax“ gehört? Wie oft „Nie wieder Krieg“?

Es ist als Ergebnis dieses Geplappers in den Kirchen nicht einmal mehr klar, ob die Verteidigung Polens oder das Stauffenberg-Attentat gegen Hitler gerechtfertigt war. Genauso wenig christliche Antwort dieser Kreise gibt es, ob die militärische Zurückdrängung des Jahrhunderte wütenden osmanischen Terrors durch Prinz Eugen oder die Griechen für einen Christen erlaubt war. Noch vor wenigen Jahrzehnten war das alles für jeden Christen, für jeden Europäer klar. Heute ist offensichtlich gar nichts mehr klar.

Die Christen aus dem Nahen Osten verlangen verzweifelt Waffen. Aber Papst und viele Kardinäle reden nur herum. Gewiss ist es legitim, über Fehler der heutigen Machthaber in Bagdad oder der Amerikaner oder Israels (und viele anderer) zu diskutieren. Aber die Christen, die Kurden, die Jesiden brauchen hier und heute eine Antwort für die Gegenwart und Zukunft. Über die Vergangenheit kann man nachher immer noch sprechen.

Nach allem, was man im (noch) sicheren Europa weiß, kann unabhängig vom Papst diese Antwort nur ein Ja zu militärischen Aktionen sein, ein Ja zum Vorgehen der USA. Diese tun wenigstens irgendetwas, bevor zehntausende weitere Menschen im Zeichen des Korans umgebracht werden, bevor Millionen weitere fliehen müssen. Wer hingegen aus einem falsch verstandenen Pazifismus Nein zum militärischen Vorgehen sagt, der sagt Ja zum Sterben vieler Menschen und zur Vertreibung, zur Zwangsislamisierung. Der sollte das auch den Menschen dort ins Gesicht sagen.

 

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Wien darf nicht Paris werden! – Planwirtschaft schafft Wohnungsnot drucken

Kürzlich gefunden: „Freie Mieten würden bedeuten, dass dem Mietwucher legal Tür und Tor weiter geöffnet wird.“ Dreimal dürfen Sie raten, welch seltsamem Biotop der Schöpfer dieser skurrilen Behauptung entstammt. Nun, es handelt sich um die Zwangsvertretung österreichischer Arbeitnehmer – die Arbeiterkammer. Deren Präsident, der gelernte Kellner Rudolf Kaske, hat es offenbar auf die Verleihung des nächsten Wirtschaftsnobelpreises abgesehen.

Die Mieten sind ein Markt – dessen ist sich der brave Mann gewiss – nicht etwa ein Treffpunkt freier Akteure zwecks Tauschs von Waren und Dienstleistungen gegen Geld, sondern eine von ruchlosen Ausbeutern erfundene Veranstaltung zur Pauperisierung der proletarischen Massen. Wer etwas verkauft, also für etwas einen Preis verlangt, ist ein Wucherer. Wieder was dazugelernt.

Genosse Kaske hat sich bei seiner Wortmeldung, wie es seinem zurückhaltenden Naturell entspricht, stark gebremst, denn der zitierte Spruch wäre ja durchaus ausbaufähig. Etwa so: Freie Preise für Hemden und Hosen würden bedeuten, dass werktätige Menschen künftig nackt herumlaufen müssen. Und freie Preise für Butter und Brot würden bedeuten, dass nur noch Unternehmerschweine sich satt fressen können.

Daher, zu diesem Schluss zwingt die Logik des Geistesathleten von der mit Sicherheit überflüssigsten Organisation des Landes, muss der Staat dem gierigen Ausbeuterpack zeigen, wo im Politbüro der Bartel den Most holt. Im Fall der Mieten eben mit oktroyierten Obergrenzen, die möglichst niedrig zu sein haben. Am besten gepaart mit einer amtlichen Verpflichtung der Grundbesitzer zum beschleunigten Bau von Mietskasernen.

So sieht sie aus, die Traumwelt stalinistischen Zuschnitts: Die Weisen Führer der Partei dekretieren einen erwünschten Zustand – zum Beispiel schöne und billige Wohnungen für jedermann – und schwuppdiwupp, schon tritt dieser ein.

In Frankreich steht seit einiger Zeit ein ähnlich surrealistisches Stück auf dem Regierungsspielplan: Die Steinzeitsozialisten unter Francois Hollande haben es dort unternommen, die Marktgesetze für den Wohnbau abzuschaffen und rigide Mietpreisobergrenzen zu verordnen. Nun können sie nicht fassen, dass sich das gewünschte Ergebnis, nämlich massenhaft billigen Wohnraum zu schaffen, nicht einstellen will.

Ganz im Gegenteil. Dort sind die privaten Wohnbauaktivitäten unter den Händen der linken Gesellschaftsklempner auf ein Allzeit-Tief gesunken. Ein Lehrbeispiel dafür, was man besser nicht tut.

Da in der Wolle gefärbte Sozialisten ihrer Ideologie aber erkenntnisresistent und unbeirrbar bis ins Grab zu folgen pflegen, schicken sich die klassenkampferprobten Genossen in Österreich an, dem französischen Vorbild eisern nachzueifern. Man kann sich im Land der Hämmer jetzt schon ausmalen, was passieren wird, wenn der allsorgende Staat es unternimmt, noch engagierter in den Wohnungsmarkt hineinzuregieren, als das jetzt schon der Fall ist.

Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Das blieb schon Wladimir Iljitsch Uljanow nicht verborgen. Wer etwa Mindestlöhne festsetzt und damit Geringqualifizierte aus der bezahlten Werktätigkeit drängt, produziert Arbeitslose. Wer Höchsttarife (wofür auch immer) festlegt, erntet einen Angebotsmangel und Warteschlangen. Das ist so sicher wie die Wirkung der Schwerkraft.

Es gilt für Lebensmittelläden in Kuba so gut wie für Wohnungsämter in Paris, Berlin und Wien. Denn einen privaten Investor müsste ja der Teufel reiten, sein Geld in Projekte zu stecken, die ihm nichts als Verluste eintragen! Warum wohl stürzen sich hierzulande Geldgeber und Baugesellschaften seit Jahr und Tag mit größter Vehemenz auf die Errichtung von Gewerbeobjekten und vernachlässigen die Errichtung von Mietwohnungen? Ganz einfach, weil bereits jetzt – dank einer extrem eigentümerfeindlichen Mietgesetzgebung im rosaroten Traumland – mit Wohnungsvermietung nichts mehr zu verdienen ist. Von linker Ideologie gesteuerte Irrläufer, die private Eigentumsrechte unentwegt mit Füßen treten, sind daher – allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz – die schlimmsten Feinde der Wohnungssuchenden.

Das aktuelle Ereignis einer spektakulären Hausräumungsaktion in einem Wiener Glasscherbenviertel, ist das unübersehbare Symptom einer verfehlten Mietgesetzgebung: Wenn Hausbesitzer und Vermieter so stark entrechtet werden, wie das hierzulande geschehen ist, kann es eben passieren, dass sie gelegentlich auf ein wenig rustikale Methoden verfallen, um wieder Herr über ihr Eigentum zu werden. Im vorliegenden Fall habe der Hausbesitzer – so wird von der rotgrünen Gemeinde Wien behauptet, ohne dafür einen Beweis vorzulegen – ein paar Punker in dem Objekt wohnen lassen, um die übrigen Mieter hinauszuekeln. Letztlich gab es einen gerichtlichen Räumungsbeschluss, der gegen diese Punker durchgesetzt wurde. Die rotgrünen Feinde des Privatrechts trachten diesen Fall nun prompt dazu zu nutzen, das Mietrecht noch weiter zu Lasten der Hausbesitzer zu verbiegen – was dem Angebot an Mietwohnungen ganz sicher gewaltig auf die Sprünge helfen wird.

Wenn AK-Kapo Kaske wörtlich meint „Wir brauchen klare Mietobergrenzen“ und „Wohnen muss billiger werden“ (schließlich wird unter unserem roten Kanzler ja auch alles andere laufend billiger!), so wandelt er damit auf den Spuren seiner französischen Genossen. Sollte es ihm allerdings darum gehen, das Angebot an erschwinglichen Mietwohnungen zu erhöhen, ist das wohl das Allerletzte, was er tun sollte. Denn nur wer positive Anreize schafft, in den Wohnbau zu investieren, wird sich eines – auch im Sinne der Nachfrageseite – funktionierenden Wohnungsmarkts erfreuen. Derlei komplizierte Überlegungen dürften das Denkvermögen eines Mitglieds des roten Parteiadels indes bei Weitem überfordern…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Das Unliberale an den Erfolgen der Schwulen-Lobby drucken

Ein wirklich Liberaler muss viele Erfolge und Forderungen der Schwulen-Lobbyisten negativ sehen. Ganz gleich, wie er selbst veranlagt ist. Diese Lobbyisten haben es in den letzten Jahren zwar verstanden, die Schwulen nach außen hin noch immer als diskriminiert darzustellen. Aber in Wahrheit haben sie ohne jeden objektiven Grund massiv den ohnedies schon gegen die Wand krachenden Wohlfahrtsstaat noch weiter finanziell ausgehöhlt. Sie stülpen überdies eine weitere Fülle von Regeln über Europa.

(Dieser Text, der sich fast zur Gänze mit einem Bucheintrag deckt, ist etwas länger.)

Dennoch sagen die meisten sich als liberal bezeichnenden Parteien (in Deutschland vor allem die FDP, in Österreich am ehesten die Neos, das Team Stronach und der VP-Wirtschaftsbund) fast nie etwas gegen die Forderungen der Schwulenbewegung. Sie tun das aus Feigheit und aus folgenden drei Motiven.

Erstens glauben Parteipolitiker, dass eine andere Position ihrer „liberalen“ Gruppe Stimmen kosten würde. Dass also Schwule dann massenhaft zu Rotgrün abwandern würden. Sie irren freilich schon deshalb, weil Schwule, denen Schwulenpolitik wichtiger ist als die anderen Bereiche der Politik, längst schon bei Rotgrün sind.

Den Freidemokraten in Deutschland etwa hat ihr in den letzten Jahren gezeigtes demonstratives Eintreten für Schwule gar nichts genutzt. Sie sind bei Wahlen in die völlige Unbedeutendheit gesunken.

Es zeigen auch die Zahlen aus Österreich, dass die Homosexuellen weit weg von jenen zehn Prozent sind, die ihre Lobbyisten immer behauptet haben. Denn seit 2010 gab es weniger als 1900 homosexuelle Verpartnerungen (also in den ersten vier Jahren, wo homosexuelle Verpartnerungen in Österreich möglich wurden). Ganz konventionelle Eheschließungen machten im gleichen Zeitraum hingegen über 148.000 aus. Ein krasses Missverhältnis, das ganz anders ausfällt, als prophezeit worden war. Damals haben diese Lobbyisten ja nicht nur von zehn Prozent Homosexuellen, sondern überdies von einem gewaltigen Nachholbedarf schwadroniert. In diesen vier Jahren haben die schwulen Verpartnerungen jedenfalls nicht einmal zwei Prozent erreicht.

Man kann unschwer prophezeien, dass auch der offensichtlich bevorstehende Ortswechsel (in die Standesämter) und der Bezeichnungswechsel (von Nach- auf Familiennamen) nichts an diesem Verhältnis ändern wird. Wenngleich diese gegenüber Heterosexuellen unterschiedliche Bezeichnung von den Lobbyisten wieder einmal als furchtbare Diskriminierung dargestellt wird.

Zweitens sind linksliberale Politiker oft sehr einfachen Geistesschnittes. Für sie ist alles richtig, was Religionsgemeinschaften ablehnen. Und umgekehrt. Was nur dumm ist. Es gibt gewiss in der Geschichte viele Phasen, wo Throne und Altäre eins waren, wogegen ein liberal Denkender sein konnte, oft sein musste. Aber umgekehrt war es gerade das Christentum, das in der vorkonstantinischen Zeit, und dann nach Canossa und besonders seit dem 20. Jahrhundert die erste und oft die einzige Antithese zum Allmachtsanspruch von Herrschern dargestellt hat.

Vor allem die katholische Kirche hat sowohl im Kampf gegen die Totalitarismen der Linken wie der Rechten mehr getan als jede andere Bewegung dieser Welt. Auch wenn die linke Propaganda das oft anders darstellt.

Drittens ist in der Vergangenheit sehr illiberal strafgesetzlich gegen Schwule vorgegangen worden. In manchen Ländern hat sich dies in letzter Zeit sogar verstärkt. Dort muss sich ein Liberaler ohne Frage an die Seite der Homosexuellen stellen. Nur: Aus den mitteleuropäischen Strafgesetzbüchern, etwa jenen Deutschlands, der Schweiz oder Österreichs, ist längst jeder Bezug auf Homosexualität gestrichen worden. Für einen Liberalen in West- und Mitteleuropa stehen daher heute ganz andere Fragen im Vordergrund.

Liberalität, Liberalismus heute muss sich mehr denn je auf das ureigene Ziel jedes liberalen Denkens besinnen; auf die Eindämmung, die Zurückdrängung des Staates, ob der nun durch Bund und Länder oder die EU verkörpert wird. Die ständig steigende Vielzahl der Gesetze, die Höhe der Staatsquoten gehen heute viel weiter als in irgendeiner anderen Epoche der Geschichte. Der Staat hat unter dem trügerischen Versprechen der Wohlfahrt fast jeden Lebensbereich durchdrungen, entmündigt unter fadenscheinigen Vorwänden den Menschen, nimmt ihm immer mehr Geld ab, und arbeitet mit der Lüge, dass dank der Wohlfahrt künftig Eigenverantwortung überflüssig sei.

Gegen diese gefährliche Rolle der Staaten muss sich der gesamte Kampf aller wirklich liberal gesinnten Menschen richten. Auch das Nachlesen bei praktisch allen großen liberalen und aufgeklärten Denkern (ob sie nun im 17., im 18., im 19. oder im 20. Jahrhundert gelebt haben) lehrt: Die primäre Stoßrichtung des liberalen Denkens war immer gegen die zu weit gehende Einmischung des Staates gerichtet.

Dieser hat lange die Homosexuellen verfolgt. Daher war in dieser Zeit deren Straffreiheit auch immer ein liberales Ziel.

Aber das fundamentale Ziel des Liberalen ist die Freiheit, ist das Eintreten für Freiheit. Fast alle liberalen Denker (nur extreme Gruppen wie jene rund um Hoppe lehnen den Staat gänzlich ab) waren zwar durchaus dort für den Staat, wo er notwendig ist. Sie haben unter Freiheit nie verstanden: „Anything goes“. Ganz im Gegenteil: Je weniger Aufgaben dem Staat zugemessen werden, umso mehr muss der Einzelne, muss die Familie verantwortungsbewusst handeln, muss über die Zukunft nachsinnen.

Möglichst viel Freiheit von staatlichem Einfluss ist das zentrale liberale Anliegen. Davon findet sich jedoch heute bei den linksliberalen Parteien nicht mehr viel. Viele dort lassen sich von den trügerischen Wohlfahrtsversprechen blenden. Von ihrer Liberalität ist meist nur noch die Bezeichnung geblieben.

Solche linksliberalen Parteien stehen unter starkem Einfluss der Schwulen-Lobbyisten, obwohl diese die staatsinterventionistische Linke in Reinkultur verkörpern. Linksliberale in ihrer naiven Art klatschen begeistert zu den immer zahlreicher und immer nackter werdenden Aufmärschen und Bällen der Schwulenbewegung Beifall. Und sie fragen sich zum Beispiel nie, ob es irgendeine Begründung dafür gibt, dass der Staat (mit seiner drückenden Steuerlast und seinen Schulden), dass die rot oder grün regierten Länder diese Aufmärsche und Bälle der Schwulen auf Kosten aller Steuerzahler fördern.

Im zweiten Teil dieses Essays werden daher konkret einige dieser Dinge aufgezählt, wo Schwule als Erfolg ihrer Lobbyisten auf Kosten der Allgemeinheit gefördert, bevorzugt werden. Die Liberalen haben dabei jedes Mal den Liberalismus vergessen; und die Konservativen wussten wieder einmal nicht, wo sie eigentlich stehen.

  1. Die Schwulenverbände haben Homosexuellen in den letzten Jahren in vielen Ländern gleichberechtigten Zugang zur Witwer/Witwen-Rente erkämpft.
    Für diese Renten ist aber nie auch nur ein Cent einbezahlt worden. Menschen bekommen diese Renten oft, ohne dass es einen gesellschaftlichen Nutzen oder eine Begründung für die Zahlungen gäbe. Denn einzig das kostspielige Großziehen von Kindern als Steuerzahler der Zukunft stellen einen rechtfertigenden Grund staatlicher Förderung dar. Katholiken, Sozialisten und Feministen kämpften aber dennoch nicht für die Kinder als Grund der Altersversorgung, sondern für die Bezüge der Frauen. Und nun eben auch der Schwulen. Sie alle verteidigen diese kinder- und beitragslosen Renten, selbst wenn diese eine Zweit- oder Dritt-Witwenrente auf Kosten der Steuerzahler bedeuten.
    Gegen diese Geldverschwendung kämpft absurderweise niemand. Keine Gruppierung wagt Kritik, auch nicht die angeblich liberalen Parteien. Dabei gibt es keinerlei Grund für Witwen/Witwer-Renten ohne Kinder. Erwachsene ohne Kinder können sich selbst um ihre Altersversorgung kümmern.
    Der von manchen Schwulen-Lobbyisten genannte Grund für unbezahlte Witwer/Witwenrenten ist, dass sich manche Schwule im Alter um ihren Partner kümmern. Das gibt es sicher in einigen Fällen. Nur: Es gibt auch eine Vielzahl von anderen Menschen, die sich ebenfalls um Alte und Behinderte kümmern, die aber keine Witwer/Witwenrenten bekommen. Bekommen können. Man denke etwa an die vielen Geschwister, die das tun. Die nach dem Tod des Gepflegten aber keinen Cent staatlicher Pension erhalten können. Eine Schwester, die nicht selbst einbezahlt hat, erhält nur die Ausgleichszulage (Mindestrente), obwohl der jahrelang gepflegte Bruder eine hohe Pension hatte. Schwule Partner bekommen hingegen diese Witwer/Witwenpension, egal ob sie sich kümmern oder nicht. Ein himmelschreiendes Unrecht, das jeden liberal denkenden Mensch empören muss.
    Unter Schwarz-Blau wurde in Österreich eingeführt, dass Müttern vier Jahre nach der Geburt eines Kindes für die Pension anerkannt werden. Das war ein absolut richtiger Schritt in die richtige Richtung. Er ist freilich noch zu gering, zumindest bei den Müttern von mehreren Kindern. Es ist ja völlig unmöglich für die Mutter von vier Kindern, wieder arbeiten zu müssen, wenn diese beispielsweise 4, 6, 8 und 10 Jahre alt sind. Der blau-schwarze Beschluss wäre zweifellos kräftiger ausgefallen, wenn man im Gegenzug die Witwen/Witwer-Renten von Kinderlosen anzugreifen gewagt hätte. Was aber skurrilerweise die Frauenverbände verhindert haben.
    Als Gegenargument wird gerne auf die Einführung der Witwenrente durch den deutschen Reichskanzler Bismarck verwiesen. Bismarck war ja gewiss kein Linker. Damals wurde die Witwenrente eingeführt, ohne das Vorhandensein von Kindern zu prüfen. Die Antwort ist einfach: Das war im 19. Jahrhundert völlig richtig in Hinblick auf eine möglichst einfache Verwaltung. Denn fast alle Ehen führten damals zu Kindern. Erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ist das anders. Seither gibt es immer öfter kinderlose Ehen.
    Dennoch hat bisher niemand das System der Witwenrente ernsthaft zur Diskussion gestellt. Dabei steht das Pensionssystem in etlichen Ländern knapp vor dem Zusammenbruch. Die Politik gibt aber weiterhin immer nur mehr. Sie wagt es nie, vorhandene Rechte in Frage zu stellen, auch wenn diese noch so unberechtigt sind.
  2. Ganz ähnlich ist es auch bei anderen Aspekten der Sozialversicherung. Diese ist zwar landweise verschieden, aber es geht um die gleichen Argumente.
  3. Homosexuelle Ehen/Verpartnerungen werden in immer mehr Ländern vom Staat anerkannt und den normalen Ehen ganz oder fast ganz gleichgestellt.
    Einen wirklich Liberalen würde mindestens so sehr wie der recht sinnfreie Unterschied zwischen „ganz“ oder „fast ganz gleichgestellt“ in diesem Zusammenhang eine andere Frage interessieren: Warum veranstaltet ein Staat überhaupt eine Zeremonie? Es gibt nämlich keinen objektiven Grund dafür. Bei noch viel wichtigeren Phase des Lebens, bei Geburt und Tod, macht der Staat ja zu Recht auch nur die Beurkundung, stellt die Einhaltung von standes- und sanitätspolizeilichen Standards fest. Aus, sonst tut er nichts. (mit Ausnahme der extrem seltenen Staatsbegräbnisse beziehungsweise der feierlosen und kostenarmen Bestattung von anhanglos Verstorbenen).
    Wer ein Geburts- oder Tauffest, eine würdige Totenfeier haben will, muss das hingegen ganz selbstverständlich selbst organisieren. Warum bitte gibt es ausgerechnet für Ehen staatliche Zeremonien? Warum gibt es um viel Geld erstellte, erhaltene und meist leerstehende Standesamts-Säle? Warum muss man sich dort fast immer peinliche Ansprachen von Beamten oder Bürgermeistern anhören?
    Wieder findet sich in den Geschichtsbüchern die Antwort: Die Einführung der staatlichen Zeremonie war in fast allen Ländern Folge des Kampfes gegen die Kirche. Weil die Kirchen große Feiern zu Eheschließungen machen, macht es nun auch der Staat. Die Linke hatte damals den Kampf gegen die Kirche als oberstes Ziel in Augen (dass einige heutige Bischöfe jetzt zu Verfechtern der staatlichen Zeremonie geworden sind, ist eine der vielen absurden Pointen der Geschichte).
    Die Geschichte dieser staatlichen Ehezeremonien ist übrigens sehr ähnlich der staatlichen „Jugendweihe“, die totalitäre Länder der kirchlichen Firmung gegenübergestellt haben.
    Für einen Liberalen kann es in Wahrheit nur einen Standpunkt geben: Der Staat hat zu beurkunden sowie die Einhaltung der Regeln zu prüfen. Und sonst nichts. Die Zeremonien sind den Brautleuten und den von ihnen Beauftragten zu überlassen. Oder den Kirchen, wenn deren Rolle gewünscht wird.
  4. Heimlich und leise hat die Schwulenlobby auf allen möglichen Wegen auch Zugang zu staatlichen Subventionen gefunden. Besonders viel Geld streut etwa die Gemeinde Wien unter die Menschen; und deutsche Bundesländer, wo die Grünen mitregieren. Das tut aber auch die österreichische Wirtschaftskammer, einst eine Hochburg des bürgerlichen Österreich.
    Es ist jedoch in Wahrheit absolut unverständlich, weshalb ein Staat für diese Subventionen Geld ausgibt. In einer schulden- und steuergeplagten Gesellschaft noch viel mehr. Zugunsten des bestverdienenden Teils der Gesellschaft noch mehr.
    Es stört jede aus Zwangsmitteln finanzierte Subvention einen Liberalen. Diese braucht mindestens eine extrem gute Begründung. Die es aber bei diesen Subventionen nicht gibt. Es gibt sie natürlich auch dann nicht, wenn dieses Zwangsgeld beispielsweise für ein Familienfrühstück verwendet wird (egal, ob für dieses Frühstück homo- oder heterosexuell geworben wird).
  5. In Schulbücher dringt generell immer mehr sexuelle Propaganda vor, die sich als „Aufklärung“ tarnt. In den rotgrünen Ländern (besonders aktuelles Beispiel ist Baden-Württemberg) wird mit großer und wachsender Intensität dabei auch Stimmung für die Homosexualität gemacht.
    Es stehen jedoch nicht nur Liberale, sondern auch ein Großteil der Bürger staatlicher Einmischung beim Thema Sex sehr skeptisch gegenüber. Diese Skepsis hat sich enorm verstärkt, seit in Schulbüchern auch Homosexualität in sehr rosigem Licht dargestellt wird. Das nährt massiv den Verdacht konservativer Gruppen, dass es den Schwulen vor allem um junge Knaben geht, die man über die Schulen möglich „offen“ für Homosexualität machen will. Während ihr (legitimes) Anliegen, dass schwul veranlagte Burschen und Mädchen wegen ihrer Homosexualität nicht gemobbt werden, durch solche Schulbücher sicher nicht erreicht wird. Diese sich in private Dinge einmischenden Schulbücher verschlimmern nur weiter die Stimmung gegen die Schule und die staatlich verordnete Indoktrination.
    Zumindest müssen, müssten freiheitsliebende Liberale dafür kämpfen, dass die Familien selbst die Wahl haben, ob sie diese Indoktrination des Staates wollen oder nicht.
  6. In letzter Zeit versuchen Schwulen-Lobbyisten in vielen Ländern vor allem, Fremdadoptionen von kleinen Kindern durch Schwule zu ermöglichen. Das hat eine neue Diskussion ausgelöst.
    An diesen schwulen Adoptionen ist nicht nur aus konservativer, sondern auch aus liberaler Sicht massive Kritik nötig. Zwar sind Adoptionen ein Feld, wo staatliche Aktivität notwendig und daher berechtigt ist. Aber solange alle derzeit kursierenden Schriften zu diesem Thema nicht wissenschaftlich sind (sie haben etwa die Befragungen der schwulen „Eltern“ als Basis, die natürlich in keiner Weise objektiv sind), solange kann ein verantwortungsbewusster Liberaler nicht die Freigabe solche Adoptionen befürworten. Es steht  für jedes Adoptivkind eine Vielzahl von gut geeigneten und dringend wartenden heterosexuellen Eltern bereit.  Bei diesen drohen dem oft ohnedies aus problematischen Verhältnissen stammenden Kind wenigstens nicht noch zusätzliche Probleme. Der Staat darf immer nur die Interessen des Kindes im Auge haben und nicht jene der schwulen Paare.
    Jedenfalls wären gerade in diesem Zusammenhang auch objektive und unabhängige Untersuchungen nötig, welche Faktoren eigentlich Homosexualität bewirken. Denn diese gibt es nicht. Ebenso sind langfristige Studien nötig, zu welchen Folgen solche Adoptionen führen (die es ja in einigen Ländern gibt). Bisher haben die einschlägigen Verbände und Rotgrün von vornherein solche Studien als „hassgetrieben“ verurteilt.
    Dabei haben seltsamerweise die Schwulenlobbyisten in den letzten Jahren selbst total zwischen der Homosexualität als freier Entscheidungsmöglichkeit und der gegenteiligen Behauptung gewechselt, Homosexualität wäre genetisch bedingt und daher nicht veränderbar. Sie argumentieren ganz nach Bedarf. Offenbar dürfen Schwule alles sagen, während jeder andere sofort als „hasserfüllt“ gesehen und nach Wunsch der Linken vor den Richter gestellt wird, wenn er das Gleiche sagt.
  7. Die EU-Kommission bereitet eine neue massive Regulierung vor. Unter dem harmlos klingenden Titel „Antidiskriminierungsrichtlinie“ wird ein massiver Eingriff in die Rechte von Wohnungseigentümern und Arbeitgebern geplant. Diese müssen – nach dem Wunsch der Kommission – künftig nachweisen, dass sie nicht „diskriminiert“ haben. Wenn diese (allerdings noch nicht durch Rat und Parlament gegangene) EU-Richtlinie in den Mitgliedstaaten Recht wird, dann muss der jüdische Hotelbesitzer nachweisen, warum er seinen Saal nicht für eine Veranstaltung von Islamisten zur Verfügung stellt; dann müssen bekennende Katholiken erklären, warum sie ihre Eigentumswohnung nicht an Schwulenaktivsten vermieten. Jeder Liberale muss über einen solchen neuen massiven Eingriff der EU in die Rechte eines Eigentümers empört sein.
    Nach Inkrafttreten dieser Richtlinie droht überdies eine Vielzahl von Prozessen. In einem liberalen Rechtsstaat muss es aber Sache der Vermieter und nicht der Beamten sein, wem Vermieter ihre Wohnung vergeben, die ja dem Vermieter und nicht dem regulierungswütigen Politiker oder Beamten gehört. Und es sollte Sache der Arbeitgeber sein, ihre Mitarbeiter ohne staatlichen Einfluss zu suchen.
    Umgekehrt gilt das aber interessanterweise nach Haltung schwuler Verbände nicht: So soll ein Gebäude in Wiens Seestadt mit Segen der rotgrünen Gemeinde Wien ausdrücklich nur homosexuellen und Transgender-Menschen zur Verfügung stehen.
    Umgekehrt wird also offensichtlich hemmungslos diskriminiert. Mit staatlicher Unterstützung.
    Dabei braucht diese Gesellschaft in ihrem krisenhaften Zustand nichts dringender als Menschen, die Arbeitsplätze schaffen, Menschen, die Wohnungen vermieten. Vom Staat, von der EU werden solche Menschen aber auf Wunsch der Linken immer noch mehr mit Regeln abgeschreckt.

 

Dieser Text ist erschienen im Sammelband:
Werner Reichel (Hg.): „Das Phänomen Conchita Wurst“

Edition Aecht (bei CreateSpace), 250 Seiten, ISBN-13: 978-1499645972

Erhältlich nur bei Amazon als

Taschenbuch (ca. € 20,-)

Kindle Edition (€ 9,99,-)

Link Paperback:

http://www.amazon.de/Das-Phaenomen-Conchita-Wurst-politischen/dp/149964597X/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1406557138&sr=8-2&keywords=conchita+wurst+reichel

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http://www.amazon.de/Das-Ph%C3%A4nomen-Conchita-Wurst-politischen-ebook/dp/B00M1XFJVO/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1406557101&sr=8-1&keywords=conchita+wurst+reichel

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Der Krieg in Gaza, der Krieg in der Ukraine drucken

Die EU zeigt Zähne, die man ihr gar nicht zugetraut hätte. Israel zeigt Zähne, die man ihm durchaus zugetraut hat. Beide handeln richtig – und doch in gefährlicher Weise riskant. Denn so sehr sie im Recht sind, so sehr sie auch (momentan zumindest) die Oberhand haben, so sehr sollten sie auch an den Tag danach denken. Und da bin ich ziemlich sicher, dass sie das zuwenig tun.

Es kann aber sowohl aus dem Gaza-Konflikt wie auch aus jenem in der Ostukraine ein großer Brand entstehen. Es ist zwar absolut richtig – und nach dem europäischen Versagen in so vielen anderen Konflikten auch eindrucksvoll –, dass die EU nun sehr spürbare Sanktionen gegen Russland verhängt, gegen russische Firmen, gegen die Armee und insbesondere auch gegen den russischen Finanzsektor. Es darf einfach in Europa nicht mehr sein, dass man sich mit Militärgewalt wieder zu anderen Staaten gehörende Territorien holt.

Es wäre aber sehr gefährlich, wenn man dem großen Russland nicht auch – auch! – zeigt, wie es gesichtswahrend aus dem Konflikt aussteigen kann. Wenn man dieses Land total in die Ecke treibt. Wenn Moskau nur noch in einem großen Krieg die einzige Möglichkeit sehen sollte.

Der Ausweg kann aber eben nicht darin bestehen, dass man nach rechts- oder linksextremer Art (von der Naivität eines Heinz Fischer gar nicht zu reden) Russland einfach zugreifen lässt. Der Ausweg kann nur in einem bestehen: In einer Selbstbestimmung der Gebiete im Osten und Süden der Ukraine. Wenn NACH Abzug der Freischärler, wenn unter internationaler Aufsicht, wenn unter demokratischer Information durch alle Seiten, wenn bei einer echten geheimen Wahl die Menschen sich tatsächlich für Russland entscheiden, dann soll der Westen, dann soll die EU, dann soll die Ukraine jene Gebiete auch tatsächlich zu Russland gehen lassen. Es gibt keine Alternative. Außer einem jahrelangen Krieg.

Die nunmehr ergriffenen EU-Sanktionen werden Russland hart treffen; Westeuropa auch, aber viel weniger. Es ist für den Frieden in Europa ein absoluter Wahnsinn, dass Putin im Ende der sowjetischen Herrschaft, in der Freiheit für die Ukrainer und viele andere den großen Fehler seiner Vorgänger sieht. Daher ist die entschlossene Antwort auf Putin absolut notwendig. Aber man soll ihm auch ein ehrenvolles Ende des Konflikts ermöglichen. Es kann kein Zurück zur sowjetischen Oberhoheit geben; aber russische Menschen haben genau die selben Rechte wie alle anderen Europäer. Trotz all seiner Lügen und Völkerrechtsverletzungen erweckt Putin jedenfalls nicht den Eindruck, dass er bewusst auf einen Krieg zusteuert.

Viel schwieriger ist es im Nahen Osten. Denn die Hamas erweckt keineswegs wie Putin den Eindruck, letztlich doch vernünftig zu sein. Sie will um jeden Preis den Krieg. Sie will offenbar auch um den Preis unzähliger Opfer kämpfen, selbst wenn der allergrößte Teil auf arabischer Seite zu beklagen ist.

Israel hat aber jedes Recht, auf seinem Gebiet zu leben. In Frieden zu leben; den wochenlangen Raketenbeschuss zu beenden; die noch viel größere Gefahr durch bis zu 60(!!) hochmoderne und mit Hilfe des arabischen Auslands (Katar etwa, das sich auch die Fußball-WM gekauft hat) errichtete Tunnels auszuschalten; Gaza zu entmilitarisieren. Es hat ganz eindeutig die Hamas mit dem Bruch des (wenn auch wackligen) Friedens begonnen. Daher kann Israel auch unter Ausnutzung seiner Überlegenheit zurückschlagen.

Nur: Israel wird auch dann nicht wirklich Frieden haben. Wenn es Frieden will, muss es vor allem den Friedliebenden unter den Arabern (Ägypten und Jordanien an der Spitze) auch zeigen, dass es bei allen legitimen Ansprüchen der eigenen Sicherheit auch zu Konzessionen bereit ist. Und diese Konzessionen kann es nur bei den (auch völkerrechtlich problematischen) Siedlungen auf der Westbank geben und bei der totalen Nichteinmischung in die Bildung einer palästinensischen Regierung. Israel hat Sicherheits-Interessen, die hundertprozentig zu wahren sind, aber es kann sich nicht in die arabischen Dispute einmischen.

Natürlich ist die innenpolitische Lage in Israel nicht danach. Natürlich gibt es zahllose völlig unterschiedliche Sichtweisen auf arabischer Seite. Die bis hin zur angekündigten Totalvernichtung Israels gehen.

Aber in Nahost wie in der Ukraine gilt: Entweder, es wird der Gegner total und unter immensen Kosten niedergerungen – wie es etwa in Europa nach dem zweiten Weltkrieg der Fall war –, oder es gibt vor einem verheerenden Krieg einen Frieden, bei dem und mit dem auch die andere Seite leben kann. Sieht das jemand?

 

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Die ÖVP ist weder liberal noch konservativ, sondern nur noch dumm drucken

Die ÖVP verliert ihren letzten Anspruch darauf, sich als liberal zu bezeichnen. Sie ruft jetzt allen Ernstes nach einem „Gipfel gegen Verhetzung“. Das kündigte Justizminister Brandstetter nun an.

Da die Partei auch schon lange nicht mehr konservativ ist, irgendwelchen Werten wie Familie oder Heimat verbunden, begnügt sie sich offenbar damit, eine Lobbying-Organisation der Beamten, Greißler und Bauern zu sein.

Mehr als signifikant ist etwa die skurrile Frage der Partei an ihre Mitglieder, ob diese liberal oder konservativ seien. Als ob das sich ausschließende Gegensätze wären. Die Volkspartei ist freilich mit dieser Ministerriege (im Klub sieht es ein wenig anders aus) weder das eine noch das andere. Sie begreift nicht mehr, dass man gegen den ständig noch mehr werdenden staatlichen Einfluss – wie es etwa ein Gipfel gegen „Verhetzung“ ist – sein kann und als Liberaler sein muss. Sie begreift nicht mehr, dass man sich gerade auch als Liberaler zur Heimat und zur Familie bekennen kann und als Konservativer auch wird. Die Familie ist sogar der einzig funktionierende Gegensatz des immer mehr eskalierenden staatlichen Einflusses. Sie begreift – siehe etwa auch die Umfrage gegen das auch mit schwarzen Stimmen beschlossene Gendern – nicht, wo die Menschen stehen, wo die einstigen Wähler stehen.

Sie kennt auch nicht die zentrale Erkenntnis des liberalen Vordenkers Voltaire: Man lehnt strikt bestimmte Standpunkte (wie etwa im konkreten Fall den Antisemititismus) ab, man wird aber alles tun, dass man diese Standpunkte äußern kann.

Um beim konkreten Fall zu bleiben: Ein paar hundert Mal mehr als durch Losschicken des Staatsanwalts gegen irgendwelche Postings wäre den Juden dieser Welt geholfen, wenn man mehr Solidarität mit Israel zeigen würde. Wie sie etwa dieser Tage in überaus kluger Weise Christian Ortner verlangt hat.

Natürlich sind die Postings widerlich und geschmacklos. Aber blöde Meinungen wird und muss dieses Land doch endlich aushalten. Sonst entstehen nur überflüssigerweise und sinnlos Märtyrer. Und konkrete Drohungen sind immer schon strafbar gewesen.

Aber nein: Es ist die ÖVP, es sind ausgerechnet die sich einst als liberal ausgebenden Justiz- und Außenminister, die wegen irgendwelcher Meinungsäußerungen nach dem Staatsgewalt rufen, die dazu sogar „Gipfeltreffen“ abhalten wollen (wer auch immer nach Ansicht dieser Partei heute schon einen „Gipfel“ darstellt).

Nicht nur das. Die ÖVP will offenbar den Linken auch helfen, den Paragraphen des Landfriedensbruchs abzuschaffen. Obwohl es bei diesem nicht um bloße Meinungsäußerungen geht, sondern um sehr handgreifliche Dinge. Um Zerstörungen, um Gewalttaten. Wie sie etwa die linken Gegner des FPÖ-Balls im vergangenen Winter gesetzt haben.

Aber dieser Paragraph wendet sich nun gegen Sympathisanten von Rot und Grün. Deshalb wollen ihn diese beiden Parteien abschaffen. Und unfassbarerweise scheint Brandstetter und damit die ÖVP bereit, der Abschaffung zuzustimmen. Das ist gegen jede Wertorientierung, gegen jeden Konservativismus und erst recht gegen jeden Schutz der Bürger und des Eigentums, also gegen jeden Liberalismus gerichtet.

Das ist nur noch dumm.

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Antidiskriminierungsgesetze sind Bevormundungsgesetze drucken

Antidiskriminierungsgesetze verfolgen die Zielsetzung, die Gesellschaft „gerechter“ zu machen. Aber können sie das auch? Die Schattenseite der rasanten Entwicklung dieses Rechtsbereichs, die man auch als Wildwuchs bezeichnen könnte, ist, dass es längst nicht mehr um die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz geht. Vielmehr wird genau diese Gleichheit durch „affirmative action“ oder „reverse discrimination“ immer weiter ausgehöhlt. Es geht um Beschränkungen der Vertragsfreiheit, also im Grunde um systematische Eingriffe in Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Neben dem Austausch von Informationen und Meinungen ist der Abschluss von Verträgen eine der wichtigsten Formen sozialer Interaktion. Die Vertragsfreiheit ist somit der Rede- und der Versammlungsfreiheit vergleichbar; sie ist ein tragender Pfeiler jeder demokratisch-freiheitlichen Grundordnung. Der Gesetzgeber darf sie daher nur aus sehr gewichtigen Gründen einschränken oder aufheben, und nicht etwa aus einer bloßen rechtspolitischen Laune heraus.

Dass ein Unternehmer unter allen Stellenbewerbern denjenigen aussucht, der ihm nach freiem (und ganz subjektivem) Gutdünken als der geeignetste erscheint, oder dass ein Hausbesitzer unter allen Interessenten seine Mietwohnung an denjenigen vermietet, den er (ganz subjektiv) für den besten Mieter hält, ist nicht sittenwidrig, und daher kein hinreichender Grund, in die Vertragsfreiheit einzugreifen. Im Gegenteil, in solchen rein subjektiven (und daher nicht begründungsbedürftigen) Entscheidungen verwirklicht sich diese Freiheit. Wir sollten davor keine Angst haben.

Dass der Staat zur Gleichbehandlung aller Bürger verpflichtet ist, soll damit nicht in Zweifel gezogen werden; ebenso wenig, dass diese Gleichbehandlungspflicht auch in jenen Bereichen gelten soll, in denen der Staat (quasi-) unternehmerisch tätig ist. Wenn sich die Stadt Wien weigerte, Gemeindewohnungen an Neonazis, die kommunistische Partei oder Angehörige einer Sekte zu vermieten, wäre das ein skandalöser Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Aber wenn ein privater Hauseigentümer dies tut, dann ist dies (so sehr man die zu Grunde liegende Haltung verurteilen mag) sein gutes Recht. Es besteht eben ein gewichtiger Unterschied zwischen dem Staat und seinen Bürgern: der Staat dient gerade dem Zweck, die Freiheit der Bürger zu schützen – daher ist es völlig angemessen, den Bürgern Vertragsfreiheit zuzugestehen, dem Staat hingegen nicht.

Korrigierende Eingriffe in die Vertragsfreiheit der Bürger sind nur dann zulässig, wenn eine marktbeherrschende Stellung missbraucht wird, oder wenn die Gefahr besteht, dass andernfalls bestimmte Bürger von lebenswichtigen Gütern ausgeschlossen bleiben.

Dem Ausufern des Antidiskriminierungsrechts in privatrechtliche Vertragssituationen liegt die Auffassung zugrunde, dass der Staat dem Bürger nicht dienen, sondern ihn bevormunden soll. Ganz offensichtlich werden diese Eingriffe in die Vertragsfreiheit von Beamten und Politikern ausgedacht, die die Privatwirtschaft nur vom Hörensagen kennen, und denen jeder Ansatz einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung des Bürgers ein Dorn im Auge ist.

Im Grunde ist dies ein neo-marxistischer Politikansatz: Man teilt sich die Welt in Unterdrücker (normalerweise weiß, männlich, heterosexuell, einheimisch) und Unterdrückte (weiblich, schwul/lesbisch, mit Migrationshintergrund) ein, und bläst zu einer neuen Art des Klassenkampfes. Sucht man sich aufgrund des Schrumpfens der typischen Arbeiterklasse eine neue Klientel?

Man kann sich sogar fragen, ob die Probleme, die durch das Antidiskriminierungsrecht gelöst werden sollen, wirklich größer sind als die Probleme, die durch es geschaffen werden. Als 1979 das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) beschlossen wurde, ging es nur darum, den Abschluss von Tarifverträgen zu verbieten, die unterschiedliche Lohntarife für Männer und Frauen festlegten.

Solche Tarifverträge gab es freilich schon damals fast nicht mehr; überdies stellt sich die Frage, ob es nicht eher die Aufgabe der Gewerkschaften gewesen wäre, derartige Abschlüsse zu verweigern. Wozu also dieses neue Gesetz? Seit 1979 hat sich das GlBG mit atemberaubender Geschwindigkeit in alle möglichen Richtungen ausgedehnt, so dass es, wenn sich dieses exponentielle Wachstum nicht bald einmal einbremst, in spätestens zwanzig Jahren mehr Seiten füllen wird als das gesamte ABGB.

Und natürlich führt dieses Gesetz vor allem zu einem gigantischen Zuwachs an Bürokratie, sowie – infolge seiner reichlich unbestimmten und interpretationsbedürftigen Ausdrucksweise – zu Rechtsunsicherheit beziehungsweise zu einer Flut von frivolen Rechtsstreitigkeiten mit zum Teil schwer vorherzusehenden und vom Gesetzgeber vermutlich gar nicht beabsichtigten Ergebnissen. Ist dies wirklich eine gute und gesunde Entwicklung?

Ein bedenkenswertes Beispiel ist die EU-Richtlinie, die bestimmt, dass Männer und Frauen in Bezug auf den Bezug von Waren und Dienstleistungen nicht diskriminiert werden dürfen. Das bedeutet im Grunde vor allem, dass es im Hinblick auf das Geschlecht des Kunden keine Unterschiede in der Preisgestaltung geben darf. Aber waren solche Preisunterschiede wirklich ein Problem, das der Regelung auf europäischer Ebene bedurfte? In Bezug auf welche Waren und Dienstleistungen gab es sie überhaupt?

Natürlich fällt einem als Paradebeispiel ein, dass Friseure früher verschiedene Preislisten für Damen und Herren hatten, weil ein Damenhaarschnitt typischerweise mehr Arbeit verursacht als ein Herrenhaarschnitt. Und natürlich ist es den Friseuren zuzumuten, dass sie in ihren Preislisten auf solche Stereotypisierungen verzichten und stattdessen die tatsächlich erbrachten Leistungen in Rechnung stellen. Im wirtschaftlichen Ergebnis wird sich dadurch freilich nicht viel geändert haben: Frauen geben nach wie vor mehr Geld für ihre Frisur aus als Männer. Aber sie nehmen eben auch umfangreichere Dienstleistungen in Anspruch. (Ausnahmen bestätigen die Regel. Frau Lunacek dürfte zweifellos von der neuen Regelung profitieren.)

Es gab jedoch noch eine andere Dienstleistung, für die seit jeher geschlechtsspezifisch unterschiedliche Preise verlangt wurden: Versicherungsverträge. Die Preisunterschiede hatten jedoch einen guten Grund, weil sich die zu versichernden Risiken geschlechtsspezifisch sehr stark unterscheiden können. Bei Pensionsversicherungen spielt es einfach eine Rolle, dass Frauen typischerweise eine kürzere Lebensarbeitszeit aufweisen und zugleich eine höhere Lebenserwartung haben als Männer. Umgekehrt sind junge Männer ungleich häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt als junge Frauen; dies würde es rechtfertigen, dass eine Haftpflichtversicherung von ihnen höhere Tarife verlangt.

Den EU-Mitgliedstaaten, die die Antidiskriminierungsrichtlinie einstimmig verabschiedet haben, war dieser Zusammenhang bewusst. Sie haben daher die Versicherungsbranche vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen.

Der Europäische Gerichtshof hat diese Ausnahmebestimmung jedoch mit einer höchst umstrittenen Entscheidung für nichtig erklärt, weil sie dem Grundsatz der Geschlechtergleichheit in der EU-Grundrechtecharta widerspreche. Seitdem gilt die Richtlinie ohne Ausnahme, und Männer und Frauen müssen für dieselbe Versicherung denselben Preis bezahlen. In vielen Fällen mag dies in Ordnung sein, in bestimmten anderen Fällen aber ist es völlig widersinnig, weil sich statistisch gesehen die versicherten Risiken erheblich unterscheiden. Die Dienstleistung ist also in Wirklichkeit gar nicht dieselbe. Im wirtschaftlichen Ergebnis hat dies dazu geführt, dass jetzt alle den höheren Tarif bezahlen.

Man muss sich dies auf der Zunge zergehen lassen: eine Richtlinie, die (weil der EU-Vertrag dies so vorsieht) von allen Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen werden musste, kann von einer einfachen Mehrheit der Richter in einer Spruchkammer des EuGH teilweise aufgehoben werden; sie hat jetzt einen Inhalt, den die Mitgliedstaaten vermutlich so nicht beschlossen hätten.

Aber eine Korrektur scheint nicht möglich zu sein, denn sie könnte nur erfolgen, indem man die gesamte Richtlinie außer Kraft setzt, oder indem man die Grundrechtecharta ändert. Letzteres würde eine Regierungskonferenz und in einigen Mitgliedstaaten eine Volksabstimmung erfordern. Die verfehlte EuGH-Entscheidung ist also wie in Beton gegossen; sie ist gewissermaßen von höherem Rang als das gesamte übrige EU-Recht.

Aus Wohltat droht Plage zu werden. Ich glaube nicht, dass viele Mitbürger das Antidiskriminierungsrecht für nützlich oder notwendig halten. Und wenn doch, dann sollte dergleichen vielleicht lieber auf nationaler Ebene geregelt werden. Dann kann man es nämlich ohne große Schwierigkeiten wieder abschaffen. Möge Europa vor der 5. Gleichbehandlungsrichtlinie, und Österreich vor einem Levelling Up verschont bleiben.

Dr. iur. Gudrun Kugler, promovierte im internationalen Strafrecht und absolvierte einen Master in Theologischen Studien zu Ehe und Familie. Die für christliche Werte engagierte Mutter von vier Kindern zwischen 0 und 8 Jahren wurde bei der Nationalratswahl 2013 gemessen an Vorzugsstimmen sowohl auf der ÖVP-Bundesliste als auch auf der Wiener Landesliste Drittplazierte.

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Europa der Regionen – eine Chimäre drucken

Die politischen Verantwortungsträger der Südtiroler Regierungspartei SVP geben sich der Autosuggestion hin. Und die Publizistik steht ihnen darin in nichts nach. Unter dem Motto „Europa der Regionen“ fand soeben auf Schloss Prösels, einst Sitz des Landeshauptmanns an der Etsch, eine Tagung statt. Zugegen war die gesamte Führungsmannschaft des SVP-dominierten Südtirol sowie des ÖVP-bestimmten Nord- und Osttirol.

Dazu gesellten sich Repräsentanten Welschtirols, mit dem das 1918 von Italien annektierte Südtirol seit 1946 in der Autonomen Region Trentino/Alto Adige zwangsvereint ist. Ebenso gekommen waren institutionelle und behördliche Vertreter der italienischen Staatsmacht und eine Flugzeugladung österreichischer Zaungäste aus Wien, schließlich Heerscharen von Journalisten.

Natürlich lockten nicht das der Europäischen Realität zuwiderlaufende Tagungsthema und Referenten wie der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee oder der Münchner Politologe Werner Weidenfeld. Die Wissenschaftler mühten sich mit den staubtrockenen Materien ab, welche Begriffe wie „Nation", „Regionalismus", „Föderalismus" und „Supranationalismus" umfassen; sie beschworen wieder einmal die „Regionalisierung Europas“ und wünschten sich zum ebenso vielten Mal, dass der kompetenzlose „Ausschuss der Regionen“ der EU endlich etwas zu sagen haben soll – Beschlusskompetenzen erhalten möge.

Auch der Schriftsteller Robert Menasse war nicht der Magnet für so viel Prominenz am Fuße des Schlern – trotz seiner marxistisch-leninistisch anmutenden Prophetie vom „Absterben der (National-)Staaten“. Und der in die Jahre gekommene Bergsteiger Reinhold Messner, ein begnadeter Selbstdarsteller, schon gar nicht. Er schwadronierte – völlig realitätsfremd – von EU-Bürgerschaft: Womit er den Wunsch vieler Südtiroler nach Erteilung auch der österreichischen Staatsbürgerschaft lächerlich zu machen versuchte.

Nein, eine unbändige Anziehungskraft auf das zuvor vom Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher handverlesene und ob der räumlichen Begrenztheit des historischen Gemäuers kontingentierte Publikum aus Politik, Wirtschaft und Publizistik übte nur das zurecht „historisch“ zu nennende erstmalige Zusammentreffen eines italienischen und eines österreichischen Regierungschefs auf Südtiroler Boden aus.

Es erübrigt sich eigentlich zu sagen, doch es soll dennoch festgehalten zu werden: Die Anwesenheit des Ministerpräsidenten Matteo Renzi überstrahlte bei Weitem jene des Bundeskanzlers Werner Faymann. Das war samt und sonders den anwesenden SVP-Granden anzumerken, die für gewöhnlich in Sonntagsreden das „Vaterland Österreich“ im Munde führen. Ob Kompatschers „Einfädelungsgeschick“ – Matteo und Arno sind per Du – hätte man am liebsten einander auf die Schenkel geklopft. Jedenfalls hinterließen die SVP-Politiker den – auch von allen Medien reflektierten – Eindruck, als ob der zähe Kampf der Altvordern wider die „ewige Italianità“ längst behaglichem Wohlgefallen an der politischen, ökonomischen, sozialen und weitgehend auch kulturellen Inkorporation in den italienischen Zentralstaat gewichen sei.

Wer geglaubt hätte, dass Renzi und/oder Faymann jenseits von „Friede, Freude, Eierkuchen“ auch nur ein Wort mehr als die gängigen, zum Tagungsmotto passenden Stereotypen verlieren würden, sah sich getäuscht. Europa mache es möglich, dass Staatsgrenzen ignoriert werden könnten, weil sie nicht mehr trennten. Die Autonomie „ein Modell für andere in Europa“, die Verwaltung effizient. Ausgeklammert, besser beschwiegen, blieben die ständigen Probleme zwischen Bozen und Rom über Zuständigkeiten und Kompetenzen. Auch das stete Ringen um Durchführungsbestimmungen wurde ebenso wenig thematisiert wie der seit einigen Jahren – wegen der Staatsüberschuldung (137 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) – erfolgende vertragswidrige Entzug von Finanzmitteln, die eigentlich der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol zustehen. Dieser ist durch alle römischen Regierungen erfolgt, egal welcher politischen Couleur.

Dagegen hört man ständig von der Beschwörung der „Euregio Tirol“ als beispielgebendem Zukunftsprojekt gegen das Verlangen „Ewiggestriger“ nach Selbstbestimmung(sreferenden) und Unabhängigkeit sowie damit verbundenen Grenzverschiebungen. Auch als Widerpart gegen die erstarkten „Europaskeptischen“ und „Europafeindlichen“ Kräfte, nicht zuletzt auch gegen die Euro-Skeptiker. Das war die Absicht der Initiatoren dieser kaum anders denn als „Staatstheater“ zu charakterisierenden Veranstaltung. Der „Dolomiten“-Leitartikler wähnte sogar autosuggestiv wie die sich zu Prösels selbst Bejubelnden den „Aufbruch ins Europa der Regionen“.

Die Europäische Wirklichkeit ist eine andere. Nach wie vor bestimmen „nationale Interessen“ maßgeblich das Geschehen in der Union. Nicht von ungefähr steckt hinter den Ambitionen Frankreichs, der „Grande Nation“, nach wie vor De Gaulles Diktum vom „Europa der Vaterländer“. Es wird in der bayerischen CSU nur mehr vom „Statthalter“ des Franz Josef Strauß, Peter Gauweiler, hochgehalten. Ansonsten führt es zur Alternative für Deutschland und deren von der „sozialdemokratisierten“ CDU/CSU-Führung angewiderter konservativ-(wirtschafts)liberaler Klientel. Es sind just stark zentralistisch aufgebaute, stets die „ein(heitlich)e Nation“ betonende und sie verfassungsrechtlich erhöhende Staaten wie beispielsweise Italien, Frankreich oder Rumänien, welche sich der Föderalisierung weitgehend verschließen.

Ihre Minderheitenpolitik ist prinzipiell dem „nationalen Interesse“ untergeordnet oder fällt ihr im Zweifelsfall gänzlich zum Opfer. Selbst in Prösels konnte man das aus den Äußerungen der Renzi begleitenden Regionenministerin und Parteigängerin Maria Carmela Lanzetta heraushören. Das wollte freilich niemand: „Tirol, Südtirol und das Trentino“ seien zwar ein „Beispiel für multilevel Government und die Zusammenarbeit der Regionen in Europa“;  allerdings müssten „die Regionen im Rahmen der staatlichen Gemeinschaft gesehen werden“. Oder aus einer Bemerkung des Staatssekretärs Graziano Delrio: Ausgerechnet in Südtirol hob Delrio die Bedeutung der Trikolore hervor.

Nach wie vor auch ist es der Europäische Rat, mit welchem die Staats- und Regierungschefs die Unionspolitik bestimmen. Er ist der maßgebliche Entscheidungsträger in der Union. Selbst die stets um Mehrung ihrer Kompetenzen ringende EU-Kommission sowie die ihr untergeordnete, überbordende und sich immer mehr verselbständigende Euro(büro)kratie rangieren ebenso wie das Europaparlament – trotz leichter Positionsgewinne – weit darunter. Daran wird sich, auch auf längere Sicht, wohl nichts Substantielles ändern.

Das gilt auch für die von Integrationisten ersehnte absolute „Vergemeinschaftung“ in Form der „Vereinigten Staaten von Europa“. Nur bei Auflösung aller Nationalstaaten ließe sich die an sich durchaus sympathische Idee eines auf vor-nationalen volklichen Identitäten basierenden Regionalismus, mithin eines „Europa der Regionen“ verwirklichen. Gemessen an den derzeitigen realpolitischen Gegebenheiten ist in Hinkunft allenfalls eine „Konföderation Europäischer Staaten“ denkbar. Wenig „Aufbruch“ also, und die „modellhafte Euregio Tirol“ gewissermaßen als „Keimzelle“ für das „Europa der Regionen“ – Wunschdenken, Chimäre.

Der Verfasser ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.

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Der Hype um den angeblichen russischen Vordenker Alexander Dugin drucken

In letzter Zeit grassieren in konservativen Kreisen Mails, Rundschreiben, Postings und Positionspapiere, die sich in zustimmender Weise – teils sogar in frenetischem Jubel – mit dem selbst ernannten Vordenker eines neuen, imperialen Groß-Russland, Alexander Dugin, beschäftigen. Dugin gilt, wahrscheinlich zu Unrecht, als ideologisches Mastermind hinter Putin.

Er entstammt der so genannten „Nationalbolschewistischen Bewegung“ und lehrt absonderlicherweise Politologie an der ansonsten renommierten Moskauer Lomonossow-Universität. Er vertritt die Auffassung, dass der dekadent gewordene, von seinen ursprünglichen Idealen abgefallene Westen nur vor sich selbst geschützt werden kann, wenn er von Russland okkupiert und Europa zu einem Protektorat eines neuen Zarenreiches gemacht wird.

Auf diese Weise könne Russland „auf friedliche Weise“ die technologische Überlegenheit Europas zugeführt werden, das im Gegenzug in den Genuss einer dauerhaften Absicherung seines Energiebedarfes gelangen würde. Ideologisch hängt Dugin einem geradezu okkultistischen Spiritualismus an, den er als Gegenposition zu den Abgleitflächen des „Liberalismus“ in Stellung bringt.

Der Zuspruch zu einem dermaßen obskuren Konzept und die Begeisterung, die ihm aktuell auch hierzulande entgegengebracht wird, ist wohl auch auf die verbreitete Frustration über die einseitige Berichterstattung über Russland und die internationale Krise um die Katastrophe in der Ukraine zurückzuführen. Viele Menschen fragen sich seit Monaten, ob die Interessen eines US-geführten euroatlantischen Bündnisses tatsächlich mit unseren eigenen – europäischen und österreichischen – Interessen um so viel mehr übereinstimmen als die einer geordneten Form der Koexistenz und Kooperation mit Russland, dem wohl als riesigem Vielvölkerstaat eine gewisse geostrategische Hegemonialposition zugebilligt werden muss.

Und viele sind zu der Überzeugung gelangt, dass die geschundene und in ein Knäuel von Krisen verstrickte Ukraine, mit der uns kulturell und historisch so viel verbindet, von der Einmischung des Westens und den sich daraus ergebenden Folgen keineswegs profitiert hat. Tatsächlich ist es durchaus legitim zu fragen, ob die Ukraine derzeit mehr unter den Ausplünderungsversuchen des Westens und dem Versuch einer Instrumentalisierung als NATO-Vorposten einerseits oder unter der machtpolitsch perfekt ins Werk gesetzten Reaktion Putins andererseits leidet, der die Gunst der Stunde naturgemäß für seine strategischen Ziele nutzt.

Dessen ungeachtet besteht kein Anlass, sich in zustimmender Form mit den Großmachtphantasien eines Alexander Dugin zu beschäftigen oder diese gar als Inspiration für den Umgang mit der geistigen, kulturellen, politischen und ökonomischen Großkrise zu begreifen, die die europäischen Gesellschaften, darunter zweifelsfrei auch die österreichische, fest in ihren Krallen hält.

Dugin ist geistig-intellektuell nicht ernst zu nehmen, versteht von den Zusammenhängen und Funktionsmomenten der modernen Welt nichts und hat keine einzige originelle oder originäre Idee zu bieten. Die – berechtigte – Verzweiflung über den Zustand der westlichen Welt in eine russische Großmachtphantasie zu kanalisieren ist keine Leistung, die Beachtung verdienen würde. Der Mann hat keine Ahnung, warum unser Kontinent in diesem Zustand ist und kann daher nicht annähernd ermessen, welche Form von Medizin hier angebracht wäre.

Hingegen ist er politisch wahrscheinlich sehr wohl ernst zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob sein Einfluss auf Putin real besteht, übertrieben wird oder gar nicht existiert. Er greift ein bestimmtes Sentiment auf – und zwar eines, das in unterschiedlicher Form sowohl in Russland als auch in Europa existiert – und wendet es in völlig simplifizierter Form als strategische Waffe gegen die bestehende Geo-Ordnung der Welt an. Das macht ihn gefährlich, tendenziell genauso gefährlich wie die unkritische transatlantische Allianz, die er zu Recht kritisiert.

Leute wie Dugin geben all jenen Nahrung, die Russland dämonisieren und verächtlich machen und in der Frage der Großprobleme wie Ukraine, Gasstreit, NATO, US-Einfluss auf Europa usw. mit einem anti-russischen Reflex reagieren. Er und seine Sympathisanten tragen dazu bei, die Chance auf eine vernünftige Variante der Analyse der Probleme der heutigen Welt potentiell zu durchkreuzen und allen Ansätzen zu einer wahrhaft konservativen Revolution zu schaden.

Konservative und Konservativ-Liberale wären gut beraten, sich nicht in die Nähe eines Spinners zu begeben, der allen Ernstes ein Bündnis mit den Asiaten (inklusive Nordkorea) anstrebt, um die aus seiner Sicht erforderliche Kraft für eine Eroberung und Eingliederung Europas in das neo-zaristische Russland aufbauen zu können. In diesem Sinne ist auch die konspirative Zusammenkunft zu beurteilen, die neulich in einem Wiener Stadtpalais stattgefunden hat, wo Dugin als Hauptreferent und geistiger Führer aufgetreten ist – unter Teilnahme österreichischer Politiker.

Beunruhigend ist das Maß, in dem Dugin derzeit auch in Österreich Zuspruch erhält. Es ist fast gespenstisch, wie schnell die Anhängerschaft gegenüber einem neuen Guru zu grassieren beginnt. Soziologisch und kommunikationstheoretisch ist das Phänomen freilich interessant: Offenbar aus Verzweiflung über das geistige und operative Vakuum im Bereich der ersehnten Alternativen zum bestehenden System sind viele Menschen schnellstens bereit, sich einem gefährlichen Rattenfänger an den Hals zu werfen, ohne dabei die Folgen zu bedenken.

Dabei müsste ein Blick auf die Selbst-Inszenierungen dieses Mannes eigentlich reichen, um von seinem Einfluss dauerhaft geheilt zu werden. Dugin liebt es beispielsweise, sich in bombastisch ausgestatteten Auditoriums-Sälen mit esoterisch anmutender Ausstattung interviewen zu lassen oder als legitimer Nachfahre großer Gestalten aus der Philosophiegeschichte vorgestellt zu werden. Derartiges lässt tief blicken in die Seele eines Mannes, der sich für den Retter der Welt zu halten scheint.

Dugin ist wissenschaftlich ein Scharlatan und politisch eine tickende Zeitbombe. Besteht hier irgendein substantieller Unterschied zu Erdogan?

Der Autor ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie.

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Nach Erdogan jetzt Putin drucken

Zwei extrem unerfreuliche Besuche. Nach dem Türken-Premier Erdogan folgt nun der russische Präsident Putin in Wien. Der einzige Unterschied: Putin kommt auf Einladung; Erdogan hingegen hat sich selbst eingeladen. (mit nachträglicher Ergänzung)

Eingeladen hat Heinz Fischer. Damit ist der Bundespräsident einer überflüssigen und Österreich in ganz Westeuropa schädigenden Anbiederung an Russland schuldig. Putin ist seit seinem Einmarsch in der Ukraine von keinem einzigen EU-Land bilateral empfangen worden. Jetzt aber von Österreich ohne irgendein Anzeichen eines russischen Einlenkens im Gegenzug für Putins Empfang! (Dessen lange vor dem Ukraine-Einmarsch vereinbarte Teilnahme an den Normandie-Siegesfeiern firmiert ja politisch wie protokollarisch weit unter einem bilateralen Staatsbesuch!).

Damit macht sich Heinz Fischer letztlich zu einem Mittäter bei der ersten militärischen Verschiebung europäischer Grenzen seit dem zweiten Weltkrieg, die ohne jede Bedrohung, ohne jede gravierende Menschenrechtsverletzung erfolgt ist. Der einzige Grund für den Einmarsch: Putin hat sich darüber geärgert, dass die Ukraine mehrheitlich lieber nach Europa als nach Russland geht.

Es ist geradezu ein Hohn, dass Fischer Putin einen Tag nach Bekanntwerden der Verdreifachung der russischen Militärpräsenz an der ukrainischen Grenze empfängt. Dass der Besuch einen Tag nach der Erklärung des schwedischen Außenministers Bildt über das Rollen von russischen T-64-Panzern zu den Russlandfreunden in der Ostukraine erfolgt. Dass er drei Tage nach dem Friedensversuch Kiews erfolgt, der von Moskau nur mit immer weiteren Bedingungen beantwortet wird.

Schon diese drei Fakten wären – jedes für sich – Anlass genug, die Einladung an Putin auch noch im letzten Augenblick wieder rückgängig zu machen. Aber nichts dergleichen geschieht.

Ach ja, der Bundespräsident und sein Außenminister (der offenbar nur theoretisch von einer anderen Partei gestellt wird) werden Putin den einen oder anderen kritischen Satz sagen. Und kaum haben sie diesen Satz herausgebracht, werden sie gemeinsam aus dem Tafelsilber in den Räumen der alten Habsburger dinieren. So sieht österreichische Empörung über Aggressionen aus.

Apologeten Russland wie Fischer kommen gern mit der Frage, ob dem Autor Dialog nicht lieber wäre als Krieg. Natürlich ist er das. Nur lässt Moskau diese Alternative leider nicht zu! Putin hat in den letzten Wochen sooft gelogen, sooft er den Mund aufgemacht hat. Daher ist ein Dialog sinnlos. Und schon gar nicht ist ein sinnvoller Dialog mit solchen politischen Leichtgewichten wie Fischer und Kurz möglich. Mehr als bezeichnend für das Gewicht der beiden (von Herrn Faymann wollen wir gar nicht reden) ist etwa, dass kein einziger der 28 EU-Außenminister bei ihrem montägigen Zusammentreffen den Wien-Besuch Putins auch nur erwähnte.

Aber ist man für Krieg, wenn man den Dialog mit diesem Putin für sinnlos hält? Nein. Ganz und gar nicht. Genau den Krieg kann jedoch nicht ein „Dialog“ verhindern, der von lauter Lügen begleitet wird, sondern nur ein geschlossenes Auftreten aller demokratischen Rechtsstaaten. Krieg verhindern können nur entschlossene Sanktionen. Und nicht der unsinnige Vertrag über eine neue Pipeline, die irgendwann einmal an der Ukraine vorbei geht.

Da beruhigt es, dass Westeuropa durchaus anders agiert als Fischer. Unter der Führung von Angela Merkel werden möglicherweise schon diese Woche weitere Sanktionen fixiert. Österreich hat sich ohne Wenn und Aber an diesen Sanktionen zu beteiligen. Nur so kann ein Krieg verhindert werden.

Es zeigt sich nämlich, dass entschlossene Sanktionen für Russland durchaus sehr schmerzhaft sind. Die Investitionen sind signifikant zurückgegangen. Russische Oligarchen haben bereits eine hohe Geldsumme aus ihrer Heimat heimlich abgezogen. Schon nach wenigen Wochen musste Moskau zugeben, dass das russische Sozialprodukt deutlich zurückgegangen ist. Also Sanktionen wirken durchaus. Und bei einem Putin, der ja durchaus rational sein Machtkalkül anstellt, ganz besonders. Es sei denn, Putin kann meinen, dass Fischer und Kurz ein Gewicht in Europa wären.

Zumindest von Sebastian Kurz hätte man sich eines zu wünschen: Dass er genauso klar wie beim türkischen Premier redet. Aber da verschlägt es ihm zumindest bisher die Rede. Aus Unerfahrenheit? Oder weil er auf dem Weg nach oben den kurzsichtigen Interessen mancher Wirtschaftsmenschen zu folgen versucht?

Wenn es der zweite Grund sein sollte, dann sollte man Herrn Kurz daran erinnern, dass einst ein Generalsekretär der Industriellenvereinigung sogar mit einem Anstecker für Import von noch mehr Türken geworben hat. Heute braucht die IV die Türken nicht mehr und schon hat sie das Interesse verloren. Noch viel weniger ist eine Strategie gegen einen Kriegstreiber durch die Wirtschaft denkbar.

Erst wenn klar ist, dass Militär heute keine Grenzen verschieben darf, dass solche gewaltsame Änderungen zurückzunehmen sind, kann über das Selbstbestimmungsrecht geredet werden. Dann kann nicht nur, dann soll auch dringend darüber geredet werden. Dieses Recht ist richtig und notwendig für eine Stabilisierung der Ukraine – und vieler anderer Länder. Es darf aber niemals zum Vorwand für Kriege werden.

Sonst hätte ja einst etwa auch Hitlers Einmarsch in Österreich und in der Tschechoslowakei mit Selbstbestimmung zu tun. Was 1938 so manche Westmächte ja in der Tat so gesehen haben. Damals hat nur Mexiko gegen Hitlers Invasion protestiert. Viele andere haben hingegen 1938 (mit dem Kopf im Sand) gesagt, die Österreicher haben nach dem ersten Weltkrieg eh in großer Mehrheit zum Deutschen Reich gewollt, also ginge Hitlers Einmarsch schon in Ordnung. Und seine „Abstimmung“ sei eine Form der Selbstbestimmung gewesen. Dass nach seriösen Forschungen bei einer freien Abstimmung die Österreicher jedoch 1938 mehrheitlich nicht zu Hitler wollten (obwohl 1919 eine große Mehrheit zweifellos nach Deutschland wollte), wurde damals von den Anhängern des Dialogs um jeden Preis geflissentlich übergangen.

Ein Recht, eine demokratische Entscheidung kann immer nur unter der Möglichkeit aller Seiten stattfinden, den eigenen Standpunkt friedlich und frei darzulegen, kann es nur bei einer geheimen und sauberen Abstimmung geben. Die hat es 1938 ebenso wenig gegeben wie jetzt im Süden und Osten der Ukraine. Ebenso gab es damals wie heute Anhänger des Dialogs, die bei allen unangenehmen Fakten wegschauen. Damals wie heute waren die Aufgabe von Prinzipien um des lieben Friedens willen grundfalsch.

PS: Die plötzliche Destabilisierung Polens durch Veröffentlichung privater und ungeschminkter Dialoge von Regierungspolitikern trägt ganz massiv die Handschrift Moskaus (und ist sicher nicht nur von einer Wochenzeitung organisiert). Polen ist einer der klarsten Kritiker des russischen Vormarsches. Man wird sehen, ob es den Abhöraktionen und Veröffentlichungen gelingt, Polen fertig zu machen. Was man jetzt schon sagen kann: Russlands Propaganda und seine Geheimdienste sind jedenfalls eindrucksvoll wirksam.

PPS: Dass Linke wie Fischer für Moskau sind, erstaunt nicht weiter. Dass Russland auch auf der Rechten manche Sympathien hat, überrascht mehr. Aber nur auf den ersten Blick. Dort sieht man Russland als Speerspitze für den Kampf gegen die Propaganda des diversen Schwulen-Lobbies. So nachvollziehbar die Aversion von immer mehr Menschen gegen das Vordringen der einst diskriminierten, heute privilegierten Schwulen ist, so wenig kann das auch nur im entferntesten Sympathien für die Besetzung anderer Länder rechtfertigen. Zumindest dann nicht, wenn man noch bei klarem Verstand ist.

(Nachträgliche Ergänzung: Dass zu Putins Wien-Besuch für ein paar Stunden die Waffen in der Ostukraine schweigen, zeigt nur eines: dass entgegen den russischen Beteuerungen die dortigen Rebellen ganz auf Moskaus Pfiff hören. Europa (bis auf Österreich) - aber auch Russland selbst! - wissen jedenfalls genau: Relevant ist einzig der Europäische Rat am kommenden Freitag, bei dem weitere Sanktionen gegen Russland zur Entscheidung anstehen. Und nicht Putins Wiener Versuch, einen Keil in den Westen zu treiben. Auf den aber außer den Herren Fischer und Kurz niemand hereinfällt.)

 

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Nur nicht hohe Einkommen entlasten drucken

Johanna Mikl-Leitner hat Jahre gebraucht, um ihren argen Spruch vom „Her mit dem Zaster!“ vergessen zu lassen. Kaum rückt jener Sager langsam zurück, da füllt Familienministerin Sophie Karmasin die von Manchen in der ÖVP offenbar gefühlt Lücke. Sie weiß zwar noch keineswegs genau, welches Familiensteuermodell sie will, nur eines will sie keinesfalls: dass diese Reform hohen Einkommen zugutekäme.

Gewiss: Bei vielen Medien ist jemand automatisch böse, der ein über dem Durchschnitt liegendes Einkommen hat. Obwohl ja genau die Hälfte der Österreicher über diesem Durchschnitt (wer's präzise haben will: über dem Median) verdient. Früher war die ÖVP jene Partei, welche diese Hälfte, welche die Leistungsträger vertrat. Vielleicht kann das Karmasin jemand in Erinnerung rufen?

Österreich hat ein Riesenproblem: Seine akademisch gebildeten Frauen bringen zu rund der Hälfte keine Kinder mehr zur Welt. So sehr das Recht jedes Menschen zu verteidigen ist, sein eigenes Lebensmodell zu wählen, so wenig Toleranz darf es geben, wenn Fakten wie diese verschwiegen werden, weil sie dem Zeitgeist nicht opportun erscheinen.

Faktum ist: Kinderkriegen ist eine Sache der Unterschicht geworden, eine Sache der Zuwanderer. Und wenn man dazu die Erkenntnisse der Genforschung reiht, dass Intelligenz zu 50 bis 80 Prozent eine Sache der Vererbung ist, dann sollte man darüber zumindest intensiv nachdenken.

Eher fraglich ist, ob das französische Modell einer noch stärkeren Doppelbelastung der Frauen wirklich ein Vorbild ist. Nicht nur die französischen Frauen, sondern auch die linke Hamburger „Zeit“ hat die gigantische Bürde, die Beruf und Familie französischen Müttern auferlegt, mehrfach und zu Recht beklagt. Ganz abgesehen davon, dass Frankreich ja gerade ökonomisch und sozial gegen die Wand donnert.

Gewiss: Der Familienministerin ist zugute zu halten, dass sie die Familien bei der Steuerdebatte zumindest ins Spiel bringt. Ohne eine gut gebildete nächste Generation lässt sich der heutige Wohlstand nicht einmal annähernd bewahren. Nur sollte das noch kein Grund sein, verfassungs- und grundrechtswidrige Vorschläge zu machen. Der Vorschlag, Mehrfachmütter, aber nicht die Väter steuerlich zu begünstigen, ist natürlich massiv rechtswidrig. Auch wenn er vielleicht auf der Linie dieser Ministerin liegt, heterosexuelle Männer zu diskriminieren.

Vielleicht liest man in der ÖVP einfach nach, welch kluge Vorschläge in Sachen Steuer und Familie noch vor einem Jahr die damalige (ÖVP-)Finanzministerin gemacht hat. Auch wenn der Name Maria Fekter heute offenbar völlig aus allen Archiven getilgt wird: Damals hat sich die ÖVP als Ganzes hinter den Vorschlag eines spürbaren Steuerfreibetrages pro Kind gestellt. Damals hat sie noch gewusst, dass sie ganz besonders die Familien und Besserverdienenden zu vertreten hat. Weil es sonst niemand tut. Weil beide ganz besonders wichtig für die Zukunft einer Gesellschaft sind.

 Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

 

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Die Heuchelei als Europas kleinster Nenner drucken

Europa lebt von der Heuchelei und Verdrängung. Die EU ist Richtung Süden wie Osten unglaublich attraktiv; sie ist dort für die Mehrheit der Menschen der Inbegriff ihrer Träume. Die EU freut sich darüber ungemein – aber sie will keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen. Das ist unbestreitbar eine massive Diskrepanz.

Wie soll Europa diese Diskrepanz lösen? Ganz gewiss nicht so, wie es derzeit geschieht: Vor den jüngsten EU-Wahlen haben fast alle Kandidaten massiv gegen eine weitere Erweiterung der Union argumentiert; es komme während der nächsten Periode keine neue Mitgliedschaft in Frage. Die EU hat genug eigene Probleme. Nach der Wahl hingegen haben die vor der Wahl schweigenden Außenministerien und die Kommission sofort wieder ganz normal auf Erweiterungsmodus geschaltet. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz etwa setzte sich nach diesen Wahlen massiv für einen Beitritt vor allem Serbiens, aber auch der anderen Balkanstaaten ein.

Diese Haltung ist verlogen. Die Diplomatie hat noch immer nicht begriffen, dass sie selbst hauptschuld ist, wenn sie durch eine solche doppelbödige Politik die Bürger immer weiter von Europa entfremdet. Das geht in einer modernen Demokratie einfach nicht mehr.

Natürlich ist ein Nichtbeitritt Serbiens nicht argumentierbar (sobald einmal Belgrad die Unabhängigkeit des Kosovo klar anerkannt hat). Die Serben gehören genauso zu Europa wie die Kroaten oder Rumänen. Aber das soll man bitte den Wählern auch schon vor einer Wahl mutig sagen! Die merken sich nämlich diese Doppelzüngigkeit.

Serbien, dessen Expansionismus am Beginn des 20. Jahrhundert eine Hauptursache des Zerfalls zweier Reiche und des Todes von Millionen Menschen gewesen ist, das zweifellos auch der Hauptschuldige der letzten Balkankriege war, dieses Serbien benimmt sich heute durchaus verantwortungsbewusst. Und das hat Europa anzuerkennen. Und nicht heuchlerisch herumzureden. Das verärgert nur die Serben wie die Bürger immer mehr.

Die Korruption und der Kampf gegen sie

Aber ist nicht Serbien noch zutiefst von Korruption zerfressen? Ja, das ist es. Aber auch nicht tiefer als Rumänien oder Bulgarien oder Kroatien. Und auch Teile Italiens, um nur eine Region aus dem allerersten EU-Kern zu nennen.

Damit sind wir bei der nächsten Heuchelei: Wäre Europa nur eine große Freihandelszone, dann wäre die endemische Korruption in bestimmten Regionen kein Problem anderer Nationen. Dann wäre sie Sache der betroffenen Bürger, die ja auch dafür zahlen. Nur sie selbst können Schritt für Schritt Justiz und Politik bessern – auch wenn sie offenbar oft auf Personen hineinfallen, die laut gegen Korruption wettern, aber selbst bestechlich sind.

Aber EU-Europa hat viel größere Ambitionen gehabt – an denen es nun zu scheitern droht. Denn sobald nicht nur Freihandel für Agrarprodukte besteht, sondern es eine gemeinsame Landwirtschaftspolitik gibt, muss man eben jeden Olivenbaum, jede Alm, jedes Weinstock, jedes Rindvieh zählen. Und Europa wird dabei ständig nach Strich und Faden betrogen.

Sobald man nicht nur Produkte handelt (und bloß deren Qualität und Preis zu prüfen hat), sobald man nicht nur tarifäre wie – in der Wirkung natürlich viel raffinierter – nichttarifäre Hindernisse entfernt, sondern politisch alles und jedes regulieren will, geht man am Zusammenprall unvereinbarer Kulturen zugrunde. Ganz abgehen von der alten Erfahrung, dass ohne eine funktionierende Bürgergesellschaft ein Rechtsstaat nie funktionieren kann. Diese Gesellschaft muss von innen wachsen, sie kann nicht von außen angeordnet werden.

Dieser Zusammenprall passiert umso öfter, je mehr Rechtsbereiche die EU zu regulieren versucht. Was anfangs nur der Fehler einer gemeinsamen Agrarpolitik war, erstreckt sich heute auf Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Justizpolitik, Umweltpolitik, Frauenpolitik und so weiter.

Täglich sehen wir es: Die EU hat angesichts dieser vielen Betrügereien keine Chance. Sie versucht zwar, mit immer mehr Regulierungen, Richtlinien und Verordnungen den Kopf über Wasser zu halten. Sie geht aber immer mehr unter. Spätestens seit sie absurderweise auch die gesamten Grundrechte inhaliert und sich damit rettungslos den Juristen ausgeliefert hat.

Das heißt nun nicht, dass die Serben und andere deshalb der EU beitreten wollen, weil es dort viel größere Möglichkeiten zur Korruption gibt. Ganz im Gegenteil: Viele dortige Bürger hoffen, dass sie die EU von diesen ineffizienten „Bräuchen“ befreit. Korruption geht ja immer zu Lasten der Bürger. Es ist aber das Gegenteil passiert: Es hat nicht die EU-Mitgliedschaft die Süditaliener, Rumänen und Bulgaren von Korruption befreit. Sondern die EU hat sich selbst immer stärker versüdlicht, ohne hingegen im Süden etwas Substantielles geändert zu haben.

Wer dieses harte Urteil bezweifelt, fahre einfach auf ein paar Tage nach Palermo oder Neapel, wo angebliche Mafiajäger regieren, wo nun schon zwei Generationen lang nördliches Geld in Billionensummen hineingeflossen ist, wo man sich aber bis heute ins tiefste Mittelalter zurückversetzt fühlt. Wo alles nur noch schlimmer geworden ist. Und dann vergleiche er das Bild mit der Entwicklung - bespielsweise - von Prag oder Krakau, die viel weniger Geld haben, deren Bürger aber im Vergleich viel weniger korrupt sind.

Die Ukraine als flammendes Bekenntnis zu Europa

Die dritte Heuchelei passiert nun bei der Ukraine. Dort hat die Mehrheit der Menschen ganz eindeutig den Willen demonstriert, nach Europa in die EU zu kommen. Sie hat mit wochenlangem und todesmutigem Einsatz einen Präsidenten gestürzt, der sich nach drei(!) Jahren des Verhandelns mit der EU von Moskau unter Druck setzen ließ, wo er seine schmutzigen Geschäfte macht, und der im allerletzten Augenblick Europa seine Unterschrift verweigert hat.

Deutlicher kann man gar nicht zeigen, dass die Menschen jenes Landes um jeden Preis nach Europa wollen (nach allen seriösen Daten auch die russischsprechenden Menschen in der Ukraine). Das ehrt die EU ungemein – aber eigentlich will dort fast kein Wähler die Ukraine oder ein anderes Land als Mitglied haben. Nur sagt man es nicht.

Insgeheim wären wahrscheinlich viele sogar froh, wenn die Sowjetunion, pardon Russland das Land wieder erobert. Dann könnte man eine Zeitlang empört dagegen protestieren, aber man wäre ein riesiges Problem los. Und bald darauf würde man wieder ungehindert seine Geschäfte mit Moskau machen. Es herrscht ja Realpolitik.

Die Lösung

Die Lösung? Sie kann – wenn die EU nicht ganz zerfallen soll – nur darin bestehen, dass sich Europa wieder auf den völlig freien Binnenmarkt mit klaren Einschränkungen der Freizügigkeit für nicht Berufstätige reduziert. Wenn die EU also im Wesentlichen eine Freihandelszone wird. Wenn wieder viel stärker die Eigenverantwortung der Länder, der Gemeinden, vor allem der Menschen als einziger funktionierender Mechanismus zur Wirkung kommt. Wenn die Justiz wieder viel stärker beim Europarat angesiedelt wird, wo sie hingehört. Wenn auch mit Amerika der volle Freihandel gesucht wird, wo Investitionen wechselseitig wirklich geschützt werden. Wenn auch mit Russland und anderen Regionen ein fairer Freihandel gesucht wird.

David Cameron und Viktor Orban wollen das. Angela Merkel weiß um die Notwendigkeit dieser Entscheidung. Die Südeuropäer hingegen wollen so wie in den letzten Jahrzehnten mit deutschem Geld weitertun. Wieder andere sind prinzipiell und überhaupt gegen Alles.

Und herauskommen wird wohl, das man noch recht lange mit der Heuchelei als gemeinsamem kleinsten Nenner weitertut.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Was liberal ist und wo die Neos sind drucken

Es war gewiss weit weniger als ein Prozent der Österreicher, die gewusst haben, dass die Neos einen Religionssprecher haben. Jetzt heißt der offenbar Strolz und nicht mehr Alm. Na und?

Noch immer gibt es keinerlei Distanzierung der Neos zum Antikirchen-Begehren. Noch immer sind die Neos die Partei des 80-Prozent-Steuer-Forderers Haselsteiner. Noch immer habe ich außer der Pensionsfrage und dem Wasserprivatisierungsthema (wo die Neos allerdings sehr lobenswert und mutig sind) kein einziges Anliegen der Neos entdeckt, das liberal wäre. Haselsteiner (der sich köstlicherweise eine Zeitlang auch innig im Bett mit einem angeblich jetzt von ihm wieder etwas entfremdeten russischen Oligarchen wälzt) und die anti-kirchliche Grundhaltung der Neos sind es jedenfalls nicht.

Alle großen liberalen Denker – von Hayek bis Friedman und erst recht die Denker früherer Jahrhunderte – drehen sich im Grab um, wenn sich die Neos als liberal bezeichnen. Oder gar als liberaler denn der Wirtschaftsbund oder das Team Stronach, die es ja auch zu sein versuchen. Und in der einen oder anderen Hinsicht (Steuern!) sogar deutlich mehr als die Neos sind.

Weder sind der Europa- und damit Zentralisierungsfanatismus der Neos liberal noch ist es ihr Engagement für die linke „Gemeinschaftsschule“, die ja nur ein Tarnwort für die linke Zwangsgesamtschule ist.

Die Neos zeigen auch keine Liberalität beim Thema staatlicher Ehe-Zeremonien. Liberal wäre es nämlich zweifellos, die Rolle des Staates auf die Beurkundung und Einhaltung eventueller Vorschriften (wie etwa das Verbot von Bigamie oder Inzest) zu reduzieren. So wie der Staat ja auch bei Geburt und Tod normalerweise keine Zeremonien veranstaltet. Dass die staatliche Ehezeremonie einschließlich der Neos von alle Parteien als scheinbar selbstverständlich verteidigt wird, zeigt nur, wie wenig liberal das gesamte Parteienspektrum in diesem Land ist.

Dass sich auch die Bischöfe so sehr für die Staatszeremonie bei der Ehe einsetzen, ist übrigens besonders skurril. Wenn auch aus einem anderen Grund. Offenbar haben sie keine Ahnung, dass diese erst vor weniger als hundert Jahren gegen den Willen ihrer Vorgänger eingeführt worden ist. Damals ging es der Linken nämlich gegen die rein kirchliche Ehe. Die sicher auch nicht liberal ist.

Liberal wäre es, sich für das Ende von Medien im Staatseigentum (samt Zwangsgebühren) einzusetzen. Liberal wäre es, für die von Rot-Schwarz-Grün immer mehr eingeengte Vertragsfreiheit zu kämpfen. Für Schulfreiheit. Für die freie Wahl von Krankenversicherungen.

All das tun die Neos nicht. Christus-gleiche Gänge in den Wienerwald oder „Fliegenden Spaghettimonster" oder eine Stripper-Fabrik im Jenseits sind mit Gewissheit keine liberalen Signale, sondern nur skurril. Und es interessiert nur die journalistische Klasse, ob deren Exponenten nun Religionssprecher oder nur Abgeordnete sind.

Freilich sind auch die Kirchenbeiträge, an denen die Bischöfe so verzweifelt festhalten, nicht liberal. Aber genauso wenig ist es der Kampf vieler Neos dagegen. Liberal wären zwei ganz andere Alternativen:

  • Die eine Alternative: Die Kirchen bekommen keinen Cent mehr aus den Beiträgen und vom Staat. Sie bekommen aber alles zurück, was ihnen der Staat 1938 weggenommen hat und was ihnen zuvor freiwillig gespendet worden ist. Die Kirchen erhalten ab dann an Gebäuden, was sie brauchen, und geben dem Staat oder verkaufen an andere Kirchen, was sie nicht mehr wollen.
  • Die andere Alternative wird in den letzten Jahren von immer mehr Ländern gegangen (das Schweizer Modell ist ja bei Linken neuerdings ohnedies sehr in): Jeder Bürger zahlt bei seiner Steuer automatisch einen Kultur(Kultus)-Betrag. Und er bestimmt dann völlig frei, ob dieses Geld der katholischen oder einer sonstigen Glaubensgemeinschaft oder beispielsweise den Bundestheatern oder der Arbeiterkammer oder sonst einem anerkannten Zweck zugutekommt. Sonst gibt es nichts für einen religiösen oder kulturellen Zweck. Das würde nicht nur den Einfluss der Bürger gewaltig erhöhen. Das hätte auch dramatische Auswirkungen auf alle Institutionen, die das Geld des Steuerzahlers wollen.

Manche werden nun sagen: Alles richtig, aber im 19. Jahrhundert hat doch der Liberalismus gegen die Kirchen gekämpft. Richtig. Aber damals hatten die Kirchen eine staatliche Rolle, damals hat der Staat die Kirche ge- und missbraucht. Das war übrigens keineswegs nur negativ, sondern Jahrtausende lang für die Gesellschaft sehr positiv und für deren Entwicklung sehr notwendig. Man könnte ganze Bücher über die wichtige Rolle des Christentums beim Fortschritt Europas schreiben. Heute hingegen gibt es praktisch keine Rolle der Kirche im Staat. Die Restbestände sind abgesehen vom Kirchenbeitrag nur noch für juristische Prüfungen relevant.

Der Liberalismus hat immer eine ganz andere dominante Rolle: Sich auf allen Ebenen gegen die Rolle des Staates zu wehren. Im 19. Jahrhundert war auch die Kirche Teil des Staates und wurde daher zu Recht kritisiert. Heute aber ist die Kirche völlig ohnmächtig, der Staat aber weit mächtiger als er jemals war. Und das ist er auch mit Hilfe der sich selbst als liberal bezeichnenden Menschen. Daher ist es umso trauriger, dass sich als liberal bezeichnende Gruppierungen es oft nicht sind. Wie etwa die Neos.

 

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Zeit, Raum und Lebensenergie drucken

Die umgewandelte Einsteinformel E=mc² lautet: Die (Lebens)Energie ist die Motivation zur Kommunikation. Dass Lebenszeit und Lebensraum entscheidenden Einfluss auf die Lebensenergie ausüben, erscheint einsichtig.

Die Relativität der Lebensqualität kann an Hand einer paraphrasierten Formel auf interessante Weise analysiert und kommentiert werden. Humanökologische Betrachtungsweisen sind dabei die Ansätze, die die Lebensqualität individueller Lebensentwürfe beschreiben helfen.

Warum derartige mentale Planspiele zum besseren Selbstverständnis und der Reflexion der gesellschaftlichen Umweltbedingungen hilfreich sind, erklärt sich aus dem einschränkenden Status in Sachen Informationsökologie und einer Bildungspolitik, die den Bildungsraum mehr einengt, als sie den Wahrnehmungshorizont in Sachen Lebensperspektive erweitert. E=mc², die bekannte aber schwer erklärbare Formel von Einstein, bekommt, wenn man sie mit einen Schuss Kreativität umdeutet, einen besonderen Aufforderungscharakter neu- oder umzudenken.

In diesem Moment beginnen sich die oft starren Lebensentwürfe zu bewegen und der Austausch zwischen den beiden Hirnarealen bekommt einen besonderen Spin. Bewegung in das Bewusstsein der Menschen zu bringen ist, neben dem gerade aktuell postulierten Streben nach Freiheit und Toleranz, die oberste Maxime für einen immer wieder geforderten Bewusstseinswandel auf dem Weg zu einer gerechteren und humaneren Gesellschaft.

Nimmt man die Lebensenergie, die für jeden begrenzt ist, als Parameter für die Chance jedes Einzelnen, an einer solchen besseren Gesellschaft zu arbeiten, dann kann man nur salopp bemerken, dass das der Stoff ist, aus dem die Zukunftsträume gemacht sind. Leider sind diese, wie die Geschichte und die Realität zeigen, noch nie für die gesamte Menschheit aufgegangen. Will man als menschliches Individuum wirklich weiterkommen, dann sieht man ein, dass die geistigen akrobatischen Kunststücke dem Einzelnen eigentlich nicht viel bis gar nichts bringen.

Herunter steigen vom hohen Ross, um den direkten Kontakt zu bekommen, das ist die einzige wahre Lösung, die den Menschen wirklich wirksam weiter bringt. Bereits die großen Zenmeister, die wahrlich nicht an mentalem Mangel litten, haben in Ihren Koans die Lösung in der Schlichtheit und nahe liegenden Einfachheit zum Ausdruck gebracht. In den banal anmutenden Aussagen, wie: „Wenn ich esse, dann esse ich und wenn ich trinke, dann trinke ich!“ steckt die Kernphilosophie des Lebens.

Stellt man die im ersten Teil des Beitrags abstrahierten Bemerkungen einer aus Einsteins Welt entlehnten Formel gegenüber, dann erscheinen diese völlig obsolet und nutzlos. Würde man dazu wieder den imaginierten Zen-Meister als hoffnungsfrohen Schüler auf dem Weg zur Erleuchtung fragen, bekäme man unter Umständen folgende ausdrucksvolle Antwort: Man stelle sich vor, der Meister zieht seine Sandalen aus, gibt sie auf den Kopf und verlässt so den Raum. Wenn durch diese Geste der Groschen noch immer nicht gefallen ist, kann man nur noch Goethes Faust zitieren: „Da steh ich nun als armer Tor und bin so klug wie zuvor!“ Mit der selbst motivierenden Ansage: „Nicht aufgeben, weiter denken“ wird die Lebensenergie wieder neu aufgeladen.

Dr. Franz Witzeling: Psychologe, Soziologe.

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Wahltag – Zahltag! Ein erhebendes Gefühl, kein Sozialist zu sein drucken

Viel schlimmer hätte es für die vielen von Internationalsozialisten wimmelnden Parteien bei den Wahlen zum Europaparlament nicht kommen können. Die – trotz flehentlicher Bitten, doch unbedingt zur Wahl zu gehen – historisch niedrigste Wahlbeteiligung ist allein schon schmerzhaft. Schwerer wiegt indes, dass trotz einer am Rande der Desinformation entlang schrammenden massenmedialen Dauerberieselung, die dem vermeintlich ebenso ahnungslosen wie blödsinnigen Stimmvieh die Segnungen der Brüsseler Zentralbürokratie hätte schmackhaft machen sollen, die routinemäßig negativ dargestellten „EU-Skeptiker“ – besonders in Frankreich, Großbritannien und Italien – beachtliche Erfolge verbuchen konnten.

Anstatt aber auf die von den „EU-Skeptikern“ repräsentierten Sorgen und Einwände der Wähler einzugehen, wurden von den EU-Propagandisten nichts als Totschlagargumente und persönliche Diffamierungen gegen ihre Gegner ins Feld geführt. Das Publikum merkte die Absicht und war verstimmt.

Dabei hatte man sich doch größte Mühe gegeben! Im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda hätte man seine helle Freude an der den Wahlen vorangegangenen, perfekt gleichgeschalteten „Berichterstattung“ gehabt. In alle möglichen Sende- und Printformate gepackt, wurde wochenlang unablässig für die großartigen Errungenschaften des europiden Zentralstaatsmonstrums geworben und konsequent jede regionale oder nationale Eigenart und Extratour verdammt. Für EU-kritische Stimmen war im Meinungshauptstrom so gut wie kein Platz.

Gegner der Zentralbürokratie und aller damit naturgemäß verbundenen Auswüchse wurden, sofern sie überhaupt genannt wurden, als unverantwortliche Quertreiber, seltsame Narren, reaktionäre Finsterlinge, radikale Rechte und/oder Feinde Europas und des Friedens daselbst vorgeführt. Ohne sich ernsthaft mit ihren Programmen auseinanderzusetzen, wurde fortgesetzt vor einem Wahlerfolg sinistrer Rechtspopulisten und Rassisten gewarnt. Der guten Ordnung halber sei allerdings eingeräumt, dass einige der „Euroskeptiker“, wie beispielsweise der italienische Komiker und Brutalrhetoriker Beppe Grillo, tatsächlich recht fragwürdige Argumente für ihre Kampagnen bemühten. Gelegentlich wird eben auch aus den falschen Gründen ungewollt das Richtige getan…

Purer Unfug, wie Glühlampen- Klospülungs- Duschkopf- und Staubsaugerverordnungen haben bei dieser Denkzettelwahl wohl eine Rolle gespielt. Mit Sicherheit schwerer wiegt aber der Fehler der EU-Granden, von Brüssel aus allen Europäern – von Lissabon bis Tallinn – dieselben Steuer- Sozial- und Landwirtschaftsgesetze (u. v .a. m.) oktroyieren zu wollen. Weshalb sollte für Malta gut sein, was für Finnland gut ist – und umgekehrt?

Wie vermessen ist es, den mit einer viele Jahrhunderte lang währenden Türkenherrschaft geschlagenen und dadurch nachhaltig geschädigten Balkan mit dem traditionell sauberen und unkorrupten Skandinavien über einen Kamm zu scheren? Arbeitswütige Teutonen und freizeitorientierte Phäaken denselben Regeln zu unterwerfen? Sparer auszuplündern, um Schuldenmacher zu begünstigen? Wer das unternimmt, löst erbitterte Widerstände aus und sät ohne jede Not Zwietracht zwischen den Nationen. Denn die Identität Europas war und ist von Vielfalt geprägt und verträgt keine zwangsbewährte Gleichschaltung.

Die Unterschiedlichkeit und der Wettbewerb seiner Völker und Kulturen macht seine Stärke und Einzigartigkeit aus. Die Totengräber eines friedlichen und gedeihlichen Zusammenlebens in der Alten Welt sind daher nicht die föderalistisch denkenden „EU-Skeptiker“, sondern die im Machtrausch befindlichen Zentralisten, die den Kontinent nach dem (abschreckenden) Vorbild der USA in einen Bundesstaat transformieren wollen. Das indes kommt der abgehobenen Nomenklatura und ihren willfährigen Herolden nicht einmal ansatzweise in den Sinn.

Die EU war und ist eine Kopfgeburt der politischen Eliten – ohne jede „Erdung“. Um einen offenen Dialog, um einen fairen Kampf der Ideen, war und ist es ihren Protagonisten bis heute nicht zu tun. Ihnen geht es ausschließlich um Machtausweitung und die lückenlose Überwachung ihrer Untertanen. Denken und Handeln der rezenten Eliten sind bestimmt durch ein Amalgam aus Sendungsbewusstsein, Anmaßung, Machbarkeitswahn und der besonders gefährlichen Überzeugung, dass der Zweck jedes Mittel heiligt.

Eines dieser Mittel ist Propaganda. Das Internetlexikon Wikipedia: „Propaganda bezeichnet einen absichtlichen und systematischen Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zum Zwecke der Erzeugung einer vom Propagandisten erwünschten Reaktion zu steuern.“ Die Damen und Herren in den Staatskanzleien, im Berlaymont, sowie deren große Mehrheit im Europaparlament, haben in den Wochen vor der Wahl hemmungslos EU-freundliche Propaganda betrieben. Nie zuvor lag zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten amtlichen Meinung ein breiterer Graben. Für ihre beispiellose Arroganz wurde den politischen Führern – besonders in einigen der größten Staaten der Union – nun die Rechnung präsentiert.

Kaum ein Mensch, der mit ehrlicher Arbeit sein Brot verdient, verspürt den Wunsch, sich politisch zu betätigen. Denn ohne Lug und Trug ist ein Erfolg bei einer „demokratisch legitimierten“ Wahl undenkbar – jedenfalls nicht oberhalb der Ebene kleiner Gemeinden, in der jeder jeden kennt. Nur gewissenlose Individuen schaffen es daher, sich im demokratischen „Wetterwerb der Gauner“ (© Hans-Hermann Hoppe) durchzusetzen. Je weiter weg von der Basis umso eher.

Rechtschaffene Menschen aber möchten in den Spiegel blicken können, ohne sich dabei zu ekeln. Sie sind keine professionellen Lügner und Betrüger. Sie wollen auch keine sein. Der „Markt der Politik“ wird folglich von einer rigorosen Auslese zweifelhafter Individuen beherrscht. Kaum ein produktiv in der Privatwirtschaft Tätiger, gleich ob angestellt oder selbständig, kann sich den Luxus leisten, seinen Job oder seinen Betrieb aufzugeben, um politisch zu „arbeiten“. Nach Beendigung seines Mandats stünde er nämlich vor dem Nichts.

Und so haben die wenigsten der durch das aktuelle Wahlergebnis blamierten Politiker je einen Tag mit Arbeit zugebracht, die von freien Menschen auf einem freien Markt nachgefragt und freiwillig bezahlt wird. Fast alle von ihnen leben, in ihrer Eigenschaft als unkündbare, freigestellte Beamte oder als Funktionäre von Interessenvertretungen, in einer märchenhaft privilegierten Parallelwelt. Bezahlt aus Steuermitteln und Zwangsabgaben. Im Klartext: mit gestohlenem und erpresstem Geld.

Eine auf Vertragsfreiheit und der Entscheidung unabhängiger, mündiger Bürger basierende Gesellschaft ist ihnen suspekt, ja zuwider. Daraus erklärt sich ihr unbändiger Wille, alles und jedes bis ins kleinste Detail zu regeln, zu kontrollieren und zu überwachen. Je weiter weg vom Wähler, desto eher. Der von der Nomenklatura gering geschätzte, als unmündig angesehene Untertan ist aus ihrer Sicht nicht nur vor sämtlichen Fährnissen des Lebens, sondern ganz besonders vor sich selbst und den Folgen seiner stets fehlerhaften Handlungen zu beschützen. Nur sie – die Angehörigen der nationalen und internationalen Politbüros – meinen zu wissen, was für jeden einzelnen gut und richtig ist.

Ludwig Mises brachte dieses Phänomen auf den Punkt: „Wer den Menschen nicht dienen will, der will sie beherrschen.“ Die vorgebliche Sorge um das Wohl der Bürger bedeutet eben am Ende die totale Macht für die Obertanen. Deren Credo lautet: Nur wenn alle sich ihrem unermesslichen Ratschluss widerspruchslos fügen, wird alles gut. Deshalb ist ihnen auch jedes Mittel recht, hemmungslos die Bürger zu manipulieren. Jean-Claude Juncker wusste genau wovon er sprach, als er sagte: „Wenn es hart auf hart kommt, musst Du lügen“.

Die Rechnung der europiden Zentralisten ist indes nicht aufgegangen. Eine deutlich gewachsene Zahl von Bürgern konnte sich weder mit der allen Linken eigenen Begeisterung für die Zentralbürokratie noch mit deren Anmaßung abfinden, jedermann ihren Lebensentwurf aufzwingen zu wollen.

Dass viele Oppositionelle über kein konsistentes Programm verfügen, sondern sich damit begnügen, Sand ins Getriebe der Union zu streuen, ist kein Malheur. Dynamik aus dem Prozess der bereits viel zu weit getriebenen Integration zu nehmen, ist schon ein Erfolg. Dadurch könnte es immerhin gelingen – so viel Optimismus sei erlaubt – jenen Blick fürs „rechte Maß“ wieder zu gewinnen, der zuletzt im Furor der Gleichmacherei verloren gegangen ist. Die versuchte Gehirnwäsche ist, das Wahlergebnis beweist es überdeutlich, nicht gelungen. Viele Bürger ziehen – zum Verdruss der machtlüsternen Zentralisten – die Vielfalt der Einfalt vor: Lieber 1.000 Liechtensteins, als ein europides Imperium!

Bleibt zu hoffen, dass die vom Ergebnis dieser Wahl ausgehende Botschaft bei den im Machtrausch befindlichen Eliten angekommen ist. Zwar sucht man „Rechte“, also freisinnig-liberale Politiker und Parteien in Europa derzeit weitgehend vergebens. Das muss aber nicht so bleiben. Der allmächtige Leviathan hat jedenfalls schon bessere Zeiten gesehen. Der Erfolg der UKIP könnte den Austritt Großbritanniens aus der EU nach sich ziehen und damit das Ende des kollektiven Größenwahns einläuten. Die Parallele mit der einstigen Abspaltung der baltischen Staaten von der UdSSR und deren Konsequenz wäre unübersehbar. Für Nichtsozialisten, Föderalisten, Libertäre und Anhänger des Subsidiaritätsgedankens ist der 25. Mai 2014 ein guter Tag!

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Die erfreuliche Wahl eines ukrainischen Präsidenten und die unerfreuliche Zukunft des Landes drucken

Das Wahlergebnis der Ukraine ist durch seine Klarheit jedenfalls erfreulich. Noch nie hat das Land einen Präsidenten mit so klarer Mehrheit gehabt. Deprimierend aber ist, dass die prorussischen Kräfte noch in der Wahlnacht einen neuen Angriff gesetzt haben.

Sie verhinderten mit Waffengewalt nicht nur in zwei Provinzen weitgehend die Abhaltung dieser Wahl (was allerdings nichts daran ändert, dass der neue Präsident ein klare Mehrheit hat, selbst wenn sämtliche Wahlberechtigte der zwei Provinzen gegen ihn gestimmt hätten). Sie benutzten vielmehr auch den Wahltag, um den internationalen Flughafen von Donezk in einem militärischen Schlag zu besetzen. Ein klarer Schlag gegen das versprochene Stillhalten. Die Separatisten verlangen aber sofort die Hilfe Moskaus, weil sie nun mit ihrem Militärschlag auf den Flughafen einen Gegenangriff der ukrainischen Armee provoziert haben.

Diese prorussischen Kräfte wollen immer wieder mit militärischen Mitteln Tatsachen schaffen, rufen aber sofort wehleidig nach OSZE und Moskau, wenn Kiew ebenfalls militärische Mittel einsetzt. Das ist mehr als durchsichtig. Das wird freilich von Moskau – wenn auch derzeit eher zurückhaltend – immer noch unterstützt. Und es ist phasenweise ganz eindeutig sogar von Moskau ausgelöst worden. Die prorussischen Kräfte im Westen (wie etwa die FPÖ und die Stadler-Gruppe) sind hingegen in Sachen Ukraine inzwischen sehr leise geworden. Zu abstoßend ist das Vorgehen der prorussischen Kräfte.

Nach allem Anschein ist festzuhalten:

  1. Letztlich dürfte der Konflikt militärisch zu einem längeren Bürgerkrieg führen. Das zeigt, dass auch im 21. Jahrhundert leider die Existenz einer eigenen Armee notwendig ist.
  2. Die Bevölkerung fürchtet sich primär (verständlicherweise). Sie will eigentlich nur überleben, zeigt aber auch in den russisch-sprechenden Regionen erstaunlich wenig Sympathie für die sehr ruppigen momentanen Machthaber. Und sie ist schon gar nicht bereit, für diese zu kämpfen.
  3. Diese neuen Machthaber kommen allem Anschein nach nirgendwo aus der ukrainischen Zivilgesellschaft, sondern sind sehr stark von der Unterwelt dominiert. Diese triumphiert dort derzeit, weil im Augenblick in der Ostukraine das reine Faustrecht herrscht.
  4. Die Ukraine-Regierung hat die Grenze zu Russland in den letzten Tagen ein wenig besser unter Kontrolle, sodass den Aufständischen die Verstärkung Probleme macht.
  5. Nach Angaben des UNHCR sind mindestens schon 10.000 Menschen auf der Flucht.
  6. Es gibt außer einem von dunklen Quellen lancierten Bericht (ausgerechnet) in der Bild-Zeitung keinerlei Hinweise oder gar Beweise für die angebliche militärische Einmischung von 500 Amerikanern.
  7. Russland wird zunehmend ein Opfer der eigenen Propaganda, die Machthaber Putin vielleicht doch noch zu einem militärischen Eingreifen zwingt, obwohl der das derzeit wahrscheinlich nicht will. Zu gravierend sind schon die ökonomischen Schäden für Russland, die man ja in Moskau viel deutlicher sieht als im Westen. Andererseit ist es total faszinierend, in den "Schlafwandlern" nachzulesen, wie auch vor dem ersten Weltkrieg in Russland die militaristischen Kreise gegen die ökonomische Vernunft gekämpft - und letztlich obsiegt haben.
  8. Das Wahlergebnis in der Ukraine selbst hat Moskau das Hauptobjekt seiner eigenen Argumentation geraubt. Es kann nach diesem Ergebnis nicht mehr behaupten, dort hätten neonazistische und faschistische Banden das Sagen. Die zwei nationalistischen Kandidaten erhielten nämlich jeweils nur rund ein Prozent.

Letztlich aber bleibt es bei dem eindeutigen Urteil: Des Verhalten Russlands setzt alle europäischen Friedens-Standards der letzten Jahrzehnte außer Kraft. Das kann nicht oft genug betont werden.

Auf der anderen Seite kann nur eine faire, saubere, international überwachte und allen Regeln der Demokratien entsprechende Selbstbestimmung den einzigen Weg zu wirklichem Frieden bedeuten. Wobei von Moskau wie Kiew jedes Ergebnis zu akzeptieren ist. Bei einem für die Ukraine negativen Ergebnis muss Kiew über den eigenen Schatten der nationalen Einheit springen. Zuvor aber müssen die Menschen in den zwei Provinzen und auf der Krim wirklich in aller Freiheit und mindestens zwei Monate lang die Argumente beider Seiten hören. Erst dann können sie entscheiden: Anschluss an Russland, Unabhängigkeit oder Verbleib in der Ukraine.

Nur eine solche Abstimmung kann Frieden bringen.

Das Problem ist nur: Weder in der EU noch in Amerika unterstützt man die Selbstbestimmung einzelner Provinzen. Und Russland wiederum hat null Sensorium, null Tradition, wie eine wirklich freie Abstimmung abzulaufen hat. Dort hat immer nur die Armee geherrscht. Egal ob es die des Zaren, der Kommunisten oder Putins ist.

Aber eben auch der Westen nimmt immer nur im Nachhinein zur Kenntnis, was die Völker tun. Oder die Fakten, die Soldaten geschaffen haben. Von vornherein freiwillige Selbstbestimmung als Konfliktlösung zu akzeptieren, ist im Westen leider noch immer nicht mehrheitsfähig, noch immer nicht begriffen.

Insofern macht sich also auch dieser Westen mitschuldig am Weitergehen des ukrainischen Dramas. Mitschuldig mit den Gewalttätern und Moskau machen sich aber auch alle jene, die irgendwelche historische Argumente auftischen. Als ob es irgendwie relevant wäre, wo vor 100, 200 oder 500 Jahren ein Gebiet dabei gewesen ist. Die Menschheit hat nur dann eine friedliche Zukunft, wenn sie den Willen der Einwohner hier und heute respektiert. Und nicht wenn mit Jahrhunderte alten Argumenten gearbeitet wird.

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Der Hilferuf drucken

Jetzt haben sie alle große Angst: In einigen EU-Ländern sind die Rechtspopulisten stärkste Kraft geworden. Zwar sind sie von einer gesamteuropäischen Mehrheit weit entfernt. Aber dass sie etwa in Frankreich, das sich ja gerne als Erfinder Europas gibt, mit hoher Mehrheit zur Nummer eins geworden sind, macht viele Europäer bange. Und sie können es nicht fassen, dass dort die Sozialisten (die ja in Paris regieren) nur noch blamable 15 Prozent haben.

Aber wieder reagieren Europas Regierende völlig falsch. Sie versuchen es mit noch verstärkter Denunziation der Rechtsparteien, mit neuem Moralisieren, statt die Wahl dieser Parteiungen endlich als Weckruf an Europa verstehen.

Keine Frage: Wenn Gruppierungen zu Gewalt gegen wen auch immer aufrufen, wie es die ungarische Jobbik oder die griechische Morgenröte tun, dann ist die Polizei, dann sind die Gerichte mit aller Konsequenz gefragt. Aber jenseits dieser Gewaltaufrufe ist der Wahlausgang ein Hilferuf der Europäer. Ob man den Populisten nun ein rechtes Pickerl umhängt oder ein linkes (wie etwa der italienischen Grillo-Gruppierung).

Die Wahl von Protestparteien ist noch viel stärker ein Hilferuf als die Nicht-Teilnahme an den EU-Wahlen. Die Nichtteilnahme ist zwar zahlenmäßig noch viel bedeutsamer, wird aber  traditionell nicht beachtet. Wenn man sich allen Ernstes europaoffiziell über eine 43-prozentige Wahlbeteiligung freut, dann zeigt das jedenfalls, dass man die Nichtteilnahme an der Wahl völlig ignoriert.

Aber auch die 43 Prozent werden ignoriert, wenn sie "falsch" wählen. Dabei rufen viele von Ihnen eigentlich um Hilfe. Aber niemand hört sie. Oder sie werden gar denunziert.

Sie rufen um Hilfe gegen eine ständig zunehmende Migration aus Afrika und Asien. Sie rufen um Hilfe angesichts einer wachsenden Arbeitslosigkeit. Um Hilfe angesichts einer Kommission und eines Parlaments, die ständig noch mehr regulieren wollen. Sie sind desorientiert angesichts einer Politik, die viel zu viel verspricht und eiskalt ständig ihre Versprechen bricht.

Die drei alten Lager verlieren zwar bei fast jeder Wahl. Aber sie bilden noch immer die Mehrheit im Parlament. Und entscheiden damit den nächsten Kommissionspräsident. Und vor allem über eine Fortsetzung der bisherigen Politik. Genau aber in dieser liegen fast sämtliche Wurzeln der Probleme, vor denen Europa heute steht.

Europa hat immer wieder Verträge gebrochen, sich über geltendes Recht hinweggesetzt. Aber gleichzeitig den einfachen Europäer mit immer mehr Regulierungen schikaniert.

Wohl der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist die Wiedererweckung des Begriffs „Eigenverantwortung“. Wenn Menschen, Firmen, Banken, Staaten nicht wieder selber verantwortlich werden für das, was sie tun, für ihren Erfolg oder Misserfolg, dann wird Europas Krankheit nur immer noch schlimmer werden.

Natürlich bietet ein Anti-EU keine Lösungsmöglichkeit: Die Welt wäre wahnsinnig einfach, wenn sie recht hätten. Wenn immer jemand anderer verantwortlich ist. Der Staat, die Union, das System. Nur kann das nie funktionieren. Ob Europa aber das Umdenken Richtung mehr Eigenverantwortung schafft, ist freilich sehr zweifelhaft. Denn fast keine der Parteien bietet da einen echten Ausweg. Ihre Wahl zeigt nur den Frust, die wachsende Unsicherheit, den Ärger der Menschen. Sie bietet aber noch kein Rezept.

Wenn sich die EU nicht wirklich wandelt – und dafür gibt es extrem wenig Zeichen – dann wird halt die nächste Stufe der Austritt Großbritanniens aus der EU sein. Die Gefahr ist groß, dass auch das von den Zentralisten nur mit einem Schulterzucken beantwortet wird.

Furcht vor einem Zerfall der EU? Ja Furcht. Denn ein Zerfall der EU wäre eine Katastrophe. Der Freihandel hat uns alle viel wohlhabender gemacht. Und der Binnenmarkt ist eine große Errungenschaft. Aber alles andere an der EU-Politik der letzten Jahre ist schädlich, ist Rhetorik. Die EU – in letzter Verzweiflung gerne als Friedenswerk tituliert – hatte der russischen Okkupation eines Teils der Ukraine absolut nichts entgegenzusetzen. Die EU ist weder militärisch noch politisch relevant. Aber unglaublich aktiv, ständig noch mehr zu regulieren. Seit die Umweltminister Europa zur Vorzugsschülerrolle bei den sogenannten Kyoto-Kriterien gezwungen haben, reguliert die Kommission Europa zu Tode. Und sie hat immer die wunderbare Ausrede: Weil man das ja für einen guten Zweck tun würde, für Kyoto.

Am schlimmsten sind die vertragswidrig eingeräumten Haftungen und Kredite, die Überflutung Europas mit gedruckten Geldscheinen durch die EZB. Und die Rettung von allem und jedem.

Natürlich haben reine Protestparteien da keine Lösung für all diese Probleme. Lediglich die „Alternative für Deutschland“ hat das in guten Ansätzen. Sie hat zwar am Wahltag einen Erfolg erzielt. Aber das Umdenken der Machthaber selbst ist noch weit.

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Wenn ein Putsch einen Sinn hat drucken

In Lateinamerika haben es die Obristen gelernt. In Thailand noch nicht. Sonst hätten sie nicht schon wieder geputscht. Solche Staatsstreiche führen nämlich fast immer zum gleichen Ergebnis: Wohl ist für einige Wochen und Monate wieder halbwegs Ruhe und Ordnung hergestellt. Dann aber wächst der Frust rasch: Länder, Menschen funktionieren halt nicht nach der Methode der Kommandowirtschaft.

Offiziere glauben zwar oft, dass das Leben doch wunderbar wäre, wenn Menschen wie im Kasernenhof in Reih und Glied funktionieren würden. Ein Staat lässt sich aber so nicht regieren.

Jetzt wird in Thailand halt einmal alles eingesperrt, was an Politikern da ist. Und es wird viel von Korruption geredet. Nur: Auch Offiziere sind keine besseren Menschen. Sie sind also mit der gleichen Wahrscheinlichkeit korrupte Nehmer wie jene Menschen, die keine Uniform anhaben.

Irgendwann wird sich – wie noch nach jedem Putsch – der Frust der Thais gegen die Offiziere richten. Und zwar explosiv. Denn in einer Militärdiktatur kann sich dieser Frust eben nicht wie in Demokratien in Medien, in Demonstrationen und im Internet äußern. Sondern erst viel später, dafür umso gewaltiger.

Heißt das, dass Armee-Umstürze prinzipiell schlecht sind? Nein. Denn wenn monate- und jahrelang jede Ordnung zusammenbricht wie im heutigen Libyen, wenn Demokratie missbraucht wird, um weitere demokratische Wahlen zu verhindern, wie es Fundamentalisten (in Ägypten etwa), Kommunisten, Nationalsozialisten getan haben, dann ist ein Eingreifen der Armee sicher berechtigt.

Wenn aber Demonstranten wochenlang kampieren, wenn die „falsche“ Partei bei Wahlen siegt: Dann ist das hinzunehmen. Dann ist ein Eingreifen der Armee sicher nicht gerechtfertigt. Die thailändische Armee wird diesen Putsch daher nur dann halbwegs unbeschädigt überleben, wenn sie noch im Laufe dieses Jahres demokratische Wahlen durchführt. Aber aufs Erste lockt die Offiziere ja ganz offensichtlich die Macht, die zweifellos Lustgefühle befriedigt.

Aber langfristig scheitern Offiziere immer. An ihren Schulen lernt man nicht, wie die Wirtschaft funktioniert, wie die Schulen, wie die Infrastruktur, wie die Justiz, wie die Universitäten usw. Und man lernt schon gar nichts über das Funktionieren einer Gesellschaft (genauso wenig wie man es an den meisten Politologie/Soziologie/Publizistik-Instituten lernt. Aber das ist eine andere Geschichte). Oder über die Menschen.

In Thailand gab es fast immer korrupte Politiker, gab es fast immer korrupte Offiziere. Dagegen hilft nur eine saubere und unabhängige Justiz, die alle verurteilt, die für die eigene Tasche arbeiten. Diese lässt sich aber nur über Generationen auf einer funktionierenden Zivilgesellschaft aufbauen. Gegen Korruption hilft jedenfalls mit Sicherheit keine Ausgangssperre.

Thailands bisherige Opposition (die den jetzt putschenden Obristen sehr nahesteht) reiht auch die zu hohen Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse unter „Korruption“. Das jedoch ist falsche Wirtschaftspolitik, nicht Korruption. Bei uns sind ja praktisch alle Parteien solcher falscher Geld-Verteil-Politik schuldig. SPÖ und FPÖ zugunsten der Arbeitnehmer und Pensionisten. Rot und Grün zugunsten ihrer zahllosen Vereine und NGOs. Die ÖVP zugunsten der Bauern. Schwarz und Rot zugunsten der Bundesländer.

Gewiss, die unvermeidlichen Kosten für diese Klientelpolitik müssen alle zahlen, auch wenn sie nicht bei der von den Parteien begünstigten Gruppe sind. Sie müssen zahlen durch immer mehr Schulden, durch immer mehr Steuern, durch immer häufigere Abwanderung von Investitionen, durch immer mehr Arbeitslose. Das kann auch – wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird – bis zum totalen Crash führen.

Dennoch wäre es der völlig falsche Weg, wenn man jetzt darin eine Berechtigung für einen Putsch sehen sollte. Die Korrektur solcher unsinnigen Politik ist Aufgabe der Wähler, nicht der Offiziere. Nur wenn die Menschen einmal begreifen, dass Märkte und deren Logik wie die Schwerkraft immer funktionieren, ob man sie nun für gut oder schlecht findet, dann wird sich etwas zum Sinnvollen ändern.

Gegen Demonstranten sollte man gar nichts tun, solange sie auf den – großzügig! – erlaubten Orten unterwegs sind. Man sollte aber auch konsequent gegen sie durchgreifen, wenn sie sich nicht daran halten. Wie es etwa sehr vorbildlich die amerikanische und britische Polizei tut. Putsch-Legitimation besteht erst, wenn sich überhaupt niemand mehr um die Aufrechterhaltung funktionierender Strukturen kümmert.

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FN 639: Das oberste Gut sind die Tiere drucken

Jetzt hat in Kärnten ein Bauer einen Wolf erlegt, der sich nach dem Töten mehrerer Schafe direkt auf seinem Hof herumgetrieben hat.

Wui, werden da die Tier„schützer“ und Grünen aufheulen, sobald sie davon erfahren. Wie kann man nur einen Wolf erlegen! Die Schafe sind ihnen hingegen wurscht. Die Bauern sind ihnen noch viel mehr wurscht (sind ja nur Menschen). Und die Mütter, die sich der Bären wegen nicht mehr in manche Wälder trauen, erst recht. Aber (zur Sicherheit der Menschen einst ausgerottete und jetzt mit viel Steuergeld wieder angesiedelte) Wölfe und Bären sind für sie das oberste Gut. Zumindest für Tierschützer und Teile der Justiz. Daran ändert es auch nichts, dass sie die Natur meist nur aus den Schönbildern im Fernsehen kennen.

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Gegengewicht gegen einen mächtigen Staat drucken

Dort und nur dort, wo es gesichertes Privateigentum auch an Produktionsmitteln gibt, kann der Bürger der Politik entgegentreten. Das haben immer wieder Philosophen ebenso wie Ökonomen erkannt. Wohl gerade deshalb gibt es ebenso hartnäckig den Griff des Staates nach dem Eigentum der Bürger.

Das ist ein ewiger Kampf, der nie ganz gewonnen, nie ganz verloren ist. So hat auch der Kommunismus, als die Sache der Menschen schon rettungslos verloren schien, sein abruptes Ende gefunden. Gerade in diesen demokratisch gewordenen Ländern Osteuropas ist heute diese Gier von Staat und Politik massiv zurückgedämmt. Massiver als im nie kommunistisch gewesenen Westen.

Umso wichtiger ist es, auch im Westen gegen diese Gier zu kämpfen. Ob diese sich nun in ständig steigenden Schulden oder in der laufenden Erhöhung von Staatsquoten (also dem Anteil von Abgaben und Steuern an den Einkommen) zeigt.

Umso wichtiger ist der Kampf auch für den Aktionär. Die eher Reicheren haben direkt Betriebe im Eigentum (Familienunternehmer werden sie gerne genannt); die anderen – grob als Mittelstand bezeichnet – beteiligen sich über Aktien an Unternehmen.

Sie haben aber kaum politisches Gewicht, denn alle Parteien glauben, mit ihnen keine Wahlen zu gewinnen. In christdemokratisch-konservativen Parteien geben daher häufig Bauern oder Beamte den Ton an. In sich als liberal bezeichnenden Parteien siegen wieder die Interessen anderer Gruppen – etwa bei der FDP jene der Hoteliers –, über die Notwendigkeiten der Ordnungspolitik. Und in linken Parteien ist es immer der Staat, der alles besser weiß, der alles zentralisiert regelt, der möglichst viel Eigentum an Industriekonzernen halten soll.

Dagegen ist die Stimme der privaten Eigentümer oft kaum zu hören – aber umso wichtiger. Diese Stimme lässt in Österreich fast alleine der Interessenverband für Anleger ertönen. Gewiss verfolgt auch er „Interessen“. Aber er ist ein Gegengewicht zu den starken anderen Gruppen. Auch dann wenn man etwa während der Familien- und Wohngründung kein Geld zum Anlegen hat.

Denn mit absoluter Sicherheit ist ein möglichst breit gestreutes privates Eigentum an den Produktionsmitteln das einzige Gegengewicht zu den lautstarken Stimmen der kampfeswilligen Gewerkschaft, zu den von Zwangsbeträgen lebenden Kammern und zu jenen Bürgern, die trotz dessen ständigem Scheitern immer noch auf den Staat setzen, und nicht durchschauen, dass sie damit immer auf Politiker setzen.

Nur wenn Staat, Gewerkschaften und Kammern nicht auf Unternehmen greifen können, wenn Staatsquoten möglichst gering sind, geht es den meisten Menschen gut. Das ist zahllose Male in der Geschichte bewiesen. Das ist aber erstaunlicherweise nur schwer zu erklären, weil so viele noch immer an den Staat glauben.

  Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Was braucht es noch rote und grüne Parteien, es gibt ja die Staatsanwaltschaft drucken

In einer Diktion, die atemberaubend ist, hat die Staatsanwaltschaft nun gegen ihre erstinstanzliche Niederlage in Sachen des ehemaligen Tiroler FPÖ-Funktionär Penz berufen. Dieser beruft sich darauf, dass das Plakat „Heimatliebe statt Marokkanerdiebe“ nicht die Marokkaner insgesamt (was seit Gültigkeit des Verhetzungsparagraphen gerichtlich bestraft wird), sondern die Diebesszene in Tirol gemeint habe.

Das kann man so und so sehen. Es geht nicht darum, dass die Staatsanwaltschaft Berufung erhebt. Atemberaubend ist aber ihre Formulierung in dieser Berufung. Darin heißt es wörtlich, „dass dem Angeklagten bewusst war, dass er mit seinem Plakat Marokkaner gemeinhin als Diebe darstellt und damit in typischer FPÖ-Manier an die Urängste und die latente Xenophobie der Wählergruppen appelliert . . .“

"In typischer Manier". So formuliert es ein österreichischer Staatsanwalt gegen eine Partei. Statt Recht gibt es bei der Strafverfolgung offenbar nur noch Polemik.

Das liegt im Grund auf genau der gleichen fragwürdigen Ebene wie ein heutiger Gastkommentar im „Kurier“: Darin wird nicht nur voll die Seite der linken Gewalttäter ergriffen, sondern auch ein mehr als bezeichnendes Erstaunen formuliert. Die Gastkommentatorin empört sich nämlich über den Schutz der Polizei für eine ordnungsgemäß angemeldete und ohne jeden Rechtsbruch ablaufende Kundgebung der Identitären im rot-grünen Wien. Wörtlich fragt sie sich etwa, „ob das wirklich das rot-grüne Wien ist“. Die Autorin ist offenbar empört, dass andere als Rot-grüne überhaupt noch eine Kundgebung veranstalten dürfen. Wo Rot-grün regiert, wird also sogar das Demonstrationsrecht der anderen in Frage gestellt. Grundrechte hin, Grundrechte her.

Und Staatsanwälte stellen schon eine ganze Partei an den Pranger. In Formulierungen, wie wenn ihnen direkt ein rotes oder grünes Sekretariat diktiert hätte.

Der (laut Verfassung eigentlich zuständige) schwarze Justizminister lässt die Staatsanwälte prinzipiell tun, was sie wollen. Und der einstige blaue hat sogar knallrote Leiter an die Spitze der Oberstaatsanwaltschaft gehievt.

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Buchbesprechung: Warum andere auf Ihre Kosten immer reicher werden drucken

Der Titel des vom Vorstand des deutschen Mises-Instituts, Andreas Marquart, und dem Ökonomen Philipp Bagus vorgelegten Buches müsste in Wahrheit lauten: „Einführung in die Geldtheorie der Österreichischen Schule der Nationalökonomie“. Ein derart spröde klingender Titel würde aber vermutlich einen Großteil der potentiellen Leser abschrecken. So werden es viele Menschen lesen, die erkannt haben, dass mit unserem Geldsystem offensichtlich etwas nicht stimmt und die Dressureliten in Politik und Medien daran interessiert sind, den Zusammenhang mit den dadurch ausgelösten, nicht allein auf die Wirtschaft beschränkten Fehlentwicklungen zu verschleiern.

Tatsächlich bildet das staatliche Geldmonopol in Verbindung mit einem papierenen „Fiat-money“ die Wurzel der meisten der durch den demokratischen Wohlfahrtsstaat geschaffenen Übel. Anhand von anschaulichen Beispielen und unter Hinweis auf eine Reihe namhafter Autoren wird diese Tatsache einer Leserschaft näher gebracht, die nicht einschlägig vorgebildet zu sein braucht.

  • Im Gegensatz zur landläufigen Fehleinschätzung garantiert ein Staatsmonopol eben kein funktionierendes Geldsystem, sondern vielmehr das Gegenteil davon.
  • Es führt zur Wohlstandsumverteilung von unten nach oben (Cantillon-Effekt). 
  • Es lenkt knappe Mittel von der produktiven privaten in die unproduktive staatliche Sphäre um.
  • Es ist im Kern inflationistisch, beutet demzufolge arbeitende Menschen aus und bringt diese um ihre Ersparnisse.
  • Es fördert den Staatsinterventionismus sowie eine „Kultur“ der Verschuldung und führt langfristig zum Substanzverzehr.
  • Es setzt die politischen Eliten in die Lage, eine totale Hegemonie über ihre Untertanen zu errichten und deren Leben bis in die Privatsphäre hinein lückenlos zu bestimmen und zu kontrollieren.
  • Das staatliche Geldmonopol schafft – in Verbindung mit einem mit Sonderprivilegien ausgestatteten Bankwesen – die Tendenz zu Verschuldungsexzessen, an deren Ende die Enteignung der Gläubiger, eine umfassende Vermögensvernichtung und, wie die Geschichte lehrt, sehr wahrscheinlich auch eine gefährliche Polarisierung und Radikalisierung der Gesellschaft steht.

Menschen, die das erkannt haben, werden auf den letzten Seiten des Buches aufgefordert, ihr Wissen um die verhängnisvollen Folgen eines staatlichen Geldmonopols nicht für sich zu behalten, sondern sich aktiv am „Krieg der Ideen“ zu beteiligen. Das ist kein unbilliges Verlangen, da die von fremder Leute Geld lebenden Verteidiger des Status quo doch de facto mit heruntergelassen Hosen dastehen…

Warum andere auf Ihre Kosten immer reicher werden
Andreas Marquart & Philipp Bagus
Finanzbuchverlag, 2014
192 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3-89879-857-0
€ 16,99,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien. 

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Das Ende der Freiheit ist der Sieg der radikalen Gewalttäter drucken

Rund um die EU-Wahlen wird europaweit auf zwei Schienen Stimmung gemacht: Einerseits werden die europäischen Institutionen von manchen so intensiv beweihräuchert, dass man an die Darstellung von Herrscherhäusern vor dem ersten Weltkrieg erinnert wird. Andererseits wird intensiv vor den Gefahren durch radikale Gruppierungen und deren wachsende Unterstützung gewarnt. Und Zweiteres wird nach den Wahlen intensiv weitergehen, während die Weihrauchfässer rasch wieder weggepackt werden.

Sind die Warnungen vor diesen Gruppierungen berechtigt? Ganz sicher ja. Man denke an die Folgen der Oktoberrevolution 1917, nach welcher der Kommunismus in Russland und später in vielen Ländern Osteuropas und Ostasiens Milliarden unter seine Herrschaft und in die Armut, Millionen ins Grab gebracht hat. Man denke an den Nationalsozialisten, die ab 1933 in Deutschland geherrscht haben, die Millionen industriell getötet und einen verheerenden Krieg über ganz Europa gebracht haben. Man denke an die zahllosen unterschiedlichen Formen autoritärer Herrschaft einer Partei, die gerne unter dem Namen Nationalfaschismus zusammengefasst werden. Sie waren zwar lang nicht so schlimm wie Kommunismus oder Nationalsozialismus. Sie haben aber ebenfalls Menschen aus politischen Motiven getötet, liberal-demokratische Regungen bekämpft und ihren Ländern durch nationalistischen Merkantilismus meist dauerhafte Stagnation gebracht.

Daher ist es zweifellos richtig, die Feinde der Demokratie und des Rechtsstaats genau zu beobachten. Und jeder Gefährdung entgegentreten. Es macht nur sehr stutzig, wenn manche „Intellektuelle“ nur von rechts solche Gefahren sehen. Die von links werden aber ignoriert. Und es macht noch mehr besorgt, wenn dieselben „Intellektuellen“ und Medien überhaupt nicht beachten, dass der radikale Islamismus in einem rapiden Vormarsch ist. Er stellt derzeit wohl die für Europa größte Gefahr dar, größer als die Wiederkehr eines der beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts.

Der Vorstoß des Islams setzt jene Vorstöße fort, die bis ins 17./18. Jahrhundert gedauert und im Südosten Europas riesige Landstriche entleert haben. Das Zeitalter der Schwäche des osmanischen Reiches und des Chaos in der arabischen Welt ist beendet.

Das immer häufigere Auftreten mitteleuropäischer Islamisten als fundamentalistische Freiwillige in Kriegszonen ist eines von vielen beunruhigenden Alarmzeichen. Diese Kämpfer stammen insbesondere aus Österreich, das heute die zweitgrößte islamische Gemeinde in der EU beheimatet, nachdem es dort lange noch nahezu Null Moslems gegeben hat. Die Moslems kamen aus der Türkei, Bosnien und der arabischen Welt. Als Gastarbeiter, als Asylwerber und (in größter Zahl) als Familienangehörige. Sie sind zwar allermeist friedliche und integrationswillige Menschen, aber eine rasch wachsende Minderheit neigt zur Radikalität. Und die Friedlichen treten ihnen nirgendwo entgegen. Man weiß zwar zum Teil, welche Moscheen, welche Religionslehrer fundamentalistisch aktiv sind – aber weder Glaubensgemeinschaft noch Behörden tun etwas, obwohl die Radikalisierung von Kriegsteilnehmern extrem gefährlich ist.

Ein Gutteil der veröffentlichten Meinung blickt nur auf die rechtsradikale und ignoriert weitgehend die linksradikale und die islamisch-fundamentalistische Szene. Eine Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaat, also jene Prinzipien, die Europa so stark gemacht haben, geht aber von allen diesen radikalen Bewegungen aus.

Von einem Gutteil der roten und grünen Szene wird aus taktischen Motiven gegen rechts agitiert. Insbesondere in deutschsprachigen Gebieten tarnen sich linksradikale Gewalttäter sehr geschickt als „Antifaschisten“ und Gutmenschen. Gleichzeitig wird auch von durchaus demokratisch gesinnten Sozialdemokraten der „Kampf gegen Rechts“ instrumentalisiert. Sie fürchten die Gefahr durch rechte Bewegungen, die große Wahlerfolge in der Unterschicht erzielen, und sieht daher diese Argumente als legitim an. Da wird mit anderen Worten der legitime Kampf um Stimmen mit dem Kampf um rechtsstaatliche Grundrechte vermischt.

Zugleich wird auch total Verschiedenes bunt durcheinander geworfen, etwa die österreichischen Freiheitlichen mit der ungarischen Jobbik. Von den Freiheitlichen geht jedoch keinerlei Bedrohung der Demokratie aus, während das bei Jobbik sehr wohl der Fall ist, weil sie in vielerlei Hinsicht militant auftritt und Roma physisch bedroht. Die FPÖ hingegen hat sowohl mit Rot wie mit Schwarz Regierungen gebildet, ohne dass Demokratie oder Rechtsstaat irgendwie gefährdet gewesen wären (obwohl in der Partnerschaft der FPÖ mit den Sozialdemokraten noch viele ehemalige Nationalsozialisten auf beiden Seiten Staatsfunktionen hatten). Die FPÖ hat vor allem aus einem Grund solche Erfolge erzielt: Sie erscheint vielen als die einzige Alternative zur sonst offenbar ewigen Herrschaft der verbundenen rot-schwarzen Politik. Die beiden einst großen Parteien haben in Österreich heute zwar nur noch 50 Prozent der Stimmen und eine recht knappe parlamentarische Mehrheit. Sie beherrschen aber vom Verfassungsgerichtshof bis zum staatlichen Rundfunk praktisch das ganze Land.

Es muss immer um objektive Maßstäbe gehen. Es darf nie darum gehen, eine Partei, ein Land gegen das andere auszuspielen. Es darf auch nicht um taktische Vorteile, um links oder rechts gehen. Staaten haben sich auch in keiner Weise in Religion einzumischen.

Wichtig ist eine ganz andere Grenze, die für einen liberalen Rechtsstaat lebenswichtig ist. Es geht um die strenge Trennung zwischen Meinungen und Taten. Diese Trennung wird aber leider in vielen Ländern zunehmend missachtet. Es geht um die Freiheit von Meinungen, aber um die kompromisslose Verfolgung von Taten. Das ist die einzige funktionierende Strategie gegen jede Form von Radikalität.

Wer Gewalttaten setzt, muss sofort und kompromisslos die Härte des Gesetzes spüren. Zu den Gewalttaten gehört auch die Motivation anderer, Gewalt anzuwenden. Dazu gehören militärähnliche Aufmärsche, Uniformen, Drohungen. Dazu gehört die Aufforderung, daheim oder in einem anderen Land gegen Ungläubige, Rechte, Linke aktiv zu werden. Dazu gehören Demonstrationen, die zur Einschüchterung oder Erpressung dienen. Dazu gehören auch die Aktionen von Fußballfans, wenn sie harmlose Passanten einschüchtern. Egal ob sie politisch unterwandert sind oder nicht.

Bei vielen dieser Aktivitäten schauen in Europa Polizei und Justiz aber leider gerne weg. Vielleicht auch nur als Taktik: Man will sich ab einer bestimmten Menschenmenge nicht mit dieser anlegen. Sobald aber Fußballfans, Demonstranten oder Marschierende merken, dass die Polizei Rechtswidrigkeiten ignoriert, werden sie nur noch aggressiver.

Der Zweck des Demonstrationsrechts war, seine Meinung einer möglichst breiten Masse kundzutun, auch wenn man keine Zeitung besitzt. Genau das kann heute auf viel direkterem Weg erreicht werden. Facebook, Blogs, Internet-Seiten, Massenmails, SMS, Twitter usw: Es war noch nie so leicht, seine Meinung auf all diesen Kanälen zu verbreiten. Wenn sich da jene Menge zusammentut, die sonst eine Demonstration veranstaltet, kann sie viel leichter und schneller als bei einer Kundgebung ihre Meinung vielen kundtun. Oder einen „Shitstorm“ veranstalten, wie man es mit einem modischen Wort bezeichnet. Und sie kann genauso anonym bleiben wie bei Demonstrationen.

Umgekehrt sollten aber gerade auf Grund dieser vielfältigen elektronischen Möglichkeiten heute jene Länder dem Demonstrationsrecht etwas engere Grenzen setzen, die bisher unter diesem Titel praktisch alles und jedes zugelassen haben. Es geht vor allem um Kundgebungen, die nicht nur eine Meinung kundtun, sondern jemanden einschüchtern wollen. Diese Intention geht weit über Ziel und Zweck der Demonstrationsfreiheit hinaus, die unsere Vorväter einst erkämpft haben.

In die gegenteilige Richtung sollte es bei den Inhalten von Äußerungen gehen, die keinerlei Drohungen beinhalten. Es ist doch einfach absurd, wenn man in einem Land den Völkermord an den Armeniern als solchen bekennen muss, im anderen nicht einmal darf. Oder wenn jetzt Russland jede kritische Äußerung über die Taten der Roten Armee im „Großen Vaterländischen Krieg“ unter Strafe stellt. Oder wenn man in moslemischen Ländern alles Mögliche über Mohammed und Allah sagen muss beziehungsweise nicht sagen darf.

Meinungsfreiheit, für welche die Europäer seit dem Beginn der Aufklärung bekämpft haben, heißt ja nicht nur, dass man alles sagen darf, was die Obrigkeit will. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit bedeutet vor allem, dass man alles sagen darf, auch wenn andere mit gutem Grund das für blühenden Unsinn, für total falsch und unsinnig  halten.

So ist es beispielsweise blühender Unsinn, wenn manche meinen, je mehr Schulden man mache, umso besser. Aber es wäre eine Katastrophe, das nicht sagen zu dürfen. Dummheiten muss man mit Argumenten, nicht Verboten entgegentreten. Sonst wären alle geistigen Fortschritte der letzten Jahrhunderte dahin. Dann ordnet wieder eine Obrigkeit an, was man zu sagen hat und was nicht. So wie einst in totalitären Systemen. So wie vor 1848.

Meine Sorge ist, dass es dorthin geht. Eine ganz üble Etappe auf dem Weg in die Unfreiheit war etwa die (ohne Kommission und Rat noch folgenlose) Mehrheit im EU-Parlament für den sogenannten Lunacek-Bericht, der gleich für eine ganze Reihe „falscher“ Meinungen strafrechtliche Konsequenzen verlangt hat.

Wenn es uns nicht gelingt, uns wieder auf die Spielregeln der Freiheit zu verständigen, dann siegen die (Rechts/Links/Glaubens-)Radikalen. Dann werden sie wieder diktieren, wie wir zu reden haben. Dann werden sich diese Radikalen einfach mit dem Faustrecht ausmachen, wie wir zu denken haben. Dann kann man nur noch ins private Denken flüchten. Vieles deutet darauf hin, dass die – oft aus durchaus guten Absichten – vorangetriebene Politische Korrektheit genau diese Freiheit tötet. Dass aber auch die in vielen Bereichen weit übers Ziel schießende EU-Propaganda dazu beiträgt.

(Dieser Beitrag erschien auch in ungarischer Sprache in der ungarischen Online-Tageszeitung VS.hu)

 

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Gerechtigkeit, Verteilungsgleichheit und Umverteilung drucken

An der Frage der Gerechtigkeit arbeiten sich seit Jahrtausenden die gescheitesten Köpfe ab. Was bedeutet „gerecht“? Jedem das gleiche? Jedem nach seinen Bedürfnissen? Jedem nach seiner Leistung? Je nach politisch-weltanschaulicher Orientierung werden die Antworten auf diese Frage höchst unterschiedlich ausfallen. Für die über die Deutungshoheit verfügenden Meinungsführer – zu großen Teilen von Steuergeldern lebende Angehörige des intellektuellen Lumpenproletariats – steht jedoch fest: Gerechtigkeit manifestiert sich in (materieller) Gleichheit.

Moderne europäische Wohlfahrtsstaaten sehen entsprechend aus: In Österreich etwa stammen 36 Prozent der verfügbaren Haushaltseinkommen vom Staat. In keinem industrialisierten Land der Welt wird stärker hoheitlich in die Einkommensverteilung eingegriffen als hierzulande. Die gnadenlose Enteignung leistungsbereiter, wirtschaftlich erfolgreicher und entsprechend wohlhabender Bürger zwecks hemmungsloser Umverteilung an unproduktive Bürokraten, Minderleister sowie in- und ausländische Asoziale bestimmt das Bild. Trotzdem (oder gerade deshalb!) nimmt die von Agenten der aufgeblähten Sozialindustrie (die Caritas ist zu einem der größten Arbeitgeber im Lande avanciert) diagnostizierte Armut im Lande nicht ab, sondern zu.

Wenn aber das angepeilte Ziel der materiellen Gleichheit auf derart eklatante Weise verfehlt wird, läuft offensichtlich etwas gehörig schief. Kann der erstrebte Zustand der egalitären Wüste etwa nur erreicht werden, indem alle individuellen Einkommen vom Staat enteignet und – ungeachtet der persönlichen Tätigkeit und Leistung – via Sozialbürokratie zu exakt gleichen Teilen (verringert um die horrenden Kosten der Verwaltung) an alle ausgeschüttet werden? Oder liegt der Grund für die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen am Ende am System des Wohlfahrtsstaates selbst?

Unter dem Titel „Umverteilung – verlässlicher Fluchthelfer aus der Armut oder sündteures Placebo?“ wurde dieser Frage in einer von der liberalen Wiener Denkfabrik „Agenda Austria“ organisierten, hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion nachgegangen. Unter der Moderation des Hausherrn Franz Schellhorn debattierten Peter Kampits, Professor für Philosophie der Universität Wien, Martin Rhonheimer, Ethikprofessor an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz in Rom, und Alexander van der Bellen, Professor für Volkswirtschaftslehre und Politiker (der Grünen).

In seinem Eingangsreferat betonte Rhonheimer die Solidaritätsverpflichtung der Menschen gegenüber denen, die sich selbst nicht helfen können. Der Wohlfahrtsstaat zerstöre jedes Solidaritätsgefühl, indem er die Bürger dazu anleite, ihre menschlichen Verpflichtungen an den Staat zu delegieren.

Doch nicht nur seiner „demoralisierenden“ Wirkung wegen sei der umverteilende Wohlfahrtsstaat abzulehnen, sondern auch wegen der von ihm ausgehenden falschen Anreize, der Verletzung privater Eigentumsrechte und des offensichtlichen Widerspruchs zur Idee der Subsidiarität. Die von ihm initiierte „Enthumanisierung“ der Gesellschaft führe zur Zerstörung der Familien und langfristig zur kollektiven Verarmung.

Es brauche daher einen „Paradigmenwechsel“. Jedermann müsse sich darüber klar werden, dass der Staat es nicht besser könne. Denn Monopole seien grundsätzlich schädlich – für alle, außer für seine Inhaber. Das verhalte sich beim Staat nicht anders. Solidarität sei ein „Akt der individuellen Entscheidung und nicht erzwingbar“.

Freiwillige Nächstenhilfe sei erheblich effizienter bei der Armutsbekämpfung als staatliche Wohlfahrtsprogramme, da sie mit höherer Treffsicherheit bei den richtigen Adressaten ankäme. Durch gesetzliche Ansprüche auf Zuwendungen werde ein Anspruchsdenken geschaffen, das unmoralisch und unsozial sei. Arme seien von den Folgen der Wohlfahrtspolitik – und der von ihr ausgehenden Behinderung und Bestrafung wirtschaftlichen Handelns – stärker betroffen als Reiche. Ob Superreiche über drei oder vier Privatjets verfügten, sei nämlich gleichgültig. Wenn Arme aber keine Arbeit mehr finden könnten, wäre das schlimm.

Der Philosoph Kampits ortete eine „Schräglage der Gesellschaft“, in der die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter aufginge und „den Mittelstand zerschneide“. Unter „gerecht“ verstehe er ein „Denken des rechten Maßes“. Von weiteren Umverteilungsmaßnahmen (Stichwort „Reichensteuer“) halte er wenig, weil damit am Ende wieder nur der Mittelstand getroffen würde. Es gelte vielmehr einen „goldenen Mittelweg“ zu finden, zwischen den Vorstellungen des Neoliberalismus (wie er etwa von Robert Nozick, einem Verfechter des Minimalstaatsgedankens, verkörpert werde – siehe diese Buchempfehlung) und des Kommunismus. Er denke dabei an die vom amerikanischen Philosophen John Rawls entworfene Vorstellung von „Gerechtigkeit als Fairness“ (Buchempfehlung 2).

Van der Bellen äußerte sich zustimmend zur Philosophie von Rawls und betonte, dass es diesem nicht um die Schaffung von Gleichheit zu tun war, sondern vorrangig um die Verbesserung der Lebensumstände der Ärmsten. Jedermann beurteile die Frage der Gerechtigkeit stets aus seinem spezifischen Blickwinkel. Hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ um die mögliche eigene Position in dieser Gesellschaft (als Sohn eines reichen Industriemagnaten oder die eines armen Hilfsarbeiters?) sei eine „gerechte“ Gesellschaft leichter vorstellbar.

Er hege grundsätzliche Sympathie für das „theoretisch anarchistische System des reinen Kapitalismus“. Leider unterscheide sich die Realität des Kapitalismus aber grundlegend von seinem Idealbild. Unter Verweis auf Thomas Pikettys aktuelle Untersuchungen zur Entwicklung der Einkommensverteilung konstatierte er eine ungeheure Konzentrationstendenz, die erst in den letzten Jahrzehnten so richtig in Fahrt gekommen sei. Wir bewegten uns auf eine Einkommens- und Vermögensungleichheit zu, wie sie für das viktorianische Zeitalter typisch gewesen sei.

Van der Bellen plädierte daher für eine gleichgewichtige Einbeziehung aller Einkommensarten in die Steuerbemessung. Das wirke sich besonders auf „nicht durch Leistung verdiente Einkommen – wie Erbschaften“ aus. Kein aufrechter Kapitalist könne etwas gegen Erbschaftssteuern haben, denn steuerfreie Erbschaften bildeten die Antithese zur Leistungsgesellschaft. Das Argument, beim vererbten Vermögen handle es sich um bereits einmal versteuerte Werte, sei „das Dümmste, was ich je gehört habe“, da der Erbe ja dafür derzeit eben keinen einzigen Cent Steuern abführe. Erbschaften führten mehr als alles andere zu ungeheuren Vermögensungleichheiten, was verheerende soziale Folgen haben könne.

Er richte sein Augenmerk dennoch weniger auf Geldwerte als auf Bildungschancen, die ebenfalls ungleich verteilt seien. In unserer hoch entwickelten Gesellschaft sei es aber unabdingbar, alle jungen Menschen möglichst hoch zu qualifizieren, da sie ansonsten in unserer komplexen Arbeitswelt nicht zu gebrauchen wären.

In seiner Erwiderung stellte Rhonheimer fest, dass jeder Gerechtigkeitstheoretiker den umverteilenden Wohlfahrtsstaat allein auf Grund dessen negativer Ergebnisse ablehnen müsse. Die USA zeigten es deutlich: Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende der 60er Jahre habe die Zahl der Armen dort laufend abgenommen. Dann allerdings kam diese positive Entwicklung zu einem Ende. Die Ursache dafür sei die von Präsident Johnson ab 1964 proklamierte Politik der „Great Society“ gewesen – eines radikalen, mit F. D. Roosevelts „New Deal“ vergleichbaren Wohlfahrtsstaatsprogramms.

Die Setzung falscher Anreize führe stets zu einer Verringerung der Leistungsfähigkeit einer Ökonomie. Von den Gewerkschaften erzwungene Mindestlöhne etwa würden Geringqualifizierte zu dauernder Arbeitslosigkeit verdammen.

Van der Bellen replizierte, dass er nicht an eine „freiwillige Umverteilung“ glaube. Die habe in kleinräumigen, mittelalterlichen Gesellschaften funktioniert, wo jeder jeden kannte, wäre aber für eine moderne Massengesellschaft unpraktikabel. Schweden sei ein gutes Beispiel für einen bestens funktionierenden Wohlfahrtsstaat. Rhonheimer konterte mit dem Hinweis, dass in Schweden die Vermögenssteuern kürzlich abgeschafft worden seien, weil man erkannt habe, dass das Geld besser bei den Privaten als beim Staat aufgehoben sei. Private investierten, während der Staat nur konsumiere. In Schweden gebe es mittlerweile deutliche Vermögensunterschiede und das sei nicht nur nicht schlecht, sondern sogar sehr gut!

Zur These „zurück ins viktorianische Zeitalter“ merkte er an, dass der Unterschied zwischen einem Arbeiter und Warren Buffet heute lediglich darin bestehe, dass der eine über einen Privatjet verfüge und der andere nicht. Beide verfügten allerdings über geheizte Wohnungen mit fließendem Wasser und könnten sich, gut genährt und gekleidet, Urlaube leisten. Die Unterschiede zwischen Armen und Reichen würden zum Großteil in „Papierwerten“ bestehen und seien in Wahrheit unerheblich. Jedenfalls wären sie vernachlässigbar im Vergleich zur Zeit Königin Viktorias.

Aus dem Publikum wurde angemerkt, dass eine „sozial durchlässige“ Gesellschaft ein erheblich höheres Maß an Ungleichheit aushalten könne. Die Vorstellung „vom Tellerwäscher zum Millionär“ werden zu können, mache materielle Unterschiede leichter erträglich. Eben diese „Durchlässigkeit“ sei heute aber nicht mehr gegeben, meinte Van der Bellen. Mit Bezug auf die Zeit Viktorias habe er nicht den von Arbeitern erreichten Wohlstand gemeint, sondern eine „Chiffre für eine neue Feudalgesellschaft“.

Rhonheimer beklagte die „Gleichsetzung von Gerechtigkeit mit Verteilungsgerechtigkeit. Keiner redet über Regelgerechtigkeit!“ Der Feststellung aus dem Publikum, dass ein Rechtsanspruch auf Sozialleistungen dem Menschen mehr Würde verleihe als das Betteln um Almosen, trat er entschieden entgegen. Es handle sich hierbei um ein „Verkehrung der Denkart“.

Ein Rechtsanspruch, auf Kosten anderer zu leben, sei per se unmoralisch. Er führe zudem in permanente Abhängigkeit von der Wohlfahrtsbürokratie. Die Caritas-Organisation lebe zum Großteil von staatlichen Zuwendungen und agiere dementsprechend auch bereits wie eine staatliche Institution. Dass er mit seinem Standpunkt innerhalb der Kirche eine Minderheitenposition einnehme, sei ihm klar.

Einigkeit zwischen den Diskutanten bestand lediglich in der Frage zu hoher Steuerlasten auf Einkommen und die große Bedeutung gleicher Bildungschancen. Auf die Frage, was denn nun Gerechtigkeit sei, wurde in diesem Kreis allerdings keine Antwort gefunden.

Fazit: Der grüne Vorzeigepolitiker Van der Bellen erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen zu 100 Prozent. Seiner ungeschminkten Geringschätzung privater Eigentumsrechte steht – wie bei allen linken Systemlingen – uneingeschränkte Staatsgläubigkeit gegenüber. Der Philosoph Kampits vermied – anders als man das etwa von seinen Kollegen Burger oder Sloterdijk kennt – jeden inhaltlich gehaltvollen oder gar kontroversiellen Kommentar.

Die Überraschung des Abends bildete zweifellos Opus-Dei-Mann Rhonheimer mit seinen Aussagen. Die hätten genauso gut auch von „radikalliberalen“ Ökonomen wie Polleit, Hülsmann oder Bagus stammen können. Ein Jammer, dass man Männer seines Zuschnitts in keiner der erschreckend linkslastigen Kirchen Österreichs findet…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Die wichtigsten Sponsoren des Life-Balls drucken

Angesichts der hermaphroditischen Plakate, mit denen für den Life-Ball geworben wird, auf Wunsch vieler Leser die Hauptsponsoren des schwulen Lust-Events.

Freilich kenne ich schon genug Schimmelmails der jeweiligen PR-Abteilungen (in denen es von inhaltlosen Füllwörtern wie „Toleranz“ nur so wimmelt), sodass nur ein Kaufboykott plus Begründung Wirkung auslöst. Mails alleine sind hingegen relativ wirkungslos.

Kronenzeitung,
Swarovski,
Billa,
Wolford,
T-Mobile,
Illy,
Audi,
Campari,
Hotel Imperial,
OMV,
Austrian,
WKO,
Gemeinde Wien,
ORF.

Wobei die letzten drei besonders ärgerlich sind, da sie durch Pflicht-Abgaben finanziert werden.

Andererseits sind mir zwei Organisationen bekannt, die nach früherer Unterstützung dies auf Verlangen ihrer Kunden nicht mehr tun. Noch bevor jenes Plakat für das „Lust“-Event geworben hat . . 

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Bitte um mehr Gelassenheit drucken

Die tägliche Aufregung der Medien und Twitterer jagt ständig ein anderes Schwein durchs Dorf. Diese Aufregung ist aber immer schwerer zu ertragen. sie lässt immer öfter nur noch nach einem rufen: nach mehr Gelassenheit. Nach Wahrung der Relationen. Das heißt zwar oft nicht, dass das kritisierte Verhalten in Ordnung wäre. Aber eine orientierungslose Welt schießt immer öfter mit Kanonen auf Spatzen und ignoriert gleichzeitig die wirklich wichtigen Dinge. Dabei sind diese manchmal extrem positiv.

Der Beispiele für übertriebene Reaktionen gibt es täglich genug.

  1. Salzburgs Ex-Wohnbaulandesrat (SPÖ) landet vor dem Strafgericht(!), weil er im Gegenzug für Wohnbauförderungen unentgeltliche Plakate für sich verlangt hat. Gehört sich nicht. Keine Frage. Aber gegen das, was sich seit Jahrzehnten in Wien abspielt, was die Herren Faymann und Ostermayer bei ÖBB und Asfinag durchgesetzt haben, können mich die Gratisplakate des Herrn Blachfellner nicht wirklich aufregen. Der Wiener fragt Salzburg ganz offen und auf Grund beklemmender Erfahrungen erstaunt: Sonst hat Blachfellner wirklich nichts von den Baufirmen verlangt?
    Solange da nicht in Wien endlich aufgeräumt wird, solange nicht die Causa Faymann/Ostermayer endlich vor einen Richter führt, wirkt die Salzburger Sauberkeit wie von einem anderen Planeten. In Wien hingegen halten ja auch die Gegner der Sozialisten gerne die Hand auf und schweigen, sobald diese gefüllt wird. Siehe etwa Konzerthaus-Hochhausturm.
  2. Ungehörig ist sicher auch, dass der WKO-Vizepräsident Einpersonen-Unternehmen als „Tagelöhner“ bezeichnet. Aber es ist absurd, dass er deswegen gleich mit Atombomben attackiert wird. Nicht nur von WKO-Präsident Leitl, sondern auch von seiner eigenen Partei, der FPÖ. Und dass er deswegen binnen Stunden sein Amt verliert. Auch der Autor ist übrigens ein Einpersonen-Unternehmer. Über die nicht ganz geglückte Wortwahl des Ex-Vizepräsidenten erregt er sich aber keine Sekunde. Ihn ärgern jedenfalls tausendmal mehr die Bedingungen, unter denen viele Junge gegen ihren Willen zu Einpersonen-Unternehmen werden, weil sich kaum noch ein Arbeitgeber die teure Anstellung leisten kann. Ihn ärgert die doppelte Sozialversicherungslast auf den Schultern der Älteren. Ihn ärgert die gigantische Steuerbelastung.
    Jene Bezeichnung ist vor Wahlen vielleicht nicht schlau, sie legt aber den Finger präzise in einen wunden Punkt, über den viel mehr diskutiert werden müsste.
  3. Mehr als übertrieben ist auch die nationale Aufregung, ob man nun 60 oder 63 Prozent einer Englisch-Aufgabe erledigen muss, um bei einer Zentralmatura noch positiv abzuschneiden. Gewiss war da die Information der Obrigkeit schlecht. Aber ich entsetze mich viel mehr darüber, wie schlecht das Englisch vieler Maturanten ist. Egal ob sie 60 oder 63 Prozent erreichen (wie man das genau messen will, ist mir ohnedies total schleierhaft). Über die schlechten Fremdsprachenkenntnisse der Maturanten wird aber leider weder von Politikern noch Lehrern gesprochen. Weil bei beiden das Englisch meist sehr schwach ist. Dabei wird Englisch bei immer mehr Berufen die Arbeitssprache für den Rest des Lebens der Maturanten sein. Sie werden in Konkurrenz zur restlichen Welt stehen.
  4. Besonders absurd ist es, dass die Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen den FPÖ-Chef wegen einer angeblichen Urheberrechtsverletzung auch nur eine Sekunde lang bearbeitet. Statt dass der Streit sofort auf den Zivilweg verwiesen wird. (Da sind übrigens die Medien einmal in Schutz zu nehmen; sie fanden offenbar das Vorgehen der Staatsanwälte trotz ihrer FPÖ-Aversion selbst für nicht mehr nachvollziehbar und spielten die Sache wohl deshalb eher klein).
  5. Ebenso absurd ist die Aufregung eines Elternpaares und einiger ORF-Redakteure, weil im Musikunterricht an einer niederösterreichischen Volksschule auch religiöse Lieder gesungen werden. Unsere Sorgen möchte ich haben.
  6. In die gleiche Kategorie gehört die mediale Aufregung um die Größe der Wohnung des Dompfarrers. Manche seiner Äußerungen und Auftritte sind zweifellos dumm, aber dass er direkt neben dem Dom wohnt und dass er dort 100 Quadratmeter hat, sollte selbst dem tiefsten Boulevard keine Zeile wert sein.
  7. Noch absurder ist die landauf, landab berichtete Aufregung extrem linker Volkswirte, dass hierzulande Neomarxismus zu wenig gelehrt werde. Und dass die Erben des Ewald Nowotny die Wirtschaftsuniversität beherrschen. Dabei sind die einzigen, die an Wiens Unis nicht zu Wort kommen, die in vielen anderen Ländern Furore machenden liberalen Anhänger der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Die nur noch wegen lauter Verstorbener so heißt (Mises, Hayek, Schumpeter usw.).

Leider keinerlei Reaktion auf das wirklich Wichtige

Während jedes dieser Dinge in den letzten Stunden und Tagen viel zu viel nervenden medialen (und zum Teil auch strafrechtlichen) Lärm verursachte, gingen die weit wichtigeren Dinge total unter, die gleichzeitig bekannt wurden. Sie fachten keinerlei medialen oder „Shitstorm“ an. Oder wie sonst die Aufregungen zum Tage heißen mögen.

  • Das war etwa die wirklich brillante Idee der italienischen Lega Nord gegen die Überschwemmung Europa durch Migranten. Sie hat Spots mit Einwanderern aus Angola, Sri Lanka, Indien und Pakistan gedreht, in denen diese Klartext reden. Dass ihr Leben in Europa sehr schlecht sei, dass keine (oft von Film und Fernsehen geschürte) Erwartung sich erfüllt habe, dass sie keine Arbeit finden, dass manche tagelang Hunger leiden, und dass ihre Landsleute ja nicht den Menschenhändlern hineinfallen sollen: „Schlepper sind Mörder“. Wenn die EU Geld in die Hand nähme, um solche Spots in den Heimatländern der Migranten auszustrahlen, würde sie sich viel Geld ersparen. Und vielen Afrikanern und Asiaten große Enttäuschung.
  • Kaum Beachtung fand auch das auffallend große Lob des Ungarn Viktor Orban für Angela Merkel und für deren jahrelange Unterstützung. Das Nachbarland Österreich wird hingegen von Orban total mit Verachtung gestraft. Es hat aber auch in der Tat an ihm nur ständig herumgemäkelt – von den linken Medien angefangen bis zum Landwirtschaftsminister (der ja überhaupt kein Fettnäpfchen der Dummheit auslässt). Der letzte, der gute Beziehungen zu Orban hatte, war übrigens ein gewisser Wolfgang Schüssel, falls den noch jemand in der ÖVP kennt.
  • Die überhaupt wichtigste und positivste Nachricht kommt aus Ostafrika: Die Piraterie aus Somalia gegen westliche Schiffe ist weitestgehend beendet! Gab es vor drei Jahren noch 243 Kaperungsversuche im Jahr, so waren es im Vorjahr nicht einmal mehr zehn. Es ist völlig klar, worauf dieser sensationelle Erfolg zurückzuführen ist: Von China bis Amerika (und nach einigem Zögern auch Deutschland) hat man militärisch und scharf die Piraten zu bekämpfen begonnen. Man hat nicht mehr auf die Gutmenschen gehört. Piraten haben daher kaum mehr eine Chance. Wenn das kein Grund zur Freude ist!

Wir regen uns wegen der lächerlichsten Dinge auf. Und vergessen die wirklich wichtigen Entwicklungen. Die oft auch sehr positiv sind.

 

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Plachutta, die Demonstrationen und die Meinungsfreiheit drucken

Gleich zweimal hat die Gewerkschaft Demonstrationen vor dem Restaurant Plachutta veranstaltet. Das gibt Anlass zu etlichem Nachdenken.

Mario Plachutta ist ein Gastronom mit einer wachsenden Reihe von Betriebsstätten, der wohl wie fast alle Wirte regelmäßig von Mitarbeitern bestohlen wird. Die fristlose Entlassung eines Slowaken wegen eines halben Kilos Staubzucker ist wohl darauf zurückzuführen, dass Plachutta einmal einen erwischt hat, während Hundert andere unentdeckt bleiben. Aber gewiss auch auf Plachuttas eher cholerisches Temperament.

Wie auch immer: Der Kellner hat die Entlassung angefochten und vor dem Arbeitsgericht gewonnen. Was in einem Rechtsstaat zu akzeptieren ist (unabhängig von der Tatsache, dass vor den Arbeitsgerichten ohnedies fast immer die Arbeitnehmer gewinnen). Dazu sind jedenfalls Gerichte da, um solche Streitigkeiten zu klären.

Worin liegt eigentlich das Motiv der Gewerkschaftsfunktionäre, nach dem Sieg vor Gericht noch Demonstrationen zu veranstalten? Wollen sie zeigen, dass Arbeiterkammer&Co doch zu irgendetwas gut seien (der Kellner hätte übrigens auch ohne sie zu Gericht gehen können)? Geht es um Propaganda für die außerhalb der organisierten Betriebe weitgehend ignorierten AK-Wahl? War es der Boulevard, dem man gute Fotos liefern wollte? Waren es patzige Bemerkungen Plachuttas? War es dessen einstige Verschwägerung mit dem freiheitlichen Parteiobmann?

Im Grunde ist es egal. Es ist in jedem Fall äußerst bedenklich, wenn Gewerkschafter oder Pelzgegner oder politische Gegner direkt vor einem Geschäft demonstrieren und dessen Besuch de facto schwer behindern. Wenn wie etwa im Februar 2000 Wohnungen von Ministern tagelang blockiert werden.

Mit solchen Aktionen wird aus dem Demonstrationsrecht das vermeintliche Recht auf Bedrohung und Geschäfts-Schädigung.

Dieser Zusammenhang wird aber von unserem Verfassungsgericht – im Gegensatz zu anderen westlichen Ländern! – viel zu einseitig gehandhabt. Denn das unbedingt zu verteidigende Recht, immer seine Meinung sagen zu können (und sei es in Form der organisierten „Shitstorms“), sollte nicht einmal im Ansatz Bedrohungen, Blockaden und Erpressungen einschließen dürfen. Die aber zunehmend von linken Grüppchen praktiziert werden.

Wenn die unerlaubte Weitergabe von Mailadressen schlimmer ist als physische Blockaden, wenn die Weitergabe von Lehrer-Mailadressen sämtliche Schultestungen lahmlegen kann, dann ist das nur noch absurd. Wenn jemand mein Geschäft blockiert, ist das tausendmal bedrohlicher als die Weitergabe meiner Mailadresse.

Ganz ähnlich problematisch ist auch das, was vor allem die Grünen immer öfter tun: Sie blockieren stundenlang ganze Straßenzüge und selbst den Ring, nur weil ein paar Dutzend von Ihnen auf der Fahrbahn organisiert radfahren oder spazierengehen oder sitzen wollen. Sie stehen unter dem Schutz des Verfassungsgerichts, selbst wenn die Zahl der dort „Demonstrierenden“ minimal ist. Selbst wenn der CO2-Verbrauch aller gewaltig ist, die als Folge im Stau stecken.

So sehr für die Meinungsfreiheit zu kämpfen ist, so wenig Verständnis gibt es, wenn das Demonstrationsrecht immer stärker als Mittel verwendet wird, um andere einzuschüchtern, um sie zu schädigen oder um der Mehrheit seinen Willen aufzuzwingen: Dann bedroht sich das Demonstrationsrecht zunehmend selbst. Oder sollen jetzt auch die Gegner der Radfahrer an Ring oder die Kritiker von stehlenden Mitarbeitern Demonstrationen veranstalten? Soll man sich am Ende so wie in der Ukraine gegenseitig prügeln?

Wir haben Gerichte, wir können über zahllose Kanäle unsere Meinung sagen, wir haben demokratische Mehrheitsentscheidungen. Wir haben aber nicht das Faustrecht. Noch nicht.

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Hauptsache gegen Amerika drucken

Sie droht im laufenden EU-Wahlkampf versenkt zu werden. Für Unternehmen wie auch Arbeitnehmer in Europa und Amerika wäre sie jedoch enorm wichtig und positiv: die transatlantische Freihandelszone. Auch wenn die genauen Schätzung ihrer Folgen immer schwierig bleibt, so ist doch völlig klar: Wenn es wirklich gelänge, einen 800 Millionen Menschen umfassenden gemeinsamen Markt zu schaffen, der die Hälfte(!) des gesamten Welthandels umfasst, so würde das viele Unternehmer zur Ansiedlung motivieren. So würden zahlreiche Arbeitsplätze entstehen.

Das gelingt aber nur dann, wenn diese transatlantische Zone aus mehr bestünde als aus der bloßen Abschaffung von Zöllen. Diese sind schon längst nicht mehr das zentrale Problem. Viel wirksamer und raffinierter sind die nicht tarifären Hindernisse und Investitionsbremsen.

Jedoch wird jetzt im Wahlkampf europaweit von Grün und Blau mit ähnlichen Argumenten gegen Amerika Stimmung gemacht, wie sie das 1994 in Österreich gegen die EU getan haben. Damals wurde beispielsweise ernsthaft als Argument gegen einen EU-Beitritt vorgebracht, dass niederländische Paradeiser weniger gut schmecken als einheimische. Hinter zahllosen solchen Argumenten verbargen sich in Wahrheit meist einheimische Produzenten, die auf Kosten der Konsumenten ohne neue Konkurrenz weiter ihre Geschäfte machen wollten. Und deren PR-Agenten, die Schauergeschichten ausstreuten.

Niemand muss bis heute niederländische Tomaten essen. Aber als mündiger Konsument will ich selber entscheiden, ob mir die besser oder schlechter schmecken als einheimische. Es muss nur zweierlei geben: ein Verbot gesundheitsschädlicher Waren und eine klare Kennzeichnung. Alles andere ist mieser Interessen-Lobbyismus, der sich hinter ökologischen, sozialen oder sicherheitsorientierten Scheinargumenten verbirgt. Denn auch in Amerika rennen genausowenig Menschen mit zwei Köpfen herum wie in Europa. Die Lebenserwartung ist praktisch gleich: USA 79, Kanada 81, Europa 77, ohne Osteuropa 81.

Wer beispielsweise glaubt, dass Atomstrom schädlich ist, der wählt halt den teuren „atomfreien“ Strom. Dennoch würde auch ohne EU weiterhin Atomstrom nach Österreich importiert, da das Land seit Jahren zu wenig Kraftwerke hat und daher zu wenig Strom produziert.

Man braucht auch in Zukunft als Konsument nicht die derzeit in vielen Diskussionen herumflatternden amerikanischen Chlorhühner zu kaufen. Ich hingegen würde diese sogar mit Vorrang erwerben, da sie durch die ungiftige Chlor-Behandlung sicherer gegen Salmonellen sind.

Besonders wichtig für die Ansiedlung von Unternehmen wäre vor allem ein unabhängiger Schutz gegen spätere Schikanen eines Aufnahmestaates oder gegen Verstaatlichung. Diesen Schutz schafft nur ein unabhängiges Gericht. Wer ihn verweigert, der nimmt in Kauf, dass viele Arbeitsplätze nicht entstehen.

Steht am Ende links- wie rechtsextremer Antiamerikanismus hinter der Ablehnung der neuen Freihandelszone?

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Zwischen Demos und Demokratie drucken

Seit Zeitungen Fotos haben und seit das Fernsehen bewegte Bilder zeigt, hat sich der Charakter der Demokratie grundlegend verändert. Es wird in der veröffentlichten Meinung kaum noch nach dem Wert von Argumenten gefragt und gesucht, sondern nur danach, ob es dramatisch wirkende Illustrationen zu einer „Geschichte“ gibt. Gibt’s die nicht, ist eine Geschichte dann eben meist keine „Geschichte“. Persönlichkeiten werden medial oft ignoriert, selbst wenn sie noch so Gescheites sagen. Aber jedes noch so schwachsinnige Greenpeace-Transparent findet den Weg in die "Zeit im Bild", wenn es von drei Studenten plakativ auf einem Schiff oder einem Schornstein angebracht wird.

Damit hat sich die Demokratie viel substantieller verändert, als wir glauben. Es zählt nicht mehr die Mehrheit oder die Wahrheitssuche. Sondern es zählt die Kraft der Bilder, die es in die Nachrichtensendungen und auf die Titelblätter der Boulevard-Zeitungen schaffen.

Daher weiß jeder Politikberater, dass er vor allem Action und Bilder schaffen muss. Es geht bei medialen Entscheidungen nicht um die Höhe der Kinderbeihilfe, sondern darum, dass die zuständige Ministerin von lieben Kindern umringt wird, wenn sie über die Kinderbeihilfe spricht. Und nach einer Politiker-Debatte wird meist nur darüber debattiert, ob ein Politiker herumgewandert ist, ob er ein Taferl aufgestellt hat, ob er gelächelt hat.

Selbst wenn die auf den Bildern gezeigten Vorgänge eigentlich auf Ablehnung stoßen, schaffen es die Urheber mit ihrer Hilfe, das Agenda setting zu prägen. Und irgendwann glauben auch die Menschen, dass das wichtig sei, was die Bilder sagen, und nicht das, was wirklich wichtig wäre.

Die suggestive Kraft von Bildern

Gegen die Wirkung der Bilder hilft jedenfalls einmal eines: sie sich bewusst zu machen. Dann ist man schon ein wenig immunisiert dagegen. Man sollte auch immer genau beobachten: Sind es nur ein paar Dutzend Menschen, die vor der Kamera einen Zirkus machen, die eine amerikanische oder israelische Flagge verbrennen, oder sind es wirklich viele? Eine hervorragende Strategie gegen die Suggestivkraft von Bildern haben zwei der besten (Zeitungs-)Journalisten entwickelt, die ich kenne: Sie haben gar keinen Fernsehapparat, sondern informieren sich nur aus Radio, Internet, Büchern und Zeitungen.

Erschwerend kommt in Österreich zur suggestiven Wirkung von Bildern und Fernsehfilmen noch ein weiterer Faktor dazu: Welche Demos zeigt der ORF in seiner Linkslastigkeit und welche nicht? Da schaffen es ein paar Dutzend Linke, die für mehr Entwicklungshilfe-Geld oder gegen Atomkraftwerke aufmarschieren, fast mit Sicherheit in die Fernsehnachrichten. Ein paar Tausend Christen, die gegen die internationalen Christenverfolgungen vor allem in islamischen Ländern demonstrieren, werden vom ORF regelmäßig ignoriert.

Wenn Menschen keine gefestigte Meinung haben, dann werden sie durch die veröffentlichte Meinung beeinflussbar. Der Durchschnittsbürger hat ja meist ganz andere Sorgen und Interessen. Wenn er in Fernsehen und Druckmedien ständig mit einer bestimmten, bildlich untermauerten Überzeugung konfrontiert wird, dann wird er zunehmend ängstlich und verschweigt seine eigene Meinung. Im Laufe der Zeit übernimmt er dann die Meinung der veröffentlichten Meinung. So hoffen zumindest die Manipulatoren.

Nur wenige Menschen sind willensstark genug, gegen den Druck der Medien erst recht auf der eigenen Meinung zu beharren. Viele andere wollen lieber im Mainstream mitschwimmen. Das wollen sie dann erst recht, wenn für den Mainstream ständig starke Bilder werben. Sie fragen dann meist gar nicht mehr: Ist die Demo berechtigt? Steht hinter den Demonstranten eine Mehrheit?

Länder wie Thailand und Ägypten, Ukraine und Venezuela werden normalerweise medial weitgehend ignoriert. Wenn dort aber Straßen und Plätze besetzt werden, wenn Menschenmassen Feuerwerkskörper gegen Himmel schicken, wenn tagelang oder wochenlang gegen Regierungen agitiert wird, dann sind diese Länder plötzlich täglich auf den heimischen Bildschirmen zu sehen. Dann erfahren wir plötzlich die Unterschiede zwischen den reichen Hauptstadtbewohnern und der armen Bevölkerung im Norden Thailands. Plötzlich hängen die Zuseher der Zeit im Bild an der Deutung der Geschehnisse durch die Fernsehkorrespondenten (obwohl diese oft total falsch liegen, wie man etwa jüngst bei den ORF-Korrespondenten in Kairo wie in Moskau erlebt hat).

Ist es schon schwer genug, sich von der suggestiven Kraft der Fernsehbilder und Zeitungsfotos zu lösen, so ist es noch schwieriger, einen objektiven Standpunkt dazu zu finden. Zwar war etwa von Anfang an klar, dass campierende Studenten der Occupy-Bewegung oder die „99 Prozent“ keinerlei Massen repräsentieren. Das hat jeder vernünftige Mensch gewusst. Aber viele Journalisten haben Orgasmen der Begeisterung und Unterstützung angesichts solcher Kundgebungen bekommen, die sie an ihre eigene Jugend als 68er Möchtegern-Revolutionäre erinnern.

Aber dennoch ist keineswegs jede Kundgebung, Demonstration und Revolution negativ als bloßer Kamera-Event einer Minderheit abzutun. Es besteht zwar kein Zweifel, dass die Journalisten mit ihren Bezeichnungen oft maßlos übertreiben, dass Facebook-, samtene, orangene Revolutionen bisweilen nur aus ein paar Tausenden oder Zehntausenden Manifestanten bestehen. Aber es kann ebenso wenig Zweifel bestehen, dass beispielsweise die Ziele der Studenten, Bürger und Arbeiter von 1848 von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen waren. Und dass die Meinungsfreiheit, für die damals gekämpft worden ist, bis heute ein besonders wertvolles Gut ist. Dass also 1848 konstitutionell böse, moralisch aber gut war.

Das Recht zur Intervention

Bei der Beurteilungen von Demos, von Revolutionen sollte man einerseits ihre innere Legitimität bewerten. Noch spannender ist aber die Frage, ob das Ausland intervenieren darf. Da werden Völkerrechtler sofort antworten, dass das Ausland dann und nur dann intervenieren darf, wenn es einen einschlägigen Beschluss des Sicherheitsrats nach Kapitel sieben gibt. Zusätzlich gibt es das kollektive Selbstverteidigungsrecht von Bündnissen, wie sie etwa die Nato darstellt.

Aber da der Sicherheitsrat meist von national motivierten Vetos der Großmächte blockiert wird, aber da ethisch denkende Menschen nicht ihre Moral in der UNO-Garderobe abgegeben haben, ist ganz unabhängig vom Rechtlichen zu überlegen, wann ethisch für das Ausland eine Intervention erlaubt sein muss. Das ist häufiger der Fall als bei UNO-Beschlüssen, das ist aber keineswegs bloß deshalb der Fall, wenn eine Revolution intern berechtigt ist, wenn man einen Umsturz mit Sympathien begleitet.

Es sind wohl nur zwei Gründe, wo diese Außenwelt ethisch zum militärischen Einschreiten berechtigt ist, gleichgültig, was der Sicherheitsrat sagt. Nämlich:

  1. Wenn ein Regime eine klare Bedrohung für die Außenwelt darstellt;
  2. Und wenn ein Regime grobe Menschenrechtsverletzungen gegen viele seiner Untertanen begeht.

Jede Außen-Interventionen der Vergangenheit kann nun danach untersucht werden, ob eine der beiden Bedingungen erfüllt ist. Da wird es auch unter Wohlmeinenden manchen Disput geben. Viele Fälle hingegen sind eigentlich ganz klar.

  • Im Kosovo war eine Intervention berechtigt, weil dort das Milosevic-Regime großflächig Menschenrechtsverletzungen und Genozide begangen hat.
  • Der Irak war eines der wenigen Länder, das in den letzten Jahrzehnten offene Aggressionen gegen Nachbarländer begangen hat (Kuwait und Iran). Zum Zeitpunkt der viel späteren Invasion im Irak gab es aber schon lange keine konkrete Aggression durch Saddam Hussein mehr. Es gab nur die Behauptung des Besitzes von verbotenen Kampfstoffen. Diese hatte der Irak früher eindeutig gehabt und eingesetzt. Heute ist aber paradoxerweise ebenso eindeutig, dass der Irak sie im Zeitpunkt der Invasion nicht mehr hatte. Hier kann daher über die Berechtigung einer Intervention intensiv gestritten werden. Wer fabrizierte Beweise vorlegt, der wird eher auf wenig Glaubwürdigkeit stoßen, selbst wenn er einst im guten Glauben gehandelt haben sollte.
  • Ganz eindeutig unberechtigt waren die französischen und britischen Lufteinsätze gegen Gadhafis Libyen. Hier gab es mit Sicherheit keine Bedrohung der Außenwelt und keine über das ortsübliche Ausmaß hinausgehende Menschenrechtsverletzung.
  • Ganz eindeutig unberechtigt war auch der nur eher lächerlich getarnte russische Einmarsch in der Krim. Weder gab es von dort eine nach außen gerichtete Bedrohung noch gab es auf der Krim substantielle Menschenrechtsverletzungen. Das ist Faktum, selbst wenn man die Absetzung des ukrainischen Präsidenten durch das Parlament kritisiert).
  • Besonders infam war das ausländische Vorgehen in Syrien. Das Land hat nach außen Frieden gehalten. Und die ärgsten Menschenrechtsverletzungen begannen erst nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs - auf beiden Seiten. Also war eine Intervention nicht gerechtfertigt. Dennoch hat man der Opposition eine solche Intervention ständig in Aussicht gestellt, viele Oppositionelle damit überhaupt erst in den Kampf gehetzt.

So könnte man noch viele Konflikte durchgehen, um die Intervention von außen zu kritisieren oder rechtfertigen. Tatsache ist, dass es in dem Land, das heute die weitaus größte Bedrohung nach außen UND die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen im Inneren verkörpert, keine Intervention gibt. Das ist Nordkorea.

Das hängt natürlich mit der hohen Rüstung des ansonsten eher steinzeitlichen Landes zusammen. Hier gilt das alte Prinzip: „Ultra posse nemo tenetur“. Es ist in Wahrheit die häufigste Regel der Weltpolitik. Wenn eine Intervention grob selbstbeschädigend wird, dann kann niemand moralisch angehalten werden, dort zu intervenieren. Man hat ja auch vom Westen einst nicht verlangen können, in der (sowohl aggressiven wie auch massiv menschenrechtsverletzenden) Sowjetunion einzumarschieren. Oder in China, das Tibet gegen den Willen der dortigen Menschen besetzt hält. Rein moralisch wäre das aber sicher ebenso berechtigt gewesen.

Wir sind heilfroh, dass es der Westen in solchen Fällen nicht tat und tut. Denn das Leben auch mit grobem Unrecht ist fast immer besser als das Risiko eines Kriegs oder gar Atomkrieges (wenn auch nicht für die in den diversen Konzentrationslagern zu Tode geschundenen Menschen). Es bleibt freilich sehr unbefriedigend, in einer Welt zu leben, in der damit letztlich noch immer das Faustrecht herrscht.

Die Legitimität von Massenprotesten

Wechseln wir zuletzt zur Frage, ob wir Massendemonstrationen an sich für klug und legitim halten. Sie können das durchaus sein, selbst wenn es keine Berechtigung für das Ausland gibt, sich einzumischen. Sie müssen es aber keineswegs sein, selbst wenn revolutionsgeile Journalisten sie begeistert feiern.

Auch hier muss man objektiv prüfen: Menschen haben dann ein Widerstandsrecht,

  1. wenn sie keine wirklich freien Wahlen haben,
  2. wenn es in ihrem Land keine freie Justiz gibt,
  3. wenn ein Regime politische Gegner willkürlich beseitigt oder interniert,
  4. wenn ein Land einem geschlossenen Siedlungsgebiet die Selbstbestimmung verweigert.

In allen anderen Fällen sollten wir Kundgebungen nur im Rahmen des ganz normalen Demonstrationsrechts für gerechtfertigt ansehen. Zur Rechtfertigung eines Regimes genügt es jedoch keinesfalls, formaljuristisch die jeweilige Rechts- und Verfassungslage zu prüfen. Die ist weitgehend irrelevant. Denn in Gesetzbücher kann ja jeder Machthaber hineinschreiben, was er will.

Es wäre toll, wenn wir – als außenstehende Beobachter von Demos und Umstürzen – uns auf diese erwähnten Punkte einigen können, um die Debatte zu objektivieren. Nicht jede Demonstration ist gut, nicht jede ist schlecht.

In welchen Ländern sind nun nach diesem Maßstab Sympathien gerechtfertigt? Die konkrete Einzelfallbeurteilung ist natürlich oft sehr schwierig, weil man zuwenig Fakten hat. Aber dennoch sei sie versucht.

  • Unberechtigt dürften die monatelangen Kundgebungen in Thailand sein. Die dortige Regierung ist eindeutig durch ordentliche Wahlen an die Macht gekommen. Gewiss hat sie dabei leichtfertige Versprechungen an die armen Wähler gemacht. Aber wenn das ein Grund wäre, sie gewaltsam zu stürzen, dann müsste man auch fast sämtliche österreichische Parteien sperren. Denn auch die machen Versprechungen, die sie nicht halten können oder die langfristig dem Land substanziell schaden. Auch die soeben angetretene deutsche Regierung wäre dann sofort zu stürzen, weil sie langfristig absolut unfinanzierbare Versprechungen gemacht hat.
  • Unberechtigt waren auch die einstigen Blockaden und Demos sowie die ausländischen Boykottmaßnahmen gegen die schwarz-blaue Regierung in Österreich. Die Protestierer haben nicht einmal ein einziges der genannten Kriterien für sich ins Treffen führen können.
  • Viel unsicherer machen hingegen die Kundgebungen in der Türkei. Die jetzige Regierung verhaftet immer mehr Kritiker, bringt gezielt einst kritische Zeitungen unter Kontrolle, ist extrem repressiv gegen Demonstranten, feuert massenweise Staatsanwälte, Polizisten und Richter. Das weckt zunehmend das Gefühl, dass die Demonstrationen gegen die Regierung legitim geworden sind – obwohl die Wahlsiege von Premier Erdogan einst eindeutig korrekt waren. Aber ein Wahlsieg rechtfertigt keineswegs alles.
  • Sehr ähnlich ist heute auch Russland zu beurteilen. Die Lage dort ist im Grund sogar noch negativer als in der Türkei, gibt es doch nicht einmal den Versuch russischer Richter, unabhängig zu agieren. Nur: In Russland gibt es auf Grund der derzeitigen nationalistischen Emotionen und des noch immer guten Rohstoffpreises vorerst fast keine nennenswerten Proteste.
  • Eindeutig legitim ist das Verlangen der Krim, der Basken, der Schotten, der Südtiroler nach Selbstbestimmung. Diese Legitimität schafft aber keinerlei Berechtigung für andere Staaten, einzumarschieren und vollendete Verhältnisse herzustellen. Das Interventionsverbot, seine strenge Bindung an die beiden eingangs genannten moralischen Bedingungen muss jedenfalls das höhere Gut bleiben.
  • Berechtigt erscheinen mir die Anti-Regierungs-Proteste in Venezuela. Auch dort ist nach der Knebelung der Medienfreiheit und politischen Verhaftungen kein demokratischer Rechtsstaat mehr zu finden.
  • Absurd sind hingegen die wilden Aktionen in Brasilien. Wohl habe ich durchaus Sympathien für Menschen, die Milliarden-Kosten von Sportevents heftig kritisieren. Aber das legitimiert noch nicht, deswegen ein Land lahmzulegen. Die brasilianische Regierung ist eindeutig korrekt gewählt.

Es mag für viele unbefriedigend sein, wenn man zu differenzieren versucht, wenn man das Aufeinanderprallen von Prinzipien Land für Land untersucht. Aber gerade liberales Denken erfordert eben immer genau nachzudenken.

Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form auch in den "Genius-Lesestücken" (www.genius.co.at) erschienen, einer unabhängigen Online-Zeitschrift zu den großen Fragen der Zeit.

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Twitter und die Demokratie: Die Sendung mit dem Großvater (10) drucken

Können Youtube und Twitter einen Machthaber aus den Angeln heben? Oder hat der türkische Regierungschef Erdogan langfristig Erfolg mit seinen Verbotsversuchen gegen die sozialen Netze? Ist die Türkei ein Rechtsstaat und eine Demokratie? Was hat es dort mit der Korruption auf sich? Und wie reagiert die EU? Über all das diskutiert Maximilian mit seinem Großvater Andreas Unterberger.

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Sie stehlen wie die Raben drucken

Sie stehlen. Aber niemand soll es merken. Die Diebe nennen sich offiziell Bundesregierung. Die Ministerien lehnen mit fadenscheinigen Ausreden wie „zu viel Verwaltungsaufwand“ mehr Transparenz bei den eigenen Ausgaben eiskalt ab. Sie wollen nicht offen legen, wofür sie überhaupt wie viel zahlen. Sie lassen in diesen Tagen den Finanzminister sogar mit dem Minimalanliegen abblitzen, wenigstens mehr Transparenz herzustellen. Sie wollen darüber hinaus auch weiterhin gefällige Zeitungen bestechen. Länder, Gemeinden und Wirtschaftskammer wollen schon gar nicht den Bestbieter nehmen.

Da wären dann ja heimlicher Kickback und Freundschaftsdienste nach österreichischer Art unmöglich. Dessen Grundregel: Eine Hand wäscht die andere und niemand weiß davon.

Es widert einen wirklich an. Täter sind fast alle Ministerien. Täter sind die Bundesländer. Täter ist die Wirtschaftskammer.

Konkret: Mit vereinten Kräften haben die Ministerien jetzt den Vorschlag des Finanzministers abgelehnt, der Bundesbeschaffungsgesellschaft wenigstens eine Kopie der Rechnung zu schicken, wenn sie Einkäufe an dieser vorbei tätigen. Schmecks. Sie denken nicht daran, sich in ihre Karten schauen zu lassen. Vom Justiz- über das Innen- bis zum Infrastruktur- und Sozialministerium sind sich Schwarz und Rot einig: Sie wollen das nicht. Sie wollen ihre schmutzigen Geschäfte lieber weiterhin im Dunklen machen.

Kreativ sind sie nur bei der Abwehr der vom Finanzministerium vorgeschlagenen Novelle. Dazu wird etwa vom Justizministerium skurrilerweise selbst die Verfassung bemüht.

Dabei kann überhaupt kein Zweifel bestehen: Wenn alle Ministerien, alle Bundesländer und Gemeinden sämtliche Einkäufe über eine gemeinsame Einkaufsorganisation abwickeln würden, bekämen sie alle weit bessere Preise, also niedrigere Tarife und mehr Service. Die Einsparungen würden – insbesondere, wenn auch der Gesundheitsbereich erfasst wird – viele Hundert Millionen Euro ausmachen. Jährlich.

Da wäre das, was sich jetzt in den Schulklassen abspielen soll, ein Klacks dagegen. Aber das sind ja nur Schüler. Es sind übrigens auch all die Politiker und Medien Heuchler, die sich über die Einsparungspläne der Unterrichtsministerin mockieren. Denn sie haben es in ihrem Gesamtschultaumel alle seit Jahren ignoriert, dass dasselbe Ministerium schon seit Jahren die Klassenschülerhöchstzahl vor allem in den AHS weit überschritten hat. Aber jetzt protestieren sie plötzlich alle.

Zurück zur Korruption in den Ministerien. Diese sind zwar in manchen Bereichen – vom Büropapier bis zum Computerdrucker – seit einigen Jahren zum gemeinsamen Einkauf verpflichtet. Das allein erspart der Republik zwar Hunderte Millionen. Bei den besonders Korruptions-anfälligen Bereichen haben sich die Regierungsparteien aber wohlweislich zu nichts verpflichtet. Das sind etwa Inserate, Schaltagenturen und Beratungen.

Trotz dieses Skandals, trotz Österreichs immer enger werdender Finanzdecke haben die Ministerien den jüngsten ohnedies minimalen Vorschlag des verzweifelten Michael Spindelegger eiskalt abgelehnt: Sie sollten wenigstens bekanntgeben, was sie da wem wofür zahlen. Nicht einmal das wollen sie.

Jeder Österreicher weiß warum.

Freilich: Auch das Finanzministerium hat in Sachen Hypo alleine schon kolportierte 300 Millionen für Beratungsleistungen ausgegeben. Mit eher zweifelhaftem Erfolg. Aber immerhin will es jetzt wenigstens Transparenz. Es bleibt damit jedoch offenbar das einzige Ministerium.

Für diesen Transparenz-Vorstoß wäre Spindelegger auch sehr zu loben – aber freilich nur dann, wenn er massiven Druck wenigstens auf seine eigenen ÖVP-Minister ausübt und ihnen klar sagt: Entweder ihr akzeptiert diese Novelle oder ihr geht. Egal ob es CVer sind oder Niederösterreicherinnen.

Davon hört man aber keine Silbe. Spindelegger hats nicht so mit der Kommunikation. Fast hat man den Eindruck, dass er diesen Vorstoß nur pro forma macht. Dabei könnte der VP-Obmann, wäre seine Initiative ein wenig nachdrücklicher, glaubwürdig mit spitzen Finger auf die SPÖ-Ministerien zeigen, die ebenfalls wie die Motten das Licht scheuen. Hingegen nur stillschweigend eine Novelle vorschlagen und diese dann achselzuckend wieder zurückziehen, wenn Widerstand kommt: Das ist ein wenig zu wenig.

18 Prozent verschwinden in dunklen Kanälen

In jenen Bereichen, wo die Ministerien seit den Schüssel/Grasser-Jahren (zähnenirschend) über die BBG einkaufen müssen, beträgt die Ersparnis immerhin 18 Prozent. Steuergeld, das sich Einkäufer und Verkäufer vorher (un)redlich geteilt haben. Über diesen Verlust ärgern sie sich wohl insgeheim noch immer. Und daher bekämpfen sie sogar jeden Ansatz zu Transparenz.

Noch schlimmer verhalten sich Länder und Gemeinden, damit auch der ganze Spitalsbereich. Sie beteiligen sich nur marginal an solchen gemeinsamen Einkäufen. Rein rechtlich müssen sie das nicht, da sie sich hinter dem Föderalismus verstecken können, den noch keine Bundesregierung zu knacken imstande war. Diese darf nur bei den Ländern das Geld abliefern. Und die Länder geben es dann nach Belieben aus.

Der Rechnungshof schnaubt regelmäßig über diese Praktiken. Aber es hilft nichts. Es ist ja nur das Geld der Steuerzahler, das Politiker und Beamte beim Fenster hinauswerfen. Mit der gegenwärtigen Praxis ist mieser Korruption die Tür zehn Mal weiter geöffnet. Denn Korruption im ganz konkreten Einzelfall kann man ja leider nur sehr selten gerichtsfähig nachweisen. Gerade darum wäre der generelle Zwang zum geregelten Einkauf außerhalb der Ministerien so wichtig.

Solange hingegen der Rechnungshof nur regelmäßig feststellt, dass - beispielsweise - die Unterrichtministerin das Vergaberecht nicht einhält, solange darauf nicht unweigerlich ein Amtsmissbrauch-Prozess folgt, ist das ganze Gesetz ziemlich sinnlos.

Offiziell wird von Ländern, Gemeinden, Spitälern und Wirtschaftskammer beteuert, dass man deshalb nicht gemeinsam beschafft, weil man regionale Geschäfte zum Zug kommen lassen will. Bei einem gemeinsamen Einkauf hingegen würde der Günstigste vielleicht in einem anderen Bundesland liegen.

Da kann der Steuerzahler nur sagen: Na und? Dort wo Politiker und Beamte ihr eigenes Geld ausgeben, kaufen sie ja auch außerhalb ihrer Gemeinde oder ihres Landes ein, wenn es dort signifikant günstiger ist. Als Politiker und Beamte verfügen sie jedoch über fremdes Geld: Und da ist es ihnen offensichtlich wurscht, wenn der Freund in der eigenen Gemeinde viel teurer ist.

Damit fördern Länder und Gemeinden noch weit über die ohnedies schon in den Berichten des Rechnungshofs aufgelisteten gigantischen Förderungen hinaus ihnen genehme Verkäufer. Diese Förderung via erhöhter Einkaufspreise spielt sich in einem total dunklen Eck ab. Sie wird nirgendwo genau erfasst.

Natürlich können auch Gemeinden und Länder nicht bei allen Unternehmen in ihrem Gebiet einkaufen. Die Folge ist klar: Es werden – selbst wenn keine Korruption im Spiel wäre – immer besonders gerne bei Partei- und sonstigen Freunden des Landesrats oder Bürgermeisters Geschäfte gemacht.

Den Rest kann man sich denken. Und sich ärgern.

PS: Dass die Bildungsministerin ihre Schulklassen-Weisungen jetzt zurücknimmt, ist nett. Aber es ist noch völlig unklar, wo statt dessen eingespart wird. Oder ob Österreich sogar, wie nun manche SPÖ-Politiker einfach wollen, noch mehr Schulden macht. Noch immer hat die Ministerin zugunsten der Kinder nicht einmal komplett auf ihre eigenen Inserate verzichtet. Obwohl solche in Deutschland schon seit 40 Jahren durch das Höchstgericht verboten sind (und zwar sämtliche steuerfinanzierte Inserate und Kooperationen, nicht nur solche der Schulministerin).

 

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FN 616: Das algerische Drama mit friedlichem Ende drucken

In anderen Zeiten hätte man über Algerien groß diskutiert. Jetzt ist man froh, dass es ist, wie es ist.

Algerien war das erste Land, in dem der islamische Fundamentalismus vehement nach der Macht gegriffen hatte. Dieser konnte erst in einem blutigen, jahrelangen Krieg von der Armee niedergerungen werden. Umso unverständlicher ist, dass sich Barack Obama und Frankreichs Hollande dann später in Tunesien, Libyen und Syrien an die Seite der Fundamentalisten gestellt haben. Obwohl sie in Algerien sehr froh waren und sind, dass Präsident Bouteflika und die Armee gesiegt haben. Obwohl sie diese Armee deutlich unterstützt haben. Gerade die USA und Frankreich hätten dennoch in anderen Zeiten eine große Debatte begonnen, dass die nunmehrigen algerischen Präsidentenwahlen alles andere als demokratisch sind. Alle Medien der Welt und etliche Regierungen hätten sich überdies darüber den Mund zerrissen, dass der alte Präsident Bouteflika seit zwei Jahren kaum mehr reden oder öffentlich auftreten kann, dass er – oder seine Hintermänner – sich aber trotzdem wählen hat lassen. Demokratisch waren diese Wahlen nicht, sondern eine Farce. Aber niemand protestiert heute noch dagegen. Man ist froh, dass Algerien wieder zur Ruhe gekommen ist. Dass es so ist, wie es ist. Demokratiepolitische Messianismus ist nicht mehr in.

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Die Bischöfe und die Homosexuellen drucken

In der Karwoche lese ich in der „Kathpress“ eine Äußerung des Bischofs Manfred Scheuer zum Recht von Homosexuellen auf Adoption. Ich werde daraus nicht klug. Was soll das heißen: „Die Argumentation ist derzeit so, dass das Kind ein Anrecht auf einen leiblichen Vater und eine leibliche Mutter hat“? 

Wer argumentiert so? Es wäre – mit Verlaub – unsinnig. Auf leibliche Eltern kann man kein „Anrecht“ haben. Entweder hat man sie noch oder sie sind schon tot. Deshalb gibt es ja überhaupt die Frage nach der Adoption, weil ein Kind keine leiblichen Eltern mehr hat, die für es sorgen könnten und man Menschen sucht, die dazu bereit sind.

Die „ganz zentrale Botschaft ist, dass homosexuell orientierte Menschen nicht diskriminiert werden dürfen“, sagt Scheuer. Daran wundert mich zunächst, dass ein katholischer Bischof die Terminologie der Gender-Ideologie verwendet, die Papst Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsansprache an die Kardinäle 2012 eindeutig und mit großer intellektueller Klarheit verworfen hat. Homosexuell ist man durch eine genetisch bestimmte Veranlagung. Sich sexuell zu „orientieren“, also aus mehreren Möglichkeiten zu wählen, was man sein will, ist Gender-Ideologie.

Eigentlich habe ich immer gedacht, „ganz zentral“ bei der Frage nach der Adoption sei das Wohl des Kindes. Dieser Gedanke kommt bei Scheuer überhaupt nicht vor. Wodurch das Kindeswohl garantiert werden kann und wodurch es gefährdet wäre, ist genau der Gegenstand der Auseinandersetzung. Zwar verwendet Scheuer die von Bischof Egon Kapellari gern zitierte Wendung, dass „Differenzierung keine Diskriminierung“ sei. Was aber bedeutet das bezogen auf die Adoption: Sollen Homosexuelle nun adoptieren dürfen oder nicht? Ist es eine Diskriminierung, wenn sie es nicht dürfen?  

Warum fällt Scheuer und seinen Mitbrüdern im bischöflichen Amt eine klare Antwort auf diese ethisch und gesellschaftspolitisch höchst relevante Frage so schwer? Die letzte Sitzung der Bischofskonferenz hat sich dazu nicht geäußert, obwohl die öffentliche Debatte dazu im vollen Schwange ist. Stattdessen hat sie sich für die Einführung der Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Dafür also fühlen sich die Bischöfe sachlich zuständig, nicht aber für eine Frage, bei der es immerhin um etwas geht, was nun wirklich zentral für die katholische Auffassung von der sozialen Existenz des Menschen ist, nämlich die Familie. Darin weiß ich mich mit Kardinal Kasper und Papst Franziskus einig.

Dürfen sich Katholiken, die sich etwa in der Politik eine Orientierung durch ihre Bischöfe erwarten (viele sind es ohnehin nicht mehr), wenigstens an Frau Schaffelhofer halten, die als Präsidentin der Katholischen Aktion ja in Übereinstimmung und unter der Oberleitung der Bischöfe handelt? Als sie für die klare Position, die sie im Fernsehen eingenommen hat, öffentlich denunziert und auch aus ihrem eigenen Verband kritisiert wurde, hat sich aber kein Bischof zu ihrer Verteidigung zu Wort gemeldet. Man wüsste gern: Weil man nicht ihrer Meinung ist oder weil man „nur“ nicht den Mut dazu hatte? 

Die Bischöfe sollen sich nur nicht täuschen! Die Frage nach der Adoption ist nur ein Vorspiel. Es werden härtere Tage kommen und sie sind schon da: Wenn es demnächst um die Homo-„Ehe“ geht, dann um die Leihmutterschaft und um Sexualerziehung im Sinne von gendermäßiger Auswahl aus verschiedenen sexuellen „Orientierungen“, die gewissermaßen im Angebot stehen. Das wird dann auch für katholische Schulen gelten, versteht sich. Denn sie bekommen ja öffentliche Subventionen und die Lehrer bezahlt. Innsbruck ist nicht weit weg von Baden-Württemberg, wo das schon durchgespielt wird. Werden wir von den Bischöfen auch dann als „zentrale Botschaft“ hören, es dürfe niemand diskriminiert werden, vor allem nicht Homosexuelle?

Dr. Hans Winkler ist Kolumnist. Er war früher Leiter des Wiener Büros der „Kleinen Zeitung" und deren Stellvertretender Chefredakteur.

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Kriegsgefahr: Die Schuldigen drucken

In der Ukraine kann es nun offenbar doch zu einem großen Brand kommen, nachdem es ein paar Tage lang nach einer relativen Beruhigung ausgesehen hatte. Ohne dass diesen großen Brand wohl jemand so beabsichtigt, ohne dass ihn jemand wirklich will. Aber die Akteure haben nicht wie ein Schachspieler gleich mehrere Züge weitergedacht, sie haben nicht die weiteren Konsequenzen überlegt. Wer ist schuld daran?

Vor der Prüfung der ukrainischen Schuldfrage machen wir einen ebenso aktuellen und zugleich lehrreichen Blick auf einen ganz anderen Kontinent. Ohne dass es in Europa sonderlich beachtet worden ist, tobt in Afrika von Monat zu Monat schlimmer ein immer heftiger werdender Krieg, der schon abertausende Todesopfer gefordert hat: Von Küste bis Küste ist südlich der Sahara ein erbitterter Kampf zwischen Moslems und Christen im Gang. Fast in jedem der Länder, die sowohl moslemisch wie auch christlich-animistisch sind, ist ein furchtbares gegenseitiges Abschlachten in Gang, das offenbar niemand mehr stoppen kann.

Wohl sind dort offensichtlich die Moslems die Brutalsten, sei es in Nigeria, sei es in Mali, sei es in Ägypten, sei es in Somalia. Aber auch die Christen schlagen mancherorts brutal zu, wie etwa in der Zentralafrikanischen Republik. Und niemand wird je genau sagen können, ob es ein Zuschlagen oder ein Zurückschlagen ist. Gleichzeitig wird vieles dieser religiösen Polarität auch von Stammes-Antagonismen und Kriminalität überlagert. Tatsache ist aber: Europa schaut weitgehend weg. Mit der kleinen Ausnahme Frankreichs, das in einigen seiner ehemaligen Kolonien zwar für Ordnung zu sorgen versucht, aber das ebenfalls zunehmend hilflos wirkt.

Diese sich immer mehr eskalierende afrikanische Dramatik wird in Europa freilich auch deshalb gerne übersehen, weil viele hier ja das Gefühl haben, von den Tugendwächtern würde jede Äußerung zu Afrika sowieso als rassistisch eingestuft. Umso gebannter blickt Europa auf die Vorgänge in der Ukraine. Aber hilflos ist es offensichtlich auch dort.

Wer aber ist schuld an den dortigen Eskalationen?

1: Gewaltverbot

Es besteht kein Zweifel: Selbst wenn jedes Detail wahr wäre, dass die russische Propaganda verbreitet (und das am linken wie auch am rechten äußersten Rand hierzulande auch erstaunlich kritiklos geglaubt wird), so liegt doch eindeutig die Hauptschuld bei Russland. Denn nichts von den Vorgängen in der Ukraine rechtfertigt eine Intervention von außen, selbst wenn die erfindungsreiche Propaganda Russlands die volle Wahrheit sagen sollte.

Russland ist weder bedroht worden noch hat es in der Ukraine der letzten Wochen Menschenrechtverletzungen in einer relevanten Diskussion gegeben. Auch hat der UNO-Sicherheitsrat in keiner Weise eine Intervention auf der Krim und jetzt in der Ostukraine genehmigt.

Dennoch kann kein Zweifel mehr bestehen, dass auch in der Ostukraine die Besetzungen von Moskau durchgeführt worden sind. Wie auf der Krim sind es militärisch organisierte Einheiten, die in organisierter Art ein Gebäude nach dem anderen besetzen. Und da Marsmännchen auch in der Ukraine relativ selten sind, sind es wohl unzweifelhaft neuerlich russische Spezialtruppen.

Mit seinen Interventionen verstößt Moskau nicht nur gegen die vielen Chartas, die seit 1945 ausdrücklich ein Gewaltverbot beschwören. Moskau verletzt zusätzlich auch jenen Vertrag, in dem der Ukraine einst gegen eine Rückgabe ihrer Atomwaffen eine Unverletzlichkeit der Grenzen garantiert worden ist.

Selbst wenn man dem FPÖ-Wien-Sprecher Gudenus zustimmen mag, dass viele Berichte im Westen über die Vorgänge in Kiew einseitig waren, so rechtfertigt das dennoch niemals die Aktionen russischer Soldaten in der Krim und der Ostukraine. Jeder seriöse Vergleich zeigt: Im Grund sind der erste wie der zweite Weltkrieg mit ihrem millionenfachen Leid dadurch ausgelöst worden, dass jemand mit Gewalt Grenzen verändern wollte.

Das sollte auch ein Herr Gudenus begreifen.

(Apropos Vergleiche: Dieser Blog wird weiterhin vergleichen, auch wenn Vergleiche neuerdings von den Tugendwächtern auf den Index gesetzt worden sind. Denn in Wahrheit kann es ohne Vergleiche niemals eine historische Einordnung und eine seriöse Beurteilung geben).

2: Selbstbestimmung

Der Ruf nach einem Verzicht auf militärische Gewalt (außer in den genannten Situationen) kann aber nicht den zweiten in der Ukraine verletzten Grundsatz vergessen lassen: das Selbstbestimmungsrecht. Die Entscheidung, welchem Staat die Menschen eines Gebietes mehrheitlich zugehören wollen, steht in Wahrheit sogar höher als das demokratische Grundrecht zu entscheiden, ob die Partei X, Y oder Z diesen Staat regiert. Es kann keine echte Demokratie ohne Selbstbestimmung geben.

Dieses Grundrecht wird aber bis heute nicht allgemein anerkannt. Weder in der Ukraine noch im Westen. Auch in Russland übrigens nicht. Hier gilt nur: Putin schützt russische Interessen, wo auch immer sie bedroht sind. Aber er gewährt dort keine Selbstbestimmung, wo sie weg von Russland führen würde.

Das Recht auf friedliche Selbstbestimmung hat die Tschechoslowakei eingesehen – und fährt gut damit. Das hat Kanada eingesehen – und fährt gut damit. Das hat Großbritannien eingesehen – und wird damit wohl auch gut damit fahren.

Das akzeptieren aber Italien und Spanien sowie viele andere Staaten nicht. Für sie sind die Zahl der beherrschten Quadratkilometer und damit der „Nation“ noch immer zentral. Solche Länder fahren jedoch in Wahrheit von Venetien bis Katalonien schlecht damit. Diese Länder begeben sich mit der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts auf Dauer in Konflikte, die eigentlich ins 19. Jahrhundert gehören.

Es wäre ein gewaltiger Fortschritt, wenn es nicht nur in klugen Staaten wie Großbritannien oder der Tschechoslowakei ein klares völkerrechtliches Prozedere gäbe, wie solche Selbstbestimmung stattzufinden hat. Natürlich braucht es ein klares Quorum. Klar ist auch, dass ein Referendum jedenfalls mit ordentlicher Vorbereitungsfrist und in voller Artikulationsfreiheit für alle Beteiligten ablaufen muss. Die Völkerrechtler täten daher gut daran, sich viel stärker darauf vorzubereiten.

Wer hingegen wie Gudenus ernsthaft meint, die Voraussetzungen eines ordentlichen Referendums wären etwa in der Krim gegeben gewesen, dem ist nicht zu helfen. Noch weniger zu helfen ist ihm, wenn er das Gewaltverbot ignoriert. Wer ernsthaft Gewaltanwendung mit dem Wort „Selbstbestimmung“ rechtfertigt, der nimmt letztlich in Kauf, dass die halbe Welt in Brand gesteckt wird.

Seine Argumentationslinie gibt übrigens auch den antirussischen Kämpfern in Tschetschenien und anderen Regionen jede Legitimation in die Hand. Ob das den diversen Russenfreunden bewusst ist?

Eine qualitativ wichtige Vorstufe zur Selbstbestimmung wäre jedenfalls das Recht auf regionale Autonomie. Rechtzeitige und freiwillige Autonomie nimmt enorm viel Druck aus Konflikten. Aber dennoch wird noch immer selbst der bloße Ruf nach dieser mancherorts bestraft.

3. Die Nichteinmischung

Erst in dritter Linie sind jene Staaten zu tadeln, die ungefragt und von keiner Seite aufgefordert der Ukraine eine Brücken- oder Neutralitätsfunktion geben. Denn mit solchen ungewünschten Vorschlägen widersprechen sie sowohl der Souveränität der Ukraine wie auch dem Selbstbestimmungsrecht.

Das Recht auf Selbstbestimmung muss ja wohl auch für die Ukraine selbst gelten. Wenn die Krim-Bürger ihre Zugehörigkeit frei wählen können, muss dasselbe Recht auch für die Ukraine beziehungsweise ihre Bewohner gelten.

Oder sollen nur Russen dieses Recht haben? Ist man etwa gar dafür, dass ein paar Staatsoberhäupter die Welt wieder nach ihrem Gutdünken einteilen sollen, so wie sie es auf dem Wiener Kongress oder in Jalta getan haben?

Wer die betroffenen Menschen als einzige letztlich relevante Entscheidungsgrundlage nicht ernst nimmt, der kehrt wieder zum Faustrecht zurück.

Es bilden sich neue Allianzen

Hinter dieser grundlegenden Auseinandersetzung um Werte gibt es einige ganz erstaunliche Veränderungen in den staatlichen Beziehungen zu beobachten, deren Konsequenzen wir noch gar nicht abschätzen können:

  • Da verhält sich Israel erstaunlich russland-freundlich; das ist wohl vor allem auf die komplizierten Fronten des Nahostkonflikts und die Spannungen mit den USA zurückzuführen. Das kann aber auch die erstaunliche Folge der Zuwanderung von russischen Juden sein.
  • Da biedert sich Iran massiv dem Westen als Ersatz-Gaslieferant an. Es sieht die Chance, vom Bad zum Good guy Europas zu werden.
  • Da buhlen Russen wie Europäer derzeit auffällig um China, obwohl dort wirtschaftspolitisch eine sehr ruppige Zeit bevorstehen dürfte.
  • Da wird statt EU-Europa fast nur noch Deutschland auf der Weltbühne zur Kenntnis genommen. Was Angela Merkels Popularität noch weiter nach oben schraubt.
  • Da haben sich die USA vor allem im Osteuropa als absolut unverzichtbar erwiesen.
  • Und da ist in der Ukraine selbst plötzlich das Wort von Autonomie und Referendum staatsoffiziell geworden. Leider nicht durch Sieg der Vernunft, sondern als verzweifelte Reaktion auf die russische Attacke.

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Libertas praestantissimum – Die Freiheit ist das Vorzüglichste drucken

In einer Zeit rapiden Verschwindens persönlicher, politischer und ökonomischer Freiheit weltweit – auch und gerade im „Westen“ – wird vielleicht mancher geistig erwachter Zeitgenosse mit den Altvorderen, die uns dieses Desaster eingebrockt haben, zu hadern beginnen. Er wird sich die Frage stellen, ob das „normal“ ist, dass man heutzutage mehr und mehr Gesslerhüte grüßen und Paganisierung und zivilisatorischen Rückschritt, Islamisierung und Genderwahn gut finden muss. Er wird auch fragen, wieso heute ein Nationalstaat mehr und mehr darauf verzichten muss, legitime Eigeninteressen zu formulieren, ja, sich überhaupt als Staat und Nation zu behaupten.

Wenn dieser Zeitgenosse tiefer gräbt und nach den Wurzeln der Freiheitsvernichtung fragt, wird er auf die weltanschaulichen Weichenstellungen im 19. Jahrhundert stoßen. Er wird vielleicht auf die Lehrverkündigung der großen Päpste des 19. Jahrhunderts stoßen. Er wird Augen machen.

Er wird vielleicht lamentieren:
„Hätte man im 20. Jahrhundert doch auf Papst Leo XIII. gehört! Hätten die Entscheidungsträger nur im Auge behalten, dass Freiheit Wahrheit voraussetzt!“

Gewollter Freiheitsverlust

Allerdings wird dieser Zeitgenosse zu einer Minderheit gehören. Denn die Mehrheit – wenigstens hierzulande – scheint das saeculum als unausweichliches Verhängnis, als Naturgesetz oder als alternativlose Normvorgabe zu begreifen – und daher auch keine große Sehnsucht nach Freiheit zu haben. Die sie ohnehin überfordern würde. Denn es scheint so zu sein, dass viele Menschen, die echte Freiheit nicht kennen gelernt haben, sich gar nicht mehr nach ihr ausstrecken können bzw. wollen. Freiheit ist anstrengend.

Wenn man sich umblickt, gibt es mehr und mehr Zeitgenossen, die mit ihrer ursprünglich gottgegebenen Freiheit immer weniger anzufangen wissen. Vielen Menschen ist die Freiheit eine Last. Sie wollen lieber Zombies sein.

Das wird durch den abscheulichen, grassierenden Brauch des „Zombiewalk“ sinnbildlich unter Beweis gestellt: Sich in eine Masse von ferngesteuerten „Untoten“ einzufügen, ist offenbar angenehm. Grunzlaute, Grimassen und kübelweise grässliche Schminke als Zeichen der Zeit? Offenbar. „Untot“ zu sein enthebt einen der moralischen Verantwortung und der Last der Lebensgestaltung? Vermeintlich.

Aber auch weniger grell-abstoßende Manifestationen der Ablehnung der Freiheit gibt es: Gerade in (vermeintlich) gebildeten Kreisen gehören deterministische Ideen zum guten Ton. Was für eine grandiose neurologische Entdeckung ist es z. B., dass „eigentlich“ das Gehirn entscheidet und die Freiheit Illusion ist! Das Bewusstsein als „Epiphänomen“. Wundervoll.

Schließlich hat auch die Psychoanalyse mit ihren krausen Ideen zu einer – intendierten! – Reduktion menschlicher Freiheit, damit auch menschlicher Verantwortlichkeit beigetragen.
Soweit man die Psychoanalyse überhaupt auf einen rationalen Nenner bringen kann.

Politische Unfreiheit als Entlastungsmechanismus

Auf politischer Ebene will man derzeit offenbar nichts sehnlicher, wenn man den maßgeblichen österreichischen Politikern zuhört, als in einem Konglomerat, einem cluster, einer Verklumpung der europäischen Staaten unter ihrer Auflösung in einem allwissenden Superstaat aufzugehen.

Freiheit ist schwer. Was soll man mit ihr anfangen? In Zeiten rapide schwindenden Glaubens ist nämlich die Frage nach dem Sinn der Freiheit (bzw. nach dem Sinn des menschlichen Lebens überhaupt) praktisch nicht mehr beantwortbar. Somit ist auch die Freiheit im wahrsten Sinn des Wortes „sinn-los“ geworden. Es lebt sich dann angenehmer als „glücklicher“ Sklave von political correctness, „Integrations“-Rhetorik und EU-„Alternativlosigkeit“. Oder vermeintlich angenehmer, denn das Gewissen signalisiert Unbehagen.

Papst Leo XIII. Enzyklika Libertas praestantissimum als aktueller Text

Anlässlich der genannten Weichenstellungen und der Veröffentlichung dieses Dokuments eines großen Papstes als Hörbuch wollen wir daher einige grundsätzliche und aktuelle Erwägungen zur menschlichen Freiheit anstellen.

Beginnen wir am Anfang (Text nach http://www.kathpedia.com/index.php?title=Libertas_praestantissimum_%28Wortlaut%29, minimal redigiert):

Die Freiheit, diese äußerste wertvolle Gabe der Natur, kommt nur den Wesen zu, welche den Gebrauch der Intelligenz oder Vernunft besitzen. Sie verleiht dem Menschen jene Würde, wodurch er sich selbst in der Hand hat bei seinen Entschlüssen, und so Herr über seine eigenen Handlungen wird. Es kommt aber sehr darauf an, wie man sich dieser Würde bedient, da aus dem Gebrauch der Freiheit die höchsten Güter, aber auch die größten Übel erwachsen. Gewiss steht es in des Menschen Macht, der Vernunft zu gehorchen, das sittlich Gute zu wählen und geraden Wegs sein höchstes Ziel zu verfolgen. Doch kann er auch nach jeder Richtung hin abirren: er kann einem trügerischen Scheingute folgen und so die sittliche Ordnung stören und sich freiwillig ins Verderben stürzen (1).

Die Freiheit, das Übel, das Minderwertige, das Böse zu tun, gehört nicht zur Freiheit:

Missbrauch der Freiheit hebt sie selbst auf. Sich irren können und sich wirklich irren ist ein Fehler, der die Unvollkommenheit unseres Verstandes beweist; wenn auch das Verlangen nach einem trügerischen und nur scheinbaren Gute ein Beweis unserer Freiheit ist, wie auch krank sein noch ein Beweis des Lebens ist, so ist jenes Verlangen doch ein gewisser Mangel der Freiheit. Dadurch also, dass der Wille vom Verstande abhängig ist, verdirbt er, wenn er etwas der gesunden Vernunft Widersprechendes anstrebt, durch diesen Fehler die Freiheit in der Wurzel und begeht einen Missbrauch derselben. Aus eben diesem Grunde besitzt Gott, der unendlich Vollkommene, der die höchste Weisheit und die wesenhafte Güte selbst ist, die höchste Freiheit und kann das sittlich Böse in keiner Weise wollen; ebenso wenig können es die Seligen des Himmels, da sie die Anschauung des höchsten Gutes besitzen (6).

Der Katechismus der Katholischen Kirche von 1992 bringt es diesbezüglich mit einer eingängigen Formulierung auf den Punkt: „Je mehr man das Gute tut, desto freier wird man“ (KKK 1733).

Der Papst wusste auch um die Notwendigkeit des Gesetzes, vor allem um das im Gewissen erkennbare natürliche Sittengesetz:

Der letzte Grund, warum dem Menschen ein Gesetz notwendig ist, liegt mithin in dem freien Willen; unsere Willensentschlüsse sollen nämlich mit der rechten Vernunft im Einklang stehen. Nichts ist deshalb so falsch und so unsinnig, wie die Behauptung, der Mensch dürfe die Fessel des Gesetzes nicht tragen, weil er von Natur aus frei ist. Wenn das wahr wäre, so würde daraus notwendig folgen, zur Freiheit gehöre, dass sie mit der Vernunft nichts zu tun habe; gerade das Gegenteil ist zweifellos richtig (…).

Ein solches Gesetz ist an erster Stelle das Naturgesetz, welches geschrieben steht und eingegraben ist in die Seele jedes einzelnen Menschen; es ist nämlich die menschliche Vernunft selbst, die da das Gute befiehlt und das Böse verbietet (7f).

Hier ist schon der Dissens unserer Zeit gegen diese ewige Wahrheit zu erkennen. Die Zeichen sind an der Wand. Da und dort wird – trotz immer noch vorkommender emphatischer Berufung auf das „Gewissen“, besonders wenn es um Rechtfertigungen für den Bruch göttlicher Gesetze geht – das Gewissen als objektive Stimme im subjektiven Bewusstsein geleugnet und umgedeutet. Es ist ja doch lästig.

In diese Kerbe schlägt auch die „Moderne“ mit ihrer „Selbstemanzipierung“ und „Selbstermächtigung“ und wie die Schlagworte alle heißen mögen. Alles Selbstbetrug.

Liberalismus als Täuschung: Ideologie gegen echte Freiheit

Politisch brisant sind die Ausführungen des Papstes zum „Liberalismus“ seiner Zeit. (Man soll mit diesen Etiketten sehr vorsichtig sein, da sie ihre Bedeutung über die Zeit wandeln oder – durch das Auftreten von Gegensätzen – mehrere Facetten bekommen. Manche dieser „-ismen“ sind auch Fremdzuschreibungen mit polemischer Absicht.) Die Grundaussage von Papst Leo ist, dass der zu seiner Zeit orchestrierte „Liberalismus“ die Freiheit nicht nur nicht garantiert, sondern sie im Gegenteil unterminiert, und zwar durch die Zuerkennung von Legitimität an alle möglichen Irrtümer, die wiederum die Freiheit aufheben. Damit nützt er letztlich den skrupellosen Mächtigen, die sich ihrerseits von den Ansprüchen des Sittengesetzes dispensiert betrachten.

Nur wenn die (natürlich erkennbare und geoffenbarte) Wahrheit durch das Gemeinwesen geschützt wird, kann es in weiterer Folge Freiheit geben.

Als Beispiel sei nur die unbeschränkte Rede- und Pressefreiheit herausgegriffen, die damals als Popanz aufgebaut wurde, aber ihren Todeskeim schon in sich trug:

Wir brauchen kaum zu erwähnen, dass eine solche unbeschränkte, alles Maß und alle Schranken überschreitende Freiheit kein Recht auf Existenz besitzen kann. Das Recht ist nämlich eine sittliche Macht, und es ist daher töricht zu glauben, dasselbe sei von der Natur unterschiedslos und in gleichem Maße sowohl der Wahrheit wie der Lüge, der Sittlichkeit wie dem Laster verliehen. Es besteht ein Recht: das, was wahr und sittlich ist, frei und weise im Staat auszubreiten, damit es möglichst vielen zu gute komme; mit Recht unterdrückt aber die Obrigkeit, so viel sie kann, lügenhafte Meinungen, diese größte Pest des Geistes, wie auch Laster, welche die Seelen und die Sitten verderben, damit sie nicht zum Schaden des Staates um sich greifen (23).

Wir sehen derzeit ohnehin mit eigenen Augen, wie die unbeschränkte Pressefreiheit mit innerer Logik in ihr Gegenteil gekippt ist: Nachdem lange Zeit alles möglich war, ist aus Gründen der Staatsraison eine rigide rechtliche, politische und (pseudo-)moralische Beschränkung dessen, was man sagen oder schreiben darf, oktroyiert worden. Freiheit, die sich nicht an das Gute und die Wahrheit bindet, führt zwangsläufig in die Unfreiheit der Lüge. Das Gute setzt sich eben nicht automatisch durch. Es muss geschützt werden. Das sollte gerade im 20. Jahrhundert klar geworden sein.

Papst gegen den totalen Staatsutilitarismus

Die Enzyklika ist auch aus einem anderen Grund von aktueller Relevanz: Papst Leos Scharfsicht ließ ihn die Ideologie der USA kritisch bewerten. Der „Amerikanismus“ als geistesgeschichtliche Größe ist zwar ein komplexes Thema (der Ausdruck hat mehrere Facetten), in unseren Tagen spätestens ist jedoch klar geworden, dass der nackte Staatsutilitarismus („erlaubt ist, was uns nützt“) eine Gefährdung von Frieden und Freiheit darstellt. Die Vereinigten Staaten unterstützten im 19. und 20. Jahrhundert Revolutionen, wo es ihnen opportun erschien, und trugen somit zur Zerschlagung gewachsener Strukturen bei.

Auch Österreich war im Visier dieser Intrigenpolitik. (Es ist vielleicht auch in diesem Forum nicht überflüssig, in diesem Zusammenhang Heinrich Drimmels augenöffnendes Werk „Die Antipoden – Die neue Welt in den USA und das Österreich vor 1918“ noch einmal in Erinnerung zu rufen.) Dasselbe tun sie heute. Heute bedienen sich die USA, wie wir sehen, auch jihadistischer Gruppen (die sie ja angeblich bekämpfen) und rechtsradikaler Nationalisten, um andere Länder zu destabilisieren und sich dann dort als Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen, Zugriff auf Bodenschätze inklusive. Kollateralschäden werden in Kauf genommen.

Hier ist der Utilitarismus zur völligen Abscheulichkeit aufgelaufen. Davor hatte Papst Leo gewarnt. Die falsch verstandene „Freiheit“ als Selbstermächtigung gegen andere.

Fazit

Unsere Zeit hat die ideologischen Vorgaben des „Liberalismus“ der Zeit von Papst Leo XIII. (heute eher das ganze linksliberale Sammelsurium: political correctness, mit ihren Zauberwörtern „Integration“, „Inklusion“, „Fortschritt“ u.s.w., dabei konfiskatorische Steuersätze und Ausufern der Staatskompetenzen) dermaßen internalisiert, dass sich nur ganz wenige fragen, ob Politik, Kultur und Geistesleben wirklich so sein müssen, wie sie sind, oder ob es nicht Alternativen gibt. Die Katholische Kirche hätte die Kompetenz, zur echten Freiheit im Geiste zu erziehen, da nur die Wahrheit frei macht (vgl. Joh 8, 32). Sie hätte auch die Kompetenz zur Ausbildung sozialer Strukturen, die weitgehend staatsunabhängig sind, vor allem der christlichen Familie.

Viele haben sich jedoch mit dem Status quo arrangiert. „Die glücklichen Sklaven sind die entschiedensten Gegner der Freiheit“, wie es sprichwörtlich heißt.

Leider hat auch die kirchliche Lehrverkündigung andere Wege beschritten – ohne allerdings formal das ältere Lehramt aufzuheben und aufheben zu können. Der politische Optimismus des II. Vaticanums hat sich als trügerisch und surreal erwiesen. Die Welt ist eben nicht so, wie man es in Dignitatis humanae und anderen Dokumenten herbeigewünscht hat. Die Folgen reichen von politischer Unfreiheit über die kulturelle Gleichschaltung bis zum persönlichen, selbst gewählten und internalisierten Zombietum.

Das gegenwärtige Lehramt, in diesem Fall die Enzyklika Evangelii gaudium des regierenden Papstes, ist übrigens inhaltlich äußerst schwer nachzuvollziehen. Es bleibt offen, was hier überhaupt intendiert ist. Im Gegensatz zu den lehramtlichen Erklärungen der Päpste des 19. Jahrhunderts ist diese „exhortatio“ eine Äußerung des Lehramtes, das die alten Maßstäbe verloren hat und sich in uferlose und verworrene Wortkaskaden auflöst.

Daher wäre es ein großer Segen, sich an den präzisen, nachvollziehbaren und relativ knapp gehaltenen Ausführungen von Leo XIII. zu orientieren.

Die Veröffentlichung einer historischen, aber überzeitlich aktuellen und gegenwärtig überaus relevanten Enzyklika als Hörbuch ist eine originelle und fortsetzungswürdige Idee. Der verlesene Text verdient auf alle Fälle gründliches Studium.

Wolfram Schrems, Mag. theol., Mag. phil., Linz und Wien, kirchlich gesendeter Katechist

Libertas praestantissimum – Die Freiheit ist das Vorzüglichste!
Enzyklika Leo XIII., 20. Juni 1888; 2 Audio-CD, Spieldauer 1:28 h, Sarto, 2014. http://www.sarto.de

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Was ist liberal? drucken

Die Volkspartei will liberaler werden, heißt es allenthalben. Würde sie das nur! Die ÖVP wird jedoch das Gegenteil, also linker und nicht liberaler.

Es sei denn, man spricht Amerikanisch, wo liberal (betont auf der ersten Silbe) das dort unbekannte „sozialdemokratisch“ bedeutet. Mehr Staatseinfluss, mehr Steuern, reglementierte Schulen, Bevorzugung von Schwulen. Die europäische Bedeutung von liberal (betont auf der letzten Silbe) heißt jedoch etwas ganz anderes: Weniger Staat – gleichgültig ob es um den Staat in seiner europäischen oder seiner nationalen Ausprägung geht –, niedrigere Steuern, mehr Freiheit und Vielfalt.

Wenn die Salzburger und steirische ÖVP sich neu, linker positionieren wollen, dann mögen sie nur. Die ÖVP ist ja auch schon davor von dem famosen Josef Pröll etliche Kilometer zum amerikanischen liberal hingeleitet worden. Selbstmord, auch politischer, ist ja straffrei.

Aber es ist einfach eine intellektuelle Zumutung, wenn ein Herr Haslauer, ein Herr Drexler und offensichtlich auch zwei oder drei neue Minister ihren Linksmarsch als liberal bezeichnen. Wenn sie – und die linken Mainstream-Medien – mit liberal nicht mehr liberal, sondern liberal meinen. Was sie offenbar nicht wissen: Rot, Grün und Pink sind schon erfunden. Da ist kein Platz mehr.

In jedem anderen Land der Welt hingegen hat der klassische Liberalismus vereint mit dem Konservativismus, zu dem auch das nationale und identitäre Denken gehören, die Mehrheit. Nur in Österreich nicht. Meinen die meist sehr provinziellen ÖVP-Wender, dass es ausgerechnet hierzulande nur noch linke, aber keine liberalen und konservativen Menschen mehr gibt? Oder verwechseln sie gar veröffentlichte mit öffentlicher Meinung?

Der große Vordenker des liberalen Denkens, Friedrich August Hayek, sieht zwar viele Ähnlichkeiten zwischen konservativ und liberal. Er hat sich aber primär immer deshalb als Liberaler bezeichnet, weil die Konservativen den Linken leider nur zeitweiligen Widerstand leisten. Liberale wüssten hingegen immer, wofür sie stehen. Während Konservative nach verlorener Schlacht oft das für richtig hielten, was die Linken durchgesetzt haben, wird das ein Liberaler nie tun. So Hayek in einem hochinteressanten Text.

In der Folge einige Punkte, wo etliche Schwarze heute glauben, durch Linksrücken liberal zu werden. Wo sie aber eben bestenfalls liberal werden, also sozialdemokratisch mit der Betonung auf der ersten Silbe.

Gesamtschule

Gegen die Neue Mittelschule sprechen aus liberaler Sicht schon die weit höheren Kosten für die Gesamtschule bei schlechteren Ergebnissen als die einstige Hauptschule. Dieser Kosten hat sich aber einst nicht nur die SPÖ, sondern auch die Pröll-Amon-ÖVP berühmt.

Statt des linken Prinzips von höheren Kosten (wie immer zu Lasten der Steuerzahler) und von noch mehr Egalität wären natürlich auch beim Schulthema ganz andere Grundsätze liberal (und richtig): öffentliche Sparsamkeit, individuelle Freiheit und mehr Leistung. Es ist mehr als erstaunlich, dass all die progressiven Anhänger der Gesamtschule die katastrophalen Ergebnisse der NMS im Inland und fast aller Gesamtschulen im Ausland einfach wegignorieren.

Jetzt werden die Schulen halt einfach nicht mehr getestet – und die „Liberalen“ schweigen. Ebenso wie sie zu den wirklichen Gründen schweigen, warum Finnland als einziges europäisches Gesamtschulland bei internationalen Tests gut abscheidet: Dort gibt es nämlich im Vergleich zu Österreich kaum ein Zehntel der Zuwanderer aus fremdsprachigen Kulturen.

Besonders unliberal an jeder Gesamtschule ist aber noch etwas ganz anderes: der mit ihrer Einführung verbundene Zwang. Liberal wäre ganz eindeutig das Gegenteil. Also dass jeder (je nach Alter: Eltern, Schüler) völlig frei den Schultyp auswählen können soll. Dass es schon ab dem sechsten Lebensjahr eine Vielfalt vom Staat gleich behandelter Schul- und Unterrichtsformen gibt; und dass es erst recht ab dem zehnten Lebensjahr mehr als die gegenwärtigen zwei Formen gibt. Aber keinesfalls nur eine einzige Form.

Das rot-grün-pinke Projekt einer Gesamtschule (oder wie sie von manchen sprachlich getarnt wird: einer „gemeinschaftlichen“ Schule) ist natürlich das absolute Gegenteil von einer solchen Wahlfreiheit.

Meinungsfreiheit

Kein einziges Mal hat sich einer der jetzt angeblich „Liberalen“ (ob in der ÖVP oder bei den Neos) gegen die fortschreitende Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Strafgesetze gestellt. Dabei ist Meinungsfreiheit wohl überhaupt einer der obersten liberalen Werte. Diese Einschränkung erinnert lebhaft an Metternich mit seiner Zensur. Sie geschieht durch Gummiparagraphen nach Art der „Verhetzung“ oder den Ungeist der Political correctness.

Immer wieder muss man die „Liberalen“, die links für liberal halten, an Voltaire erinnern, der bis zum letzten die Meinungsfreiheit verteidigt hat. Er hat das gerade dann getan, wenn mit deren Hilfe ein totaler Unsinn gesagt wird, wenn Meinungsfreiheit für total Unrichtiges verwendet wird.

Abgesehen von der philosophischen Erkenntnis, dass zumindest in der diesseitigen Welt ohnedies niemand die ganze Wahrheit kennt: Die einst so bitter erkämpfte Meinungsfreiheit wird ja nur dann relevant, wenn jemand einer dummen oder falschen Meinung ist.

Vertragsfreiheit

Ein besonders wichtiger Teil der Freiheiten, für die wirklich Liberale immer gekämpft haben, ist die Vertragsfreiheit. Diese soll nun nach Wunsch breiter Teile der EU-Kommission durch ein sogenanntes „Diskriminierungsverbot“ auch im privaten Bereich dramatisch eingeschränkt werden. Nach Wunsch dieser immer stärker links beherrschten EU-Kommission wird man künftig als Arbeitgeber oder Wohnungsvermieter selbst beweisen müssen, warum man nicht den sich bewerbenden Schwulen oder Moslem angestellt beziehungsweise die Wohnung gegeben hat. Andere Bewerber kann man hingegen argumentationslos abweisen.

Das ist eine ganz dramatische Einschränkung der Vertragsfreiheit. Diese ist bisher dankenswerterweise auch zwei Mal von der ÖVP, als sie noch nicht so fortschrittlich-linksliberal war, abgelehnt worden.

Jetzt aber lässt sie – offenbar fortschrittlich geworden – auf EU-Ebene dem extrem links agierenden Sozialministerium unwidersprochen freie Bahn. Was der SPÖ die nächste Attacke auf die individuelle Freiheit ermöglicht (auch wenn man vor den EU-Wahlen wohlweislich nicht davon spricht).

Steuern

Da wurde vor der Wahl liberal versprochen, dass es mit der ÖVP keine Steuererhöhungen geben werde. Nach der Wahl legte der ÖVP-Obmann höchstpersönlich und ohne kommunizierte Not solche vor.

Die Steuerfrage ist übrigens von den hier aufgezählten der einzige Punkt, wo die Neos tatsächlich liberal im klassischen Sinne sind. Ansonsten positionieren sie sich ja leider meist links von der ÖVP.

Schwulenehe

Ein wirklich Liberaler würde bis heute vehement dagegen protestieren, dass seit einigen Jahren eine neue Gruppe ohne jeden Grund Privilegien zu Lasten Dritter bekommen hat. Diese Privilegien, welche die Schwulenaktivisten erkämpft haben, sind die Eintrittsrechte in Billigmieten zu Lasten von Wohnungseigentümern; sind die Gratis-Witwer-Pensionen, die sie nun Pröll und Gusenbauer sei Dank von uns erhalten.

Davon redet jedoch keiner der angeblich Liberalen. Vordergründig wird vielmehr um die Lächerlichkeit gestritten, ob Schwule nun „Nachnamen“ oder „Familiennamen“ haben. Was seit der prinzipiellen Kursänderung unter Josef Pröll nun schon wirklich wurscht ist.

Noch absurder ist: Die konservativen Katholiken kämpfen jetzt stark dagegen, dass schwule Verpartnerungen auf Standesämtern stattfinden. Statt dass sie gerade als Katholiken gegen JEDE Zeremonie auf Standesämtern eintreten. Genauso wie es jeder wirklich Liberale täte. Was diese Katholiken offenbar nicht mehr wissen: Die staatlichen Eheschließungen in der heutigen Form sind in Österreich erst im 20. Jahrhundert eingeführt worden – als Kampfinstrument gegen die religiöse Eheschließung.

Genauso kommen wirklich Liberale zu dem Schluss: Der Staat sollte absolut nichts mit irgendeiner privaten Zeremonie zu tun haben. Christen können eine solche in der Kirche veranstalten, und jeder andere, wo er sonst will. Am Donauturm, im alten Rittersaal, im Hubschrauber, im Gasthaus-Festsaal, in der Moschee.

Der Staat selbst hat hingegen so wie bei der Geburt, bei der Scheidung und beim Tod überhaupt nichts zu organisieren. Und schon gar nicht peinlich-schwülstige Hochzeitsreden eines Beamten. Der Staat hat ohne jede Zeremonie zu beurkunden und die rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen. Aus.

Übrigens: Eheschließungen gingen einen liberalen Staat auch dann nichts an, wenn nicht ohnedies mindestens jede zweite Ehe in Trümmern, also meist Scheidungen enden würde.

Wenn sie dann gar kein Argument mehr haben, holen dann die Schwulen-Aktivisten ihr letztes Argument hervor: Aber Homosexuelle würden sich doch so brav und fürsorglich umeinander kümmern. Nun, glauben wir halt diese Behauptung (auch wenn wir keine statistische Evidenz dafür gefunden haben). Fragen wir lieber: Wenn das der Grund für die finanzielle Freizügigkeit des Staates sein soll – was ist dann mit all jenen, die sich ebenfalls brav und fürsorglich umeinander kümmern, aber ohne eine Ehe abschließen zu können oder wollen?

Was ist etwa mit den alt gewordenen Geschwistern, die sich in weit größerer Zahl um einander kümmern? Sollen die etwa gar vorgeben, eine inzestuöse Beziehung zu haben? Was ist mit den Bewohnern eines Klosters? Warum bekommt jener Mönch, der immer gekocht und geputzt hat, dann nicht auch eine Witwerrente nach dem anderen Mönch, der staatlicher Schulprofessor gewesen ist?

Witwenrenten

Ein wirklich Liberaler würde auch längst schon dagegen kämpfen, dass kinderlose Ehepartner eine fette Witwer- oder Witwenrente bekommen. Ohne dass für diese jemals ein Cent eingezahlt worden wäre. Warum bitte? Warum bekommen solche Hinterbliebene über ihre Eigenpension hinaus noch eine zweite Pension? Wo war ihre Leistung?

Bei der Einführung der Witwenrenten im 19. Jahrhundert hat man natürlich nur an die Versorgung von Witwen gedacht, die den Großteil ihres Arbeitslebens mit der Kinderaufzucht verbracht haben und die deswegen ohne Eigenpension dagestanden sind. Oder an die bei einem Arbeitsunfall früh verstorbenen Familienerhalter. Damals ist man ja meist vor dem Pensionierungsdatum gestorben. Damals hat ja fast jede Ehe Kinder in die Welt gesetzt oder zumindest diese Absicht gehabt. Da war es logisch und einfacher, gleich alle Witwen zu versorgen.

Das ist heute gewiss nicht mehr der Fall. Viele Ehen bleiben kinderlos. Die Gratis-Witwenrente ist sicher nicht für die Luxuspartnerin gedacht, die ohne Arbeitstätigkeit das Leben an der Seite des Karriere-Mannes verbringt und die sich nicht mit Lästigkeiten wie Kindern abgibt. Die dann aber eine dicke Witwen-Pension erhält.

Liberal heißt zum Unterschied von Interessenpolitik eben immer, nach rationalen, sparsamen und gerechten Lösungen zu suchen. Eine Berechtigung für solche Witwenrenten gibt es in einer liberalen Perspektive immer nur, wenn Kinder betreut worden sind.

Liberal vs. konservativ

Auch hier deckt sich übrigens eine echt liberale Sichtweise so wie in der Schulfrage weitgehend mit einer wertkonservativen. Nur haben skurrilerweise die Verbands-Konservativen – etwa die Familienverbände – nie nach der Abschaffung von Witwenrenten für Kinderlose gerufen. Dabei gäbe es wahrscheinlich nur so mehr Geld für Mehrkinderfamilien.

PS: Zeigt nicht der Wahlerfolg der Neos den Trend zu linker Liberalität? Nein, denn in den nie präzise werdenden Wortschwall des Matthias Strolz projiziert jeder etwas total anderes hinein. Und kaum werden die Neos präziser, dann wird bei ihnen wie einst bei Heide Schmidt liberal ganz offenkundig auch auf der ersten Silbe betont. Das kann man an der pinken Unterstützung für die Zwangsgesamtschule genauso ablesen wie an ihrer undifferenzierten Unterstützung für alle schwulen Anliegen.

PPS: Wer in den letzten Monaten nach irgendwelchen Positionslichtern des ÖVP-Obmannes zu den einschlägigen Streitpunkten sucht, der wird keine finden. Er hat sich ja von einem skurrilen PR-Berater ins Finanzministerium treiben lassen, wo er sich als schwer überfordert zeigt. Und schweigt ansonsten überall, wo die schlingernde ÖVP dringend Führung bräuchte.

 

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Wofür der Kapitalismus nichts kann drucken

Die politische Klasse hat es, Hand in Hand mit den ihr treu verbundenen Lohnschreibern der Massenmedien und den Intellektuellen, geschafft, faktisch alles Böse auf dieser Welt dem Kapitalismus anzulasten. Wie schon anno 1929 ist es ihr beispielsweise in unseren Tagen neuerlich geglückt, die nahezu ausschließlich auf ihrer Seite liegende Schuld an der 2008 ausgebrochenen Wirtschafts- Schulden- und Finanzkrise dem freien Markt und dessen Protagonisten zuzuschieben. Haltet den Dieb! Den „Primat der Politik über die Wirtschaft wiederherzustellen“, wie allenthalben gefordert, heißt folgerichtig, den Bock zum Gärtner zu machen.

Aber nicht nur die üblichen Verdächtigen aus marktfernen, steuerfinanzierten Biotopen im Dunstkreis von Universitäten und Interessenverbänden ziehen hemmungslos gegen all das zu Felde, was nicht unter staatlicher Kuratel steht. Auch die Kirchen sehen sich offensichtlich zum fröhlichen Kapitalismusbashing genötigt. Debattenbeiträge, die von Funktionären der Caritas oder der Diakonie zu Wirtschafts- und Verteilungsfragen abgegeben werden, sind von Stellungnahmen des gewerkschaftlichen Linksblocks mit freiem Auge nicht zu unterscheiden. Papst Johannes Paul II. wusste – dank persönlich gemachter Erfahrungen – noch sehr genau, wie der einzige erprobte Gegenentwurf zum Kapitalismus aussieht, den er folglich zeitlebens entsprechend engagiert bekämpfte. Der gegenwärtige Bischof von Rom, Franziskus, mischte sich hingegen ganz zwanglos unter die rabiatesten antikapitalistischen Scharfmacher. Er erhält für die in seinem Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ geübte, von keinerlei Sachkunde belastete „Systemkritik“, postwendend stehende Ovationen seitens eingefleischter Kommunisten.

Angesichts der unentwegten Kapitalismusschelte, die einem Aufstand gegen Aufklärung und Vernunft gleichkommt und mit einem nahezu totalen ökonomischen Analphabetismus der meisten Zeitgenossen einhergeht, sind sämtliche Initiativen zu begrüßen, die den Kampf gegen irrationale Feindbilder und Mythenbildungen auf ihre Fahnen schreiben. Eine Speerspitze im Kampf gegen die Verbreitung ökonomischen Unsinns bildet die vom ehemaligen Wirtschaftschefredakteur der Wiener „Presse“, Franz Schellhorn, geführte liberale Denkfabrik „Agenda Austria“. Am 1. April (kein Scherz!) war der Autor des Buches „Zivilkapitalismus – Wir können auch anders“ und Mitbegründer des Wirtschaftsmagazins „brandeins“, Wolf Lotter, in deren Räumlichkeiten zu Gast.

Lotter sieht das Problem des zeitgeistigen, alle sozialen Klassen, Bildungs- und Berufsschichten durchdringenden Antikapitalismus darin, nicht über verstaubte Vorurteile, platte Polemik und tausendfach widerlegte Glaubenssätze hinauszukommen und keinerlei Gegenentwürfe anbieten zu können. Es ist ein Missverständnis, dass ein auf Privateigentum und Vertragfreiheit basierendes Marktsystem einen Rechtsanspruch auf Glück garantiert. Es verbessert lediglich die dem Einzelnen zur Verfügung stehenden, materiellen Voraussetzungen, um nach Glück zu streben.

Ein zweifellos nicht perfektes „System“ zu kritisieren, dessen Wesen und Funktion man nicht begreift (Kapitalismus ist eben kein „System“ und keine Ideologie, sondern einfach ein Werkzeug!) fällt leicht. Die Formulierung von Verbesserungsvorschlägen, die nicht auf romantische Träumereien und/oder totalitäre Zwangsanstalten hinauslaufen und die ohne die Züchtung eines „Neuen Menschen“ auskommen, sucht man indes weithin vergebens.

Lotter sieht, wie weiland Friedrich August Hayek, die Verwirklichung politischer Freiheit eng an die Voraussetzung wirtschaftlicher Freiheit gebunden. Ohne ökonomische Autonomie gibt es kein selbst bestimmtes Leben: „Jeder Intellektuelle erhält Applaus, wenn er ökonomische Unbedarftheit zur Schau stellt. Nicht über Granderwasser Bescheid zu wissen, führt ihn indes ins Abseits.“

Dass jetzt das große Lamento anhebt, da der Kapitalismus die alte, auf Status basierende Feudalgesellschaft durch eine „meritokratische“ Vertragsgesellschaft ersetzt und eine zuvor nie gekannte Chancengleichheit herbeigeführt hat – die dank der natürlichen Ungleichverteilung menschlicher Talente natürlich auch wirtschaftliche Ungleichheit nach sich zieht – ist als Treppenwitz der Geschichte zu verbuchen.

Jeder ist seines Glückes Schmied. „Der Liberalismus ist ein Projekt, das der Entmachtung dient.“ Sich der hohen Politik auszuliefern, anstatt sein Schicksal selbst bei den Hörnern zu packen, muss daher in der Unfreiheit enden. „Der Job jedes Einzelnen ist es daher, erwachsen zu werden…“ – und sich jeden (staatlichen) Paternalismus zu verbitten!

http://www.amazon.de/Zivilkapitalismus-Wir-k%C3%B6nnen-auch-anders/dp/3570552314
http://www.brandeins.de/
http://ef-magazin.de/2013/12/06/4721-evangelii-gaudium-harsche-kapitalismuskritik-aus-dem-vatikan

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Der schwerste antikirchliche Vandalismus der Nachkriegszeit, aber Bischöfe und Politik schweigen drucken

In Wien kommt es zu einem schweren Vandalismus gegen gleich vier Kirchen. An einem der Tatorte wird auch der Täter gefasst – aber die Behörden lassen den 37-jährigen Ibrahim gleich wieder frei. Sie bezeichnen seltsamerweise dessen klar muslimisch klingende Motivation als wirres Gerede. Das alles erinnert lebhaft an die Christen in Ägypten: In dem einst christlichen Land kann die christliche Minderheit nur noch unter massivem Polizeischutz ihre Gottesdienste abhalten. (Mit nachträglicher Ergänzung und Präzisierung)

Dennoch sind dort schon an die hundert Kirchen zerstört worden. Und bei uns? Da schauen die Behörden lieber überhaupt weg.

Niemand interessiert sich für die radikalen Imame in den Moscheen, ihre Lehren und Gefolgsleute. Für den Religionsunterricht in manchen Schulen (den wir finanzieren). Für die jungen Moslems, die gerade in Syrien das radikalislamische Tötungshandwerk lernen (und die in Relation zur Bevölkerungsgröße aus Österreich deutlich zahlreicher sind als aus Deutschland, wo aber der Bundesnachrichtendienst massiv aufpasst). Für die Tatsache, dass hierzulande der Islam schon unter allen 28 EU-Ländern den zweithöchsten Anteil aufweist (obwohl Österreich null koloniale Vergangenheit hat).

In Österreich schaut man lieber weg – oder reagiert wie das Kaninchen angesichts der Schlange. In Österreich setzen Rot und Grün schon auf die islamischen Stimmen (so wie ihre Schwesterparteien in Deutschland). In Österreich hat man bei der Volkspartei schon zunehmend ein Appeasement-Gefühl (statt dass sie den Freiheitlichen endlich deren stärkstes Wählermotiv streitig machen würde). In Österreich werden nur Islamkritiker verurteilt (weil sie den Geschlechtsverkehr des Islam-Gründers Mohammed mit einer Neunjährigen als das bezeichnen, was er ist). In Österreich wird die tapfere Initiative Liberaler (=europäischer) Muslime von Morddrohungen verfolgt, während Exekutive und Justiz desinteressiert sind. In Österreich fließt wohl eher die Donau nach Deutschland, als dass einer der feigen Bischöfe endlich den Mund aufmachen und Klartext sprechen würde (oder diese treten höchstens an der Seite der Moslems lautstark für das Schächten ein, das meines Wissens kein christlicher Brauch ist).

So viel Dummheit tut weh.

Irgendwie erinnert sie an kleine Kinder, die ihr Gesicht hinter beiden Händen verbergen, weil sie glauben, dass sie dadurch die Existenz von Unangenehmem verhindern. Die österreichische Politik verbirgt sich hinter beiden Händen, bis es zu spät ist. Viele meinen, dass es eh schon zu spät sei.

Nachträgliche Ergänzung, um niemandem Unrecht zu tun: Möglicherweise handelt es sich bei dem Namen des Afrikaners um einen christlichen und Hintergrund seiner Tat ist eine Wiederbelebung des in Europa schon längst ausgestorbenen Bilderstürmertums mit sektiererisch-protestantischer Motivation. Absout unverständlich ist aber jedenfalls, weshalb die Exekutive den Mann erst im Laufe der Woche wieder vorgeladen hat - obwohl sie bei seiner Freilassung vorerst nur von einer Kirche, nicht von der Zerstörung gleich in vier Kirchen gewusst hat. Und unverständlich ist auch die desinteressierte und total lückenhafte Informationspolitik der Sicherheitsbehörden.
Und: Aus kirchlichen Kreisen heißt es (vorerst unbestätigt), es seien sogar sechs Kirchen mit zum Teil erheblichen Schäden betroffen.

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Ukraine, Neutralität und der Herr Kurz drucken

Ist Sebastian Kurz endgültig die letzte, die vergangene Zukunft der ÖVP? Ist der Mann von allen guten Geistern verlassen? Reihum gibt der Mann nämlich Interviews, in denen er die Neutralität der Ukraine vorschlägt. Ja, er schickt zur Belehrung über selbige sogar schon Diplomaten nach Kiew. Kurz meint nun offenbar – wenige Jahre nachdem die Volkspartei richtigerweise die Neutralität mit Mozartkugeln verglichen hatte! –, die Welt solle am österreichischen Wesen genesen. Es wäre ziemlich gut, würde der junge Mann wenigstens ein bisschen Geschichte lernen, bevor er sich gar so peinlich exponiert.

Gewiss: Ich kann mir schon vorstellen, dass von Raiffeisen bis zur Gasindustrie viele auf dem jungen Minister und wohl auch seinem Parteiobmann draufsitzen. Alle bangen sie um ihre Geschäfte.

Aber alle diese bangenden Manager vergessen, dass bei einem Zusammenbruch der internationalen Ordnung ihre Geschäfte noch tausendmal mehr beim Teufel sind, als wenn man ein bisschen Mut und Grundsatztreue zeigt. Und diese Ordnung kollabiert mit Sicherheit total, wenn Armeen wieder folgenlos in andere Länder einmarschieren können. Wer da zur Tagesordnung übergehen will, vergisst die entscheidenden Grundlagen, auf denen auch seine Geschäfte stattfinden.

Diese Geschäftemacher vergessen überdies, dass Russland jede Maßnahme viel mehr spüren wird. Und dass es schon heute in völlig unerwartetem Umfang unter den scheinbar noch sehr harmlosen Beschlüssen leidet. Sie übersehen völlig die Wirkungen, die jetzt schon die Bankmaßnahmen und die Einreiseverbote für einige russische Drahtzieher haben.

Denn große Geldmengen sind in den letzten Wochen insbesondere auch von Russen aus Russland abgezogen worden. Moskau kann seine Refinanzierung ab Mitte des Jahres nicht mehr sicherstellen. Russische Anleihen werden inzwischen sogar als weit schlechter angesehen denn selbst griechische. Viele Investitionen in Russland sind abgesagt worden. Würde Russland nun im Gegenzug seine Gas- und Öllieferungen stoppen, wäre das Land überhaupt blitzschnell bankrott – was Putin daher nur täte, wenn er völlig wahnsinnig wäre. Die Ersatzlieferanten von (verflüssigtem) Gas für spätere Jahre stehen seit ein paar Wochen in Europa geradezu Schlange, was in wenigen Jahren das russische Gaseinkommen total schrumpfen lassen wird. Und auch die Halbinsel Krim hat sich für Russland als teures Fass ohne Boden erwiesen.

Nachdem Russland gerade in Sotschi schon so viel Geld relativ sinnlos ausgegeben hat, steht es also ziemlich katastrophal da. Die Sanktionen und die Sanktionsdrohungen der USA und aller westeuropäischen Staaten zeigen erstaunliche Wirkung. Das und nur das macht Hoffnung, dass sich zumindest die Krim nicht wiederholen wird. Ganz eindeutig sind die internationalen Verbindungen der Weltwirtschaft heute weit enger und dichter, als sie jemals vor den beiden Weltkriegen waren. Das wird nun Putin – trotz aller Popularität, die er mit seiner nationalistischen Scharfmacherei im Inland gewinnt, – zunehmend klar. Das könnte ihn auch von weiteren Abenteuern abhalten.

Das ist die beste Nachricht dieser letzten Wochen. Neben der Standfestigkeit des Westens lässt die Globalisierung mit großer Wahrscheinlichkeit jetzt in Moskau wieder die Rationalität obsiegen.

Neutralität hat es 1955 nur nach dem  Abzug der Sowjets gegeben

Umso dümmer sind jene Stimmen insbesondere in Österreich, die täglich Angst vor Russland äußern und die darum betteln, nur ja nichts Kritisches gegen die Invasoren zu sagen. Umso dümmer ist es – für einen Außenminister, einen Regierungschef, einen Bundespräsidenten – nicht ständig den zentralen Satz zu sagen, den gerade Repräsentanten eines kleinen Landes ständig sagen müssten: Es ist einzig und allein Sache jedes Landes selber, wie es sich außen- und sicherheitspolitisch orientiert; die Zeiten von Einfluss-Sphären sind vorbei.

Erschütternder Weise hört man in Österreich nie diesen Satz in aller gebotenen Deutlichkeit. Statt dessen vernimmt man regierungsoffizielle Lächerlichkeiten über eine Neutralisierung der Ukraine.

Schlimm. Sollen die Mozartkugeln jetzt auch bei den Schwarzen die nationale Ersatzdoktrin werden? Nur weil es die Kronenzeitung so will und weil die (in Sachen Neutralität einst durchaus vernünftigen) Blauen schon umgefallen sind?

Jede vernünftige Außenpolitik wüsste: Erst wenn aus der ukrainischen Führung der klare Wille zur Neutralität kommt oder zumindest eine klare Anfrage, hat man das Wort in den Mund zu nehmen, und hat man die Geschichte der Neutralität möglich objektiv darzulegen. Aber wahrscheinlich ist ja dieses Wissen um die Neutralität in der Generation von Kurz und seinen „strategischen Beratern“ verloren gegangen.

Würden Österreich wirklich gefragt, dann hätte es ohne Herumreden klarzumachen:

  • dass die Neutralität Belgiens im 20. Jahrhundert gleich zweimal blitzschnell von einmarschierenden Truppen weggewischt worden ist;
  • dass die Schweiz nicht wegen der Neutralität, sondern wegen ihrer starken Rüstung zweimal frei geblieben ist;
  • dass Westeuropa UND Österreich zwischen 1945 und 1989 einzig wegen der Stärke der USA und dann der Nato frei geblieben sind;
  • und vor allem dass die österreichische Neutralitätserklärung von 1955 eine ganz spezifische Geschichte hat.

Denn es war damals bei Schwarz wie Rot ganz selbstverständlich: Vor jedem Gedanken an eine aus „freien Stücken“ erklärte Neutralität muss es den kompletten und restlosen Abzug aller fremden Truppen geben. Insbesondere der sowjetischen mit ihren bösen Übergriffen, die bei vielen Österreichern sogar die Nazi-Katastrophe und ihre Verbrechen in den Hintergrund gedrängt hatten.

Der Abzug der Besatzer, aller Besatzer und nicht etwa die Neutralität war damals zehn Jahre lang das Ziel aller Österreicher (außer der Kommunisten). Obwohl es jedem einzelnen damals viel schlechter gegangen ist als heute. Obwohl noch in den 50er Jahren Hunderttausende junge Menschen auswandern mussten (nicht nur ein Frank Stronach). Kein Österreicher hätte eine Neutralität nur westlich der Enns akzeptiert. Dieser Teil Österreichs wäre bei einer sowjetischen Okkupation des Ostens mit Sicherheit sofort der Nato beigetreten.

Aber rätselhafterweise bleibt all das ungesagt.

  • Als ob es nicht schon genügt, dass sich österreichische Parlamentarier lächerlich machen, die verlangen, dass Österreich auf Saudiarabien „einwirkt“, sich besser zu benehmen.
  • Als ob es nicht schon genügt, dass sich FPÖ-Abgeordnete und ein Ewald Stadler als apologetische Staffage für das russische Krim-Referendum hergegeben haben.
  • Als ob es nicht schon genügt, dass die Neos ernsthaft die EU-Mitgliedschaft Russlands und der Türkei verlangen.

Es ist manches Mal recht schwer, ein Österreicher zu sein.

 

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Selbstbestimmung oder: Wie ähnlich sind die Krim und der Kosovo? drucken

Absolut faszinierend, wie selektiv viele derzeit argumentieren, wenn sie die Krim und den Kosovo vergleichen. Die einen sehen nur die Gemeinsamkeiten, die anderen nur die Unterschiede. Und die dritten haben überhaupt keine objektiven Maßstäbe.

Viele stehen dort, wo ihre Lager, ihre Länder schon vor hundert Jahren gestanden sind. Prorussisch oder antirussisch. Eine Ausnahme bildet nur die FPÖ, die beklemmenderweise plötzlich zum Parteigänger Moskaus geworden ist. Jenseits der Lager sollte man aber die Fakten nüchtern betrachten und objektiv die einzelnen Punkte vergleichen.

Was gegen Moskau spricht

  • Im Kosovo gab es massive und besonders grausame Menschenrechtsverletzungen durch die serbischen Machthaber unter Milosevic. Dies hat auch das Ausland zum Eingreifen berechtigt. Auf der Krim hingegen gab es solche Menschenrechtsverletzungen in keiner Weise. Selbst die vom Parlament gewünschte Abschaffung des Russischen als offizielle Amtssprache ist nie Gesetz geworden, weil sie vom neuen ukrainischen Präsidenten bewusst nie unterzeichnet worden ist. Ganz unabhängig davon ist mehr als fraglich, ob ein solches Sprachengesetz schon als Menschenrechtsverletzung gelten kann. Es gibt ja völkerrechtlich dazu keine Vorschriften. (Oder verletzt Österreich in Moskauer Sicht auch die Menschenrechte, weil türkisch keine Amtssprache ist?).
  • Die EU versuchte auch noch nach dem Eingreifen im Kosovo (und versucht es bis heute), Serbien zu einem Konsens in Hinblick auf den Kosovo zu bewegen. Womit sie nun auch fast am Ziel sein dürfte (was den Belgrader Machthaber Vucic sogar in die Reihe der Nobelpreiskandidaten bringt). Der Westen hat auch viele Jahre mit einer Anerkennung des Staates Kosovo gezögert. Auf der Krim hingegen hat Russland nicht einmal eine Sekunde lang versucht, einen Konsens oder zumindest ein Gespräch mit der Ukraine zu suchen. Es ist einmarschiert und hat blitzschnell den Anschluss vollzogen und anerkannt.
  • Sämtliche Wahlen im Kosovo haben internationalen Standards entsprochen. Auf der Krim hingegen sind bei der "Volksabstimmung" die meisten Standards verletzt worden: Es hat nur eine Seite Propaganda machen können; die Fragestellung war extrem manipulativ; und nicht einmal das Wahlgeheimnis wurde durch die Art der Abstimmung gewahrt (das ist seltsamerweise ausgerechnet den Freiheitlichen wurscht, die zu Recht die Mariahilfer-Straßen-Abstimmung als in vielerlei Hinsicht undemokratisch kritisieren).
  • Referenden mit einem 97-prozentigen Ergebnis machen prinzipiell einmal skeptisch. Es gibt auf der Krim ja nur rund 60 Prozent Russen. Und Tataren sowie Ukrainer haben mit Sicherheit nicht für Russland gestimmt.
  • Selbst wenn die – durch niemanden objektiv überprüfbare – russische Propaganda stimmen sollte, dass ein Teil der Schüsse in Kiew von Demonstranten gestammt hat, so erfolgte die Absetzung des ukrainischen Präsidenten jedenfalls durch eine klare Parlamentsmehrheit. Daher gab es in Kiew keinen Putsch.
  • Selbst wenn man das nicht so sieht, so gibt keinesfalls eine behauptete innere Verfassungsverletzung dem Ausland das Recht zur Intervention (sonst könnte man ja auch in Österreich ständig intervenieren, wo immer wieder Gerichte eine Verfassungsverletzung feststellen). Überdies hat der frühere Janukowitsch-Innenminister persönlich via Fernsehen zur Gewalt gegen die Demonstranten aufgerufen. Daher zeigt die russische Propaganda nur eines: Moskau hat genauso gute Abhörmethoden wie die NSA und hat längst auch perfekt gelernt, in guter Tarnung Youtube&Co zu benutzen.
  • Russland hat im Gegenzug für den Abbau von Nuklearwaffen aus der Ukraine selbst feierlich die Souveränität der Ukraine beschworen. Es ignoriert also neben dem allgemeinen Interventionsverbot auch seine eigenen Garantien.
  • Wenn ausgerechnet ein so autoritären Staat wie Russland, wo nach der Reihe Oppositionelle und Journalisten eingesperrt werden, sich auf ein "Recht" beruft, sollte man doppelt skeptisch sein.
  • Wenn jetzt Russland sogar ukrainische Schiffe kapert, dann verhält es sich wie ein Seeräuber.
  • Auch noch so vehemente Unterstützer des Selbstbestimmungsrechts (wie der Autor) stellen dieses Recht nicht über die oberste Friedens-Regel, nämlich über das Interventions- und Invasionsverbot. Wenn jedes Land wegen eines – berechtigten oder behaupteten – Selbstbestimmungs-Anspruchs eine Invasion startet, wäre Europa wieder voll von Kriegen.

Auch für Moskau spricht einiges

Das heißt aber nicht, dass nicht auch für die russische Argumentation und die Gleichsetzung Kosovo-Krim einige Punkte sprächen:

  • Es gibt wenig Zweifel, dass sich auch bei einer korrekten Volksabstimmung eine Mehrheit der Krim-Bürger für Russland ausgesprochen hätte.
  • Ethnisch haben Krim und Kosovo ein sehr ähnliches Schicksal: Die Krim war immer russisch oder türkisch und ist ohne objektiven Grund erst seit den 50er Jahren ukrainisch. Der Kosovo war einst eindeutig serbisch, und ist erst im Laufe der Jahrhunderte durch Migration zu 90 Prozent albanisch geworden (was übrigens auch ein zusätzlicher Anlass sein sollte, Migrationsströme besonders kritisch anzuschauen).
  • Es kann sich prinzipiell um keine ganz echte Demokratie handeln, wenn ganze Gebiete gar nicht zu dem Staat gehören wollen, in dem sie mitwählen sollen. In diesem Sinn haben sich freilich nur ganz wenige Länder als echte Demokratien erwiesenen, die eine friedliche Anwendung des Selbstbestimmungsrechts erlaubt haben: Da fallen mir primär nur Großbritannien und die Tschechoslowakei ein. Gerade diese beiden Länder haben früher besonders nationalistisch-imperialistisch gehandelt. Man denke etwa nur an die Verbrechen der Tschechoslowakei gegenüber den Millionen Deutschen Böhmens und Mährens. Gerade die Entwicklung dieser beiden Länder und der friedliche Ablauf der Selbstbestimmung in der Slowakei oder in Schottland machen hoffnungsvoll.
  • Es ist ein schweres Versäumnis der internationalen Staatenwelt, noch immer keinerlei Regeln für die Selbstbestimmung, die Unabhängigkeit eines Gebiets, einer Provinz aufgestellt zu haben. Heute noch sind oft Jahrhunderte alte Herrschafts- und Zugehörigkeitssituationen, also Ergebnisse irgendwelcher feudaler Machtkämpfe, wichtiger als der Wille der Menschen. Es gibt keine definierte völkerrechtliche Methode, wie eine Volksgruppe das Selbstbestimmungsrecht in korrekter Weise wahrnehmen könnten.

Eine echte Selbstbestimmung muss sehr klar und konsistent erfolgen. Weder Moskau noch die Mehrheit des Westens haben dafür aber bisher auch nur irgendwelche Vorschläge gemacht. Der Westen sagt nur immer "So nicht". Aber er sagt nie: Wie sonst. Und Russland handelt einfach, ohne lange nachzudenken. Der Krim-Schock wäre jedoch der ideale Zeitpunkt, sich auf solche Regeln zu einigen. Da eigentlich beide Seiten eine Verrechtlichung dieser Frage wollen.

Dabei wären etwa folgende Eckpunkte der Selbstbestimmung sinnvoll:

  1. Mindestens sechs Monate lang freie Information durch alle Seiten;
  2. Eine international überwachte Abstimmung;
  3. Eine eindeutige, durch internationale Richter bestimmte Formulierung der Referendumsfrage;
  4. Mindestens eine Mehrheit von 50 Prozent der Wahlberechtigten (nicht nur der Abstimmenden) muss sich für neue Grenzen aussprechen;
  5. Auch in allen Untergebieten (Kreisen, Bezirken) muss es eine Mehrheit geben, damit auch diese den Weg der Selbstbestimmung gehen könnten;
  6. Es muss jedenfalls schon vor jeder Selbstbestimmung ein ganz klares Minderheitenschutzrecht gelten;
  7. Eine solche Abstimmung ist im Abstand von sechs Monaten zu wiederholen, damit keine zufälligen Tages-Emotionen mitspielen.

Aber weder diese noch irgendwelche andere Regeln werden auch nur diskutiert. Dabei müssten eigentlich beide Seiten jetzt die Chance dafür sehen, durch Entwicklung und Festlegung solcher Regeln ein neuerliches Krim-Chaos zu verhindern, das ja keiner will. Die einen reden immer nur von Moskaus Rechtsbruch, die anderen reden zwar von der Selbstbestimmung, aber unter völlig unakzeptablen Begleitumständen.

Gar so gern hat man in Moskau übrigens den von Machthaber Putin selbst bei der Invasion formulierten Vergleich mit dem Kosovo inzwischen ohnedies nicht mehr. Denn im Kosovo hat sich Moskau ja eindeutig gegen das Selbstbestimmungsrecht gestellt. Russland agiert also sehr inkonsistent.

Bei allen Vorwürfen gegen die EU und die USA ist letztlich eindeutig: Konkretes Recht gebrochen hat nur Russland.

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Ich zahle Nowotnys Lehrgeld (beinahe) gerne drucken

Rund um die Hypo tobt ein Atomkrieg. Jeder gegen Jeden. Niemand will für den Mist zahlen, den Jörg Haider, Josef Pröll, Werner Faymann, Michael Spindelegger und noch viele andere (unter kräftiger Mitwirkung der Nationalbank) angerichtet haben. Als Steuerzahler weiß ich freilich längst, dass die Rechnung so oder so auf meinem Tisch landen wird. Das hat mich wochenlang geärgert. Seit kurzem zahle ich aber (fast) gerne. Denn wenigstens Ewald Nowotny, der OeNB-Präsident und SPÖ-Veteran, hat bei der Hypo Wichtiges gelernt.

Er hat im „Wirtschaftsblatt“ etwas gesagt, das bei einem langjährigen Keynesianer alles Lehrgeld dieser Welt wert ist. Hier der Wortlaut dessen, was Nowotny aus der Hypo-Affäre gelernt hat: „Eine weitere Lehre ist – und die habe ich erst im Lauf meines Lebens registriert – die Skepsis gegenüber Banken im öffentlichen Eigentum. Es herrscht hier immer wieder die Gefahr, dass es zu politischen Einflüssen kommt. Insofern ist die Hypo Alpe Adria ein dramatisches und abschreckendes Beispiel, was geschehen kann, wenn sich verantwortungslose Landespolitik zum Herrn einer Bank aufspielt.“

Diese Sätze sind wirklich Goldes wert! Alle Politiker sollten sie sich in Großbuchstaben aufhängen und täglich memorieren, vor allem jene von Rot und Grün. Denn dort gibt es immer noch welche, die aus ideologischer Verblendung im staatlichen Eigentum etwas Positives sehen wollen. Trotz der katastrophalen Erfahrungen mit dem Staat als Eigentümer eines Unternehmens. Er hat in der verstaatlichten Industrie genauso versagt wie als Eigentümer von Landesbanken – deren Reigen von der Bank Austria (vulgo Zentralsparkassa) über die Bank Burgenland bis zur Hypo Alpen-Adria geht – und bundeseigenen Banken. Zu denen hatten einst etwa die Riesen Creditanstalt und Länderbank gehört. Auch die Bawag war übrigens nicht gerade parteifern. Überall hat es verderbliche politische Einflüsse gegeben, von Stellenbesetzungen bis zu Investitionen.

Das Traurige ist nur, dass Nowotny erst knapp vor seinem 70. Geburtstag diese Erkenntnis auszusprechen wagt, obwohl die Verstaatliche schon in den 80ern gecrasht ist. Zuvor hat er in SPÖ und – leider auch – Wirtschaftsuniversität immer auf Staatsgläubigkeit gemacht und einschlägige Epigonen herangezogen (weshalb die WU in Sachen Volkswirtschaft bis heute ein Jammerhaufen ist).

Besonders im Wiener Rathaus sollte man jedenfalls auf den weise gewordenen Nowotny hören. Dort glaubt man ja noch immer fanatisch an das Staats(=Partei)Eigentum. Dort denkt man noch überhaupt nicht daran, sich auch nur einen Millimeter von den Wirtschaftsfestungen zu trennen. Ob das nun Strom- und Gasversorger sind, Häuser wie die Stadthalle oder der Flughafen. Wahrscheinlich muss es dem Rathaus erst so schlecht gehen wie dem jetzigen Hypo-Eigentümer Bund, bevor man das dort begreift. Und die Altersweisheit ist ja noch fern: Schließlich ist Michael Häupl fünf Jahre jünger als Nowotny . . .

 Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

 

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Zehn Lehren aus der Ukraine drucken

Die dramatischen Vorgänge in der Ukraine machen einige ganz überraschende Erkenntnisse deutlich. Diese haben die Welt wohl dauerhaft verändert.

Einige dieser Erkenntnisse:

  1. Hast du Atomwaffen, dann bist du was. Hast du keine (mehr), dann bist du ein armer Hund. Die Ukraine war in jenen Zeiten, da dort noch Atomwaffen aus sowjetischer Zeit gelagert waren, von aller Welt respektvoll und wie ein rohes Ei behandelt worden. Seit das Land jedoch keine Atomwaffen mehr besitzt, ist es unbedeutend geworden, und russische Soldaten marschieren nach Belieben ein.
  2. Österreichs Rolle ist international nur noch blamabel bis nicht vorhanden. Es gibt keinen einzigen merkbaren Akzent des Landes. Vergleichbare Länder – die Schweiz, Schweden, Tschechien – haben hingegen deutliche und klare Reaktionen gesetzt. Diese reichen von der Verlegung von Kampfflugzeugen ins Baltikum bis zur Absage von Veranstaltungen mit Russland. Österreich hingegen hat noch keine einzige klare Aussage getan. Der Außenminister scheint sich zu fürchten und zu warten, welcher Meinung er sein soll. Und der Bundespräsident scheint innerlich überhaupt an der Seite seines Kollegen Janukowitsch zu stehen. Neutralität ist jedenfalls kein Argument für das österreichische Verhalten. Die anderen beiden Neutralen können sich heute zweifellos besser in den Spiegel schauen.
  3. Es ist absolut richtig, den Dialog mit Moskau aufrechtzuerhalten. Es ist ja ein noch immer mit riesiger atomarer Macht ausgestattetes Land. Aber man muss dabei zugleich auch energisch klarmachen, dass man einen (nur lächerlich getarnten) Einmarsch in andere europäische Länder für eine Katastrophe hält, die Konsequenzen etwa für alle Akteure auch in Russland haben muss. Sowenig wie man („man“ sind die westlichen Demokratien, nicht Österreich) das 1980 in Afghanistan akzeptiert hat. Es ist freilich eine schwierige Aufgabe, Dialogbereitschaft mit Grundsatztreue zu verbinden. Da ist das Doppelspiel Bad Cop (USA) – Good Cop (Deutschland) vielleicht gar nicht so blöd. Zumindest solange die beiden westlichen Mächte intern harmonieren.
  4. Im Dialog mit Russland muss man jedenfalls weiterhin Lügen Lügen nennen. Alles andere wäre selbst verlogen.
  5. Das Selbstbestimmungsrecht auch von Provinzen und anderen Gebieten ist in Verbindung mit einem internationalisierten Minderheitenschutz die beste, vernünftigste, menschenwürdige und demokratische Methode zur Konfliktlösung. Das übergeordnete Grundprinzip ist aber: Gewaltausübung darf niemals zum Instrument werden, selbst um ein noch so richtiges Prinzip zu realisieren. Gewaltausübung ist sicher nicht legitim, solange die wichtigsten Menschenrechte im Wesentlichen gewahrt bleiben. Wann genau Gewalt freilich legitim wird, wann man einen Bellum iustum führen darf, ist abstrakt extrem schwierig zu definieren. Klar ist aber: In der Krim sind die Menschenrechte jedenfalls in keiner Weise verletzt worden. Dort mag halt eine Mehrheit nicht die neue Regierung. Und Moskau mag es halt nicht, an Einfluss zu verlieren. Der Einsatz der russischen Armee ist damit aber sicher noch nicht rechtfertigbar.
  6. Wenn man aber von der völlig unakzeptablen Gewaltausübung durch Russland absieht, hat erstaunlicherweise Machthaber Putin mit einem seiner Argumente prinzipiell durchaus recht: Wenn man im Kosovo dafür ist, dass sich eine Provinz gemäß den Wünschen von 90 Prozent der Einwohner abtrennt, dann muss das auch anderswo gelten. Richtig. Putin selbst hat allerdings dreierlei vergessen:
    • Erstens war er selbst im Kosovo vehement gegen dessen Loslösung von Serbien.
    • Zweitens haben die Serben zum Unterschied von der Ukraine dort ein terroristisches Regime etabliert, das über die Albaner geherrscht hat.
    • Und drittens übersieht Putin bei seinem Vergleich, dass auf der Krim der Anteil der Russen deutlich geringer ist als jener der Albaner im Kosovo.
  7. Insbesondere sind die 250.000 Krim-Tataren (ein mit den Türken verwandtes Volk) vehement gegen Russland, das sie ja unter Stalin strafweise kollektiv nach Sibirien verschickt hatte. Ich wäre nicht sehr überrascht, wenn jetzt die Tataren mit Guerilla-Methoden gegen die Russen kämpfen würden. Umgekehrt wäre es ein extrem weises Zeichen Russlands – pardon: der angeblich ganz spontan handelnden Krim-Mehrheit, wenn die Krim-Tataren jetzt besonders tolle und ausgefeilte Minderheitenrechte bekämen. Nur scheint solche Weisheit nicht sehr wahrscheinlich.
  8. Dennoch sollte unter friedlichen Rahmenbedingungen der mutmaßlichen Krim-Mehrheit das Selbstbestimmungsrecht zustehen, sofern es den erwähnten abgesicherten Minderheitenschutz gibt. Haftbefehle gegen Regionalgouverneure sind in der Ukraine genauso ein Unsinn wie in Spanien. Hätte Putin nicht mit seiner Armee gehandelt, bevor er auch nur ein einziges konkretes Argument vorgebracht hat (außer den üblichen Schimpfworten wie „Faschisten“), säße jetzt der Westen argumentativ in der Defensive. Denn im Westen beherrschen ja Länder wie Spanien oder Italien noch immer fremde Völker, die – mutmaßlich – gar nicht unter ihrer Regierung stehen wollen.
  9. Selbstbestimmung wäre auch in der Kurdenfrage der beste Weg, um einen schier ewigen Konflikt beizulegen. Aber dort ist sie noch besonders weit weg. Dennoch muss man es lobend anerkennen, dass in den letzten Jahren die Türkei den Kurden etwas mehr Freiheiten gewährt; dass jetzt sogar der türkische Außenminister öffentlich einen Satz auf Kurdisch gesagt hat. Das ist etwas, wofür man früher noch jahrelang ins Gefängnis geworfen worden ist. Auch in Sache der Kurden habe ich nur wenig Zweifel, dass am Ende irgendwann die Selbstbestimmung über die noch immer ein wenig osmanisch wirkenden Machtansprüche siegen wird. Aber auch dort wird wohl zuvor noch viel Blut sinnlos vergossen werden.
  10. Noch etwas sollte man sich auch in Österreich klarmachen. Am Ende hat in der Geschichte nämlich immer eines der beiden Prinzipien entschieden: das Mehrheitsprinzip oder der Kampf. Das ist nicht ganz ohne Relevanz, wenn Hochrechnungen zeigen, dass beim – sehr wahrscheinlichen – Anhalten der Dynamik der letzten 25 Jahre noch im Laufe dieses Jahrhunderts die Mehrheit hierzulande zum islamischen Glauben gehören wird. Dann wird man sich in die Zeiten geradezu zurücksehnen, da ein Landwirtschaftsminister offenbar keine anderen Sorgen hatte als die Kindesadoption durch Homosexuelle. Weil solche Orchideenthemen wird es dann mit Sicherheit nicht (mehr) geben.

 

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Die Sendung mit dem Großvater (3): Wie gefährlich ist die Überbevölkerung? drucken

Maximilian fragt seinen Großvater Andreas Unterberger nach Chinas Ein-Kind-Politik, nach einer Zwei-Kind-Strategie und nach der Überbevölkerung der Erde.

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Die Selbstzerstörung der ÖVP drucken

Der ÖVP geht es offenbar gut – oder sie ist vom letzten guten Geist verlassen: Sonst könnte sie sich eine weitere schwere Selbstbeschädigung eigentlich nicht mehr leisten. Jetzt legt sie sich jedenfalls auch noch frontal mit fast allen wertorientierten und christlich orientierten Menschen an. Zur gleichen Zeit greifen mindestens zwei Parteien voller Begeisterung nach diesen mehrheitsbildenden Wählermassen.

Zwei signifikante Vorstöße aus den letzten Tagen, die nicht unterschiedlicher sein könnten: Der Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter verlangt in mehreren öffentlichen Erklärungen, dass Homosexuelle Kinder adoptieren können. Der Stronach-Abgeordnete Marcus Franz wagt es hingegen bei einem anderen, aber doch ähnlichen Thema in Sachen Abtreibung Mutiges auf Kirchen- und einstiger ÖVP-Linie zu sagen.

Franz will bessere Beratung, mehr Unterstützung für betroffene Familien, die Verpflichtung von Ärzten, dass es vor einer Abtreibung auch eine zweite Meinung geben müsse, und endlich die schon von Bruno Kreisky versprochenen Zahlen zu Abtreibungen. Franzens Schlüsselsätze: „Frauen sollen nicht bedrängt werden.“ Und: „Wir wollen eine Reduktion der geschätzten 30.000 bis 60.000 Abtreibungen durch sinnvolle Maßnahmen.“

Während die ÖVP Solches und noch Deutlichers einst selbst vehement vertreten hatte, ist seit vielen Jahren von ihr rund um den Komplex Abtreibung nichts Substantielles mehr zu hören. Oder wenn, dann hat man Zeitgeistig-Progressives nachgeplappert.

Auf zeitgeistig macht nun auch der Herr Rupprechter beim Thema Schwulenadoption. Was auch immer die Kompetenz des Landwirtschaftsministers dafür sein mag (normal ist er ja nur fürs Subventions-Kassieren zuständig), er will solche Adoptionen erlauben. Sein Argument: Er sei „nicht bereit, diese Menschen auszugrenzen“.

Zwar gibt es, seit Rupprechter sich so äußert, an der Basis der ÖVP und im Mittelbau bis hin zum Generalsekretär schweren Unmut und deutliche Abgrenzung zu dem Tiroler. Aber zumindest bis zur Stunde hört man absolut nichts zum Thema Rupprechter vom Parteiobmann, von der Familienministerin, vom Justizminister (die beide zum Unterschied von Rupprechter sachlich zuständig wären) oder vom Tiroler Landeshauptmann, der diesen Mann Fünf vor Zwölf mit einem zornigen Fußstampfen des Inhalts „Irgendein Tiroler muss hinein“, in die Regierung gepresst hatte (obwohl da ein weit besserer Mann schon nominiert war).

All die Genannten wären eigentlich seit Tagen dringend gefordert gewesen, Rupprechter in die Schranken zu weisen. Zumindest dann, wenn sie anderer Meinung sind. Und wenn die einst große Partei wenigstens noch in einem letzten Eck glaubwürdig bleiben will. Aber man hört nur Schweigen. Und die steirische ÖVP unterstützt ihn sogar.

Zu Rupprechter selber: Der schlichte Mann hat halt nicht begriffen, dass es bei dem Thema keine Sekunde um die Ausgrenzung von Homosexuellen geht. Es darf und muss einzig um die Kinder gehen. Und so wie es halt bei der Adoption auch Alters-Regeln gibt, ohne dass da wer „ausgegrenzt“ wird, so wird eben auch zu Recht bei der Kleinkindadoption von der Rechtsordnung verlangt, dass es Vater und Mutter gibt. Durch solche Regeln werden die Alten genausowenig „ausgegrenzt“ wie die Alleinstehenden oder Schwulen. Aber die Chancen der Kinder, gut aufzuwachsen und ein geordnetes Weltbild zu erwerben, werden durch diese Regeln signifikant besser. Konträre Einzelbeispiele in die eine oder andere Richtung sagen hingegen gar nichts. Es kann immer nur um die besten Wahrscheinlichkeiten für die Kinder insgesamt gehen.

Was Rupprechter wohl ebenfalls nicht weiß: Es gibt absolut keinen Mangel an Adoptiveltern. Ganz im Gegenteil, hervorragend geeignete junge Paare tun unglaublich viel, um ein Kind zu bekommen, wenn es auf natürlichem Weg nicht klappt. Sei es durch medizinische Kunststücke, sei es durch Adoptionen. Wofür es aber in Österreich viel zu wenig Kinder gibt.

Ebensowenig ist dem Mann klar, dass ein Minister halt nicht jeden Tag irgendetwas sagen darf, was er gerade will oder was eines der vielen linksliberalen Medien von ihm verlangt, sondern dass er immer auch für jene Partei spricht, die ihn aufgestellt hat. Die ÖVP hat durch ihn mit Sicherheit keinen einzigen „Standard“-Leser oder Grün/Neos-Wähler gewonnen, aber wieder zahllose empörte Wähler verloren. Diese haben nach der FPÖ und (zumindest in Europa) der Liste Stadler nun auch im Team Stronach ein Angebot gefunden, das ihren Werten und Sichtweisen mehr entspricht als die ÖVP in ihrem heutigen Zustand. Schließlich ist Rupprechter wegen der für die ÖVP abgegebenen Stimmen in der Regierung und nicht wegen seiner Person oder seiner Anschauungen.

Das Allerdümmste ist schließlich das Rupprechter-Geschwätz von Dialogverweigerung und Papst. Daraus spricht nur noch Ahnungslosigkeit und Frechheit.

Rupprechter behauptet, es gebe eine „Dialogverweigerung“ gegen die Schwulen. Bis auf ihn weiß aber jeder Österreicher, dass längst das Gegenteil wahr ist. In der veröffentlichten Meinung herrschen doch schon Monolog und Diktatur der Schwulen-Anhänger; ein Kritiker derselben kann sich doch kaum noch irgendwo artikulieren.

Und Rupprechters Berufung auf den Papst, mit dem er seine Aussagen vergleicht, ist überhaupt unglaublich: Denn der Papst hat nicht einmal in einer Viertelsilbe gesagt oder angedeutet, dass er für eine Kinderadoption durch Homosexuelle wäre. Ganz im Gegenteil.

PS: Dass uns Rupprechter auf seinem eigenen Sachgebiet auch einreden will, dass höhere Strompreise zugunsten von Solarpaneelen gut für Arbeitsplätze wären (was aber in Wahrheit nur für chinesische Jobs zutrifft), zeigt nur die gesammelte Dummheit dieses Mannes. Aber er ist halt wohl ein typisches Produkt der Tiroler ÖVP. Diese hat ja schon mit dem Gesamtschulfimmel des Herrn Platter die massive Wählervertreibungsaktion begonnen.

PPS: Freilich, an Matthias Strolz reicht Rupprechter noch nicht heran: Der setzt sich ja nicht nur mit dem Papst, sondern gleich mit Jesus Christus und dessen Fastenzeit in der Wüste in Beziehung. Aber es wird schon, auch aus einem Landwirtschaftsminister kann ja sicher noch Christus werden . . .

 

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Die Krim wird (wieder) russisch drucken

Russland holt sich die erst in den 50er Jahren im Rahmen der Sowjetunion ukrainisch gewordene Krim zurück. Kein Zweifel. Jedermann hat das schon im Vorhinein wissen müssen. Spätestens seit der russischen Invasion in Georgien ist diese Verhaltensweise Moskaus allen klar. Was aber tut der Westen?

Er protestiert. Die Proteste klingen laut und sind gut für die eigene PR. Sie haben nur keinerlei Glaubwürdigkeit. Niemand nimmt sie ernst. Denn letztlich hat es Europa, haben es die USA in den letzten Jahrzehnten immer hingenommen, wenn eine fremde Großmacht irgendwo in Europa einmarschiert ist und fremde Territorien okkupiert hat. Das haben wir beim Einmarsch der Türkei in Nordzypern gesehen. Das haben wir bei der Okkupation zweier georgischer Gebiete durch die russische Armee gesehen. Das sehen wir bei der anhaltenden Kontrolle des Ostteils von Moldawien durch die russische Armee.

Ein paar Wochen lang gab es da jeweils Proteste (in Moldawien nicht einmal das). Die Okkupationen wurden auch als solche nie anerkannt. Aber am Ergebnis hat das nichts geändert. So hat die EU heute ein Territorium – eben Nordzypern – das nicht zur EU gehört und ignoriert das trotz ihres Geredes, dass sie nun eine Weltmacht wäre. Letztlich wurden diese militärischen Aktionen ohne nennenswerte Gegenwehr der Staatengemeinschaft hingenommen. Dennoch ist die Türkei heute ein EU-Beitrittskandidat. Dennoch wird Putins Russland überall respektiert.

Der Westen hat keinerlei Bereitschaft, wegen Zypern, wegen Georgien, wegen Transnistrien, wegen der Krim einen großen Krieg zu starten. Im Grund muss aber jede objektive Analyse auch anerkennen, dass es in all diesen Fällen für die Okkupanten eine gewisse Legitimation gibt. Denn in der Tat hat überall die lokale Bevölkerung die Okkupanten herbeigesehnt (wobei die Lage in Zypern komplizierter ist, was am Ergebnis nichts ändert).

Hätten die westlichen Regierungen das ständig im Mund geführte Wort vom „Selbstbestimmungsrecht“ ernst genommen, wäre wahrscheinlich überall auf friedlichem Weg die Sezession längst erfolgt. Nur auf friedlichem Weg. Trotz des Selbstbestimmungs-Gerede sind jedoch immer sämtliche Staatsgrenzen als tabu angesehen worden. Allzu viele Staaten fürchten Folgen eines Präzedenzfalles im eigenen Land. Genau dadurch aber weist man den Menschen leider den Weg zum Krieg.

Auch jenseits dieses Absolut-Setzens der vorhandenen Staaten kann sich ein friedens- und rechtsliebender Mensch keineswegs darüber freuen, dass die Russen in der Krim einfach einmarschieren. Dass sie dort jetzt bis hin zu bestellten „Hilferufen“ der „zu Befreienden“ das gleiche Szenario wiederholen wie in Georgien, dass sie mit ihrer ganzen militärischen Macht jeden Widerstand im Keim ersticken.

So sehr man sich zum Selbstbestimmungsrecht bekennt, so sehr muss man es nämlich ablehnen, dass Grenzen mit Waffengewalt – statt direktdemokratischen Methoden – verändert werden. Denn wenn die Stärke der Armeen das oberste Prinzip ist, dass die Welt regiert, dann sind wir wieder zurück beim Faustrecht. Dann werden es auch Aggressoren vom Typ eines Adolf Hitler oder Saddam Hussein nach Belieben immer wieder versuchen.

Und noch etwas ist am russischen Vorgehen widerlich: Die ständige Behauptung, dass die Ukrainer beziehungsweise deren Mehrheit „Faschisten“ wären. Damit bedient sich Moskau der gleichen miesen Tricks wie die westliche Linke. Auch die bezeichnet ja jeden taxfrei als „Faschisten“, der nicht ihrer Meinung ist. Dabei muss man über bloße Schimpfworte schon froh sein. Denn Linke erklären Andersdenkende auch gerne als geisteskrank oder drogenabhängig (siehe nur die Tweets der linken Vor„denker“). Oder verurteilen sie gleich überhaupt strafrechtlich.

PS: Dass übrigens die EU auch in anderen Regionen fast immer völlig tatenlos geblieben ist, wenn militärische Macht territoriale Veränderungen herbeigeführt hat, braucht kaum noch extra erwähnt zu werden. Siehe etwa die Westsahara oder Konflikte in Indochina. Und die USA sind nach ihrer irakischen Demütigung diesbezüglich ebenfalls sehr vorsichtig geworden.

 

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Buchbesprechung: Höllensturz und Hoffnung drucken

Die westliche Welt hat nicht mit einer auf einen einzigen Bereich beschränkten Fehlentwicklung zu kämpfen. Es läuft vielmehr gegenwärtig vieles – zu vieles – gleichzeitig falsch. Krisenhafte Entwicklungen hat es in der Menschheitsgeschichte zwar immer wieder gegeben: Aber Seuchen, Kriege und Naturkatastrophen konnten den Bestand und die Entwicklung der Menschheit insgesamt noch niemals nachhaltig gefährden. Immer wieder konnten von den Betroffenen Auswege gefunden, alle Krisen glücklich überwunden werden.

Diese Gewissheit wird von den Herausgebern dieses Buches nicht mehr geteilt. Die (konservativen, christlich orientierten) Buchautoren sorgen sich davor, dass es an verschiedenen Fronten zeitgleich und länderübergreifend zu schwerwiegenden Einbrüchen kommt. Davon würde schon jeder für sich allein bereits gewaltiger Anstrengungen zu seiner Überwindung bedürfen. Die Herausgeber legen daher, zusammen mit einer Gruppe von zehn weiteren Professoren aus den unterschiedlichsten Fachbereichen, eine Art Menetekel des frühen 21. Jahrhunderts vor. Sie fürchten, dass das System insgesamt kippt, dass unsere gesamte westliche Zivilisation kollabiert.

In der Vergangenheit ist es schon mehrfach zum Untergang von Gesellschaften gekommen. Der amerikanische Evolutionsbiologe und Geograph Jared Diamond hat mit seinem 2005 erschienen Bestseller „Kollaps“ eine ganze Reihe solcher Katastrophen beschrieben. Diese blieben allerdings jeweils auf relativ kleine Kollektive, etwa auf die Bewohner der Osterinsel, begrenzt.

Die Autoren beschränken sich indes nicht auf den rein ökologischen Blickwinkel Diamonds, sondern beziehen religiöse, kulturelle, ethische, politische und wirtschaftliche (Fehl-)Entwicklungen in ihre Betrachtungen mit ein. Sie sehen die „abendländische“ Kultur durch soziale, kulturelle, physische und individuelle Katastrophen ernsthaft in ihrer Existenz bedroht. Ihr Ziel ist es, dem Leser die „falschen Hoffnungen zu rauben“, dass aus irgendeinem wundersamen Grund das Schlimmste – der physische Zusammenbruch unserer westlichen Gesellschaften – am Ende ja doch nicht eintreten werde, auch wenn wir uns nicht zu einem auf vielen Ebenen erfolgenden, radikalen Kurswechsel entschließen würden.

Eines der von den Autoren apostrophierten Problemfelder ist ein jede Moral langfristig zerstörender Utilitarismus, der ausschließlich das größte – materielle – Glück der größten Zahl anstrebt. Immer weiter zunehmende technische Möglichkeiten, bei gleichzeitig immer tiefer sinkender Moral (das dieser Tage viel debattierte belgische Euthanasiegesetz ist hierfür ein gutes Beispiel) öffnen Einfallstore für unabschätzbare Gefahren.

Scharfe Kritik wird auch am herrschenden Wachstumsdogma geübt. In endlichen Systemen ist unendliches, zudem exponentielles, Wachstum schlicht unmöglich. Eine Binsenweisheit, die anzunehmen zwar kein abgeschlossenes Physikstudium voraussetzt, die aber dennoch von sämtlichen politischen Verantwortungsträgern konsequent ignoriert wird.

Mit der „ökosozialistischen Doktrin der Gleichheit“ wird ebenfalls scharf ins Gericht gegangen. Mit ihr wird „Gleichheit über Gerechtigkeit, Chaos über Ordnung (…) und Einebnung über Differenzierung“ gestellt – mit fatalen Konsequenzen. Die moderne Ersatzreligion des Ökologismus ist nämlich nicht in der Lage, das Heil zu bringen. „Nicht Liebe und Geborgenheit, sondern Abtreibung ist die Natur des Ökosozialismus“ – starke Worte!

Der unserer Tage auf immer höhere Gipfel getriebene Genderwahnsinn, der in einer möglichst frühzeitigen Sexualisierung der Kinder – auch gegen den erklärten Willen der Eltern – seinen wohl ekelhaftesten Ausdruck findet, wird als eine weitere tödliche Bedrohung unserer Kultur geortet.

Die in der westlichen Welt herrschende „Wirtschaftskrise“ wird als das gesehen, was sie in Wahrheit ist: eine Schuldenkrise. „Heute gibt es dreieinhalb Mal so viel geliehenes wie gespartes Geld.“ Die Schuldenkrise wird daher konsequenterweise als „ethische Krise“ bezeichnet.

Die Autoren bieten eine recht komplette Zusammenfassung all jener Fehlentwicklungen, die jedem vernunftbegabten Zeitgenossen, dem ideologische Gleichschaltung, politische Korrektheit und Denkverbote aller Art das Hirn noch nicht restlos vernebelt haben, ins Auge fallen müssen.

Gemäß seinem Untertitel „Warum unsere Zivilisation zusammenbricht und wie sie sich erneuern kann“ widmet sich der letzte Teil des Buches der Hoffnung auf Besserung. Er ist deprimierend kurz geraten. Wer an dieser Stelle konkrete Handlungsanleitungen erwartet hat, wird herb enttäuscht. Das Buch schließt mit dem auch an den Beginn gestellten Fall eines 1985 in Japan infolge eines Wartungsfehlers abgestürzten Jumbo-Jets: Im Gegensatz zu den damals auf verlorenem Posten befindlichen japanischen Piloten hätten wir es heute in der Hand, das Steuer noch herumzureißen, „…um sicher zu landen. Aber wir brauchen ein neues Flugzeug, um sicher weiterfliegen zu können.“

Wo in aller Welt eine dafür geeignete Maschine zu finden ist, bleibt offen. Ernüchterndes Fazit: Viel Höllensturz und verdammt wenig Hoffnung…

Höllensturz und Hoffnung
Hans-Joachim Hahn, Lutz Simon
Olzog-Verlag 2013
256 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-7892-8197-6
22,90,- Euro

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Der Kindesmissbrauch in staatlicher Obhut drucken

Vor wenigen Tagen hat der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes den Vatikan wegen seines Umgangs mit pädophilen Priestern heftig kritisiert. Der UN-Ausschuss erklärte sich zutiefst besorgt, dass der Heilige Stuhl das „Ausmaß der begangenen Verbrechen nicht anerkannt" und die erforderlichen Maßnahmen nicht ergriffen habe. Stattdessen habe der Vatikan eine Politik und Praktiken verfolgt, die dazu führten, dass die Missbrauchsfälle andauerten und die Täter straflos ausgingen.

Während die Würdenträger der Kirche nun immer häufiger ihre Opfer um Entschuldigung bitten, bleibt die Republik Österreich konsequent. Selbst einfache Gesten des Bedauerns sind hier rühmliche Ausnahmen. Im glücklichen Österreich teilt sogar der Bundespräsident schriftlich mit, dass ihn die Verfassung daran hindere, sich im Namen der Republik bei den unter staatlicher Obhut missbrauchten und verprügelten Opfern zu entschuldigen: „Ich darf Sie daher um Verständnis ersuchen, dass der Herr Bundespräsident der – wie alle staatlichen Funktionsträger – an die ihm verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzen gebunden ist, hier keine Veranlassungen treffen kann."

Außerdem sollen sich die Opfer damit abfinden, dass so eine öffentliche Entschuldigung „außerhalb seines verfassungsmäßigen Wirkungsbereiches liegt".

Zugegeben: In einer Gesellschaft, in der sich pädophile Gewalttäter über Jahrzehnte völlig ungestört an Kindern vergreifen, ist ein kollektives Schuldbekenntnis wohl kaum zu erwarten. Im Unterschied zum Vatikan können sich demokratische Staaten allerdings sehr wohl mit ihrer pädophilen Vergangenheit auseinandersetzen und deutliche Zeichen setzen.

So hat etwa der Deutsche Bundestag bereits im Frühjahr 2011 eine offizielle Aufarbeitung eingeleitet und damit den Opfern zumindest ein kleines Stück an Würde und Lebensqualität gegeben.

In Österreich gehen die Uhren anders. Von einer parlamentarischen Aufarbeitung können die zahlreichen Opfer aus Heimen, Internaten und anderen öffentlichen Kinderaufbewahrungsstätten nur träumen. Hier werden stattdessen Arbeitskreise gegründet, die dann feierlich zu „Missbrauchskommissionen" ernannt werden. Exakt nach kirchlichem Vorbild gilt dabei: Transparenz ist verpönt, jede Kritik ein geradezu blasphemischer Untergriff. Und als oberste Maxime gilt: Schweigen. Wenn eines der Opfer zum Beispiel fragt, warum nur ein Teil der versprochenen „Entschädigung" ausbezahlt wurde, dann erntet es beredtes Schweigen.

Geredet wird nur dann, wenn längst verstorbene „Einzeltäter" und deren nationalsozialistisches Gedankengut als „verantwortlich" identifiziert wurden. Und vor allem: Wenn die Straftaten laut Gesetz längst verjährt sind. Dazu werden dann Studien in Auftrag gegeben und dicke Bücher veröffentlicht, aus denen Krokodilstränen kullern.

Es ist die ganze Gesellschaft, die dieses System aus Aussitzen, Vertuschen und Schweigen unterstützt. Selbst die Medien spielen dabei eine tragende Rolle. Je lauter die Betroffenen ihre Schmerzen hinausbrüllen, desto dichter wird der Mantel des Schweigens.

Wolfgang Hoffmann, Jahrgang 1959, ist Musiker, Unternehmer und Autor. Siehe: http://www.woho.at

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Auf in den Kampf um die Freiheit drucken

Die Zukunft Mitteleuropas verdunkelt sich. Das passiert, obwohl es im Vergleich zum Süden scheinbar so stabil dasteht. Das passiert ganz unabhängig von ein paar Zehntel Auf- oder Abwärtsbewegung der sich ja ständig ändernden Konjunkturdaten. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich. Dazu gehören vor allem die Folgen der um 1970 einsetzenden demographischen Katastrophe, die Masseneinwanderung bildungsferner Schichten aus islamischen und afrikanischen Kulturen, die gigantisch angewachsene Haftungslawine zugunsten der schuldenfreudigen Mittelmeerländer, das immer exzessiver werdende Diktat der Politischen Korrektheit und die daraus erfolgende Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Das Diktat der Political Correctness hat sich in den letzten Jahrzehnten schleichend, aber umso wirksamer ausgebreitet. Es hat seine Wurzeln in den USA, ist aber heute in den deutschsprachigen Ländern besonders tief verankert (vielleicht auch als Folge der deutschen Gründlichkeit).

Die USA waren das erste Land, in dem man die Political Correctness auch in der Sprache nachweisen kann. Allerdings war sie dort nur in Form des relativ wenig störenden „he/she“ zu bemerken. Dafür sind in den USA die Auswüchse der P.C. in anderen Feldern ganz besonders skurril: Dazu gehören etwa die Verbote, eine Kollegin mit Worten wie „Darling“ anzusprechen oder Kleinkinder nackt im eigenen Garten herumlaufen zu lassen oder eine Bürokollegin zum Essen einzuladen. Ein besonders krasses Beispiel war vor kurzem die Schul-Suspendierung für einen Sechsjährigen, weil dieser seine gleichaltrige Schulfreundin auf die Hand geküsst hat. Fast jedes normale Verhalten kann dort schon als „sexuelle Belästigung“ gewertet werden. Selbst wenn es im gegenseitigen Einverständnis erfolgt.

Diese Political Correctness breitet sich nun auch in Europa aus. Sie geht Hand in Hand mit dem Radikalfeminismus, also der skurrilen und natürlich nie bewiesenen oder beweisbaren Lehre, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ein reines soziales Konstrukt wären.

Vor allem im deutschsprachigen Raum hat diese P.C. dann im Verlauf der Zeit Verkrampfungen auf vielen Gebieten ausgelöst. So ist es in der staatsoffiziellen Variante der deutschen Sprache zu viel schlimmeren Folgen als in den USA gekommen. Kann man doch nur im Deutschen sprachliches mit biologischem Geschlecht verwechseln (was die Bürokratie prompt getan hat). Gibt es doch nur im Deutschen nach Sprachgeschlechtern unterschiedliche Artikel. Wird doch hier jedes auf -er endende Wort als böse abgestempelt und in die Faschiermaschine des Genderns gesteckt. Hat sich doch nur im Deutschen die amtlich angeordnete Schriftsprache mit dem unleserlichen Binnen-I total von der gesprochenen wegentwickelt. Hat sich doch nur im deutschsprachigen Raum die hässliche Unsitte entwickelt, zahllose Substantiva durch hässliche Partizipia zu ersetzen (also etwa „Lehrende“ statt Professoren). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass diese Sprachdekonstruktion von fast allen Literaten, Medien und sprachsensiblen Menschen abgelehnt wird.

Das Gendern war anfangs nur eine verschmockte und belächelte Höflichkeitsfloskel. Heute ist es im bürokratischen und universitären Bereich zum absoluten Diktat mit rechtlichen Zwangsfolgen geworden. Studenten – auch weiblichen – werden noch so gute Diplomarbeiten zurückgeschmissen, wenn diese nicht gegendert sind. Dass ein totales Gendern lange Texte noch viel länger macht, ist dem P.C.-Diktat egal. Ebenso wie die Tatsache, dass es so wie die ebenfalls politisch-bürokratisch diktierte Rechtschreibreform mitschuldig daran ist, dass sinnerfassendes Lesen für Jugendliche immer schwieriger wird, vor allem für jene mit Bildungsdefiziten.

Der Universitätsbereich ist ein besonders guter Nährboden für Genderisten geworden. Dort gibt es nicht nur immer mehr Gender-Institute und Professuren – auf Kosten der seriösen Wissenschaften und auf Kosten der Glaubwürdigkeit der Universitäten bei ihrem Kampf um mehr Geld. Dort werden auch Gendervorlesungen immer mehr zur Pflicht für die unterschiedlichsten Studienrichtungen. Das ist ähnlich wie einst in den kommunistischen Ländern, wo alle Studenten Marxismus-Leninismus belegen mussten.

Kleines, aber bezeichnendes Beispiel: Die Universität Wien stellte vor kurzem aus den Tausenden dort produzierten Diplom- und Seminararbeiten ausgerechnet jene Arbeit prominent auf ihre Homepage, in der sich ein halbes Dutzend Soziologinnen darüber beklagt, dass es mehrheitlich Frauen sind, die vor Weihnachten backen. Das wird – von einer wissenschaftlichen Institution! – vehement als „Retraditionalisierung“ attackiert.

In den Sog der Political Correctness ist in den letzten Jahren nicht zuletzt durch Verschulden der EU auch die Justiz geraten. Sie engt das Leben der Menschen und deren persönliche wie wirtschaftliche Handlungsfreiheit immer mehr mit Antidiskriminierungsgesetzen und Verhetzungsparagraphen ein.

Insbesondere der Islam hat in der Political Correctness einen intensiven Verbündeten gefunden. Während man etwa nach einem Delikt der „Christophobie“ oder „Katholophobie“ vergebens sucht (das würde ja reihenweise Grüne, Pinke und Rote vor Gericht bringen), wird von Linken seit einigen Jahren „Islamophobie“ als Schwerverbrechen dargestellt.

Alle Fakten, die dieser Sichtweise des Islam widersprechen, werden totgeschwiegen. Und dort wo man nicht strafen kann, wird ignoriert. Das passierte daher etwa auch der erschreckenden Studie, die das „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ präsentiert hatte: Es fand nämlich durch umfangreiche Befragungen heraus, dass zwei Drittel der Moslems die religiösen Gesetze als über den staatlichen stehend erachten. Bei den Christen waren es hingegen nur 13 Prozent. Das zählt heute zu den Wahrheiten, die niemand hören will, die niemand im öffentlichen Raum mehr anzusprechen wagt.

Selbst diese 13 Prozent sind ja letztlich keine Gefahr für den Staat. Findet sich doch in der Bibel nichts, was dem Staat ein bestimmtes Handeln vorschreiben würde. Selbst das Tötungs- und damit auch Abtreibungsverbot ist in allen biblischen Quellen nur ein für das Individuum geltendes Gesetz. Diskrepanzen gibt es lediglich in einem extrem schmalen Bereich, nämlich dort, wo Staaten Christen zwingen wollen, bei Abtreibungen mitzuwirken.

Im Islam hingegen ist ein riesiger Bereich der Glaubenslehre des Korans klassisches Zivil- und Strafrecht. Viele Koranlehrer meinen sogar, dass der Koran die ausschließlich für Zivil- und Strafrecht zuständige Rechtsquelle sei. Daher hat sich in islamischen Zuwanderergruppen in Deutschland und Österreich, sobald diese eine kritische Größe erreicht hatten, eine ausgebreitete Schattenjustiz entwickelt. Diese geht längst über die Rolle von Mediatoren hinaus. Sie führt immer öfter dazu, dass Moslems wegen des in ihren Augen gültigen Vorrangs islamischer Gerichte vor staatlichen falsch oder gar nicht aussagen. Für die Mehrheit der Moslems gibt es keine getrennten Sphären für Religion und Staat – zumindest dort nicht, wo sie die Mehrheit bilden. Das wird aber schon in wenigen Jahrzehnten in Deutschland wie Österreich der Fall sein.

Die drohende Verschmelzung von staatlicher und religiöser Sphäre ist heute überhaupt die größte Bedrohung der menschlichen Freiheit. Dennoch wird von Grün&Co fast jede Kritik am real existierenden Islam heftig bekämpft. Auch in den vielen von Linken beherrschten Medien wird Kritik am islamischen Fundamentalismus meist unterdrückt. Statt dessen erstatten immer wieder grüne Politiker und Journalisten Strafanzeige gegen einen der wenigen mutigen Islamkritiker. Und Staatsanwälte wie Richter verurteilen diese immer öfter, da sie sich anpassungswillig der „politisch korrekten“ Einschränkung der Meinungsfreiheit beugen.

Vorerst gehen all diese Entwicklungen an den Durchschnittsdeutschen und Österreichern eher vorbei. Diese haben zwar immer mehr die Überzeugung, wie Umfragen nachweisen, dass man nicht mehr alles sagen dürfe, was man sich denkt. Sie nehmen das aber eher lethargisch hin. Vorerst wird die mediale und politische Agenda nämlich noch ganz von wirtschaftlichen und europäischen Themen dominiert. Weder die demographische Katastrophe noch die Einschränkung der Meinungsfreiheit scheinen die Menschen derzeit sonderlich zu erregen.

Das tun derzeit offenbar nur jene, die sich an das Jahr 1848 erinnern. Das war die einzige Revolution, die ganz Europa erfasst hat, die Bürger und Arbeiter Seite an Seite gebracht hat. Das oberste Ziel dieser Revolution war der Ruf nach Meinungsfreiheit. Oder wie es damals meist hieß: nach „Preßfreiheit“.

Zwar sind die meisten der 1848 formulierten Verfassungen damals nicht Wirklichkeit geworden. Aber langfristig haben sich ihre Forderungen total durchgesetzt. Von den Menschrechtspakten bis zum deutschen Grundgesetz findet sich die Absicherung der Freiheit als dominantes Ziel und oberste Leitlinie. In Österreich ist sogar heute noch der ganz von 1848 geprägte Grundrechtskatalog von 1867(!) das zentrale Menschenrechtsdokument. Freiheit und Würde des einzelnen sind in jener Epoche immer im Zentrum gestanden: beim Kampf für die Gewaltentrennung, bei der weitgehenden Zurückdrängung der Obrigkeit aus unserem Privatleben oder bei der Durchsetzung des Prinzips „Was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt“.

Heute aber ist die Freiheit der Bürger fundamental bedroht, weil all diese Prinzipien unterminiert werden, weil im Strafrecht die Politische Korrektheit langsam zur dumpfen General-Klausel wird.

Letztlich geht es in den meisten Phasen der europäischen Geschichte immer um das Ringen zwischen staatlicher Macht und ihrem Allmachtsstreben auf der einen Seite und dem Kampf der Menschen um Freiheit, ob sich dieser nun individuell oder in Gruppen, Vereinen und Parteien zeigt. Bei diesem Kampf um individuelle Freiheit geht es erstens um Leib und Leben, also konkret vor allem um das Recht auf einen unabhängigen Richter und um objektive, möglichst restriktive Gesetze; und zweitens um die Meinungsfreiheit, ob sich die nun in der Spezialform Religionsfreiheit äußert oder etwa in der Freiheit von Wissenschaft oder Kunst.

Immer geht es um das Recht, anderer Meinung zu sein, anderes zu glauben, anders zu reden, anders zu handeln, als es die Machthaber wollen. Dieses Spannungsverhältnis, diese Abwehr eines totalitär alles beherrschen wollenden Staates lässt sich schon im mittelalterlichen Kampf um die „Zweischwertertheorie“, also um die Trennung zwischen Staat und Kirche nachweisen, in den Geschehnissen rund um Canossa, in den Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts, im Einsatz der Aufklärung für Gewaltenteilung und in den nationalen Befreiungskriegen des 19. und 20. Jahrhunderts.

Heute droht eine neue Einschränkung der Meinungsfreiheit zurück in den Vormärz zu führen. Um nur ein einziges besonders krasses Beispiel zu nennen: Österreichische Staatsanwälte klagen es als unerlaubten Meinungsexzess an und die Gerichte dreier Instanzen bestrafen es, wenn eine Wissenschaftlerin bei einem Seminar den islamischen Propheten als Pädophilen bezeichnet. Dabei gaben Gerichte und Staatsanwaltschaft durchaus das Faktum zu, dass Mohammed systematisch eine sexuelle Beziehung zu einer Neunjährigen gehabt hat. Nur sagen und kritisch thematisieren darf man es halt nicht mehr.

Deutlicher als dieses skandalöse Urteil kann man gar nicht zeigen, wie sehr die Meinungsfreiheit hierzulande wieder unterdrückt wird. Solche Urteile sind eine viel gravierendere Einschränkung der Freiheit als etwa die Vorratsdatenspeicherung. Bei dieser geht es ja nur um das behördliche Festhalten einer angerufenen/angemailten Telefon- oder Mail-Nummer, nicht um den Inhalt. Und die Vorratsdatenspeicherung könnte jedenfalls auch der Verfolgung echter Verbrechen dienen.

Umso erfreulicher ist es, dass sich ein brillanter Autor wie Werner Reichel mit seinem neuen Buch, mit seinem großen Faktenwissen und seiner schreiberischen Begabung ganz dem historischen Kampf für die Freiheit und gegen deren Einschränkungen widmet.

Dieser Text ist das Vorwort zum neuen, soeben erschienenen Werk von Werner Reichel „Die Feinde der Freiheit“ . Es kann bereits unter diesem Link auf Amazon bestellt werden.

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Brutto ist Netto oder: Pink ist Grün drucken

Die Neos versuchen, Wirtschaftskompetenz zu entwickeln. Weit sind sie damit noch nicht gekommen.

Jüngstes Beispiel peinlicher ökonomischer Ahnungslosigkeit waren Äußerungen des Jungabgeordneten Scherak zum Schubhaftzentrum Vordernberg. Scherak behauptete, dass die Forderung der privaten Sicherheitsfirma nur relativ knapp unter den Eigenkosten des Innenministeriums liegt. Das wären die Kosten des Ministeriums, wenn es bis hin zur Haustechnik die Vordernberger Anlage durch Beamte betreiben und nicht auslagern würde.

Lassen wir einmal beiseite, dass die für Scherak offenbar vernachlässigenswerte Differenz über die Laufzeit immerhin drei Millionen ausmacht. Der pinke Mandatar hat noch etwas viel Gravierenderes nicht begriffen: den Unterschied zwischen brutto und netto. Die private Sicherheitsfirma hat in ihrem Angebot naturgemäß auch noch 20 Prozent Mehrwertsteuer enthalten. Diese fehlen bei der Berechnung des Innenministeriums ebenso naturgemäß. Damit ist der Unterschied für den Steuerzahler ein gewaltiger. Also ein Vielfaches der von Scherak behaupteten Summe.

Oder glaubt der nette junge Mann, dass auch bei solchen Aufträgen das in Österreich nicht ganz seltene Motto gilt „Brauchen’s eh ka Rechnung Frau Minister“? Damit offenbart sich nach dem Scheitern Stronachs nun auch bei den Pinken genau das gleiche beklemmende Defizit: Österreich bräuchte in der Tat dringend Rechts- und Wirtschaftskompetenz auf den Oppositionsbänken – aber niemand hat sie dort.

Fast noch deprimierender ist ein weiterer hinter dem Hoppala Scheraks stehender Aspekt: Die gerne Liberalität (oder gar Neoliberalität – was auch immer der Unterschied sein mag) für sich beanspruchenden Neos hetzen genauso wie die Grünen und der ORF dagegen, dass wenigstens ein winziger Teil der öffentlichen Tätigkeit – wie etwa die Verköstigung von Schubhäftlingen – an Private vergeben wird. Statt sich darüber zu freuen.

Sind die Neos wirklich nur dasselbe wie die Grünen minus Scheibeneinwerfen? Nicht ganz: Parteichef Strolz hat sich ja für den Verbleib auch der abgelehnten Asylwerber in Österreich ausgesprochen. So Absurdes hat man in letzter Zeit nicht einmal von den Grünen gehört.

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Die Freiheit und Europas Studenten drucken

Als vor 25 Jahren die Mauer fiel, schien der Sozialismus endgültig versagt zu haben. Doch die Geschichte ist die beste Lehrmeisterin mit den schlechtesten Schülern. 2014 ist Europa wieder fest im Griff von Planwirtschaft, Zentralismus und Überwachungswahn.

Vor wenigen Jahren noch waren konsequent liberale Studenten ein spärlich gesätes Gut in Deutschland und Europa. Mittlerweile jedoch herrscht Aufbruchsstimmung. Unter dem Banner der European Students for Liberty sammelt sich eine neue Generation freiheitlicher Studenten. Sie kämpfen für Marktwirtschaft, Dezentralismus und Bürgerrechte.

Wir, die European Students For Liberty, organisieren vom 14. bis 16. März die größte klassisch-liberale Studentenkonferenz, die Europa je gesehen hat. 2011 fing es mit bereits 200 Individuen im belgischen Leuven an. Zwei Jahre später erwarten wir über 500 Teilnehmer zur dritten europaweiten Konferenz in Berlin. 25 Jahre nach dem Mauerfall freuen wir uns, eine weltweite Bewegung in Gang gesetzt zu haben. Sie eint die Begeisterung für die Ideen der Freiheit, Selbstverantwortung und Unternehmertum. Uns haben sich bereits mehr als 200 Studentengruppen in 36 europäischen Ländern angeschlossen (weltweit sind es bereits über 1000). Über 1100 Studenten nahmen im vergangenen Herbst an unseren neun regionalen Konferenzen in ganz Europa  teil. Außerdem haben wir zehntausende Exemplare unserer Publikation „Why Liberty“ verteilt, die mittlerweile sogar in Sprachen wie das Griechische und Spanische übersetzt wurde.

Vom 14.-16. März erwarten wir über 500 klassisch-liberale Studenten und Gäste aus ganz Europa in Berlin. Neben Vorträgen und Diskussionen werden die Teilnehmer auch Workshops besuchen können. Dort können sie notwendige soft skills erlernen, um effektivere Leader und Aktivisten für die Freiheit zu werden. Darüber hinaus werden die Teilnehmer die Möglichkeit haben Freundschaften zu knüpfen und Netzwerke zu bilden. Der Fokus von ESFL liegt auf Studenten, da unsere Theorie des sozialen Wandels auf langfristige Veränderungen in der Denkweise der Gesellschaft abzielt.

Das heißt, wir möchten den jungen Menschen so früh wie möglich die klassisch-liberalen Ideen näher bringen, damit sie diese während ihres weiteren akademischen und beruflichen Werdegangs verbreiten können. Was uns von bestehenden Strukturen unterscheidet sind unsere klassisch-liberalen Prinzipien. Wir nehmen kein Geld vom Staat an und sind nicht politisch tätig. Als European Students For Liberty konzentrieren wir uns ausschließlich auf die Ideen der Freiheit, die akademischen Theorien und die Kommunikation derselben. Wir schreiben dabei niemanden vor, was der beste Weg zur Freiheit ist, sondern wollen genau darüber diskutieren.

Als Redner haben uns bereits u. a. Tom Palmer (Atlas), Kevin Dowd (University of Nottingham), Marco Ricca („Ethical Hacker“), Vera Kichanova (Journalist), Christian Michel (ISIL), Axel Kaiser (Ökonom, Autor), Michael Tanner (Cato Institute), Baishali Bomjan (Centre for Civil Society), Stephen Davies (Institute for Economics Affairs), Trevor Burrus (Cato Institute), Alberto Mingardi (Instituto Bruno Leoni) und John Fund (Autor, Journalist) zugesagt.

Die Anmeldegebühr beträgt für Studenten 40€ und für Nicht-Studenten 55€. Darin enthalten sind alle Speisen während des Wochenendes, viele kostenlose Materialien, Netzwerkmöglichkeiten mit Think Tanks und natürlich drei Tage voller interessanter Redner und Diskussionen.

Wir freuen uns, Euch in Berlin begrüßen zu dürfen und hoffen, mit Hilfe dieser Konferenz einen Beitrag zu einer freieren Gesellschaft leisten zu können.

Michael Landl ist im Vorstand der European Students For Liberty tätig, arbeitet für den Think Tank Agenda Austria in Wien und studiert International Affairs and Governance an der Universität St. Gallen. Zudem ist er Mitbegründer des Austrian Libertarian Movement in Wien. Sie können ihn unter der E-Mail-Adresse mlandl@studentsforliberty.org erreichen.

European Students For Liberty

ESFL europäische Konferenz

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Der Ball und die Medien, die Grünen und der Rechtsstaat drucken

Die erste Erregung über die Ausschreitungen rund um den Wiener Hofburgball ist abgeflaut. Umso wichtiger ist es, in aller Ruhe an die klaren Grundsätze eines demokratischen Rechtsstaats zu erinnern, die da bei manchen Medien bedenklich ins Wanken geraten sind. Bei diesen Grundsätzen müssen Gewaltfreiheit und Versammlungsfreiheit ganz an der Spitze stehen. Wer das ignoriert, stellt sich selbst außerhalb von Demokratie und Rechtsstaat.

Wenn eine Partei wie die Grünen mit diesen Grundsätzen auch heute noch (oder wieder?) so wie in ihrer gewalttätigen Gründungsphase Probleme hat, dann ist das mehr als bedenklich. Skandalöse Nähe zu den schweren Ausschreitungen haben neben den direkt verwickelten Jungen Grünen jedenfalls auch der Wiener Klubobmann der Partei und ihr „Justiz(!)sprecher“ durch völlig unakzeptable Wortmeldungen gezeigt.

Aber haben nicht die Grünen genauso das Recht auf Versammlungsfreiheit wie die Blauen? Ganz gewiss. Jedoch sagen das Recht und alle humanen wie liberalen Prinzipien ganz klar: Versammlungsfreiheit darf nicht dazu benutzt werden, um die Versammlung eines anderen zu stören. Die Freiheit des einen endet immer an der Freiheit des anderen.

Das heißt: Die Grünen und ihre Sympathisanten haben rund ums Jahr das Recht auf (friedlich bleibende!) Demonstrationen, und auch zum Zeitpunkt des Balls haben sie das Recht dazu an jedem anderen Ort. Aber es ist selbstverständliche Pflicht der Polizei, eine ordnungsgemäß gemeldete Veranstaltung vor Störungen zu schützen. Oder es zumindest zu versuchen, wie etwa durch eine Platzsperre angesichts von langer Hand geplanter und durch Import deutscher Gewalttäter so gut wie sicherer Störaktionen.

Gewiss sind die von uns zu tragenden Kosten für den Polizeieinsatz mehr als ärgerlich. Aber diese dürfen niemals ein Grund sein, Veranstaltungen zu untersagen. Die Kosten sollten vielmehr bei denen eingetrieben werden, die sich nicht an Regeln des Rechtsstaats halten.

Wären die Kosten der Polizeieinsätze wirklich ein Argument, Veranstaltungen abzusagen, dann müssten auch wöchentlich sämtliche Fußball-Bundesliga-Spiele verboten werden (Spiele der Champions-Liga prinzipiell erst recht, aber da ist Österreich ja leider nur Zuschauer). Denn große Fußballspiele verursachen bekanntlich besonders regelmäßig und besonders teure Polizeieinsätze, auch oft lange nach einem Spiel oder schon vorher. Als Schuldige tun sich übrigens Anhänger-Gruppen der beiden Wiener Vereine gerne besonders negativ hervor (auch wenn mir einer dieser Klubs davon seit Jugendtagen irgendwie ans Herz gewachsen ist).

Wären die Grünen eine voll in der Rechtsordnung angekommene Partei, dann würden sie prinzipiell jede Kooperation mit potenziell gewalttätigen Gruppen stoppen. Dann würde eine wirkliche Parteichefin sofort jene Jungen Grünen aus der Partei ausschließen, die Gewalttäter importiert haben. Dann würde sie selber zurücktreten, sollte sie hinter den Kulissen das alles gutgeheißen haben.

Jedenfalls würde eine rechtsstaatliche Partei die Abhaltung eines Balls ignorieren, solange dort nichts Rechtswidriges passiert. Selbst wenn dieser Ball ihnen zutiefst unsympathisch ist. Ich bin ja auch nie zum FPÖ- (oder früher: WKR-)Ball gegangen. Genausowenig wie ich zu geselligen Veranstaltungen der Grünen oder einer anderen Partei gehe.

Bei der Polizei hatte diesmal ganz offensichtlich der Verfassungsschutz das Kommando übernommen. Polizeipräsident Pürstl hingegen war heuer nie zu hören. Das ist gut so. Hat dieser doch im Vorjahr mit mehr als deplatzierten Kommentaren gezeigt, dass er nur ein braver Bürokrat und Parteisoldat ist, der seiner Aufgabe überhaupt nicht gewachsen ist, nicht einmal verbal. Diesmal hat die Polizei wenigstens versucht, den Ball zu sichern. Während von Pürstl im Vorjahr nur Zynismus zu hören war.

Neben den Grünen haben sich erstaunlicherweise auch die Neos indirekt an die Seite der Gewalttäter gestellt. Sie haben vehement gegen das von der Polizei verhängte Vermummungsverbot protestiert.

Man kann nun gewiss diskutieren, ob ein solches in einem liberalen Rechtsstaat am Platz ist. Freilich darf man bei einer solchen Diskussion nicht ignorieren, dass Vermummungsverbote mit guten – liberalen – Begründungen in immer mehr rechtsstaatlichen Ländern eingeführt werden: wegen gewalttätiger Demonstranten beziehungsweise gegen diese; und wegen der von radikalen Muslims erzwungenen Ganzkörperverschleierung ihrer Frauen. Diese ist ja nicht nur menschenrechtlich überaus bedenklich, sondern auch schon mehrfach zur Tarnung von Attentätern missbraucht worden. Der Schutz der Bürger vor Kriminalität ist jedenfalls immer schon eine zentrale liberale Aufgabe gewesen (weshalb der klassische Liberalismus von den Linken sogar gerne als Nachtwächter-Ideologie denunziert wird). Und es ist jedenfalls ein urliberales Prinzip, sich offen zu seinen Meinungen zu bekennen.

Trotzdem kann man wie die offensichtlich noch immer ganz stark vom linken Gedankengut der Heide Schmidt beeinflussten Neos natürlich auch meinen, dass ein Vermummungsverbot nicht liberal wäre. Nur eines kann man dann sicher nicht, was die Neos getan haben: sich laut über dieses Verbot aufzuregen, aber gleichzeitig kein Wort gegen schwere Gewalttaten und die versuchte Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu sagen. Das ist dann nur noch Chuzpe und jedenfalls nicht liberal.

Was passiert eigentlich auf diesem Ball, der neuerdings so viele Hass linker Gruppen erregt wie einst der Opernball? Ich war zwar nie dabei, aber nach allen seriösen Berichten geht es dort so zu wie auf jedem Ball, und es passiert in keiner Weise etwas rechtlich Bedenkliches. Die einst liberale „Presse“ hat dennoch Druck auf die Hofburg-Betreiber ausgeübt, künftig den Ball zu untersagen. Ihr Argument: Dort säßen auch Leute, „die mit der NS-Vergangenheit flirten“.

„Flirt“ als Delikt ohne Konkretisierung und Beweise ist ein mehr als leichtfertiger Vorwurf. Leben wir doch in einem Land, das die strengsten Wiederbetätigungsgesetze hat (die übrigens gerade wieder etliche Menschen auf Jahre ins Gefängnis gebracht haben). Oder weiß die „Presse“ mehr als wir alle? Wurde auf dem Ball Neonazistisches öffentlich gesagt oder getan? Dann sollte sie es konkret mit Namen und Aussagen nennen. Dann ist nach den geltenden Gesetzen gegen die Betreffenden vorzugehen. Aber in einem Rechtsstaat kann es sicher nicht wegen sogenannter Flirts verhängte Kollektivstrafen geben.

Das auf diesem vagen und unsubstantiierten Vorwurf aufbauende Verlangen, Veranstaltungen zu unterbinden, ist einer Qualitätszeitung unwürdig. Hat sie als Motiv bloß diffuse Gefühle, die sie für Moral hält, dann könnte sie ihre Glaubwürdigkeit nur dann wiederlangen, wenn sie auch all jene Veranstaltungen unterbinden will, die im Verdacht stehen, dass dort jemand mit dem Kommunismus flirtet. Dazu ist aber gar nichts bekannt.

Daher muss sich die „Presse“ den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr die Opfer des Kommunismus offenbar egal sind, obwohl dieser rund 80 Millionen Menschen umgebracht und einer noch viel größeren Menge das ganze Leben zerstört hat. Das wäre dann auch die endgültige Abkehr von einer großen Geschichte, für die insbesondere, aber keineswegs nur der eben verstorbene Fritz Molden gestanden ist.

Es ist mehr als nachvollziehbar, dass jemandem andere Menschen, etwa die Besucher eines Parteiballs, unsympathisch sind. Aber deswegen etwas verhindern, etwas unterbinden zu wollen, ist nichts anderes als Beweis einer totalitären Gesinnung.

Man kann nur immer wieder den weisen Voltaire-Spruch zitieren, der eine der wichtigsten Grundlagen liberalen und aufgeklärten Denkens ist: Ich lehne voll ab, was sie sagen; ich werde aber alles tun, dass sie es sagen können.

Wenn dieser Grundsatz verloren geht, dann geht auch unser aller Freiheit wieder verloren, um die unsere Vorfahren so hart gekämpft haben.

 

 

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

 

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Warum Subventionen immer schlecht sind drucken

Die Politik brüstet sich gerne der von ihr verteilten Subventionen, besonders im Hochsubventionsland Österreich. Unter viel Beifall. Verlangen doch die Interessenvertreter der Wirtschaft ständig noch mehr davon. Auch alle bedachten Unternehmen selbst freuen sich darüber. Und ebenso tun das Gewerkschaften & Co, einerseits weil auch viele Betriebsräte für Subventionsgelder zugunsten ihrer Firma lobbyieren. Und andererseits weil die Gewerkschaft im Gegenzug dann meist eigene Interessen wie die Sozialbürokratie ausbauen kann. Warum sind Subventionen dennoch absolut und grundsätzlich schlecht?

Aus zwei klaren Gründen: Erstens, weil beim Durchschleusen von Geld durch Bürokratie und Politik immer viel davon sinnlos verloren geht; und zweitens und vor allem wegen der Knappheit von Ressourcen (von Geld, von intelligenten Menschen, von Anlagen und Rohstoffen). Ein Euro, der für Zweck A ausgegeben wird, kann nicht mehr für Zweck B ausgegeben werden. Daher sollte es nie um den von Politikern und Medien gern betonten Aspekt gehen, dass Zweck A (meist) eh ein guter ist, sondern immer darum, dass es viel sinnvollere, zu mehr Nutzen führende Zwecke gibt. Das kann B sein, aber auch C oder D.

Es geht also immer um die relativ beste Entscheidung. Und da ist es millionenfach bewiesen: Der Eigentümer dieses Euros – wie auch jedes anderen –  ist im Schnitt weitaus am besten imstande, über dessen Einsatz zu entscheiden. Denn ihn trifft es immer selbst, wenn eine Verwendung suboptimal ist. Das heißt natürlich nicht, dass Eigentümer immer absolut richtig entscheiden (ich selbst werde etwa nie vergessen, einmal etliches Geld in Libro-Aktien investiert zu haben …). Das heißt aber mit Sicherheit, dass die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Entscheidung beim Eigentümer viel größer ist als bei einem Politiker oder Beamten. Denn die geben ja immer nur fremdes Geld aus.

Der Beamte sichert sich tausend Mal ab, verlangt für jede Entscheidung als erstes einmal ausreichend Dienstposten, geht von einer Kommission zur nächsten und bewegt sich immer im Mainstream, vermeidet also jedes Risiko. Und Politiker haben folgende Prioritäten im Auge: Wie wirkt sich das auf die nächsten Wahlen aus? Wie wirkt sich das auf meine persönliche Stellung im innerparteilichen Machtgefüge aus? Wie verkaufe ich es den Medien? Und: Kann mir niemand in absehbarer Zeit eine Fehlentscheidung vorwerfen (und nachher ist eh alles vergessen)?

Das sind alles normale, gesellschaftlich als regulär angesehene Verhaltensweisen. Da ist noch gar nichts Kriminelles dabei. Obwohl natürlich auch klar ist: Korruption kann es beim Verwenden eigenen Geldes gar nicht geben, sondern nur beim Ausgeben fremden Geldes.

Aus all diesen Gründen ist in der Tat jede einzelne Subvention prinzipiell falsch. Das einzig richtige wäre: Alle Subventionen weg und dafür die Steuern massiv herunter. Dann wären freilich viele Beamte, Kommissionen, Politiker sofort überflüssig …

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Demokratie und Straße: Die ukrainische Lektion drucken

Von Stunde zu Stunde mehr Tote, Hunderte Verletzte: Das ist die Zwischenbilanz der „europäischen“ Großmacht Ukraine. Das Land brennt.

Manche werden da jetzt einwerfen: Der ukrainische Machthaber Janukowitsch sei doch immerhin gewählt worden (so wie übrigens auch die türkische und thailändische Regierung, gegen die ebenfalls heftig protestiert wird). Man könne doch nicht einfach der Straße die Macht geben. Und die Demonstrationen gegen die Abwendung der Ukraine von Europa und gegen seinen weitgehenden Anschluss an Russland und dessen Gas seien zuletzt sehr aggressiv geworden.

Das ist alles richtig, aber dennoch nur ein winziger Teil der Wahrheit.

Denn viel fundamentaler ist: Kein Land der Welt kann heute Demokratie noch so interpretieren, dass diese bloß alle vier oder fünf Jahre stattfindet, und dass dazwischen die an die Macht gekommenen Politiker alles tun und lassen können, was sie wollen. Den Menschen der Ukraine über Nacht und auf Dauer die europäische Perspektive zu stehlen, ist massiv undemokratisch. Dazu sind sie nie befragt worden. Auch nicht einmal indirekt.

Genauso wichtig: Zu einer Demokratie gehört ebenso und völlig unabdingbar noch etwas anderes. Das ist eine wirklich freie und unpolitische Justiz. Das Vorhandensein eines Rechtsstaats ist zweifellos viel wichtiger als jede Debatte über Wahlrechtsvarianten. Eine unabhängige Justiz würde nicht auf Befehl des Präsidentenamtes unter Verwendung halbseidener Vorwürfe Oppositionspolitiker auf Jahre ins Gefängnis werfen. Auch der dringend notwendige Kampf  gegen die Korruption kann nicht bedeuten, dass es diese immer nur unter früheren Regierungen gegeben hat. Eine wirklich unabhängige Justiz müsste es vor allem wagen, gegen amtierende Nehmer vorzugehen. Das ist aber in der Ukraine noch nie passiert (während übrigens sowohl die türkische wie auch die rumänische Justiz trotz heftiger politischer Repressalien erstaunlichen Mut im Kampf gegen korrupte Politiker zeigen).

Herr Janukowitsch kann sich zwar auf die Macht seiner Polizeiwaffen stützen – und auch das vielleicht nicht auf Dauer –, aber er kann sich niemals mehr auf das Prinzip Demokratie berufen.

Noch etwas politisch ganz Unkorrektes sei hinzugefügt: Wenn die Dinge weiter eskalieren, dann wäre wohl eine Teilung des Landes viel humaner, weiser und anständiger als monate- und jahrelanges Blutvergießen. Der Westen der Ukraine (übrigens zum Teil altes k. und k.-Gebiet) will dringend nach Europa. Der Osten wird von Russen dominiert, die stark nach Moskau blicken.

Lasst sie doch dorthin gehen! Alles ist besser als eine ständige Eskalation des Blutvergießens, des Zorns und Frustes. Von der Tschechoslowakei bis Jugoslawien haben wir gelernt, dass Teilungen tatsächlich viele Probleme lösen können. Politiker, die das auf friedlichem Weg schaffen, haben jedenfalls historische Verdienste errungen.

 

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Waffen weg! Und schon wird die Welt sicherer drucken

Der Staat garantiert die Sicherheit seiner Insassen. Zu diesem Behufe beansprucht er ein Gewaltmonopol und leistet sich Waffen tragende Organisationen, die ihre segensreiche Wirkung sowohl nach außen (Militär) als auch nach innen (Polizei) entfalten. Nun sehen die Obertanen ihr Gewaltmonopol naturgemäß nicht gerne herausgefordert und setzen daher alles daran, die Wehr- und Selbstverteidigungsfähigkeit der Bürger so weit wie möglich herabzusetzen.

Waffen in Privathand? Nein danke! Folgerichtig wird das Grundrecht auf privaten Waffenbesitz – unter tatkräftiger Mitarbeit der am Subventionstropf hängenden Massenmedien – entschlossen bekämpft. Das ist auch gut so, denn im Besitz von Privatpersonen befindliche Waffen sind von Natur aus mindestens ebenso böse wie deren Besitzer selbst.

Hat man je von Waffen in den Händen der wertvollsten Mitglieder unserer Gesellschaft gehört, als da wären: Aktivisten von Caritas, Diakonie, ZARA, Greenpeace, selbstbewusste Parteigänger der Grünen oder andere sich idealistisch für die Rechte Unterprivilegierter einsetzende Bessermenschen? Natürlich nicht! Für den Waffenbesitz interessieren sich ausschließlich Bambimörder, potentielle Amokläufer, Wähler rechter Parteien, Psychopathen und Männer mit zu klein geratenen Genitalien, die einen Schießprügel zur Kompensation ihrer (angeborenen) Defizite benötigen.

Von Fachleuten wie dem „Kriminalpolizeilichen Beratungsdienst“, wird zudem ein unschlagbares Argument gegen den (legalen) privaten Waffenbesitz ins Treffen geführt: Böse Buben (und Mädchen) könnten eine Privatwaffe an sich bringen und gegen deren rechtmäßigen Besitzer einsetzen! Dabei wird unterstellt, dass der allfällige Angreifer dem Selbstverteidiger grundsätzlich überlegen ist. Eine vom bedrohten Opfer auf ihn gerichtete Waffe kann demnach einfach „entwunden“ und anschließend zu seinem eigenen Schaden verwendet werden. Was könnte man der Wucht dieser Logik wohl entgegensetzen (außer einem bisher vollständigen Mangel an Evidenz)?

Nun kam es indes in einem der exklusivsten Wohnviertel Wiens, der schönen Brigittenau, jüngst zu einem Zwischenfall, der dazu angetan sein könnte, die oben genannten Überlegungen ein wenig auszuweiten: Einem Polizisten wurde nämlich im Zuge einer Amtshandlung die Waffe „entrissen“ – und zwar von einem mutmaßlich zwecks Kulturbereicherung zugereisten Herrn vom Balkan. Der hatte wohl vergessen, vor dem Verlassen des Hauses Schlagring und Springmesser einzustecken und griff sich – möglicherweise nachdem er seiner Wehrlosigkeit gewahr geworden war – kurzerhand die Dienstwaffe (Glock 17) eines Ordnungshüters. Danach frönte er einem in manchen südlich gelegenen Gegenden üblichen Brauch und schoss mit der Pistole lustig in die Luft – Gottlob ohne damit Personenschäden anzurichten.

Der Kriminalpolizeiliche Beratungsdienst hat recht: Legale Waffen werden entwunden und missbräuchlich verwendet. Quod erat demonstrandum! Die aus diesem Fall zu ziehende Konsequenz liegt auf der Hand: Weg mit den Polizeiwaffen, die ja doch nur den Falschen zugute kommen. Gewaltfreiheit ist etwas von Natur aus Schönes, weshalb es geraten erscheint, auch initiierter Gewalt nicht mit Gewalt zu begegnen, sondern mit einem guten Gespräch. Einschlägige Sonderschulungen für staatliche Ordnungshüter sind daher dringend gefordert. Die Sicherheit heischenden Bürger werden es dem Staat danken (Ironie aus).

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Not in my Backyard oder das Wiener Florianiprinzip drucken

Die Wiener Politik wird immer stärker von einem sich verengenden Kirchturmshorizont geprägt. Diese Denkweise zeigt sich vor allem, seit immer mehr Macht an die Bezirke gegangen ist. Zwar war auch schon die Trennung zwischen Wien und Niederösterreich vor fast einem Jahrhundert ein Unsinn; diese Trennung hat ja seither viele Probleme zwischen Wien und den großen Umlandgemeinden ausgelöst. Aber noch viel schlimmere Konsequenzen hat die zunehmende Verschiebung wichtiger Entscheidungen vom Rathaus an die 23 Bezirke während der letzten Jahrzehnte.

Politiker haben eine überragende Priorität: die eigenen Wähler. Für einen Bezirkspolitiker sind das naturgemäß nur die im Bezirk wohnenden Menschen und nicht etwa die Wiener oder Niederösterreicher aus anderen Wahlsprengeln. Dies gilt auch dann, wenn diese beruflich oder als Klienten, Patienten und Kunden mit dem betreffenden Bezirk viel zu tun haben. Dies gilt auch dann, wenn Unternehmen, Ärzte, Anwälte und sonstige Dienstleister in diesem Bezirk arbeiten und Kunden dorthin anziehen. Sie alle haben aber dort kein Wahlrecht und sind für die lokalen Politiker daher irrelevant.

Diese Entwicklung führt zwischen den beiden Bundesländern und zwischen den Wiener Bezirken zu immer absonderlicheren Situationen.

Zwischen Wien und Niederösterreich leiden etwa Hunderttausende darunter, dass alle Wiener U-Bahnen an den Stadtgrenzen enden. Dabei sind Klosterneuburg, Purkersdorf, Schwechat und insbesondere der Süden bis Baden de facto schon untrennbar geschlossenes Wiener Siedlungsgebiet. Die Menschen arbeiten in einer Gemeinde, in einem Bezirk. Sie wohnen in einem anderen. Und kaufen in einem dritten ein. Für sie ist aber alles eine Einheit.

Für die Gemeinden und (in Wien) die Bezirke jedoch nicht. Dort wird immer nur nach den Bedürfnissen der eigenen Wähler geplant.

Dabei ist Wien eigentlich gleichzeitig Land, Politischer Bezirk und Gemeinde. Die Kompetenzen der Wiener Bezirke sind nur administrative Ausgliederungen einer verfassungsrechtlich einheitlichen Stadtverwaltung. Die Verfassungslage wird aber zunehmend ignoriert.

Je kleinteiliger solche Körperschaften werden, umso absurder sind die Ergebnisse dieser Fehlentwicklung. Das ist umso mehr der Fall, je stärker die Ausgaben-Verantwortlichkeit von den Einnahmen getrennt ist. Dadurch schauen politische Gremien nicht mehr auf die Folgen der eigenen Entscheidungen für die Steuereinnahmen.

Das Steuereinkommen ist in Österreich stark auf die Arbeits- und Einkaufsplätze hin orientiert. So ist Vösendorf (mit der Shopping City Süd) eine der reichsten Gemeinden Österreichs. Wohnort ist es aber nur für ganz wenige der Menschen, die dort ihr Geld lassen.

Besonders deutlich sieht man die Dummheit eines solchen Systems an Hand der Kurzparkbezirke. Hat sich die Einführung der Kurzparkzonen für die regionalen Arbeitsplätze anfangs durchaus positiv ausgewirkt, so drohen nun politische Entscheidungen zum gegenteiligen Effekt zu führen.

In den letzten Jahren hatten die sich immer mehr ausdehnenden Kurzparkzonen durchaus positive Wirkungen für Unternehmen in den betroffenen Gebieten. Viele Autofahrer konnten wieder zu Geschäften, Ärzten usw. fahren. Sie konnten dort ein, zwei Stunden ihre Einkäufe und Konsultationen erledigen und dann wieder wegfahren und den Parkplatz für den nächsten Nutzer räumen. Das hat die Stadt in der Konkurrenz mit dem Umland gut positioniert.

Viele Ziele sind halt nur mit dem Auto gut erreichbar; man braucht – wenn es nicht um die direkte Umgebung einer U-Bahn-Station geht – mit dem Auto vielfach deutlich weniger Zeit ans Ziel; man kann mit Gehbehinderten zum Arzt fahren; und nur sehr wenige Menschen haben Lust, sich nach einem Einkauf mit Säcken bepackt in öffentliche Verkehrsmittel zu zwängen. Nicht einmal Grüne tun das, obwohl sie immer behaupten, wie toll doch die „Öffis“ wären.

Die flächendeckenden Kurzparkzonen sind eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu früheren Zeiten. Jene Zeiten sind freilich manchen aus dem Gedächtnis verschwunden. Damals sind Beamte und Angestellte oft schon eine Stunde vor Arbeitsbeginn in die Stadt gefahren, um nur ja einen der Gratisparkplätze zu bekommen. Sie haben dann halt im Auto gefrühstückt und Zeitung gelesen. Alle Parkplätze waren voll, auch in zweiter Spur standen Fahrzeuge. Jene hingegen, die Geld ins Stadtzentrum gebracht hätten, wurden abgeschreckt.

Währing und Döbling sind derzeit (noch) nicht Kurzparkzone. Sie sind die weitaus zentrumnächsten Gebiete ohne Pickerlpflicht. Ihre Situation ist nur mit der Parteipolitik erklärbar. Sie sind nämlich (so wie auch das etwas außerhalb liegende Hietzing) schwarz regiert und haben daher auf ein unsensibel vorgebrachtes Diktat der rotgrünen Stadtregierung negativ reagiert.

Diese Dummheit beider Seiten hat in den genannten Bezirken nun sehr negative Folgen: Sie sind heute von stadtfremden Autos total zugeparkt. Diese bleiben oft wochenlang am gleichen Platz stehen. Dennoch reagieren die Bezirke nicht, weil sie nicht mehr aus ihrer parteipolitischen Fixierung herauskommen.

In Währing ist beispielsweise sogar ein Antrag von Gewerbetreibenden und Geschäften abgewiesen worden, wenigstens lokal eine kleine Kurzparkzone einzurichten, damit Kunden parken können. Etliche Betriebe haben daraufhin zugesperrt und den Bezirk verlassen. Egal. Sie waren ja keine Wähler.

Die flächendeckenden Kurzparkzonen in anderen Bezirken sind hingegen – vorerst – ein voller Erfolg. Statt nur eines Ganztagnutzers (ohne Beitrag zur Wertschöpfung) können so im Laufe eines Tages fünf bis zehn verschiedene Autofahrer Geld in die innerstädtische Gastronomie, zum Handel oder zu irgendwelchen Dienstleistern tragen.

Aber jetzt schlägt die Kurzsichtigkeit der Bezirkspolitiker zurück: In rapidem Tempo beschlagnahmen sie die Kurzparkplätze und reservieren sie für die Bezirksbewohner. Diese lassen dann ihr Auto oft die ganze Woche dort stehen. Hingegen werden die für die Unternehmen viel wertvolleren Kurzzeitbesucher wieder abgeschreckt.

Nun werden manche einwenden: Aber die Bezirksbewohner zahlen ja für ihr „Bezirkspickerl“. Das ist ein typisch politisches Argument. Denn das, was die Menschen fürs Pickerl zahlen, ist deutlich weniger als das, was Bezirksfremde schon binnen einer halben Stunde zahlen würden. Daher ist das Bezahlargument absolut unsinnig.

Dennoch werden die für Bezirksbewohner exklusiv reservierten Parkplätze, die vor zwei Jahren erfunden worden sind, nun rapide ausgedehnt. Auf Anordnung der grünen Stadträtin Vassilakou und vor allem auf intensiven Wunsch der betroffenen Bezirke können nun schon 20 Prozent aller Parkplätze für Bezirksbewohner reserviert werden. Und alle Pickerl-Bezirke machen mit, ob rot, ob schwarz, ob grün regiert.

Die schwarze Josefstadt war übrigens die erste mit diesem Unsinn. Gerade in diesem kleinen, aber dicht besiedelten Bezirk, in dem es zugleich besonders viele Lokale, Theater, Ordinationen und auch Geschäfte gibt, stößt man bei Kritik an diesem „Fremde Autos brauch ma net“ rasch auf die Gegenfrage: Aber wohin sonst mit dem eigenen Auto der Bewohner?

Dem ist freilich gleich zweierlei entgegenzuhalten. Erstens: Niemand hat um seine Miete (oder den Kaufpreis einer Wohnung) schon das automatische Recht miterworben, zusätzlich um weniger als 50 Cent pro Tag, also fast gratis, ständig acht Quadratmeter öffentlichen Grundes exklusiv nutzen zu können.

Zweitens zeigen sich gerade in der Josefstadt die schweren Defizite der Politik: Sie hat im ganzen Bezirk nur zwei (noch dazu eng beieinanderliegende) öffentliche Garagen errichten lassen. Das ist viel zu wenig. Dabei gäbe es viele Möglichkeiten, im achten Bezirk oder an dessen Grenzen Garagen zu bauen. Insbesondere gilt das rund um das Theater, dessen Provinz-Besucher nun oft schon über eine Stunde vorher anreisen! Etwa unter dem Piaristenplatz könnte man eine Garage errichten (wobei natürlich das prachtvolle Barock-Bild von Kirche und Kloster komplett unverändert bleiben müsste), unter dem Schmidt-Platz, oder insbesondere unter dem Schönbornpark. Bei diesem könnte übrigens im Zuge eines Garagenbaus endlich auch die seit Jahren völlig desolate Umfassungsmauer wiederhergestellt werden.

Natürlich gibt es gegen jedes Garagenprojekt Widerstände. Aber wenn jetzt die Politik den Anrainern das ganzjährige Fast-Gratis-Parken vor der Haustür garantiert, wird der Widerstand natürlich noch größer werden. Was dazu führen muss, dass Wien wieder wie einst total zugeparkt sein wird. Die Arbeitsplätze werden halt noch rascher ins Umland – oder auch ins Ausland – abwandern.

Aber den Bezirkspolitikern mit ihren Kirchturmhorizont ist es ja gleich. Dass dadurch ständig noch mehr Wertschöpfung vertrieben wird, wirkt sich ja weder auf die Bezirke noch deren Budgets aus. Und das Rathaus ignoriert diese Auswirkungen offensichtlich auch.

Glaubt es doch, mittels innerparteilichem Druck sich das Geld auf dem Weg des Finanzausgleichs vom Bund – trotz dessen explodierender Schulden – holen zu können. Weshalb sich das Rathaus alle vielleicht mancherorts unpopulären Anstrengungen erspart, Wien – für Arbeitsplätze wie Autofahrer – wieder interessanter zu machen. Und es unterstützt daher die Ausbreitung des Floriani-Prinzips. Auch wenn sich dieses am Ende immer als ein abgrundtief dummes erwiesen hat.
Heiliger Sankt Florian
Verschon unser Haus!
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FN 562: Herr Fischer, wie wäre es mit so einer Rede? drucken

Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck hat eine Rede gehalten, die ungefähr zehnmal klüger ist als alles, was Heinz Fischer in seinem ganzen Leben bisher gesagt hat.

Gauck warnte (vor dem deutschen Eucken-Institut) vor zu viel staatlicher Regulierung. Er forderte mehr Wettbewerb. Die Menschen sollen mehr Eigeninitiative zeigen. Vorbehalten gegen die Marktwirtschaft müsse entgegengetreten werden. Immer dort, wo es zu wenig Wettbewerb gebe, gedeihe die Ungerechtigkeit. Und so weiter, und so fort. Kein Wunder, dass ein Land mit einem solchen Bundespräsidenten heute in fast allen Zukunftsrankings weit vor Österreich liegt. Dabei ist es noch 2006/07 weit hinter der Alpenrepublik gelegen.

PS: Herr Fischer, wenn Ihnen vielleicht nicht einfällt, wo Sie eine solche Rede halten sollen: Dann steht Ihnen sicher dafür das Wiener Hayek-Institut zur Verfügung. Hayek hat ja die wohl weisesten Bücher des 20. Jahrhunderts geschrieben, war überdies ein Österreicher und hat noch dazu den Nobelpreis bekommen.

 

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Demokratie nach Wiener (Ab-)Art drucken

Da bleibt einem der Mund offen: Die Wiener müssen selbst kräftig für die Propaganda zahlen, die ihnen die Meinung von Grün und Rot eintrichtern will. Das wird vor der Mariahilfer-Straßen-Abstimmung besonders deutlich. Zugleich wird bei dieser auch heftig mit der Fragestellung und dem Kreis der Wahlberechtigten manipuliert, die dabei abstimmen dürfen. Seltsam: Wenn ein Drittwelt-Staat auf öffentliche Kosten einseitige Wahlpropaganda zugunsten der Machthaber macht und unfaire Abstimmungszettel produziert, dann wird dieser Staat von den internationalen Wahlbeobachtern als undemokratisch und autoritär verfemt. Warum kommen solche Wahlbeobachter eigentlich nicht auch nach Wien?

Dann würde hier wohl manches rechtsstaatlicher ablaufen. Irgendwie fehlt ja nur noch, dass der Kreis, wo die Bürger des 6. und 7. Bezirks auf dem Stimmzettel der Meinung der Machthaber zustimmen sollen, deutlich größer und fetter gedruckt wird als jener Kreis, mit dessen Ankreuzen man Widerspruch wagt. Es genügt aber durchaus schon das an Manipulations-Strategien, was man bereits kennt, um zornig zu werden.

Wie jetzt offiziell zugegeben wird, wird der Steuerzahler – und nicht die Parteien – 850.000 Euro für die Kampagne der Gemeinde Wien zu zahlen haben, mit welcher er überzeugt werden soll, im Sinne von Rotgrün abzustimmen. Dazu kommen noch die nicht genau bezifferbaren Kosten der Propaganda in den direkt und indirekt rathauseigenen Medien, die das Mariahilfer-Straßen-Projekt mit Sicherheit ebenfalls breit bejubeln werden.

Das ist genauso, wie wenn vor Nationalratswahlen die Bundesregierung direkt dafür werben würde, die machthabenden Parteien zu wählen. Solche Aktionen würden bei Wahlüberwachungen durch die OSZE, die EU und andere internationale Beobachter zu scharfer Verurteilung führen. Österreich würde in die Nähe von Nordkorea oder Venezuela gerückt.

Es ist daher ziemlich schade, dass Bürgerbefragungen in Wien nicht von solchen internationalen Wahlbeobachtern besucht werden. Oder geht’s bei solchen Befragungen gar nicht um Demokratie?

Zusätzlich sind zu diesen Kosten ja auch noch zumindest Teile der fast 40 Millionen Euro dazuzurechnen, die Wien jährlich für Inserate und Kooperationen ausgibt, um die Haltung bestimmter Medien zu beeinflussen. Damit man sich eine Vorstellung von den Dimensionen machen kann: Allein dieser Betrag ist fast doppelt so viel, wie die drei ähnlich großen Bundesländer Niederösterreich, Oberösterreich und Steiermark für Inserate und Kooperationen ausgeben. Wohlgemerkt: zusammen.

Diese Kosten haben die Wiener Bürger jedenfalls ungefragt zusätzlich zu den schon bisher gemachten Ausgaben für die Mariahilfer-Straßen-Ideen der grünen Stadträtin Maria Vassilakou zu tragen. Die ständigen Umgestaltungen während der letzten Monate, die mehrfachen Linienänderungen des 13ers, die Aufbringung von Fahrbahnbelägen oder die Aufstellung von Verkehrszeichen: All das sind verlorene Kosten. Denn jetzt erst werden die Bürger befragt. Und dann erst kommt es zu den endgültigen Baumaßnahmen.

Auch die Fragenstruktur der Volksbefragung selber ist extrem problematisch und ein weiterer Anlass, nach internationalen Wahlbeobachtern zu rufen. Denn die Fragen sind so zusammengestellt, dass man die Antworten sehr beliebig interpretieren kann. Insbesondere droht, dass das Rathaus die Stimmen aller Umgestaltungsgegner für ungültig oder irrelevant erklärt, die nicht nur ein Kreuz gegen die Umgestaltung der Straße (pardon: „Verkehrsberuhigung“) machen, sondern auch ein solches dafür, dass Querungen für den Autoverkehr geöffnet werden sollen. Dieses gilt nämlich skurrilerweise als Unterstützung für das Vassilakou-Projekt. Diese Detailfrage nach den Querungen steht aber auf dem Stimmzettel absurderweise noch vor der prinzipiellen Frage nach der generellen Ablehnung von Umgestaltungen.

Diskussionswürdig ist auch der Kreis der Befragten: Denn es werden nur die Bewohner der beiden angrenzenden Bezirke befragt. Das ist gleich in mehrerlei Hinsicht bedenklich: Denn erstens müssen ja alle Wiener für die – mehrfachen – Umgestaltungen bezahlen. Es ist zweitens keine Straße so sehr von allen Wienern besucht worden wie die Mariahilfer. Drittens kann niemand objektiv erklären, warum ein Bewohner des 15. Bezirks, der in der Nähe des Westbahnhofs wohnt und der zwischen sich und dem Stadtzentrum immer die Mariahilfer Straße hat, nicht mitstimmen darf, jemand anderer aber schon, der auf der Lerchenfelder Straße wohnt und nie über die Mariahilfer gefahren ist.

Und viertens werden ausgerechnet jene Gruppen von der Befragung ausgeschlossen, welche eigentlich die allerwichtigste Rolle auf der Magistrale zwischen Museumsquartier und Westbahnhof spielen: Das ist der Handel, das sind die für die Attraktivität der Mariahilfer Straße sorgenden Kaufleute.

Diese Straße ist ja nicht nur Wiens weitaus wichtigstes Einkaufszentrum. Sie hat derzeit auch (noch) eine wichtige Funktion für ganz Mitteleuropa. Der Mariahilfer-Straßen-Handel sorgt in eindrucksvollem Ausmaß für die Gebühren- und Steuer-Einnahmen auch der Stadt Wien. Da ist es schon sehr erstaunlich, wie sehr die Wirtschaft da ignoriert wird, nur weil sich hier eine Radfahrerpartei verewigen will.

Wien hat jetzt schon den im Vergleich mit ganz Österreich weitaus größten Prozentsatz an Arbeitslosen. Eine Stärkung seiner Funktion als Einkaufsstadt wäre da eine dringend notwendige Gegenstrategie. Aber dieser Zusammenhang ist den heute herrschenden Rathausmännern offenbar egal. Sie schauen ruhig zu, wenn rund um Wien ein Einkaufszentrum und ein Outletcenter nach dem anderen entsteht, die Kaufkraft aus Wien abziehen, und ignorieren die Kaufleute auf der Mariahilfer Straße.

 

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Wie links sind die Neos und wo steht die Opposition? drucken

Im allgemeinen Schock über Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung ist in den letzten Wochen die Opposition ganz in den Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Dabei wenden sich derzeit eigentlich viele Blicke der Bürger insgeheim hoffnungsuchend auf die Nichtregierungsparteien. Dabei sitzen erstmals vier solche im Parlament. Dabei sind dort erstmals in der Geschichte gleich zwei neue Parteien eingerückt. Besondere Euphorie löst aber der Blick auf die vier Oppositionsparteien vorerst nicht aus.

FPÖ und Grüne setzen ihr bisheriges Verhalten nahtlos fort. Das heißt: Während die Freiheitlichen fast ganz außerhalb des Scheinwerferlichts agieren, nur in Wahlkämpfen starke Präsenz zeigen, aber dennoch bei Umfragen zulegen, finden die Parolen der Grünen zwar ständig Wiederhall in den Medien, wo sie ja überproportional viele Sympathisanten haben. Besonderes Interesse lösen sie damit aber nicht aus.

Auf relativ mehr Aufmerksamkeit stoßen naturgemäß die beiden neuen Parteien im Parlament. Aber es ist für die meisten Österreicher auch lange nach dem Abzug der Wahlkampfnebel noch immer erstaunlich schwierig herauszufinden, wofür die eigentlich stehen. Oberflächlich entsteht der Eindruck, dass es ihnen zu genügen scheint, ständig die Regierung zu kritisieren.

Beim Team Stronach hat lange überhaupt ein einziger Aspekt dominiert: Noch nie ist eine Partei – vom Parteinamen angefangen – so absolutistisch auf einen einzigen Mann an der Spitze orientiert gewesen, ohne dass man dahinter irgendeine echte Substanz oder eine andere Persönlichkeit entdecken konnte. Jeder Halbsatz von Stronach war ehernes Gesetz. Und ausgerechnet dieser Mann hat sich nun nach der Wahl desinteressiert von Politik und Partei abgewendet. Ein enttäuschendes Wahlresultat und die Perspektive von fünf Jahren frustrierender Oppositionsrolle haben Frank Stronach jede Lust auf Politik geraubt. Da sind ihm junge Frauen und schnelle Pferde offensichtlich viel wichtiger.

Was bleibt von diesem Team, wenn Stronach wie angekündigt bald ganz weg ist? Wenn er also nicht mehr wöchentlich irgendwelche Mandatare wegen eigentlich unklar bleibender Delikte ausschließt (was ja meist die einzige Meldung aus seinem Team war)? Dann bricht wohl zwangsläufig ein Vakuum aus. Dann wird sich noch stärker zeigen, dass den Einladungen des Austrokanadiers fast nur positionslose Adoranten und dubiose Glücksritter gefolgt sind. Für die war Stronachs Geld oberste Ideologie. Die wenigen Außenseiter mit ein wenig mehr Substanz werden wohl auch künftig Außenseiter bleiben.

Ringsum scheinen ein konsistentes inhaltliches Profil oder Führungseigenschaften völlig zu fehlen. Dementsprechend sind die Umfragewerte für die Stronachianer tief in den Keller gestürzt. Letzte Hoffnung für sie ist jetzt schon skurrilerweise Stronachs Abgang: Vielleicht zeigt sich wenigstens dann mehr Substanz in seiner Verlassenschaft, als man bisher sehen konnte.

Vielleicht bilden sich aber auch aus den wenigen relevanten Parteigängern Stronachs zusammen mit zornigen Dissidenten der Regierungsparteien neue Gruppierungen. Die könnten immerhin bei der nächsten Wahl den Vorteil nutzen, dass sie aus dem Parlament heraus antreten. Das hilft. So kann ja etwa auch ein Ewald Stadler auf EU-Ebene seinen bestehenden Abgeordneten-Status nun in der dritten politischen Partei seiner Karriere nutzen. Jeder von außen neu antretende Kandidat hat es da hingegen viel schwerer.

Ganz anders als die Stronachs haben die Neos seit dem Wahltag an Sympathien gewonnen. Das heißt freilich nicht, dass die Sympathisanten inzwischen schon eine klare Neos-Idee sehen würden. Ganz im Gegenteil. Der Wortschwall von Parteiführer Matthias Strolz klingt zwar auf Grund seiner Vorarlberger Färbung sympathisch, aber inhaltlich vernebelt er oft mehr, als er sagt.

Daher können viele in die Neos jeweils ihre unterschiedlichen subjektiven Erwartungen hineinprojizieren. Auch wenn das Nebulose an Strolz taktische Absicht sein sollte, spüren die Menschen doch, dass die Neos so wie die Stronachs eigentlich eine sehr diffuse Partei geblieben sind.

Dennoch kann man mit tiefergehender Analyse aller bisher gemachten Sachaussagen beide Gruppierungen doch ein wenig deutlicher zuordnen. Die Stronachs stehen in den Grundpositionen ihres Parteigründers dem klassischen Liberalismus sehr nahe. Nur zeigt sich dort bisher nach der Epoche der knappen Überschriften des Parteigründers eben niemand, der diesen Liberalismus fundiert mit Inhalten füllen könnte.

Und was sind die Neos? Auch ihr Erscheinungsbild wird von den eigenwilligen und des Öfteren erstaunlichen Auftritten des Parteigründers dominiert. Inhaltlich entpuppen sie sich aber zunehmend als eine generationsspezifische Weiterentwicklung der Grünen minus deren Antikapitalismus und Wurzeln im Neomarxismus.

Beim Pensionsthema sind die Neos sicher am erfreulichsten und auch konkretesten unterwegs. Sie wenden sich da klar gegen ein Pensionssystem, das die jüngere Generation einseitig belastet. Diese Position hatte zwar zeitweise auch die ÖVP. Aber die Schwarzen haben sie dann in Wahlkämpfen, unter dem Kompromisszwang von Koalitionen mit SPÖ (und früher Blau/Orange), auf Verlangen der populistischen Landesfürsten und auf Wunsch des ÖAAB regelmäßig wieder aufgegeben. Das lässt bei diesem zweifellos dominanten wirtschaftspolitischen Thema den Neos viel Profilierungsmöglichkeit.

Ansonsten bieten sie in Sachen Wirtschaftsliberalismus noch etliche weitere gute Ansätze (zum Beispiel: Einsatz für Privatisierungen, Kritik am Kammerzwang, weniger Staat, weniger Steuern). Man findet aber dabei (noch?) nirgendwo wirklich in die Tiefe gehende und ausgefeilte Substanz, mit der die Neos relevant würden. Bis auf die Kritik am Kammerzwang hat man diese Positionen auch alle schon in ÖVP-Programmen gelesen. Umgesetzt wurden sie freilich von der Volkspartei nur – teilweise – unter Schwarz-Blau.

Tatsache ist auch, dass Parteichef Strolz nicht gerade ein Experte in Sachen Wirtschaftspolitik ist. Und ein – vorsichtig ausgedrückt: umstrittener – Baulöwe mit Sympathien für 80prozentige Steuersätze war dann vielleicht auch nicht die allerbeste Wahl, um dieses Manko zu übertünchen.

Einen auffälligen Kontrast zu diesem Wirtschaftsliberalismus bildet die Tatsache, dass die Neos außerhalb der Wirtschaftspolitik in fast allen gesellschaftspolitischen Fragen weit links stehen. Bisweilen finden sie sich sogar links von den Grünen.

Beim Thema Christentum etwa überholen Neos-Politiker diese an Aggressivität. Gleich zwei Neos-Abgeordnete (Alm und Scherak) sind politische Speerspitzen der Kirchenbekämpfung geworden, während sich die Grünen bei diesem Thema in letzter Zeit ja ein wenig einzubremsen versuchen.

Die zweifellos gerade für eine liberale Gruppierung, als die sich manche Neos sehen, jedenfalls viel notwendigere kritische Auseinandersetzung mit der rigiden Realität des Islam auf der einen Seite und mit der Meinungsdiktatur der Political correctness auf der anderen Seite fehlt hingegen völlig. Im Gegenteil, die Neos sind durchaus für staatliches Einschreiten gegen „Homophobie“ und „Rassismus“. Das sind aber genau jene undefinierten Schlagworte, mit deren Verwendung gegen unliebsame Menschen die Linke europaweit massiv die Meinungsfreiheit einzuschränken versucht.

Eine gesellschaftspolitisch linke Position der Neos zeigt sich auch beim Thema Schule: Dort vermeiden sie zwar artistisch das unpopuläre Wort „Gesamtschule“; sie bekennen sich aber ständig emphatisch zum Wort „gemeinsame Schule“. Das ist skurril. Denn beide Worte bedeuten in der Bildungsdiskussion haargenau dasselbe.

Damit ist die Bildungspolitik der Neos natürlich nicht liberal, sondern eine verkappte Unterstützung für die sozialdemokratischen Zwangsgesamtschul-Ideen aus den Zwanziger Jahren. Dabei würde ja das Verlangen der Neos nach mehr Schulautonomie an sich erfreulich positiv klingen. Aber wenn sie gleichzeitig die Schulen zwingen wollen, „gemeinsame Schulen“ zu sein, ist die Autonomie nur eine Propagandafacette, die sich dann in marginalen Fragen erschöpfen muss, etwa ob der Schulbeginn um 8,00 oder 8,30 Uhr ist.

Dass die Neos in Sachen Bildung nur die grünen Parolen nachplappern, zeigte sich auch bei der Strolz-Formulierung: „Bildung wird in Österreich vererbt. Das ist eine Schande.“ Diese Äußerung ist aber in Wahrheit nur eine Schande für Strolz.

Der Mann ist auch in pädagogischen Fragen alles andere als firm. Er kennt offensichtlich nicht die Erkenntnisse der Genforschung der letzten zehn Jahre, die klar zeigen, dass Intelligenz in hohem Ausmaß tatsächlich vererbt wird. Er begreift offensichtlich auch nicht, dass eine bildungsorientierte Erziehung vor allem in den ersten Lebensjahren (also: viel Reden mit den Kindern, viel Vorlesen, Bücher und Zeitungen im Haushalt, Vorbild gebende Interessen usw.) zusätzlich zur Genetik dramatisch bessere Startvoraussetzungen schafft. Eine solche Erziehung ist aber eben in Bildungs-Familien viel öfter der Fall als in allen anderen. Genetik wie elterliche Erziehung sind daher keine „Schande“, sondern entscheidende Grundlagen jedes Bildungserfolgs. Ob das Strolz irgendwann noch begreift? Ich zweifle, hört er doch viel lieber sich selber reden als nachzudenken oder zuzuhören.

Es ist ja gerade diese Phrase von der bösen Vererbung der Bildung, mit der die Linke ihren Gleichschaltungszwang von der Gesamtschule bis zur Verstaatlichung der Kinder (Ganztagspflicht oder Hort schon in frühester Kindheit) begründen will.

Ebenfalls ganz massiv links – und auch hier wieder die Grünen inzwischen fast überholend – hat sich Strolz beim Thema Zuwanderung positioniert. Da findet man geradezu unglaubliche Äußerungen des Parteigründers, die er zu einer Plattform „gegen Unmenschlichkeit“ gemacht hat. Er will „Asylwerber als Zuwanderer sehen, die in der Regel keine Rückkehr“ in ihre Heimat anstreben.

Das ist zwar richtig. Genau das aber ist für die große Mehrheit der Österreicher und Europäer der entscheidende Grund, warum sie für eine möglichst restriktive Asylgewährung sind. Strolz will hingegen das Gegenteil. In seinen Worten: „Auch wenn letztinstanzlich entschieden wurde, dass keine Verfolgungsgründe festgestellt werden konnten, ist vor allem nach einem mehrere Jahre dauernden und schon daher offensichtlich nicht eindeutigen Verfahren davon auszugehen, dass eine Integration in Österreich bereits stattgefunden hat („Integrationsvermutung“) und daher das humanitäre Bleiberecht nicht die Ausnahme ist, sondern der Regelfall, vor allem wenn u.a. Eheschließungen, Partnerschaften, Kinder, Arbeitsplatz, Deutschkenntnisse nachgewiesen werden.“

Dieser Wortdschungel zeigt: Strolz ist entweder grenzenlos naiv oder im Kern radikal links. Nach diesen Vorstellungen müsste jeder Zuwanderer nur das Wort „Asyl“ aussprechen können und dann sein Verfahren mehrere Jahre hinziehen oder eine Partnerin finden, schon ist das Bleiberecht in Österreich der „Regelfall“. Strolz kommt zu der apodiktischen und besorgniserregenden Erkenntnis: „Wir gehen davon aus, dass die Verfolgung tatsächlich besteht und der Flüchtling dauerhaft in Österreich bleiben wird.“

Zumindest mutig ist, dass sich Strolz heute noch immer mit dem EU-Fanatismus der 90er Jahre präsentiert. Er ignoriert damit aber die vielen ernüchternden Erfahrungen mit EU-Überregulierungsdrang und Euro-Manipulationen sowie die wachsende EU-Skepsis der Bevölkerung. Oder ist das so wie die „gemeinsame Schule“ in Wahrheit auch nur ein Retro-Aspekt im Denken des Mannes aus den Vorarlberger Bergen, der sich mit Sachfragen nicht wirklich befasst?

Fast selbstverständlich verlangt Strolz – um noch weitere Lackmus-Themen anzuschneiden – die Homo-Ehe. Ohne jede Einschränkung. Ebenso hat er die rotgrüne Politik gegenüber den Freiheitlichen übernommen: Laut Strolz ist mit allen Parteien eine Regierung möglich, nur nicht mit der FPÖ. Er schließt eine „stehende Koalition“ mit der FPÖ aus. Wobei ich allerdings ehrlich gesagt nicht weiß, was eine liegende, sitzende oder laufende Koalition wäre, die er offenbar nicht so deutlich ausschließt wie eine stehende.

Aber beim Wortgeklingel des Managementtrainers und Politologie-Absolventen Strolz ist ja vieles diffus und nebulos. Was etwa meint der Mann mit seiner ständigen Wendung von einer „evidenzorientierten Politik“ genau? Ist das dasselbe wie die „faktenbasierte“ Politik der Claudia Schmied?

Seltsam und zumindest für mich völlig rätselhaft – aber vielleicht für politikferne Menschen attraktiv? – ist auch die Selbstdarstellung des Matthias Strolz. Dazu zählen etwa die Tannenzapfen, die er zu Fernsehinterviews mitbringt, oder die Story seiner Parteigründung. Er verbreitet, dass er in den Wald gegangen wäre, dass er dort tagelang gefastet und dann beschlossen habe, Politiker zu werden. Will sich da jemand mit Jesus Christus gleichsetzen? Oder kommt Strolz direkt aus dem Schamanismus?

Von der ÖVP, bei der Strolz einst angestellt war, hat er sich jedenfalls weit entfernt. Und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Erhard Busek der einzige bekannte Ex-ÖVPler ist, der in seinem Dunstkreis zu finden ist. Auch dieser ist ja viele Kilometer gegangen, bis er am anderen Ende des politischen Spektrums angekommen ist . . .

 

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FN 543: Amerikanische Abgeordnete und österreichische Redefreiheit drucken

Vier amerikanische Kongressabgeordnete waren soeben auf offiziellem Besuch in Wien. Sie gehören zur republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus und teilweise auch zur aufstrebenden "Tea Party". Umso spannender ist, was dabei über Österreich und seine Justiz gesagt worden ist. Denn es zeigt, wie der heimische Rechtsstaat zunehmend von außen gesehen wird.

Es ging um die strafrechtliche Verurteilung der österreichischen Islamexpertin und früheren Diplomatin Elisabeth Sabaditsch-Wolff, weil sie in einem Seminar den Geschlechtsverkehr des islamischen Propheten Mohammed mit einer Neunjährigen als Kinderschändung bezeichnet hatte. Michele Bachmann, eine der US-Abgeordneten, kommentierte das nun so: „Wir wollen nicht, dass es in den USA solche Urteile gibt. Jeder amerikanische Bürger hat das Recht, sich auszudrücken. Und jeder sollte auch die Sicherheit haben, reden zu können.“ In Österreich eben nicht mehr. Da kehren die Gerichte wieder zu Metternich zurück. Es könnte zwar sein, dass in den USA noch mehr abgehört wird als bei uns. Aber solange dort nur Taten, nicht wie bei uns Meinungen bestraft werden, ist das jedenfalls nur halb so schlimm.

 

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Evangelii Gaudium: Harsche Kapitalismuskritik aus dem Vatikan drucken

Das kürzlich herausgegebene Apostolische Schreiben ist nicht das erste Papier, mit dem der Heilige Stuhl zu Wirtschaftsfragen Stellung bezieht. Das war schon in mehren „Sozialenzykliken“, wie Rerum Novarum (1891), Quadragesimo anno (1931) oder Populorum progressio (1967) der Fall. Keiner seiner Vorgänger allerdings hat das System der freien Marktwirtschaft in derart expliziter Weise attackiert, wie das der amtierende Papst Franziskus eben getan hat.

Einige Passagen seines Papiers erinnern an Pamphlete aus der Feder von Jean Ziegler oder Sahra Wagenknecht. Der in Brasilien wirkende Bischof Erwin Kräutler nannte das Schreiben in einem Radiointerview – nicht ohne Grund – ein „Dokument der Befreiungstheologie“, das, wie er anmerkt, allerdings nur aus lateinamerikanischer Sicht zu verstehen sei.

Fragen von Mission und Neuausrichtung des Papsttums bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt. Hier wird nur auf die wirtschaftsrelevanten Teile des Textes Bezug genommen.

Die sich durch das gesamte Schreiben ziehende Beschwörung, ja Verherrlichung der Armut fällt als erstes ins Auge. Die Kritik an einer angeblich zunehmenden „sozialen Ungleichheit“ als nächstes. Gerechtigkeit manifestiert sich für den Bischof von Rom in materieller Gleichheit. Folgerichtig kommt er zu dem Urteil: „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“. Und um jedem Missverständnis vorzubeugen: „Diese Wirtschaft tötet.“ Das sitzt. Die Sozialisten in allen Parteien haben hiermit einen neuen Verbündeten.

Dass es genau das kritisierte System des freien Marktes war und ist, das in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen aus bitterster Armut zu bescheidenem Wohlstand geführt hat, wie das beispielsweise in vielen Ländern im Osten Asiens der Fall war, will der Papst nicht zur Kenntnis nehmen. Und dass viele Menschen nach wie vor ausgerechnet in jenen Teilen der Welt hungern und unter den furchtbarsten Bedingungen vegetieren, wo keine Rechtssicherheit herrscht, wo weder gesichertes Privateigentum noch freie Märkte existieren, lässt er unberücksichtigt.

Franziskus’ Verständnis von der Funktionsweise einer Marktwirtschaft liest sich so: „Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht.“ Was er hier beschreibt, ist primitives Faustrecht, das in jenen finsteren Winkeln der Welt herrscht, die in den Berichten über Hunger und Elend am häufigsten genannt werden. Dort hat tatsächlich immer derjenige Recht, dem der dickste Prügel gehört, oder der über den Ausnahmezustand gebietet.

Marktwirtschaft hat indes mit Faustrecht gar nichts gemein. Die Marktgesellschaft zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie gewalttätige, mit Mord und Totschlag verbundene Konflikte durch friedliche Arbeitsteilung, Kooperation und Freihandel überwindet und in Vorteile für alle daran Beteiligten verwandelt.

Pure Blindheit für das Offensichtliche tritt zutage, wenn der Papst meint, es sei eine „…Ansicht, die nie von den Fakten bestätigt wurde…“, dass freie Märkte zur Verbesserung der Lebensumstände der Menschen führen. Er sollte seinen Blick zum Beispiel auf China richten – ein Land, in dem unter planwirtschaftlichen Konditionen Dutzende Millionen Menschen verhungerten. Dort haben heute nicht nur einige wenige von der wirtschaftlichen Liberalisierung profitiert, sondern es ist auch eine breite, stetig wachsende Mittelschicht entstanden, die in materiellem Wohlstand lebt.

Dass die „Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel“ ausgerechnet von einem Mann gegeißelt wird, der selbst erlebt hat, wie rechte und linke Diktaturen ein einstmals blühendes Land ruinierten, entbehrt nicht der Ironie. In einem freien Markt kann – anders als in einer planwirtschaftlichen Diktatur – kein Produzent dem Publikum seine Waren oder Dienstleistungen aufzwingen. Um also zu verstehen, wie etwa die Vorstände von Daimler-Benz oder Novartis eine „Diktatur“ errichten können sollten, muss man schon über eine munter blühende Phantasie verfügen.

Danach greift der Heilige Vater einen weiteren Irrtum notorischer Antikapitalisten auf, wenn er meint: „Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit.“ Unsinn wird – siehe das Beispiel Chinas – durch beharrliche Wiederholungen nicht wahrer. Aber selbst wenn die Reichen tatsächlich rascher an Einkommen gewinnen sollten als die weniger Reichen, wäre das völlig belanglos, so lange sich die Lage der Armen absolut verbessert – was in den „kapitalistischen“ Schwellenländern der Fall ist. Zweifellos ist ein Wirtschaftssystem, von dem einige wenige stärker profitieren mögen als andere, in dem sich immerhin aber auch die Lebensumstände der Unterprivilegierten verbessern, einem solchen vorzuziehen, das kollektive Gleichheit in Mangel, Armut und Elend garantiert.

Phrasen wie von der Gewerkschaftsjugend

Franziskus ist mit seinem antikapitalistischen Latein aber noch lange nicht am Ende, denn er setzt fort: „Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen.“ Dieser Satz könnte einer Aussendung der Gewerkschaftsjugend aus dem tiefroten Simmering entstammen und ist völlig abwegig. Freiheit folgt keiner Ideologie, sondern ist ein unter Abwesenheit willkürlichen Zwanges herrschender Normalzustand.

Wenn freie Menschen aus freien Stücken und nach ihrem Gutdünken Güter und Dienstleistungen kaufen und verkaufen, so folgen sie damit keinem Dogma, sondern schlicht und ergreifend ihren Präferenzen. In Wahrheit ist also vielmehr derjenige, der die hart attackierte „Autonomie der Märkte“ beenden möchte, ein totalitärer Träumer, der die Menschen unter das Joch seiner (linken) Ideologie zwingen will.

Finanzspekulationen möchte der Papst origineller Weise durch das segensreiche Wirken des Staates unterbunden sehen – ausgerechnet jenes Staates, der dank seines Geldmonopols und seiner eigentumsfeindlichen Zinspolitik an der Wiege jeder Finanzspekulation steht. Die Vorstellung von einem die Spekulation unterbindenden Staat ist wohl seiner absoluten Ahnungslosigkeit hinsichtlich Funktionsweise und Wirkung jedes Fiat-Money-Systems geschuldet.

Dass Papst Franziskus – wie jeder Befürworter der „sozialen Umverteilung“ – „eine egoistische Steuerhinterziehung“ scharf kritisiert, passt ins Bild. Nicht des Staates „Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen“, indem dieser die Menschen um immer größere Anteile ihres sauer erarbeiteten Geldes bringt. Kritisiert wird vielmehr derjenige, der einer willkürlichen Enteignung zu entgehen versucht!

Dass der ständig wachsende und Macht akkumulierende Staat, selbst dann, wenn er den Werktätigen ohnehin bereits den Löwenanteil ihrer Einkommen abpresst, immer noch nicht ohne Schulden zu machen durchkommt, findet der Papst dagegen keiner Erwähnung wert. Wo sind die Zeiten, als eine starke, selbstbewusste Kirche sich als weit und breit einzige Opposition zum allmächtigen Staat begriffen hat?!

Mit einem Zitat Johannes Chrysostomus’ wird entschlossen die Axt an die Wurzeln unseres westlichen Rechtssystems gelegt: „Die eigenen Güter nicht mit den Armen zu teilen bedeutet, diese zu bestehlen und ihnen das Leben zu entziehen. Die Güter, die wir besitzen, gehören nicht uns, sondern ihnen.“ Der französische Anarchist Proudhon hatte demnach also doch recht: Eigentum ist Diebstahl. Neu ist allerdings, dass ein Papst diese Meinung teilt! Wie – ohne gesichertes Privateigentum – ein zivilisiertes, vor allem aber gewaltfreies Zusammenleben möglich sein sollte, bleibt vorerst ein gut gehütetes vatikanisches Geheimnis.

Selbst vor der abgeschmackten Phrase „Das Geld muss dienen und nicht regieren!“ schreckt Franziskus nicht zurück. Überflüssig, diese peinliche Banalität zu kommentieren. Er findet „…das gesellschaftliche und wirtschaftliche System an der Wurzel ungerecht…“ Natürlich! Gerechtigkeit ist eben nun einmal eine Kategorie des Himmels, nicht aber des irdischen Jammertals. Wer sollte das besser wissen als ein Mann Gottes?

Viel gerechter wäre es nach seiner Meinung vermutlich aber dennoch, ein System in der Art von „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ zu etablieren! Das war ja schon einmal da. Und es hätte im Grunde auch wirklich großartig funktioniert, wenn es nicht unglücklicherweise an der Realität gescheitert wäre…

Was der Heilige Vater uns mit dem kryptischen Satz „…erzeugt die soziale Ungleichheit früher oder später eine Gewalt, die der Rüstungswettlauf nicht löst…“ mitteilen will, ist ein wenig rätselhaft. Was hat die soziale Ungleichheit mit einem Rüstungswettlauf zu tun? Und welcher ist gemeint? Der zwischen der untergegangenen Sowjetunion und den USA (den das liberale Gesellschaftsmodell für sich entscheiden konnte) oder der heraufziehende zwischen den USA und China?

Wie dem auch sei: Papst Franziskus ist es ernst mit seinem Engagement für die Mühseligen und Beladenen dieser Welt. Im Kampf gegen die Armut sieht er eine der Hauptaufgaben der Katholischen Kirche. Dagegen gibt es nichts einzuwenden! Allerdings sucht man in der Heiligen Schrift vergeblich nach einem Aufruf zum (wirtschafts-)politischen Aktionismus. Jesus betont nicht ohne Grund: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18/36).

Weshalb der Nachfolger Christi also meint, seinem edlen Zweck ausgerechnet mit einem Schulterschluss mit den Sozialisten dienen zu können, bleibt unbegreiflich. Die Armut zu besiegen, indem man gegen den wirkungsvollsten Wohlstandsgenerator kämpft, den die Menschheit bisher jemals zur Verfügung hatte, nämlich die (ohnehin nirgendwo mehr wirklich) freie Marktwirtschaft, kann niemals gelingen!

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Was zerfällt schneller: Die Alt- oder die Neuparteien? drucken

Man kommt gar nicht mehr mit beim Notieren, wie schnell die Halbwertszeiten und die Lebenserwartung politischer Parteien absinken. Sie erweisen sich heute allesamt als schwer überfordert. Wobei sich Alt- und Neuparteien in einem absurden Wettlauf befinden.

Als Konsequenz dieses suizidalen Verhaltens gibt es letztlich nur eine einzige Alternative: Es wird entweder wieder eine autoritäre (oder gar totalitäre) Seilschaft die Macht an sich reißen; was freilich noch viel schlimmer enden würde als die Agonie der repräsentativen Demokratie. Oder aber diese ist endlich bereit, die Macht direkt an die Bürger zu übertragen, wie es die Verfassung schon immer fingiert hatte. Der Wechsel von einer repräsentativen Demokratie (die immer weniger Menschen repräsentiert) in eine direkte ist also die einzige sinnvolle Rettung aus der Demokratiekrise.

Jedenfalls haben sich praktisch alle Neugründungen von Parteien binnen kürzester Zeit als Fehlschlag erwiesen. Neugründungen sind nicht mehr imstande, kohärent die Vielfalt von Meinungen und persönlichen Vorstellungen auch nur der unmittelbaren Akteure zusammenzubringen. Dazu kommt ein erschreckendes Ausmaß an Unfähigkeit und Karrieregeilheit, von Streitsucht und Intriganz bei allen Möchtegernpolitikern zum Vorschein.

Das beweist ein Rundblick durch alle Parteien:

  • Beim Team Stronach werden im Wochenabstand Mandatare und Funktionäre hinausgeworfen oder treten selbst aus. Inhaltlich hat dieses Team noch überhaupt keinen Akzent gesetzt außer Hagiographie für einen greisen Industriellen (obwohl man nur dessen Geldbeutel meint).
  • Die vor zwei Jahren medial total gehypten Piraten bestehen nur noch aus den eigenen Leichen.
  • Die Neos unterscheiden sich bloß noch dadurch von den Grünen, dass sie etwas jünger sind. Die wenigen wirklich Liberalen sind dort von den politisch Korrekten und Linken total marginalisiert worden.
  • Die in Tirol eine Wahl lang erfolgreiche Liste „Vorwärts Tirol“ hat es in unheilbar zerstrittene Bestandteile zerrissen.
  • Die dieser Liste nahestehende Innsbrucker Bürgermeisterin rettet sich mit ihrer Liste – vorerst nur inhaltlich – unter Geiselnahme ihrer ganz anders denkenden konservativen Wähler in den Schoß der Grünen.
  • Die Liste des knorrigen Streithansels Dinkhauser ist rasch wieder zerfallen und die einzelnen Bestandteile sind in die Bedeutungslosigkeit abgesunken.
  • Das gleiche gilt für den einstigen Dichand-Liebling Hans-Peter Martin. Er ist ohne das Massenblatt nur eine Kuriosität.
  • Die Mutbürger haben es über das Stadium des Dauerschimpfens überhaupt nicht hinaus geschafft.
  • Ähnliches könnte über Hunderte andere Kleinstparteien gesagt werden.
  • Zugleich ist das Schauspiel, das SPÖ und ÖVP liefern, nur noch jämmerlich.
  • Und auch die FPÖ hatte in den 90er Jahren schon viel bessere Zeiten erlebt als jetzt, da sie ungefähr die gleiche ideologische Position einnimmt wie etwa in Deutschland Teile der „Linken“ (sehr wertkonservativ, aber sozialpolitisch ganz weit links).

Bisweilen sagen Gesprächspartner und Poster zu mir: „Na, dann mach’s doch selber besser.“ Das ist ein völliges Missverständnis. Auch ich könnte es nicht besser. Aber ich weiß: Die Österreicher selbst könnten es in der Summe besser als Parteipolitiker mit ihren vielen offenbar unvermeidlichen Lügen. Denn die Bürger haben in der Regel einen langen Horizont (=ihr restliches Leben oder auch das ihrer Kinder) und nicht nur den parteipolitischen bis zum nächsten Wahltag.

Das würde zu besseren Ergebnissen führen, ließe man sie nur die grundlegenden Weichenstellungen direktdemokratisch selbst vornehmen. Ich selbst bin bloß einer von 6,4 Millionen Wahlberechtigten, die dabei ihre Meinung sagen können – und die dann die Konsequenzen der Mehrheits-Entscheidung zu tragen haben.

 

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Die Luxuspensionen und der Rechtsstaat drucken

Es gibt Themen, wo das Gefühl das Gegenteil dessen sagt, was die Vernunft meint. Die extrem hohen Pensionen sind ein solches.

Fast ganz Österreich ist einer Meinung: Diese sind eine absolute Frechheit. Das ist richtig – außer diese Pensionen sind eine marktgerechte Leistungsabgeltung, die halt erst viel später ausbezahlt wird. Denn manche Spitzenmanager haben sich einst bewusst zu geringeren Entgelten verdingt, als sie anderswo erzielen hätten können, damit sie sich fürs Alter eine komfortable Pension sichern. Aufsichtsräte und Personalchefs haben das auch in der Regel gern gemacht, klingen doch niedrigere Gehälter besser, wenn die Belegschaft sie erfährt. Zugleich wurde der Cash Flow meist entlastet – die bei ordentlicher Buchhaltung erfolgenden Rückstellungen standen in der Bilanz oft anderswo.

Fast nie wurde freilich die Verlängerung der Lebenserwartung einkalkuliert. Es ist aber erfreuliche Tatsache, dass wir alle 24 Stunden um fünf bis sechs Stunden länger leben. Was natürlich auch den Wert solcher Luxuspensionen drastisch erhöht.

Aber wirklich provozierend sind die Megapensionen im öffentlichen Bereich. Angefangen von der besonders frechen Nationalbank, über die Zwangsbeiträge kassierende Arbeiterkammer bis zu den Funktionären der Sozialversicherung (die selbst ständig die Minipensionen für den Rest der Nation ausrechnen!). Von den dortigen Bediensteten hätte wohl kein einziger solche Vergünstigungen auch auf dem Markt erzielt. Sie haben nur eines mit Sicherheit geleistet: sich durch die Partei ihre Position errungen.

Daher ist es bei ihnen mehr als legitim zu sagen: Herunter mit solchen Pensionen, besser spät als nie.

Aber wie macht man das legal? Denn sie sind ja meist in einem privatrechtlichen Vertrag vereinbart. Daher kann die Politik diese Pensionskürzungen nur über ein Verfassungsgesetz realisieren. Denn sowohl wohlerworbene Rechte wie auch erst recht Einzelverträge können nicht durch ein normales Gesetz ausgehebelt werden.

Das bedeutet aber zweierlei:

Erstens einen Bruch aller Politikerschwüre, dass man nie wieder, auch wenn‘s populär ist, verfassungsrechtliche Sonderregeln beschließen werde.

Und zweitens würde damit ein Verfassungsgesetz in private Einkommensverhältnisse eingreifen. Das wäre ein gewaltiger Präzedenzfall. Das erfüllt mit großer Sorge: Wo hört das auf? Denn ist einmal ein Anfang gemacht, wird der Staat in seiner Geldgier und Schuldenlast immer weiter diese Methode anwenden. Und am Schluss können dann alle verfassungsrechtlich für „reich“ erklärt und ihrer Einkünfte und ihres „Vermögen“ beraubt werden. Egal wie seriös sie erwirtschaftet worden sind.

Ich kann mich daher bei allem Zorn auf die öffentlich-rechtlichen Privilegienritter nicht wirklich über einen solchen Enteignungsbeschluss freuen. Denn damit bricht ein letzter Damm gegen die Gier der Politik.

PS: Ich habe übrigens keinen Pensionsvertrag.

 Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Den Schweizern ist das Geld wichtiger als Ressentiments drucken

Die Schweizer haben bei drei Referenden gesellschaftspolitisch spannende Entscheidungen getroffen. Sie haben mit ihrem Votum – sowie mit der davorliegenden langen Diskussionsphase, die durchaus die Meinungen noch stark geändert hat, – neuerlich gezeigt: Die direkte Demokratie ist dem Populismus und dem Kurzfristdenken repräsentativer Modelle überlegen. Besonders eindeutig und klar war ihre Entscheidung gegen die Beschränkung von Spitzengehältern. Ihre Ablehnung solcher Beschränkungen stellt indirekt auch eine donnernde Ohrfeige für eine neue dumme Äußerung von Werner Faymann und den in Österreich grassierenden Populismus von Politik und Medien dar.

Die Eidgenossen haben mit einer rund zwei Drittel ausmachenden Mehrheit das rotgrüne Verlangen abgelehnt, die Gehälter von Spitzeneinkommen mit maximal dem Zwölffachen des niedrigsten Lohnes zu limitieren. Sie haben sich damit als weit klüger erwiesen als all die Schwätzer unter Linkspolitikern, Caritas-Funktionären, ORF- und Boulevardjournalisten, die sich gerne und regelmäßig darüber zu erregen verstehen, dass manche Vorstandsmitglieder weit mehr als dieses Zwölffache verdienen. Was eine große Ungerechtigkeit wäre.

Warum lehnen die Schweizer diesen oberflächlich gerecht klingenden Vorschlag ab? Die Bezieher von Supergagen machen samt Angehörigen ja nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung aus und sind auch noch dazu oft Nichtschweizer. Daher waren sie in keiner Weise selbst abstimmungsentscheidend. Sie sind natürlich auch anderswo in keiner Weise wahlentscheidend.

Folglich glauben oberflächliche Politiker, dass bei diesen Reichen ohne Probleme etwas zu holen wäre. Etwa auf der Linie des Satzes, den der berühmte sozialistische Umverteilungsphilosoph Werner Faymann erst am Wochenende in einem Interview wieder geäußert hat: "Wenn man nicht einfach mehr Schulden machen kann, muss man dafür sorgen, dass von seiten der Vermögenden ein höherer Beitrag geleistet wird."

Im Unterschied zu Faymann haben die Schweizer aber erkannt: Wenn auch nur einer dieser Vermögenden, einer dieser Supergagenbezieher samt seiner Infrastruktur, seinem Unternehmen ins Ausland geht, ist der Schaden für Arbeitnehmer und Staatshaushalt enorm. Er ist höher als der Nutzen für den Staatshaushalt durch das Schröpfen der anderen, im Land bleibenden „Reichen“. Auch die Bezieher von Niedrigstlöhnen haben nichts davon, wenn sie als Folge der Reichenvertreibung ihren Job verlieren.

Eine Annahme der Vorlage hätte zwar Ressentiments gegen die Reichen bedient. Aber ansonsten hätte sie sowohl eine substanzielle Einschränkung der privaten Freiheit wie auch einen Schaden für die staatlichen Kassen bedeutet. Diese Zusammenhänge sind übrigens auch dann relevant, wenn man in etlichen Fällen durchaus der Meinung ist, dass bestimmte Spitzenmanager nicht das Geld wert sind, das sie bekommen.

Sparsamkeit hat auch die beiden anderen Entscheidungen der Schweizer geprägt. Diese sind allerdings mit weit geringerer Deutlichkeit erfolgt als die Ablehnung des linken Eingriffs in privat vereinbarte Gehälter.

Die Schweizer haben zugleich eine Erhöhung der Autobahnmaut aufs Zweieinhalbfache abgelehnt. Sie zahlen lieber die wachsenden Autobahnkosten über das Budget als übers Pickerl. Wohl auch deshalb, weil sie dadurch bei einzelnen Straßenbau-Entscheidungen mehr Sparsamkeit erhoffen. Das überrascht aber dennoch, denn beim Pickerl müssen ja auch viele Ausländer mitzahlen, die bei den Steuerzahlungen fürs Budget ungeschröpft bleiben.  

Das ist für Österreicher natürlich erfreulich. Es ist aber auch interessant in Hinblick auf die deutsche Diskussion. Dort versucht ja gerade die CSU ein Modell zu erfinden, in dem nur die Ausländer zahlen müssen. Was aber zumindest bei EU-Bürgern so nicht möglich ist. Und für die paar Nicht-EU-Autofahrer zahlt es sich schon gar nicht aus. Denkbar ist aber ein Modell, wo in Kompensation für eine allgemeine Mautpflicht andere deutsche Steuern gekürzt werden.

Zurück in die Schweiz: Weniger erfreulich – aber ebenfalls von alemannischer Sparsamkeit geprägt – ist eine weitere Entscheidung der Stimmbürger:Sie haben Steuerbegünstigungen für Familien abgelehent, die ihre Kinder selbst erziehen. Das hilft zwar der Eidgenossenschaft beim budgetären Sparen. Das bedeutet aber eine anhaltende Ungerechtigkeit gegenüber Familien: Daheim betreute Kleinkinder kommen die Allgemeinheit ja viel billiger als jene Kinder, wo die Allgemeinheit für Horte oder Kindergärten (mit)zahlt.

Die familiäre Betreuung ist ja – bis auf bildungsferne Randschichten – auch qualitativ die viel bessere Erziehung für kleine Kinder. Dies hat man aber offensichtlich nur in einigen katholischen Kantonen in der Innerschweiz verstanden, nicht jedoch im Rest der Schweiz, wo neuerlich das Sparen wichtiger war.

PS: Der oben zitierte Faymann-Satz lässt übrigens auch allzu deutlich anmerken, wie sich der SPÖ-Chef ärgert, dass man heute „nicht einfach mehr Schulden“ machen kann. War das doch der Inbegriff der linken Politik seit Kreisky und Androsch, einfach jeden Wunsch dadurch zu erfüllen, dass man ständig „einfach mehr Schulden“ macht. So was Blödes auch, dass das nicht mehr geht. Böse EU, böse Finanzmärkte. Dass übrigens neben immer mehr Schulden machen und Reichenvertreiben noch eine dritte Möglichkeit besteht, will er einfach nicht begreifen. Die buchstabiert sich so, damit es vielleicht einmal auch die SPÖ begreift: S – P – A – R – E – N.

 

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Eine Justiz macht sich lächerlich drucken

5400 Euro hat eine niederösterreichische Richterin als Strafe wegen eines Flugblatts mit scharfer Buddhismus-Kritik verhängt. Damit hat sich neuerlich gezeigt, wie dringend die in den letzten Jahren eingeführten „Verhetzungs“-Paragraphen wieder eliminiert werden müssen. Denn diese führen (wider alle bei ihrer Einführung gemachten Beteuerungen) zu einer dramatischen Einschränkung der Meinungsfreiheit. Wie jetzt bewiesen ist.

Das Gericht stellte sich auf den Standpunkt: Auch wenn die vom Angeklagten geäußerten Vorwürfe in Hinblick auf Gruppen um den Buddhismus tatsächlich stimmen, darf man sie trotzdem nicht äußern. Denn es gibt ja auch viele friedliche und durch nichts negativ auffallende Buddhisten. Eine unglaubliche Logik, die einem feudalen und totalitären Regime würdig ist. Die – beispielsweise – zu folgenden Konsequenzen führt:

  • Alle die „den Christen“ oder „der Kirche“ die Kreuzzüge des Mittelalters vorwerfen oder den Missbrauch von Schülern in einem Internat oder die Inquisition, müssen nun genauso streng bestraft werden (alle Leser sind so wie ich sicher überzeugt, dass die Staatsanwaltschaft da schon jede Menge Verfahren eingeleitet hat. Wenn nicht, sollte man sie reihenweise mit Anzeigen überschütten).
  • Das gleiche gilt, wer den Protestanten den Antisemitismus vorwirft.
  • Wer sagt, Staatsanwälte und Oberstaatsanwälte in Ostösterreich halten offensichtlich die SPÖ und ihre Politiker auch bei grober Untreue strafrechtlich für tabu, der muss jetzt immer dazufügen: Es gibt sicher auch Staatsanwälte, die das nicht so sehen, die Untreue auch bei SPÖ-Politikern anklagen würden (wo auch immer).
  • Wer sagt „Die allermeisten Selbstmordattentäter sind Moslems“, muss jetzt immer hinzufügen: Aber es gibt viele Moslems, die keine Selbstmordattentäter sind (sie tun halt nur nichts Zielführendes, um die Attentate zu verhindern).
  • Wer sagt „Die Koalition hat bezüglich der Budgetlöcher gelogen“, der muss jetzt immer hinzufügen: Aber es haben nicht alle in der Koalition gelogen (sie haben halt nur geschwiegen).
  • Wer sagt „Wir haben ein gewaltiges Problem mit Schwarzafrikanern als Drogendealer“, der muss jetzt immer dazusagen: Aber nicht alle Schwarzafrikaner sind Drogendealer.
  • Wer sagt „Die EU-Politiker haben mit der Euro-Schuldenpolitik die Zukunft des ganzen Binnenmarkt gefährdet“, der muss jetzt immer hinzufügen, dass das nicht alle EU-Politiker getan haben (es ist halt nur trotzdem geschehen).
  • Wer sagt, dass sich Frauen nicht für Technik, sondern mehr für Menschliches interessieren, der muss jetzt immer hinzufügen, dass das nicht für alle Frauen gilt, sondern nur nach einer Gaußschen Normalverteilung.

Wir sind in des Teufels Küche gelandet. Eine außer Rand und Band geratende Justiz maßt sich voller Präpotenz an, Meinungs- und wissenschaftlichen Aussagen überprüfen zu können. Natürlich trifft das nicht automatisch jede Meinungsäußerung, aber man weiß nie, welche von der Justiz dann etwa wegen einer Denunziation herausgefischt wird. Genau das nennt man Willkür-Regime.

Das ist die schöne neue Welt der Political correctness, wie sie Rot, Grün und Pink erträumen (Natürlich nicht alle, es gibt sicher auch dort welche, die eigentlich noch die Meinungsfreiheit respektieren wollen . . .) und wo die Schwarzen solche Gesetze ermöglicht haben, sei es in der EU oder in Österreich.

Immer mehr Menschen sind überzeugt, dass am Ende der Monarchie deutlich mehr Meinungsfreiheit geherrscht hat als heute. Solche Judikate sind jedenfalls meilenweit von dem entfernt, was Ministerium und Politik bei der Einführung der „Verhetzung“ als Verteidigung gesagt hatten: Es würden ohnedies nur jene bestraft, die öffentlich dazu auffordern, dass eine Gruppe die Straße waschen muss. Davon ist das niederösterreichische Flugblatt meilenweit entfernt.

Eine rasch wachsende Zahl von Menschen spürt jedoch: Wir rutschen immer tiefer in den Vormärz. Wir wissen nur noch nicht genau, wann 1848 und 1867 kommen.

Was ein Richter oder Staatsanwalt denn tun solle, wenn die Politik diese Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht zurücknimmt, wird mir bei Gesprächen mit Angehörigen dieser Berufsgruppen oft entgegengehalten? Die Antwort ist einfach: Nichts. Das ist allemal besser als Urteile, die problematische Paragraphen noch extensiv interpretieren. Und das ist ohnedies das, was manche (natürlich nicht alle . . .) in der Justiz ohnedies recht oft tun, wenn es nicht gegen christliche Aktivisten geht.

Und allen anderen rate ich, freie Meinungsäußerungen nur noch in Ländern wie den Niederlanden oder den USA zu machen. Dort ist die Meinungsfreiheit noch geschützt, selbst wenn man einen Blödsinn oder eine Geschmacklosigkeit äußert. Bei uns aber droht jetzt immer die Aktivität von Staatsanwälten und Richtern, die Meinungen auf ihre Korrektheit überprüfen.

PS: Ich habe – vermutlich zum Unterschied von Richterin und Staatsanwälten – Tibet selbst besucht und mehrmals den Dalai Lama interviewt. Ganz unbestreitbar ist der dortige Buddhismus eine atavistische und rückständige Religion, die meilenweit von Menschenrechten oder Demokratie entfernt ist. Woran auch der nette Dalai Lama nichts ändern kann. Dennoch bin ich ein vehementer Unterstützer des tibetanischen Anspruchs auf Selbstbestimmung. Als Volk, als Nation, aber nicht wegen einer Religion.

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Tributpflicht à la IWF drucken

Das Bekanntwerden der Überlegungen des Internationalen Währungsfonds, ob die Staatskassen eventuell mittels der Enteignung von Sparern und Immobilienbesitzern zu entlasten und auf den Stand von 2007 zurückzuführen wären, hat einigen Staub aufgewirbelt. Nachdem sich – völlig überraschend – selbst die gewöhnlich zuverlässig staatsfreundlichen Hauptstrommedien überwiegend kritisch zur Idee einer Teilenteignung jener Menschen äußerten, die den schwerwiegenden Fehler begingen, keine Schulden gemacht zu haben, folgten Erläuterungen, die so glaubwürdig klangen wie weiland Walter Ulbrichts Beteuerung „Niemand will eine Mauer bauen!“

Doch jetzt ist die Katze einmal aus dem Sack. Das ist auch gut so, da die „Lektion Zypern“ vom Publikum offensichtlich nicht verstanden wurde. Jetzt sollte auch der Dümmste begriffen haben, dass die Herrschenden und die ihnen zuarbeitenden Staatsökonomen und Intellektuellen vor keinem Verrat zurückschrecken werden, wenn es darum geht, das seit vielen Jahren laufende Pyramidenspiel aus Zinsmanipulation, Kreditexzess und Geldwerterosion wenigstens noch eine Zeit lang am Laufen zu halten.

Nehmen wir an, die Sache würde tatsächlich wahr gemacht: Dann erscheint es mehr als zweifelhaft, dass kleine Sparer und Eigenheimbesitzer überhaupt die Möglichkeit hätten, sich einem generalstabsmäßig geplanten und transnational orchestrierten Raubzug der Regierungen zu entziehen. Die Möglichkeiten dazu sind begrenzt. Denn wenn, wie im IWF-Papier ventiliert, eine bestimmte Vermögensquote zugunsten maroder Staatshaushalte konfisziert werden soll, dann geraten damit ja nicht nur der amtsbekannte Immobilienbesitz, Sparbücher und Wertpapierdepots ins Fadenkreuz des Fiskus, sondern natürlich auch alle anderen Vermögenswerte. Wenn schon enteignen, dann aber schon ordentlich und „sozial gerecht“.

Schließlich wäre es undenkbar, zwar die Schrebergartenhütte der Wettitant mit einer Zwangshypothek zu belasten, nicht aber Teile der Gemäldesammlung von Herrn X und/oder das Edelmetalldepot der Frau Y und deren Juwelen zu konfiszieren. Derartige Werte sind aber, falls der jeweilige Besitzer darüber keine Zeitungsinserate schaltet oder in aller Öffentlichkeit lautstark damit prahlt, anonym und daher nur durch behördliche Nachschau aufzuspüren. Von Regierungsseite wurde bereits mehrfach betont, dass im Zusammenhang mit der Vermögensbewertung nicht an Hausdurchsuchungen gedacht sei. Das ist – siehe Ulbricht – als eindeutiger Hinweis darauf zu verstehen, dass genau diese natürlich durchgeführt würden.

Beim Geld hört bekanntlich der Spaß auf – besonders der des Fiskus. Ein Anschlag auf die Vermögen der Untertanen wird daher notwendigerweise mit einer Öffnung von Bankschließfächern unter Behördenaufsicht, sowie einer gründlichen Inspektion von Heimstätten der üblichen Verdächtigen einhergehen, als da wären: Unternehmer, Besitzer lastenfreier Eigentumswohnungen oder Eigenheime und andere Geldsäcke, sowie alle jene, die keinen großen Proletariernachweis erbringen können. Im Zuge der Bewältigung der Staatsschuldenkrise werden wir daher jede Hemmung fallen sehen, auch noch die letzten verbliebenen Reste von Privatsphäre zu beseitigen. Schließlich steht ja nicht weniger als das Gemeinwohl auf dem Spiel! Unverletzlichkeit der Wohnung? Lächerlich!

Auch jene Schlaumeier, die nun – einerseits um der Enteignung durch den Staat und andererseits um einem möglichen Bankrun zuvorzukommen – ihre Konten auflösen um die abgehobenen Banknoten zu Hause in ihre Matratzen stopfen, wären leichtsinnig, würden sie sich deshalb in Sicherheit wiegen. Rascher, als sie von der Bank heimkommen, können nämlich jene Banknoten für ungültig erklärt werden, die nicht über eine entsprechende behördliche Kennzeichnung verfügen. Im Zuge dieser Kennzeichnung (oder des Umtauschs) von daheim gehorteten Barmitteln, wird dann erst recht die jeweilige Zwangsabgabe (deren Quote eher über als unter den kolportierten zehn Prozent liegen wird) eingetrieben. Derlei Übungen sind nicht neu. Es ist alles schon einmal da gewesen!

Die Konsequenz der vom IWF überlegten Ausplünderung von Nichtschuldnern und Vermögensbildnern wird nicht lange auf sich warten lassen: Nach der Immobilenbranche, den Aktien- und Rohstoffbörsen, werden jetzt die Konsumtempel Umsatzrekorde feiern und die Tourismusindustrie wird einen Boom erleben. Ludwig Mises hat ein derartiges Phänomen einst als „Katastrophenhausse“ bezeichnet. Wer keine Möglichkeit sieht, sein mühsam erspartes Vermögen dem Zugriff grob fahrlässiger oder krimineller Machthaber oder einer galoppierenden Inflation zu entziehen, wird konsumieren, als gäbe es kein morgen. Lieber noch ein paar Monate im Dauerrausch, als gar nichts vom Ersparten zu haben – durchaus rational überlegt! Ist dann der letzte Cent verbraten, und der letzte bar bezahlte Laib Brot aufgegessen, heißt es „Fertigmachen zum Zusammenbuch!“ Dann – wenn auch leider zu spät – werden selbst glühende Etatisten und eingefleischte Keynesianer erkennen, dass es doch keine Möglichkeit gibt, sich „reich zu konsumieren“ oder „in den Wohlstand zu verschulden“.

Die Ironie des Ganzen ist, dass derartige Ungeheuerlichkeiten und all der verheerende Schaden, der damit angerichtet wird, dennoch keine nachhaltige Sanierung der Staatshaushalte bewirken würden. Denn niemals waren die Abgabenlasten höher als unserer Tage; zu keiner Zeit haben die Steuerquellen ergiebiger gesprudelt als gerade jetzt. Das Problem der Staaten besteht nämlich nicht in zu geringen oder abnehmenden Einnahmen, sondern in zu hohen und zudem laufend steigenden Ausgaben. Und daran wird sich auch nach einer Entschuldung der Staaten – gleich auf welche, jedenfalls schmerzhafte Weise diese erfolgen wird – absolut nichts ändern. Schon tags darauf werden erneut die Staatsausgaben die -einnahmen übersteigen, da niemand innerhalb der politischen Klasse daran denkt, die Strukturen zu verändern.

Denn auf dem Boden der westlichen „Prolokratie“ liefe ein Entzug steuer- oder schuldenfinanzierter Wohltaten glatt auf einen politischen Selbstmord der Regierungen hinaus, den zu begehen diese mit Sicherheit nicht vorhaben. Daher würden – auch nach einer Sanierung der Staatshaushalte – dem über die Stimmenmehrheit verfügenden Proletariat weiterhin Brot und Spiele geboten werden müssen. Schließlich will man sich ja als Systemprofiteur die Finger nicht mit ehrlicher, produktiver Arbeit schmutzig machen müssen, sondern weiterhin am wohl gefüllten Futtertrog der Politik verbleiben und wiedergewählt werden. Das grausige Spiel könnte daher von neuem beginnen.

Fazit: Das herrschende politische System ist – nicht nur in materieller Hinsicht – bankrott und mutmaßlich unreformierbar. Ohne eine Rückkehr zu persönlicher Verantwortung und Haftung, Respekt vor privatem Eigentum und einem soliden Geldsystem wird die Gesellschaft jedenfalls zerfallen…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Die strenge Kammer und die Meinungsfreiheit drucken

In der Wiener Ärztekammer amtiert seit der letzten Ärztewahl ein sozialistischer Gewerkschafts-Apparatschik. Das merkt man schmerzhaft. Sind doch Rot und Grün jene Parteien, die nicht mehr auf der wichtigsten Grundlage der historischen Aufklärung und der daraus entstandenen bürgerlichen Revolutionen stehen, also auf dem Boden des ständigen Kampfes für die Meinungsfreiheit als oberstem Wert (bei Pink ist es mir noch nicht ganz klar, wo die stehen).

Die unhaltbaren Arbeitsbedingungen der AKH-Ärzte sind dem Mann nicht so wichtig, obwohl er dort eigentlich Betriebsrat ist. Oder vielleicht gerade deswegen. Er wäre ja nicht der erste Betriebsrat, der sich gut arrangiert. Die öffentlichen Proteste gegen die Arbeitsbedingungen überlässt der Kammerpräsident jedenfalls lieber den paar mutigen Professoren, die es am AKH noch gibt.

Dafür schlägt er öffentlich umso brutaler mit der Moralkeule zu, wenn ein Wiener Arzt dem Politkommissar nicht gefallende Wertaussagen macht. Und das ist ungeheuerlich. Eine Kammer hat die Wertauffassungen ihrer Mitglieder nicht zu kommentieren, geschweige denn zu kritisieren oder gar deswegen öffentliche Entschuldigungen zu verlangen. Ganz gleich, ob man nun der Meinung des Neo-Abgeordneten (Liste Stronach) Marcus Franz ist oder nicht.

Dieser Arzt hatte in einem Interview (mit einer der Links-Kämpferinnen vom „Profil“) gemeint, dass Homosexualität eine genetische Anomalie ist und „mit Sicherheit amoralisch“, wenn man „strenge Moralmaßstäbe“ anlegt.

Nun, vielleicht liegt Franz mit dem Hinweis auf die Genetik tatsächlich falsch. Hat man doch meines Wissens bisher noch kein Homosexuellen-Gen gefunden, das Ursache dieser „Orientierung“ wäre. Das Fehlen eines solchen Gens ärgert übrigens die Schwulen-Lobby sehr, aber das weiß der Kammer-Politruk wohl nicht. Denn wenn etwas genetisch bedingt wäre, dann wären tatsächlich alle Moral-Diskussionen fehl am Platz.

Neuerlich hat sich bestätigt: In Österreich darf man nur noch Meinungen im engen Denk(?)feld zwischen „Profil“ und SPÖ haben. Das mehr ein Punkt als ein Feld ist.

PS: Zufällig werden fast zur gleichen Zeit andere Neuigkeiten über das „Profil“ bekannt. Jahrelang hatte das Blatt gegen die frühere Gesundheitsministerin Rauch-Kallat agitiert; deren Mann hätte vom einstigen staatlichen Ankauf von Grippemasken profitiert. Nun – nach so vielen Jahren! – hat die Raiffeisen-Zeitschrift den Schwanz eingezogen und den Vorwurf „mit dem Ausdruck des Bedauerns“ zurückgezogen. „Profil“ halt.

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Liberalismus begeistert mehr denn je drucken

Obwohl in den deutschsprachigen Medien kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Abgesang des klassischen Liberalismus angestimmt wird, wachsen die European Students For Liberty weiter. Mit unserer Hilfe wurden mehr als 200 Studentengruppen in 36 europäischen Ländern gegründet (weltweit sind es bereits über 1000). Wir sehen uns als einen „Serviceprovider“ für klassisch-liberale Studenten und möchten deren primäre Anlaufstelle an den europäischen Universitäten werden. Zu diesem Zweck stellen wir kostenlos Ressourcen (z.B. Bücher oder Onlineseminare), Trainings und Netzwerkmöglichkeiten zur Verfügung.

Unser Ziel ist es, die Ressource für klassisch-liberale Studenten zu werden. Der Fokus liegt auf Studenten, da unsere Theorie des sozialen Wandels auf langfristige Veränderungen in der Denkweise der Gesellschaft abzielt. Das heißt, wir möchten den jungen Menschen so früh wie möglich die klassisch-liberalen Ideen näher bringen, damit sie diese während ihres weiteren akademischen und beruflichen Werdegangs verbreiten können.

Regionalkonferenz am 23. November in München

Nachdem die fünf Regionalkonferenzen im letzten Jahr – mit insgesamt mehr als 570 Teilnehmern – auf großen Anklang gestoßen sind, veranstalten wir diesen Herbst zehn weitere solcher Konferenzen (für die gesamte Liste hier klicken), zu denen wir Sie hiermit sehr herzlich einladen möchten.

Die Konferenz in München wird am 23. November 2013 in deutscher Sprache abgehalten. Das Programm beinhaltet prominente Redner, wie z.B. Gerd Habermann (Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft E.V.), Christian Hoffmann (Universität St. Gallen/Liberales Institut), Matt Kibbe (FreedomWorks), Barbara Kolm (Hayek Institut/Austrian Economics Center), Prinz Michael von Liechtenstein, Rolf W. Puster (Universität Hamburg) und Franz Schellhorn (Agenda Austria). (Für das gesamte Programm hier klicken)

Was uns European Students for Liberty von bereits bestehenden Organisationen unterscheidet, ist unsere Struktur und Schwerpunktsetzung. Wir nehmen kein Geld vom Staat an und sind nicht politisch tätig. Als European Students For Liberty konzentrieren wir uns ausschließlich auf die Ideen der Freiheit und deren Diskussion und Verbreitung. Wir schreiben dabei niemandem vor, welcher Weg zur Freiheit der beste ist. Vielmehr wollen wir genau darüber mit Ihnen – und möglichst vielen anderen Teilnehmern – diskutieren.

Aus diesem Grund würden wir uns sehr freuen, Sie am 23. November 2013 in München begrüßen zu dürfen.

Informationen:

Michael Landl ist im Vorstand der European Students For Liberty tätig und studiert „International Affairs and Governance“ an der Universität St. Gallen. Sie können ihn unter der E-Mail-Adresse mlandl@studentsforlibery.org erreichen.

Weiterführende Links:
European Students For Liberty
Regionale Konferenzen
Regionale Konferenz München 

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FN 517: Die Unfreiheit der Gedanken drucken

Nichts ist widerlicher, als wenn freie Bürger durch freiwillige Selbstzensur ihre eigene Freiheit verraten.

Das kann auch durch scheinbare Kleinigkeiten passieren, wie den Verzicht auf ein Lied: Der Dresdner Kreuzchor hat von sich aus für eine China-Tournee "Die Gedanken sind frei" aus dem Programm genommen, obwohl es ursprünglich darin als emotionaler Eckpfeiler geplant gewesen ist. Aber dann fürchtete man, dass sich Chinas Machthaber an den Worten des Freiheitslieds über "dunkle Kerker" und über die Gedankenfreiheit stoßen könnten. Daher änderte man das Programm, noch bevor es ein Chinese sehen konnte. Wir lernen: Wenn ein bisschen Geld in der Kasse klingelt, opfert man heute sogar freiwillig die bloße Erwähnung von Europas (einst?) wichtigstem Wert. Vielleicht wissen die Sachsen gar nicht mehr, wie viele Menschen allein für dieses Freiheitslied und mit ihm in den letzten drei Jahrhunderten in den Kampf für eine gute Sache gezogen sind. Etwa genau vor zweihundert Jahren in die (ebenfalls in Sachsen ausgetragene!) Völkerschlacht gegen Napoleons Fremdherrschaft. Oder dann gegen den feudalen Absolutismus in der eigenen Heimat. Heute aber sieht man, wie alt, müde, schwach diese Deutschen, diese Europäer geworden sind. Beklemmend.

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Spindeleggers Rache statt bürgerlicher Perspektive drucken

Der ÖVP-Obmann räumt nun alle jene Spitzenpolitiker seiner Partei weg, die einmal gewagt hatten, eine andere Meinung als er zu haben. Jetzt nach der glimpflich überlebten Wahl hat er zum ersten und vielleicht letzten Mal die Macht dazu. Er vergisst dabei nur eines: Wenn man gute Leute wegräumt, ohne irgendwo eine alternative Perspektive zu bieten, dann kann das nur als Rache interpretiert werden. Das ist in einem Zeitpunkt besonders schlimm für die ÖVP, da zugleich ihre inhaltlichen Defizite immer größer werden. Von der Schul- bis zur liberalen Ordnungspolitik.

Offensichtlich sind jetzt alle auf der Abschuss- oder Abschiebeliste, die sich im Sommer 2012 den Revirement-Plänen von Michael Spindelegger in den Weg gestellt haben. Das nennt man kalt konsumierte Rache.

Nun ist es gewiss nicht nur das Recht, sondern auch die absolute Aufgabe eines Parteiobmanns, sich seine Mannschaft selber zusammenzustellen. Das Recht der Wähler ist es aber dann, das Ergebnis zu beurteilen.

Vielleicht sollte daher der ÖVP-Obmann auch ein wenig selbstkritisch sein und darüber nachdenken, ob wirklich Finanzministerin und Klubobmann das Bleigewicht an seinen Beinen sind. Oder ob das nicht vielmehr die von fast allen bürgerlichen Wählern verabscheute Koalition mit einem Werner Faymann ist. Die nur von der linken Einheitspresse herbeigewünscht wird.

Faktum ist ja jedenfalls, dass weder Josef Pröll noch Michael Spindelegger in der ganzen Regierungszeit mit Faymann eine einzige relevante Maßnahme durchgebracht haben, welche nur im Entferntesten ordnungspolitisch-wirtschaftsliberal oder wertkonservativ gewesen wäre. Vielleicht schafft es Faymann wirklich, hinter verschlossenen Türen den lieben Michael und den lieben Sepp immer einzukochen. Aber Genießbares serviert ist dann eben nie worden.

Auch jetzt deutet rund um die Koalitionsgespräche nichts darauf hin, dass auch nur eine einzige liberalkonservative Reform umgesetzt wird. Die ÖVP hat zwar des öfteren einige ganz linke SPÖ-Dummheiten verhindert, aber anderen immer wieder zugestimmt. Das ist nicht ganz das, was man als Wahlmotiv der letzten noch verbliebenen ÖVP-Wähler vermuten darf.

Karlheinz Kopf war sicher kein strahlender Volkstribun, der die Säle gefüllt hätte. Aber er ist einer der ganz wenigen echten Ordnungsliberalen in der österreichischen Politik. Er hat zugleich ein ziemlich gutes Gefühl als auch konservativ denkender Bürgerlicher, welchen Absprachen zwischen Bundes- und Vizekanzler man trotz allem nicht blindlings zustimmen sollte. Und er war vor allem das letzte Bollwerk dagegen, dass der linke Staatsfunk für seine immer ärger werdenden Umtriebe frisches Steuergeld bekommt (oder höchstens dafür, dass ein Mann des Erwin Pröll dort halt als Feigenblatt hineingepresst wird, der aber die inhaltliche Schlagseite in keiner Weise austarieren kann – höchstens bei der Niederösterreich-Berichterstattung).

Maria Fekter kann und muss man vorhalten, dass sie dem Verlangen ihres oberösterreichischen Landesparteichefs nachgegeben und letztlich doch einer Linzer Medizin-Fakultät zugestimmt hat. Nur sollte es nicht ausgerechnet Spindelegger sein, der ihr das vorhält. Denn dieser hat sich – so wie die SPÖ – nicht einmal eine Sekunde lang gegen die teure Unsinnigkeit dieser Fakultät gewandt.

Aber Fekter war wenigstens bei allen übrigen Fragen eine der politischen Ausnahmeerscheinungen, die beim Bürger noch den glaubwürdigen Eindruck hinterlassen, die Interessen der Steuerzahler im Auge zu haben. Und sie war und ist einer der letzten authentisch wirkenden Politikertypen in diesem Land, die noch wie ein Mensch redet und nicht als substanzloser Phrasendrescher daherkommt.

Gewiss, niemand ist unersetzlich, weder Fekter noch Kopf noch der schon davor entsorgte Neugebauer. Aber wo um Himmels willen ist der Ersatz? Wenn Sebastian Kurz derzeit schon fast für jedes Ministerium genannt wird, dann zeigt das nur eines: Das einzige politische Talent, das da im letzten Jahrzehnt neu in der Politik aufgetaucht ist, wird nun möglichst rasch verheizt.

Umso schlimmer ist das, was da sonst auftaucht: Wenn wirklich ernsthaft ein Christoph Leitl Minister werden sollte, dann ist das wohl endgültig der Untergang der ÖVP. Hat sich doch Leitl in den letzten Jahren immer als DER sozialdemokratisch-gewerkschaftlich denkende und handelnde Eckpfeiler der Volkspartei positioniert. Wenn Spindelegger wirklich diesen Alt-68er aus der Greißler-Gewerkschaft in die Regierung befördert, dann ist ihm wirklich nicht mehr zu helfen.

Das gilt noch viel mehr, wenn auch nur ansatzweise das Wirklichkeit werden sollte, was da inhaltlich aus den Koalitionsverhandlungen kolportiert wird. Sollte der Salzburger Landeshauptmann und Ex-Rechtsanwalt Haslauer wirklich das achtklassige Gymnasium opfern, dann hat sich die ÖVP nicht nur viele Lehrer, sondern vor allem hunderttausende Eltern von gegenwärtigen oder vor allem künftigen AHS-Kindern zum Feind gemacht. Und die werden das mit Garantie nicht nach ein paar Wochen vergessen haben. Geht es doch um ihre Kinder. Die haben sie höchstwahrscheinlich auch noch bei der nächsten Wahl. Und diese Eltern werden immer an Haslauer und Spindelegger denken, wenn ihre Kinder acht Jahre in einer Gesamtschule verblöden oder wenn sie teures Geld für Privatschulen zahlen müssen.

Nun, wir werden ja sehen. Ich glaube noch immer, dass eine Partei eigentlich nicht so dumm, so suizidal gestrickt sein kann, dass das wirklich passiert. Nur weil es ein paar Industrielle so wollen (die ihre eigenen Kinder immer schon auf die teuersten Privatschulen schicken).

Aber die nunmehr vorliegenden Personalmaßnahmen lassen mich jedoch zittern, dass ich mit meinem Glauben an die schwarze Restintelligenz völlig falsch liegen könnte.

Meine diesbezügliche Skepsis ist ja schon durch die personelle Zusammensetzung des neuen ÖVP-Klubs genährt worden: Noch nie haben die Schwarzen so arge inhaltliche Defizite gehabt. Die einst große bürgerliche Partei hat von den Schulen bis zur Kultur, von der Außen- bis zur Pensions- und Gesundheitspolitik und bis zum ganzen Justizbereich überhaupt keine respektierten Experten mehr in ihren Reihen, die sich in diesen politischen Schlüsselthemen auskennen würden. Es gibt nur noch jede Menge Quotenfrauen, Lokalkaiser, Bürgermeister, Raiffeisen-Funktionäre, Rüben-, Wein-, Berg-, Milch- und Getreidebauern. So wie man auch bei der SPÖ fast nur noch Bürgermeister, Lokalkaiser und Gewerkschafter antrifft.

PS: Noch deprimierender ist, dass die einzige – zum Glück nur ein paar Stunden anhaltende – parteiinterne Kritik an den schwarzen Personalentscheidungen ausgerechnet mit dem dümmsten aller Argumente vorgebracht worden ist: mit der feministischen Kritik daran, dass der Herr Kopf, der ins Nationalratspräsidium abgeschoben werden soll, ein Mann ist. Das sind offenbar die größten Sorgen, die sich jemand in der ÖVP macht . . .

 

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Die Vorteile der direkten Demokratie drucken

Die Einführung von mehr direkter Demokratie hat viele Vorteile, die der öffentlichen Diskussion gar nicht bewusst sind. Sie ist vor allem Garant gegen Anlassgesetzgebung und gegen schlechte Huschpfusch-Gesetze. Beides ist in den letzten Jahren in Österreich ja fast die dominierende parlamentarische Mode geworden. In Ländern mit direkt demokratischen Instrumenten wirkt die Phase vor dem Referendum hingegen durch ihre Dauer und ihre öffentlichen Diskussionen versachlichend und beruhigend.

Es ist immer wieder beeindruckend, wie nüchtern etwa in der Schweiz von den Medien und Bürgern alle Pro- und Kontra-Argumente dargelegt und abgewogen werden. Daher sollten auch die österreichischen Parteien endlich lernen, dass es bei einem Referendum um die Sache und nie um einen Politiker (beispielsweise um den einst angekündigten Rücktritt Bruno Kreiskys) gehen sollte.

Auch die – eigentlich nur aus populistischen Motiven angeordnete – Bundesheerabstimmung des vergangenen Winters hat bei den Österreichern solche Abwägungen in breiter Front ausgelöst. Bei den Wählern noch mehr als bei den Medien. Diese behandelten die Abstimmung so wie die Parteisekretariate noch immer verfehlterweise als parteipolitische Angelegenheit.

Das sind Referenden aber nur noch für einen kleinen Prozentsatz der Bürger. Die Mehrzahl hingegen hat im Winter weitestgehend sachlich, nicht parteipolitisch über das Heer nachgedacht. Und dann entschieden.

Dennoch äußern nach wie vor viele Politiker und Beamte Einwände gegen die direkte Demokratie. Der am häufigsten vorgebrachte: Sie warnen, dass das Volk in dieser oder jener Frage „falsch“ entscheiden könnte.

Das ist in Wahrheit ein skandalös provozierender Einwand. Denn er geht davon aus, dass irgendjemand da oben das absolute, oder zumindest ein höherrangiges Wissen über „falsch“ oder „richtig“ habe. Aber die Demokratie ist nicht zuletzt deshalb entstanden, weil man erkannt hat, dass niemand und niemandes Wissen höherwertig sind. Die Elite – und damit die Machthaber – versucht jedoch, sich moralisch und intellektuell über das zu bevormundende Volk zu erheben. Motto: „Wir wissen‘s besser.“

Das ist reine Anmaßung, und hat auch keine Grundlage in der Verfassung oder in der Rechtsphilosophie. Dahinter verbirgt sich auch der Gesinnungsterrorismus der Political correctness, der den Menschen eine wachsende Menge an Denk-, Sprech- und Verhaltensregeln aufzwingen will. Zugleich versucht er diese Regeln als höherwertig denn normale (=abänderbare) Gesetze einzustufen.

Diese Haltung verwandelt den alten Scherz über die Verfassung in beklemmende Wirklichkeit: Das Recht geht vom Volk aus, aber es ist nie wieder zum Volk zurückgekehrt; denn eine herrschende Mandarinen-Klasse hat es sich inzwischen angeeignet.

Diese hält das Volk für ungeeignet, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln. Sich selber hält diese Klasse hingegen für sehr gut geeignet, auch die Angelegenheit anderer Menschen zu regeln. Ihre wahren Motive sehen freilich ein wenig anders aus. Bei vielen Abgeordneten hört man primär egoistische und geradezu primitive Bedenken. Etwa des Inhalts, dass bei den Referenden dann die Politikerbezüge oder Parteiförderung reduziert würden.

Die Behauptung der Überlegenheit repräsentativdemokratischer Abstimmungen wird durch die Realität jedenfalls total ad absurdum geführt. So schlechte, so überflüssige, so populistische, so viele nachhaltig zum ökonomischen und gesellschaftlichen Kollaps führende Gesetze, wie sie die repräsentative Demokratie in den letzten Jahren produziert hat, bringt das Volk nie und nimmer zusammen.

Die Staatsschulden oder der Zustand der Universitäten oder das seit Jahrzehnten gesunkene(!) Pensionsantrittsalter oder die vielen verfehlten Schulreformen oder die überflüssig teure Rettung von Hypo und Kommunalkredit oder die Aufblähung der bürokratischen Regulierungsmenge: All diese Beispiele zeigen ein Versagen der repräsentativen Demokratie.

Diese versucht ständig eilfertig, vermeintlichen Wünschen der Bevölkerung entgegenzukommen. Jedoch hätten die Bürger selbst die meisten Unsinnigkeiten der repräsentativen Demokratie gar nie beschlossen, wenn sie selbst die Letztverantwortung hätten. Denn meistens werden ja nur lautstarke Lobbies bedient. Und dort, wo sich die Bevölkerung für eine Schimäre engagiert, tun die repräsentativen Politiker aber auch gleich servil mit. Siehe etwa Neutralität.

Man kann übrigens die um das eigene Überleben bangenden Politiker trösten: Das Parlament bleibt ohnedies das entscheidende Gremium, und zwar in all jenen Fällen, wo niemand die vielen Unterschriften für ein Referendum zustandebringt. Daher werden die meisten Aufgaben der Parlamentarier weiterlaufen – aber vielleicht mit mehr Nachdenken verbunden, ob man auch gut begründet agiert. Zugleich nimmt direkte Demokratie viel des derzeit ständig wachsenden Erwartungsdrucks von den Parlamentariern. In Wahrheit wissen die ja längst selber, dass sie immer weniger die vielfältigen und widersprüchlichen Erwartungen erfüllen können, die an sie gestellt werden.

Eine Reform nach Schweizer Muster wäre daher absolut richtig. Schwarz, Blau und meist auch Grün sind ja bei ihren Reformüberlegungen der letzten Jahre auch von diesem Ziel ausgegangen. Also: verpflichtende direktdemokratische Abstimmungen im Falle einer erfolgreichen Unterschriftensammlung für oder gegen ein Gesetz. Aber inzwischen ist unter dem Druck der SPÖ und einiger schwarzer Bedenkenträger das Projekt stark verstümmelt worden. Auch Grün und zum Teil Blau haben anscheinend die Lust ein wenig verloren.

Die ersten Entwürfe Richtung direkter Demokratie sind im Sommer fertiggestellt worden. An diesen wird öffentlich vor allem die Festlegung einer sehr hohen Grenze für die notwendige Unterschriftenzahl kritisiert. 10 beziehungsweise 15 Prozent der Wähler sind eine gewaltige Menge. Diese muss man binnen einer Woche in die Amtsstuben bringen, damit die Menschen dort das einleitende Volksbegehren unterschreiben (und sich dabei vor politisch vielleicht andersdenkenden Funktionären outen!). In der Schweiz sind hingegen je nach Materie nur 50.000 beziehungsweise 100.000 Unterschriften nötig. Also maximal ein Sechstel.

Noch viel schlimmer aber als bei der notwendigen Unterschriftenzahl fällt der Vergleich in Hinblick auf den Zeitraum aus: Die Schweizer haben ein halbes Jahr Zeit, um die nötigen Signaturen zu sammeln. Bei uns gibt es nur eine Woche.

Am ärgerlichsten aber ist die umfangreiche Liste der Bereiche, über die nicht abgestimmt werden darf. Dabei geht es vor allem um das EU-Recht. Während es noch nachvollziehbar ist, dass gegen dessen Geltung keine sinnvollen Referenden möglich sind, wären Referenden bei der Frage der Schaffung neuen EU-Rechts sehr wohl möglich und sinnvoll.

Denn absurderweise bestimmen über neue EU-Gesetze (Richtlinien oder Verordnungen) in den EU-Räten einzig und allein die zuständigen Ressortminister. Die im österreichischen Ministerrat immer vorgeschriebene Einstimmigkeit ist dabei nicht notwendig. Zwar könnte das österreichische Parlament das Abstimmungsverhalten jedes Ministers durch einen Beschluss vorweg auch inhaltlich festlegen. Aber nur wenn es will. Und es will nie. Denn die Koalition hat sich auf eine skandalöse Linie festgelegt: Die Schwarzen reden den roten Ministern nicht drein, und die Roten nicht den schwarzen Ministern. Dass nachher auch noch das EU-Parlament abstimmt, ist da absolut kein Trost. Denn dieses ist nicht nur total undemokratisch gewählt (ein deutscher Abgeordneter vertritt 811.000 Menschen, einer aus Malta nur 67.000!), ihm fehlt auch die nationale Gesamtverantwortung einer Regierung.

Provozierenderweise sollen die Bürger künftig also bei EU-Themen nicht einmal das dürfen, was das Parlament kann. Direkte Demokratie hin oder her. Dabei geht es in der EU wirklich um Wichtiges: Denn im EU-Rat können Minister im Alleingang zusammen mit ihren 27 Kollegen aus den anderen Ländern Gesetze für die ganze EU genehmigen oder blockieren. Und die sind auch inhaltlich meist wichtiger als normale österreichische Gesetze.

Minister sind also via EU viel mächtiger als innerösterreichisch. Daher wäre es absolut logisch, dass sie bei ihrer europäischen Gesetzgebertätigkeit künftig durch Referenden zwingend gebunden werden können. Denn, auf einen Satz gebracht: Wenn man die direkte Demokratie ernst und nicht nur als Augenauswischerei versteht, dann muss künftig das Volk dieselben Möglichkeiten wie das Parlament bekommen.

Noch ein weiteres schweres Manko prägt die kursierenden Entwürfe für mehr direkte Demokratie: Sie beschneiden die Rechte des Volkes bei Verfassungsgesetzen zusätzlich. Bei diesen soll das Quorum für eine erfolgreiche Einbringung noch um 50 Prozent höher sein als bei normalen Gesetzen. Das hat keinerlei Berechtigung. Denn im Parlament braucht es ja auch nicht mehr Abgeordnete als sonst, um eine Verfassungsänderung vorzuschlagen. (Die „Verfassungsmehrheit“ ist nur bei der Abstimmung, nicht aber bei der Einbringung nötig). Und auch bei der allerhöchsten Stufe, einer Gesamtänderung der Verfassung, ist nur eine Mehrheit bei einem Referendum notwendig. Nicht mehr. Dass ausgerechnet in diesem - einzigen - Fall die Verfassung eine Volksabstimmung sogar vorschreibt, zeigt aber auch, dass die ursprünglichen Verfassungsautoren durchaus das Volk als alleroberste Instanz angesehen haben.

Aber heute will der Machtdünkel der Politik das Volk weiterhin von wirklichen Entscheidungen möglichst fernhalten. Mit allen möglichen Tricks.

Überdies schafft sich das Parlament laut dem Entwurf die Möglichkeit, durch fünfmonatige Ausschussberatungen und Verhandlungen den Antrag wieder zu verwässern. In der Schweiz ist hingegen eine Volksabstimmung ein automatisches Muss, wenn das Parlament nicht zur absoluten Gänze dem von Bürgern begehrten Entwurf zustimmt.

Zugleich wollen Rot und Schwarz die Bundeswahlbehörde sowie den Verfassungsgerichtshof bei solchen Verwässerungen durchs Parlament in eine Schiedsrichterposition bringen. Der VfGH ist jedoch ein auf Jahrzehnte absolut unaufbrechbares Machtrefugium von Rot und Schwarz. Alle Verfassungsrichter sind ausschließlich auf einem Ticket einer dieser beiden Parteien dort hineingesegelt. Damit haben Rot und Schwarz auf Jahrzehnte einen starken Verhinderungshebel in der Hand.

Wenn man Schweizern diese Rolle des VfGH erklärt, schütteln sie nur entgeistert den Kopf. Kennen Sie doch eine solche Institution gar nicht. Das einzige, was es dort gibt, ist das Recht der Regierung, zu einer Volksabstimmung ihre Meinung zu sagen und dann eventuell neben der eingebrachten Formulierung den Bürgern auch noch eine eigene zur Abstimmung vorzulegen.

In Österreich hingegen wird der Souverän behandelt wie ein Kindergartenkind, das man ständig fest an der Hand halten muss.

Die allergrößte Einschränkung der Bürgerrechte liegt aber im Bereich der in ihrer Urform zweifellos unabdingbaren Menschenrechte. Den Bürgern ist aber noch viel zu wenig bewusst: Unter Berufung auf die angeblich notwendige ständige Fortentwicklung der Menschenrechte haben sich die obersten Richter Österreichs und Europas Schritt für Schritt ein unglaublich weitreichendes politisches Gestaltungs- und Einmischungsrecht geschaffen. Dadurch gilt in hohem Ausmaß Richterrecht – total an Geist und Buchstaben der Menschenrechtskonvention und der Verfassung vorbei. Diese haben ja die Schaffung von neuem Recht eigentlich exklusiv dem Gesetzgeber vorbehalten.

Die Schöpfer der Verfassung und Menschenrechtskonvention haben offensichtlich die expansive und machtbewusste Partisanentaktik von Richtern unterschätzt. Fast in ganz Europa haben diese unter Berufung auf "Menschenrechte" ihre Macht ständig ausgeweitet. Dadurch nähert sich die europäische Realität immer mehr den USA an. Dort sind es ja auch die Richter und nicht der eigentlich gewählte Kongress, die über fundamentale Fragen wie Schwulenehe oder Abtreibung entscheiden.

Da aber die Parlamente der eigenen Entmachtung jahrzehntelang tatenlos zugesehen haben, sollen nun offenbar auch die (vielleicht eines Tages) direktdemokratisch entscheidenden Stimmbürger sofort wieder weitgehend entrechtet sein.

Dieser Beitrag beruht in großen Teilen auf einem Aufsatz, den ich für einen Sammelband der Wochenzeitung „Zur Zeit“ zum Thema „Direkte Demokratie“ geschrieben habe.

 

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Eine Union zerstört ihre Werte drucken

Strafen für jene Parteien, die nicht die Werte der EU vertreten! Diese Forderung der europäischen Sozialisten stößt auch in Teilen der EU-Kommission auf große Zustimmung. Dennoch ist völlig klar: Würde Europa solche Strafen wirklich einführen, verlässt es endgültig den Weg des demokratischen Rechtsstaats. Denn der baut auf weltanschaulicher Neutralität auf, wie sie etwa schon die österreichische Verfassung seit fast hundert Jahren ganz wertfrei verkörpert. Sobald diese Neutralität aufgegeben wird, ist Tür und Tor zu einem neuen Totalitarismus geöffnet.

Der Vorstoß Richtung Strafbarkeit ist umso chancenreicher, als im EU-Parlament auch Gruppierungen sitzen, die sich zwar als „liberal“ bezeichnen, die aber in Wahrheit große Sympathien für solche Ideen einer Wertekontrolle haben.

Jede Strafbarkeit für Meinungen und Werte ist aber ein schwerer Verstoß gegen die fundamentale liberale Grundidee der Aufklärung und aller in der Folge darauf aufbauenden Revolutionen und Verfassungen. Das oberste Verlangen der Aufklärung war der Ruf nach Meinungsfreiheit. In der Präzisierung von Voltaire: Auch wenn ich total den Inhalt dessen ablehne, was ein anderer sagt, so werde ich (als freiheitsbewusster Einzelmensch ebenso wie als Rechtsstaat) alles tun, damit dieser andere seinen Inhalt weiter verbreiten kann. Meinungsfreiheit nur für jene, die so denken wie man selbst, wäre ja nur eine Karikatur.

Auch Nazis und Kommunisten schützten ihre Werteordnungen

Um die Notwendigkeit der echten Meinungsfreiheit zu unterstreichen, denke man an die Geschichte der letzten paar Jahrhunderte, da es eben keine Meinungsfreiheit gegeben hat. Da wurde in der mariatheresianischen Zeit sogar der Messbesuch kontrolliert; da gab es in der Nazi-Zeit den Zwang, die nationalistischen, antisemitischen und rassistischen „Werte“ der Nazis zu unterstützen; da musste bis 1989 halb Europa die „Werte“ des Klassenkampfes und des ausbeuterischen Aufbaus sozialistischer Gesellschaften einhalten. In Wahrheit wurde freilich immer die eigene Macht geschützt.

Jetzt droht also die Verordnung „europäischer Werte“. Schon etliche Urteile der obersten europäischen Gerichte (in Luxemburg wie Straßburg) in den letzten Jahren waren stark vom Geist einer Machtelite geprägt, die den Zwang zu einem politisch-korrekten Denken und Reden auf Kosten der Meinungsfreiheit durchsetzen will. Künftig will offenbar die Politik (oder zumindest ein Teil der politischen Klasse) wieder ganz unser Denken kontrollieren.

Natürlich hat der EU-Binnenmarkt, der freie und damit preisgünstige Austausch von Gütern und Dienstleistungen, den Europäern viel gebracht. Daher setzt sich jeder für seine Bewahrung ein, der die ökonomischen Grundrechnungsarten beherrscht. Aber es wäre ein absoluter Wahnsinn und absolut kontraproduktiv, wenn man Kritik am Binnenmarkt oder einzelnen seiner Aspekte als „Verstoß gegen die europäischen Werte“ zu bestrafen versucht.

Das schon deshalb, weil Menschen (erfreulicherweise) immer gerne das Gegenteil dessen glauben, was ihnen eine Obrigkeit zu glauben anordnet. Sie tun das zumindest ab dem Zeitpunkt, da sie die erste Lüge, Dummheit, Korruption dieser Obrigkeit entdecken. Und das war selbst unter einem Hitler oder Stalin trotz totaler Kontrolle über Medien und andere Kommunikationsschienen nicht zu verhindern.

Solange die EU eine reine Wirtschaftsgemeinschaft gewesen ist, hat sie sich auch ohne Zwang höchster Zustimmung und Sympathie erfreut. Die damalige EU passte auch gut zu dem zweiten großen und erfolgreichen Netzwerk der Nachkriegsjahre, der Nato, in der sich die Westeuropäer – und insbesondere die Amerikaner – gegenseitigen Beistand im Falle einer Bedrohung versprochen haben.

Brüssel sucht neue Betätigungsfelder

Beides hat exzellent funktioniert. Als aber nach 1989 die gemeinsame Herausforderung aus dem Osten weggefallen ist, haben die Machthaber, insbesondere die (von zweitklassigen Kommissaren geführte) Brüsseler Bürokratie neue Betätigungsfelder gesucht. Von der Justiz bis zur Kultur, von den Universitäten über die Währung und Duschköpfe bis zu den Glühbirnen haben sie begonnen, immer mehr zu regulieren, zu vereinheitlichen. Immer mehr Regeln und Richtlinien wurden den Gemeinden, Provinzen und den – sich interessanterweise noch für souverän haltenden – Staaten vorgeschrieben. Und damit vor allem den Menschen.

Viele in der EU taten das sicher in der besten Absicht. Oder, wie Margaret Thatcher es einmal formulierte: Wenn sie Italienerin wäre, würde sie vielleicht auch mehr auf Brüssel als auf Rom setzen. Umso enttäuschter ist man in Brüssel und Straßburg, weil die Menschen immer mehr auf innere Distanz zur EU gehen.

Wie schon so oft in der Geschichte ist den Menschen meist die mittelmäßige eigene Regierung lieber als ein sich für noch so weise haltender fremder Herrscher irgendwo weit draußen. An dieser Grundhaltung sind letztlich alle großen Reiche der Geschichte wieder zerbrochen. Was uns in den nächsten Monaten auch die hundertste Wiederkehr des Weltkriegs-Ausbruchs in Erinnerung ruft.

Die EU-Führer wären daher gut beraten, auch für sie ärgerliche Ansichten und Gruppierungen zu tolerieren. So wie es die Briten als Musterland der Demokratie vorbildlich vorexerzieren. Sie haben klargemacht, dass sie auch eine Sezession von Nordirland oder Schottland widerwillig, aber gelassen hinnehmen würden, wenn es dort eine Bevölkerungsmehrheit verlangt.

Genauso muss es Europa hinnehmen, wenn Gruppierungen wieder die Loslösung von der EU anstreben. Diese wäre klug beraten, auf jeden Versuch zu verzichten, unerwünschte und unverständliche Forderungen zu verbieten, zu bestrafen, oder sonstwie mit undemokratischen Mitteln zu unterdrücken.

So zu denken fällt freilich auch vielen autoritär strukturierten Mitgliedsstaaten gar nicht so einfach. Denn während sich die Briten zur prinzipiellen Tolerierung von Sezessionen durchgerungen haben, während die Tschechoslowakei eine solche schon erfolgreich absolviert hat, sehen andere EU-Staaten in der bloßen Idee noch immer Hochverrat. Ja, selbst das bloße Wort „Autonomie“ wird mancherorts bestraft.

Diese autoritär-zentralistischen Tendenzen sind besonders in jenen Staaten der EU übermächtig, in denen die Bevölkerung großer Gebiete – oder zumindest die mutmaßliche Mehrheit – weg will von diesem Staat. Man denke an die Basken und Katalanen, an die Südtiroler und Flamen, an die Ungarn in Rumänien und der Slowakei. Um nur die wichtigsten Gruppen zu wünschen, die unter Zwang zu einem nicht gewünschten Staat gehören.

Niemand hat bisher überhaupt definiert, was beispielsweise in dieser so grundlegenden Frage die angeblichen „europäischen Werte“ überhaupt bedeuten. Brutaler Zentralismus oder freie Entscheidung der Einwohner über die wichtigste staatspolitische Frage? Die EU schweigt. Aber dennoch wagen es europäische Politiker, von gemeinsamen Grundwerten der EU zu schwafeln. Und deren Nichteinhaltung zu bestrafen.

Auch Grundrechte ändern sich ständig

Allein der bloße Gedanke ist absurd. Sind doch auch in vielen anderen Fragen die „europäischen Werte“ eine absolute Schimäre, unter der jeder versteht, was er eben will. Selbst die sogenannten Grundrechte sind keine fixen Werte, sondern ändern sich ständig. Sollten sie aber einen Bestandteil der nie definierten, jedoch durch Strafen geschützten Werteordnung bilden (wie es eben bei totalitären Instrumenten der Fall ist), dann macht sich jeder Richter strafbar, der eine neue Judikatur entwickelt, und jeder Politiker und Beamte, der eine Änderung des Rechtsregeln vorschlägt.

Wenn eines hoffentlich fernen Tages die EU wieder auseinanderfallen sollte, dann sind jene die Hauptschuldigen, die die Union mit völlig unrealistischen Ansprüchen weit über den Aufbau eines Binnenmarkts hinaus aufzuladen versucht haben. Denn sie haben etwas versucht, was noch nie in der Geschichte dauerhaft geglückt ist, nämlich Werte und Loyalität mit Strafen durchzusetzen.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich gibt es Werte, die in Europa mehr Signifikanz haben als in Asien oder Afrika. Aber dabei ist eben immer zentral, dass es Werte sind, die aus Überzeugung befolgt werden, und nicht aus Not oder Zwang oder Angst vor Strafe.

Auch "Anti-Feminismus" soll verboten werden

Aber diese Initiative ist noch lange nicht alles, wie die dominierende Linke in der EU die Meinungsfreiheit einschränken will. Es steht auch schon ein Richtlinienentwurf in den Pipelines der Kommission, welcher die Meinungsfreiheit auch noch auf anderen Gebieten einzuschränken  versucht. Schon die ersten Richtlinien-Entwürfe versuchen die Mitgliedsstaaten zu zwingen, Meinungen zu "bekämpfen", welche die Kommission als "anti-feministisch", "homophob", "xenophob", "ethnisch diskriminierend" oder "religiös intolerant" einstuft.

Wobei ja auch der Kampf gegen "religiöse Intoleranz" keineswegs so harmlos ist, wie er klingt. Denn in der europäischen Praxis wird diese Formulierung praktisch nur gegen die Kritiker des Islam eingesetzt. Gewiss: Dieser Text ist erst am Beginn des europäischen Gesetzeswergungsprozesses.

Was man gegen diesen Wahnsinn tun kann? Nun, das Dümmste wäre es jedenfalls, aus Protest gegen europäischen Totalitarismus und weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit etwa den EU-Wahlen fernzubleiben. Auch die ÖVP wird dabei wohl absolut unwählbar sein, wenn sie wirklich auf der fanatisch EU-zentralistischen Linie des Otmar Karas bleiben sollte.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Marode Unternehmen: Rettung durch den Staat? drucken

Frankreich leistet in verschiedenen Bereichen Hervorragendes. Einige der großen Rotweine aus Burgund, Bordeaux oder der südlichen Rhône sind unübertrefflich. Als Land der Modeschöpfer, Parfumeure und Schmuckproduzenten der Luxusklasse ist es unerreicht. Und im Stellen unbeteiligter Zuschauer bei einer Invasion setzt es bekanntlich Maßstäbe. Weniger toll läuft es indes mit Frankreichs Industrie, deren Anteil an seiner gesamten Wertschöpfung bei mittlerweile zehn Prozent angelangt ist – mit weiter fallender Tendenz.

Beim Erzrivalen Deutschland beträgt der gleiche Wert immerhin 23 Prozent. Besonders der Metallbranche und den Automobilherstellern geht es gar nicht gut. Die Weltnachfrage nach Autos französischer Provenienz ist ähnlich jener nach bulgarischen Ski, dänischem Wein oder jemenitischen Designermöbeln. Jeder, der einmal eine französische Karre gefahren hat, weiß auch warum.

Ein schwerer Nachfrageeinbruch im Segment der Kompaktfahrzeuge in Europa und stetig wachsende Konkurrenz aus Übersee tun das ihre, um den französischen Herstellern stärker zuzusetzen, als etwa den deutschen. Der PSA-Konzern (mit den Marken Peugeot und Citroen) schreibt seit Jahren tiefrote Zahlen. Der Hut brennt.

Es muss etwas geschehen! Die Politik ist gefordert! Ist sie das wirklich?

Die Wirtschaftsgeschichte zeigt: Unternehmen kommen und gehen. In einer arbeitsteiligen, innovativen, von Wettbewerb geprägten Volkswirtschaft ist das keine Katastrophe, sondern ganz normal. Unternehmen können, müssen aber nicht ein Menschenleben überdauern (das geschieht auch nur in den seltensten Fällen). Nur in Wirtschaftsfragen völlig unbedarfte Zeitgenossen halten Unternehmen, besonders die großen, für „unsinkbare Schiffe“.

Josef Schumpeter hat für das Phänomen der Verdrängung des unrentablen Alten durch das rentable Neue einst den Begriff „Schöpferische Zerstörung“ geprägt. Hunderttausende Landarbeiter, Leinenweber, Lastenträger und Schriftsetzer haben infolge des technischen Fortschritts ihre Arbeitsplätze verloren und an anderer Stelle Lohn und Brot gefunden. Der kleine Greißler ums Eck ist den Filialbetrieben der Handelsketten gewichen. Keine finsteren Mächte, sondern veränderte Konsumentenpräferenzen haben dafür gesorgt. Das mag mancher bedauern. Mit politischen Mitteln zu ändern ist es nicht.

Zweifellos ist es für unmittelbar Betroffene, Kapiteleigner wie Beschäftigte, dramatisch, seinen Betrieb untergehen zu sehen. Ihr Interesse an dessen Erhaltung ist daher verständlich. Allerdings stellt sich die Frage nach Kosten und Nutzen der Bewahrung eines Unternehmens, dessen Produkte nicht (mehr) gefragt sind. Kann es sinnvoll sein, die aus freien Stücken getroffenen Entscheidungen der Marktakteure konterkarieren zu wollen?

Zusätzliches Gewicht gewinnt diese Frage dann, wenn nicht ausschließlich Geld privater Investoren, sondern Steuermittel zu diesem Zweck aufgewendet werden sollen. Gegenwärtig wird von PSA ja nicht nur mit dem chinesischen Staatsbetrieb Dongfeng über eine Beteiligung verhandelt, sondern auch darüber spekuliert, ob die französische Regierung Steuermittel dazu einsetzen soll, um dem angeschlagenen Konzern unter die Arme zu greifen.

Vor nicht allzu langer Zeit erfolgten staatliche „Rettungsaktionen“ zum Beispiel für die angeschlagene Luftlinie Alitalia oder den Autohersteller General Motors. Wie sinnvoll sind derartige Engagements?

Empirisch lässt sich die volkswirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Erhaltung von an der Nachfrage vorbei produzierenden Produzenten nicht nachweisen. Die Belohnung eines nicht marktorientierten Verhaltens, wie die subventionierte Produktion von nicht nachgefragten Gütern und Dienstleistungen, verursacht allemal Kosten, liefert aber netto keinen Nutzen.

Staatsinterventionen in die Wirtschaft sollen Konkurse verhindern, etwa von Banken, die es geschafft haben, von einer Regierung als „too big to fail“ eingestuft zu werden. Sie laufen aber regelmäßig auf die Zementierung bestehender, unwirtschaftlicher Strukturen hinaus und behindern notwendige Korrekturen und wirtschaftliche Innovationen.

Dass derlei „Rettungsaktionen“ ausschließlich Großbetrieben zugute kommen, die mit Steuermitteln finanziert werden, die von ordentlich wirtschaftenden KMU und deren Mitarbeitern erbracht werden, fügt dem ökonomischen Irrsinn den blanken Hohn hinzu: Der Staat plündert die Kleinen aus, um jene Giganten zu päppeln, welche die Kleinen peu à peu aufkaufen oder aus dem Geschäft drängen. Am Ende sehen dann linke Etatisten das marxistische Märchen von der „Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Konzentrationsprozesses“ bestätigt…

Die Menschen wissen sehr genau, weshalb sie keine Peugeots kaufen wollen. Es gibt keinen plausiblen Grund anzunehmen, dass es die französische Regierung besser wissen könnte. Der Ökonom und Pamphletist Frédéric Bastiat brachte das Problem mit folgender Formel auf den Punkt: „Was man sieht und was man nicht sieht.“ Eine staatliche Rettungsaktion erhält den Beschäftigten (zumindest kurzfristig) Tausende Arbeitsplätze, den Aktionären ihr Kapital und der Regierung eine Menge Wählerstimmen.

Das ist es, was man sieht. Das nun andernorts fehlende Geld kann allerdings nun nicht mehr in ertragreichere und, vor allem, zukunftstaugliche Projekte investiert werden, wo es wesentlich mehr Nutzen hätte stiften können. Das ist es, was man nicht sieht.

Ökonomisch kluge Entscheidungen sind daher nicht nur auf die Verwirklichung unmittelbar sichtbarer Ziele gerichtet, sondern beziehen auch allfällige, möglicherweise erst später eintretende „Kollateralschäden“ mit ein. Der bei Peugeot Verluste produzierende Ingenieur oder Facharbeiter könnte mittel- und langfristig in wirtschaftlich gesunden Unternehmen weit bessere Dienste leisten. Und das bei Peugeot verbrannte Kapital würde, anderweitig eingesetzt, erheblich mehr Wertschöpfung generieren.

Angesichts des von der linksradikalen Regierung Frankreichs hinreichend erbrachten Nachweises ihrer atemberaubenden wirtschaftspolitischen Inkompetenz, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sie die jahrelang betriebene Misswirtschaft bei Peugeot mit Steuermitteln belohnen wird. Immerhin steht ja auch das Prestige der gallischen Autobauer auf dem Spiel. Und ohne Gloire und Grandeur geht ja bei den Franzosen schließlich gar nichts – auch nicht bei den ordinärsten Sozialisten…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Gut gemeint: Der Papst, die Sparsamkeit und die Effizienz drucken

Stündlich wird mit der Maßregelung des Bischofs von Limburg durch den Papst gerechnet. Der muss wohl handeln, will er nicht seinen binnen kurzem errungenen Ruf der persönlichen Bescheidenheit und Sparsamkeit gefährden. Nur: Wie sieht es mit der Sparsamkeit des Papstes selbst aus? Was kann man heute schon über die Effizienz seiner vielen gutgemeinten und weitpublizierten Aktionen sagen, außer dass sie gut gemeint waren? Ein näherer Blick auf diese zeigt: Gut gemeint ist noch keineswegs immer gut gelungen.

Der argentinisch-italienische Papst hat zwar im Gegensatz zu seinem deutsch-trockenen Vorgänger ein charismatisches Talent für Ausstrahlung und Symbole. Aber bisweilen sollte man auch nüchtern hinter die Symbole blicken und deren Wirkung prüfen.

Wohl meist publiziertes Symbol war der Entschluss des neuen Papstes, nicht in den von vielen seiner Vorgänger benutzten päpstlichen Gemächern zu wohnen, sondern in einem vatikanischen Gästehaus. Das ist für viele der Inbegriff der Bescheidenheit. Durchaus möglich, dass dieses Gästehaus tatsächlich bescheidener ist als die mit viel Geschichte und wohl auch Einrichtung belasteten päpstlichen Räume. Durchaus nachvollziehbar auch, dass Franziskus deren Abgeschiedenheit nicht sonderlich liebt.

Nur eines ist diese Wohnsitzwahl sicher auch: teurer als die Benutzung der alten Papstzimmer. Denn ein vatikanisches Gästehaus ist nichts anderes als ein Hotelbetrieb. Auch geistliche Menschen in violett oder Purpur müssen für dessen Benutzung zahlen, wenn sie ein paar Tage in Rom wohnen wollen. Und wenn dort ein oder mehrere Räume eben nicht mehr vermietet werden können, dann ist das ziemlich schlecht für dieses Gästehaus. Aus örtlichen wie aus Sicherheitsgründen kann der Vatikan aber nicht gleichsam ersatzweise die alte Papstwohnung vermieten. Die steht ungenützt und leer.

Gut gemeint war es aber, gewiss.

Gut gemeint waren auch die anfangs in aller Welt heftig und begeistert kommentierten Telefonanrufe des Papstes bei Menschen, die ihm Briefe oder Mails geschrieben haben. Welch ein wunderbares Gefühl, wenn plötzlich der Papst anruft. Nur: Dem Papst schreiben täglich auch Tausende andere. Darauf antworten aber so wie bisher nur Mitarbeiter im Namen des jeweiligen Papstes.

Jetzt aber werden all diese Menschen, die auch weiterhin nur solche Antworten bekommen, bitter enttäuscht sein. Was früher nicht der Fall war. Denn jetzt rechnet fast jeder Briefschreiber zumindest insgeheim mit dem Anruf eines „Francesco“ aus Rom. Damit ist aber im Ergebnis die Beglückung einzelner mit der Enttäuschung einer tausendfachen Vielzahl erkauft. Von den Spaßvögeln gar nicht zu reden, die angeblich schon Wetten abschließen, mit welcher besonders skurril erfundenen Geschichte es ihnen gelingen könnte, den Papst an den Apparat zu bekommen.

Gut gemeint, gewiss.

Gut gemeint war auch der demonstrative Besuch des Papstes auf Lampedusa, also auf jener italienischen Insel, vor deren Küste Schlepperschiffe die transportierten „Passagiere“ ins Meer setzen (weil sie ja nicht sonderlich gerne anlegen). Nur sehr naive Menschen können es für einen Zufall halten, dass seit diesem Besuch viel mehr Afrikaner – die ja alle daheim vom Papst-Auftritt gelesen, gehört und gesehen haben – die Überfuhr nach Lampedusa versuchen als in früheren Monaten und Jahren.

Gut gemeint, gewiss.

Gut gemeint sind wohl auch die Predigten des Papstes gegen Armut, Hunger und Profit. Nur wird dadurch noch nichts geändert. Viel sinnvoller wäre es gewesen, wenn der Papst klar gesagt hätte, was im Kampf gegen Hunger und Armut wirklich geholfen hat: Das war der Kapitalismus, die Marktwirtschaft, der Rechtsstaat.

Dieser Zusammenhang ist leicht beweisbar. Je mehr ein Land an der wirtschaftlichen Globalisierung teilnimmt, je mehr es die Mechanismen des Marktes wirken lässt, je sauberer und schlanker eine staatliche Verwaltung ist, je weniger sich islamische Geistliche in die Politik einmischen können, je mehr Möglichkeiten die Einzelinitiative jedes Menschen im Vergleich zu Anordnungen der Regierung hat, umso erfolgreicher ist ein Land. Ob man den Erfolg nun am Kampf gegen Hunger und Krankheiten misst oder an einer höheren Lebenserwartung. Aus solchen Ländern will dann übrigens auch kaum noch jemand auswandern. Egal, ob Richtung Lampedusa oder sonstwo hin.

Aus den Texten des früheren Papstes hat man all dieses Wissen und die damit verbundene Weisheit auch herauslesen können. Aus denen des jetzigen Papstes kann man nur herauslesen, dass er es wirklich gut meint, dass er aber nicht wirklich eine Ahnung hat, wie all das denn überhaupt  zusammenhängt. Man sollte es ihm nicht wirklich vorwerfen: Ich glaube nicht, dass man in Argentinien in den letzten Jahrzehnten irgendwo wirtschaftlich Nachahmenswertes lernen konnte. Dazu hätte man schon über die lange Grenze mit Chile nach Westen fahren müssen. Die Tradition der katholischen Kirche, dass man eigentlich immer ein schlechtes Gewissen haben muss, dass nie etwas von Menschen Unternommenes auch gut gelungen sein kann, ist vielleicht nicht ganz hilfreich zur Beurteilung der Effizienz von Entwicklungspolitik.

PS.: Um nicht missverstanden zu werden: Das alles ist weder direkt noch indirekt eine Unterstützung für die von allen Medien berichtete Verschwendungssucht des Limburger Bischofs. Sein Verhalten sollte für kirchliche Würdenträger in alle Zukunft abschreckend sein. Nur eines darf man dem Bischof zubilligen: Sehr viele Bischöfe leben in Gebäuden, deren Errichtung durch noch viel mehr Bauprunk und noch höhere Kosten geprägt gewesen ist. Die Päpste tun das erst recht. Aber dennoch war das die beste Investititon, die jemals in Rom getätigt worden ist. Oder Salzburg: Man stelle sich den Rang der Stadt vor ohne die Prachtbauten der früheren Fürsterzbischöfe. Nur sind eben die Salzburger und all die anderen Bischöfe heute mit (vor allem für die Kirche!) gutem Grund nicht mehr „Fürsten“. Da passt der Prunk nicht mehr. Und das ist gut so. In Hinblick auf die Vergangenheit können Christen aber jedenfalls weiterhin durchaus stolz sein auf all die einmaligen Zeugnisse der architektonischen und sonstigen Kulturleistungen im Namen der Kirche. Über Tausend Jahre waren Mönche und Bischöfe die weitaus wichtigsten Träger der Zivilisation und jeder Form von Kultur in einem lange recht unzivilisierten Kontinent gewesen. Und manch ein Bischof glaubt halt, noch in diesen Zeiten zu leben.

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Die Erpresser drucken

„Wir können Erpressung in unserer Demokratie nicht zur Routine werden lassen.“ Also sprach Barack Obama am Höhepunkt seines Kriegs mit der Mehrheit des Repräsentantenhauses, der für die Weltwirtschaft schon bedrohlich geworden ist. Klingt völlig richtig. Nur: sind es immer bloß die anderen, die erpressen?

Denn in Wahrheit haben sowohl der amerikanische Präsident den Kongress, wie auch der Kongress den Präsidenten zu erpressen versucht. Beide Seiten erpressen einander. Und Amerikas Verfassung gibt da keiner Seite automatisch das letzte Wort.

Ganz ähnlich ist es auch anderswo. Etwa in Österreich. Alle Oppositionsparteien sagen: Wenn uns Rot-Schwarz nicht das Oppositionsrecht auf U-Ausschüsse gibt, stimmen wir keinem Verfassungsgesetz mehr zu. Ein solches wird aber etwa der EU wegen immer wieder nötig. Glatte Erpressung, denn inhaltlich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.

Genauso geht es aber auch in der Koalition zu: Die Interessen von Bauern oder Branchen werden im Gegenzug für den Ausbau des Wohlfahrtsstaats abgetauscht. Das wird dann zwar als toller Kompromiss verkauft, ist aber nichts anderes als gegenseitige Erpressung. Dabei einigt man sich meist zu Lasten Dritter, nämlich der künftigen Steuerzahler. Diese müssen die dabei entstehenden Schulden einmal abzahlen. Via Steuererhöhungen, via Inflation oder (am wahrscheinlichsten) auf beiden Wegen.

Am schlimmsten ist die Erpressung, die alle Staaten gegenüber ihren Bürgern begehen: Entweder du zahlst alle von uns festgesetzten Steuern, Gebühren und Abgaben oder wir holen uns das Geld mit Gewalt. Eine Exekution ist ja nichts anderes als Gewalt.

Gewiss, Steuerzahlen kann sich nicht auf freiwillige Spenden reduzieren. Aber gerecht wäre der Steuer-Zwang nur, wenn es auch eine echte Mitsprache der Bürger bei den ständig höher werdenden Ausgaben durch die Politik gäbe. So wie es eigentlich ja auch der Urgedanke der Demokratie war. Eine solche Mitsprache verweigern aber bis auf die Schweiz praktisch alle Machthaber. Deshalb hat gerade die Schweiz besonders niedrige Steuern und einen besonders hohen Wohlstand.

Auch die Amerikaner hätten mit großer Mehrheit die Einführung von „Obamacare“ abgelehnt. Ohne eine solche Legitimation fällt es aber schwer zu sagen, Bürger und Abgeordnete dürfen sich nicht mit legalen Mitteln gegen ständige Neuverschuldungen wehren, die – nicht nur, aber eben auch – durch diese Gesundheitsversicherung notwendig wird.

Das Tragische ist jetzt aber, dass ein plötzlicher Neuverschuldungsstopp – dessen Herannahen der Präsident noch vor einem Monat ignoriert hatte – schockartige Folgen für die gesamte Weltwirtschaft haben wird. Diese reagiert logischerweise wie ein schwer Süchtiger, der plötzlich zu einem totalen „harten“ Entzug gezwungen wird. Aber insgesamt sollte es keine Frage sein, dass ein geordneter Entzug dringend notwendig wäre. Für Amerika wie für Europa.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Die Kunst der Zentralbanken drucken

Janet Yellen wird also die neue Chefin der wichtigsten Zentralbank der Welt, der amerikanischen Federal Reserve Bank. Die Nachfolgerin von „Helikopter-Ben“ Bernanke ist eine überzeugte Befürworterin „kontrollierter Inflation“. Der zu erwartende Kurs: Fortsetzung, oder gar weitere Intensivierung der Politik des „quantitative easing“. Die amerikanische Notenpresse wird so bald also nicht zur Ruhe kommen.

Am gleichen Tag, da Yellen ernannt wurde, befasste sich im Wiener Hayek-Institut der Chefökonom der BlackSummit Financial Group mit den Herausforderungen für das weltweite Finanzsystem. Der griechischstämmige Amerikaner John E. Charalambakis, der auch an Universitäten lehrt, konstatierte: Das entscheidende Problem der „westlichen Welt“ bestehe heute darin, dass sie die Fähigkeit verloren hat, Wohlstand mittels Kapitalbildung zu produzieren. Kapitalismus ohne Kapitalakkumulation sei indes unmöglich.

Man dürfe keinesfalls den Fehler begehen, Kapital (assets) mit Haftungen und Verpflichtungen (liabilities) zu verwechseln. Nichts anders als derartige Schuldtitel aber seien etwa Staatsanleihen oder auf dem Finanzmarkt gehandelte Derivate. Dabei handle es sich lediglich um Forderungen, die durch nichts anderes als „…aus dünner Luft geschaffene Kredite“ entstanden und durch keinerlei Realwerte unterlegt seien. Durch Sparen gebildetes Kapital dagegen produziere „greifbare“ Werte. Es könne so zur Grundlage der Wohlstandsmehrung werden. Gewinne würden heute aber zum Großteil nicht mehr durch die Produktion von Waren und Dienstleistungen, sondern vielmehr durch Geldgeschäfte realisiert.

Die Zentralbanken stünden nunmehr vor der paradoxen Aufgabe, jene Banken, welche ihre „ultimativen Reserven“ bei ihr zu halten hätten, mit eben diesen Reserven auszustatten, sobald sie in Probleme geraten würden. Das sei der Weg in die „mengenmäßige Lockerung der Geldproduktion“ – in die hemmungslose Ausweitung der ungedeckten Geldmenge.

Es sei aber klar, dass diese Politik zu Blasenbildungen führe und alle Blasen – gleichgültig, ob sie sich im Wertpapier- oder Immobiliensektor bilden – früher oder später platzen und die Anleger mit Verlusten zurücklassen. Zudem wären die Zentralbanken mittlerweile dazu übergegangen, Staatsschulden zu „monetisieren“ [Staatsanleihen direkt oder indirekt aufzukaufen und damit unmittelbar den Staat zu finanzieren, Anm.], während sie durch eine künstliche Absenkung des Zinssatzes „finanzielle Repression“ betrieben [ein Vorgang, den man, weniger euphemistisch, auch als Raub an den Sparern bezeichnen könnte, Anm.].

Charalambakis befürchtet, dass das System in dieser Art zwar noch ein paar Jahre lang fortzuführen sein wird – wenn auch nur unter der Voraussetzung, dass die Geldmengenausweitung gebremst wird („tapering“) und es damit zu einem Zinsanstieg kommen kann. So oder so aber sei die in den zurückliegenden Jahren explosionsartig erfolgte Ausweitung der Geldreserven so weit fortgeschritten, dass damit jedenfalls die Voraussetzungen für eine „Implosion“ geschaffen worden seien.

Wir würden es dann mit der „Mutter aller Krisen“ zu tun bekommen, gegen die sich die Depressionszeit nach 1929 oder der Crash von 2007/2008 als geradezu harmlos ausnehmen würde. Arbeitslosenquoten von 50 Prozent wären mithin zu erwarten. Schon David Ricardo habe einst festgestellt, dass „weder ein Staat noch eine Bank jemals die Macht hatten, unbegrenzte Mengen von Papiergeld zu produzieren – ohne diese Macht zu missbrauchen.“

Wäre der Wohlstand einer Nation tatsächlich, wie von der Hauptstromökonomie hartnäckig behauptet, von der Geldproduktion abhängig, müsste Zimbabwe ein Paradies sein. Zimbabwe ist indes kein Paradies, ebenso wenig wie Haiti oder Argentinien. Ein Europäer, der anno 1900 ans Auswandern gedacht habe, hätte sich zwischen Buenos Aires und New York entscheiden können, indem er eine Münze wirft. Argentinien sei damals wirtschaftlich ebenso attraktiv gewesen wie die USA. Heute dagegen liege Argentinien, dank seiner katastrophalen Finanzpolitik, am Boden und keiner wolle mehr dorthin.

Im wirtschaftlichen Wettstreit mit Europa verfügten die USA – trotz aller in der Vergangenheit begangenen Fehler – über die weitaus besseren Karten:

  •  USA hätten den Weg in die „Energieautarkie“ geschafft – was eine billigere Produktion, höhere Wirtschaftlichkeit der Industrie und damit erhebliche Wettbewerbsvorteile bedeute;
  • Alle wesentlichen Innovationen stammten nach wie vor aus den USA, nicht aus Europa. Produziert wird zwar vielfach in China oder in Korea, die wertvollen Ideen aber kämen aus Amerika;
  • Europa sei überreguliert;
  • Der Euro sei „dysfunktional“.

Charalambakis plädiert für ein „solides Geld“, das jedenfalls über einen „inneren Wert“ verfügen müsse und keinen bloßen Schuldtitel repräsentiere. „Echtes Geld hat Sicherheiten hinter sich.“ Er schlägt als Basis dieser Sicherheiten ein „Warenbündel“ vor, das z. B. aus Edelmetallen, Öl und Korn bestehen könnte. Auf dieser Grundlage trete er für ein „Free Banking“ ein – und für das Ende der Zentralbanken.

Man würde nicht auf die Idee kommen, den Preis für Mäntel, Autos, etc. politisch festsetzen zu wollen. Bis vor genau hundert Jahren, als das US-Fed-System aus der Taufe gehoben wurde, habe auch niemand je daran gedacht, den Preis für Geld (den Zins) zentral und politisch zu steuern. Die Idee der planwirtschaftlichen Festsetzung des Geldpreises sei ebenso wenig mit einer freien Ökonomie zu vereinbaren, wie ein (staatliches) Geldmonopol.

Der Gedanke, dass „geborgte Reserven“ als Dünger für neu zu schaffende wirtschaftliche Aktivitäten fungieren, mittels derer reales Kapital gebildet und die herrschende Krise überwunden werden könne, sei illusorisch. Der „Krebs“ im System sei die ungebremste Ausweitung des Kredits. Das Kreditsystem müsse daher einem chirurgischen Eingriff unterzogen werden. Sollte es dadurch kurzfristig zu einer Kreditverknappung kommen, habe das mittel- und langfristig nur positive Effekte: Seriöses Wirtschaften würde sich dann wieder lohnen.

Zum Problemfall Griechenland: Es sei ein Fehler der griechischen Regierung gewesen, sich auf ein von der „Troika“ orchestriertes „Bail-out“ einzulassen. Dieses habe faktisch ausschließlich den involvierten Banken geholfen, nicht jedoch dem griechischen Staat oder dessen Bürgern. Es wäre stattdessen wesentlich besser gewesen, eine Staatspleite hinzulegen.

Charalambakis erwartet, dass das Beispiel Zyperns („Bail-in“) Schule macht und in den nächsten Jahren auch andere Länder (etwa Griechenland) dessen Beispiel folgen könnten. Einen Zerfall der Eurozone halte er für nicht ausgeschlossen. Länder wie Griechenland könnten sich dann etwa der Dollar-Zone (!) anschließen…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Wie eine Privatrechtsgesellschaft freier Bürger aussehen könnte drucken

Die „Österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre“ greift weit über den Bereich der Ökonomie hinaus. Das zeigt etwa das 1949 erschienenen Hauptwerk Ludwig von Mises’, „Human Action“. Die Lehren der „Österreichischen Schule“ könnten als Grundlage einer ausschließlich privatrechtsbasierten Gesellschaftsordnung dienen.

Ohne auf Fragen hinsichtlich deren technischen Organisation im Detail einzugehen, soll an dieser Stelle, anhand der Beurteilung sich jeder Gesellschaft stellenden Herausforderungen, das Wesen einer staatsfreien Privatrechtsgesellschaft erläutert werden.

Soziale Sicherung

Erfolgt durch den Einzelnen. Keine, oder sehr niedrige Steuern und keinerlei Hindernisse auf dem Weg in die selbständige Tätigkeit begünstigen die Möglichkeit zur Eigenvorsorge. Damit reduziert sich der Anteil der Bedürftigen auf eine leicht überschaubare Zahl von Personen. Wenige gibt es, die nicht können. Viele dagegen, die (vom rezenten Wohlfahrtstaat dazu nach Kräften motiviert!) nicht wollen!

Es kann aber kein Recht darauf geben, auf Kosten anderer zu leben – ohne damit innere Widersprüche zu etablieren. Damit gibt es aber auch keine garantierten Ansprüche auf Vermögensbestandteile Dritter. Ein Rechtsanspruch auf von Dritten zu leistende Frondienste existiert daher nicht. Wohlfahrt ist eine Aufgabe freiwilliger Verbände wie Caritas, Diakonie oder nichtkonfessioneller wohltätiger Organisationen.

Gesundheitswesen

Nahrung, Bekleidung und Behausung kosten Geld. Gesundheitsdienstleistungen ebenfalls. Es gibt keinen logischen Grund, warum man zwar für einen Mantel, eine Semmel oder einen Liter Milch bezahlen muss, den Gips am Bein oder ein Antirheumatikum aber „gratis“ erhalten soll. Das staatliche Krankheitsverwaltungssystem ist ineffizient und teuer (Beispiel: Krankenhäuser in unmittelbarer Nähe zueinander, wie in Mödling/Baden oder Stockerau/Korneuburg) – und von widerstreitenden Interessen geprägt.

Die Kostenintransparenz für die Beitragszahler sorgt für eine unbekümmerte Nachfrage. Die Förderung einer Nulltarifmentalität lädt zu sozialer Verantwortungslosigkeit ein. Private Arztpraxen werden (nicht nur von Rentnern) als kommode Wärmestuben zweckentfremdet. Das Vergnügen am Verzehr unbekömmlicher Kost, an exzessivem Alkoholkonsum oder der Ausübung gefährlicher Sportarten liegt beim Einzelnen, die Kosten der Wiederherstellung dadurch Erkrankter dagegen werden sozialisiert.

In einer Privatrechtsgesellschaft existiert dagegen weder eine Zwangsversicherung noch eine Versicherungspflicht. Wer Leistungen benötigt, bezahlt entweder selbst dafür, oder die von ihm freiwillig abgeschlossene Versicherung tut das. Wer nicht zahlt, hat auch keine Ansprüche. Er kann sich aber im Notfall jederzeit an privat finanzierte Hilfsorganisation wenden.

Geld

Es gibt weder ein staatlich verordnetes noch produziertes Zwangsgeld. Geld war von Anbeginn ein Produkt des Marktes – nicht das einer planenden Behörde. Staatliche Währungsmonopole und ein freier Markt passen nicht zueinander! Geld ist, wie auch die Sprache, „spontan“ entstanden, als Folge menschlichen Handelns, nicht als per Hoheitsakt konstruiertes Ergebnis eines Plans.

Jeder Bürger ist frei zu entscheiden, in welcher Währung er seine Geschäfte abzuwickeln wünscht. Wer das für utopische Phantasie hält, sollte sich vergegenwärtigen, dass in den USA erst 1913 eine einheitliche Währung und ein monopolistischer Geldproduzent auf den Plan trat.

Noch jedes staatliche Geld wurde früher oder später ein Opfer von Manipulationen zu Lasten der Bürger: Hyperinflationen, Währungsreformen und Geldwertvernichtung sind das typische Kennzeichen staatlicher Geldmonopole. Zentralbanken sind Inflationierungsbehörden und damit die natürlichen Feinde jedes Sparers.

Pensionen

Prinzip Eigenvorsorge. Einen „Generationsvertrag“, gibt es nicht. Staatliche Umlagesysteme gleichen in einer alternden Gesellschaft Pyramidenspielen. Jeder Bürger hat daher nach Belieben und seinen Möglichkeiten selbst für sein Alter vorzusorgen, mittels Lebensversicherungen, Firmenbeteiligungen, Vermietung und Verpachtung, durch das Anlegen von Horten, etc., oder er arbeitet stattdessen lebenslänglich – was dem herrschenden Frühverrentungszeitgeist natürlich massiv zuwiderläuft.

Für Problemfälle – aus Eigenverschulden oder schicksalhaft bedingt – sind private Wohlfahrtsvereine zuständig. Die jahrzehntelang geübte Praxis des jedes Verantwortungsgefühl zerstörenden Wohlfahrtsstaates hat zu einer Erosion des Vorsorgegedankens geführt.

Das beschriebene, privat organisierte System hat sich indes als absolut funktionstüchtig erwiesen. Chile hat unter Augusto Pinochet und Jose Pinera die Umstellung des Umlagesystems auf ein durch Kapital gedecktes Prinzip erfolgreich vorexerziert. Und es funktioniert – ohne dass Menschen zu Hunderttausenden verhungern. Denn sie wissen eben, dass sie für sich selbst verantwortlich sind!

Schule

Es gibt keine staatliche Zwangsvollstreckung – und damit auch keine Kindesverstaatlichung wie im Status quo. Staatliche Schule bedeutet zuallererst Erziehung und Formung von Untertanen, nicht aber die Vermittlung relevanter Bildung. Ohne entsprechende Bildung und berufliche Ausbildung kann eine zunehmend wissensbasierte Gesellschaft aber nicht überleben. Es ist daher zunächst an den Eltern, für ihre Kinder die ersten Weichen zu stellen und für deren Unterricht zu sorgen. Das kann in professionellen Anstalten, in privat finanzierten Schulen, oder – wie in den USA, insbesondere bei religiösen Randgruppen weit verbreitet – auch in Form von „Homeschooling“ erfolgen. Die Eltern sind allemal die vertrauenswürdigsten und besten Anwälte ihrer Kinder, nicht die bezahlten Agenten des Leviathans.

Wie Milton Friedman einst korrekt festgestellt hat: „Es gibt kein freies Mittagessen!“ Schulen, Akademien und Universitäten sind daher kostenpflichtig. Der Wettbewerb unter den Anbietern von Bildungsinhalten sorgt – wie in jedem anderen nach Marktgesetzmäßigkeiten organisierten Bereich – für Qualität und niedrige Kosten. Die Kinder von Mittellosen oder Waisen werden von Sponsoren und Schulmäzenen unterstützt.

Drogen, Kriminalität

„Opferlose Verbrechen“ gibt es in einer freien Gesellschaft nicht. Entweder die Rechte Dritter werden verletzt oder eben nicht. Wer sich in seinem Haus betrinkt, Marihuana raucht oder Sexorgien mit zustimmenden Erwachsenden organisiert, schädigt niemanden. Wer mit seinem Ferrari – dort wo es gefahrlos möglich ist - Tempo 300 fährt, auch nicht.

Derlei „Vergehen“ sind daher keine und werden folglich auch nicht bestraft. Konsequenzen hat indes derjenige zu gewärtigen, der Dritte, etwa in Folge unverantwortlichen Schnellfahrens in alkoholisiertem Zustand, schädigt.

Aufgabe der Sicherheitspolitik ist es, die kollektive Sicherheit zu befördern, nicht sie zu reduzieren. Durch die Kriminalisierung von Drogen, egal ob Alkohol, Cannabis oder Heroin, geschieht aber genau das. Man züchtet die organisierte Kriminalität der Drogenproduzenten und -verteiler einerseits und die Beschaffungskriminalität der Abhängigen andererseits. Mehr als 50 Prozent der Gefängnisinsassen in den USA sitzen mittelbar oder unmittelbar wegen Drogendelikten ein. Im Norden Mexikos tobt – einer irrwitzigen Drogengesetzgebung sei Dank – seit geraumer Zeit ein regelrechter Krieg, der jährlich Tausende Menschenleben fordert.

Es steht einem Staat nicht zu, mündigen Bürgern in Fragen der privaten Lebensführung Vorschriften zu machen. Kinder über die Gefahr des Drogenkonsums aufzuklären, bzw. sie davon fernzuhalten, ist zuallererst die Aufgabe der Eltern, nicht die einer staatlichen Tugendbehörde.

Paternalismus hat in einer freisinnigen Gesellschaft keinen Platz. Bei der Verfolgung von Verbrechen steht das Ziel der Wiedergutmachung, nicht das bloße Wegsperren von Delinquenten auf Kosten der Opfern, im Mittelpunkt. Mörder haben keinen Anspruch darauf, weiterzuleben, da sie ein Leben „gestohlen“ haben und der Grundsatz des Tatausgleichs die Rückgabe des gestohlenen Gutes erfordert.

Ehe, Familie

Es liegt auf der Hand, dass Eltern in längeren Zeithorizonten denken als Kinderlose. Nach den Eltern kommt eben nicht – wie für kinderlose Hedonisten – die Sintflut. Die Zeitpräferenzrate liegt bei ihnen füglich niedriger als bei Menschen ohne Kinder. Eine niedrige Zeitpräferenz – also die Fähigkeit und Bereitschaft, Konsumentscheidungen zugunsten der Nachkommen auf die Zukunft zu verschieben, begünstigt die Vermögensbildung.

Eine Gesellschaft, in der Eigenverantwortung und Zukunftsorientierung etwas zählen, wird daher der Ehe und Mehrkindfamilien positiv gegenüberstehen. Der Wohlfahrtsstaat hat es im krassen Gegensatz dazu dahin gebracht, dass nur noch das Prekariat sich reproduziert – und zwar zu Lasten des Mittelstandes, der sich Kinder nicht mehr leisten zukönnen glaubt.

Die daraus resultierende Abwärtsspirale hat etwa Thilo Sarrazin in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ in allen Details beschrieben, ohne allerdings zur logischen Konsequenz zu finden, den Wohlfahrtsstaat dafür verantwortlich zu machen und dessen sofortige Abschaffung zu fordern.

Landesverteidigung

Zwangsverpflichtung – eine allgemeine Wehrpflicht – gibt es nicht. Bürger gegen deren Willen zu einem Dienst zu pressen, mit dessen Zielen sie sich nicht identifizieren können, liegt nahe an der Sklaverei und ist daher inakzeptabel. Die Verteidigung nach außen erfolgt, nach dem Vorbild der Armee George Washingtons im Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten, ausschließlich durch Freiwilligenmilizen,verstärkt durch professionelle Kader, die für den Einsatz modernster Waffensysteme verantwortlich sind. Diese können von privaten Sicherheitsfirmen bereitgestellt werden.

Erst die allgemeine Wehrpflicht, die im Zuge der napoleonischen Kriege „erfunden“ wurde, hat zu einer totalen Politisierung und Militarisierung der Gesellschaften geführt, die vordem undenkbar war. Die Nachteile einer Zwangsrekrutierung sind unübersehbar.

Waffenbesitz

Ist frei. Kein redliches Geschäft – auch nicht der Kauf eines Gewehres – unterliegt einer Beschränkung. Kriminelle finden immer Mittel und Wege, sich zu bewaffnen. Es ist zynisch, friedliebende Bürger – die potentiellen Opfer – zu entwaffnen, während man die illegale Bewaffnung krimineller Gewalttäter niemals unterbinden kann und damit rechtschaffene Bürger der Willkür von Gangstern aussetzt, denen sie sich wehrlos gegenübersehen.

An der Freiheit des Waffenbesitzes bemisst sich die Freiheit der Bürger einer Gesellschaft. Sklaven und den Insassen totalitärer Staatsgebilde war und ist der Waffenbesitz strikt verboten.

Diskriminierungsverbote

Gibt es in einer freien Gesellschaft nicht. Diskriminieren heißt unterscheiden und das kann nicht ohne Zerstörung der Freiheit unterbunden werden. Jedermann kann frei entscheiden, mit wem er Verträge abzuschließen gedenkt und mit wem nicht. Derjenige, der aus Angst vor einem Vermögensschaden oder aus Sorge um seine Sicherheit seine Wohnung nicht an Schwarze, Briten, Rothaarige, Brillenträger oder Behinderte vermieten will, kann dazu nicht genötigt werden.

Der Gastwirt, der sich etwa weigert, Familien mit Kindern zu bedienen, weil er keine Kinder mag, der darf das tun. Er hat dafür die Kosten der von ihm geübten Diskriminierung zu tragen – indem er auf Geschäfte mit Familien verzichtet.

Ein konsequent zu Ende gedachtes Diskriminierungsverbot würde selbst die Wahl des Sexualpartners kriminalisieren. Dann hätten nämlich alle verschmähten Kandidaten ein Schadenersatzrecht gegen den/die Diskriminierende(n). Welch eine absurde Vorstellung!

Subventionen/Protektionismus

Subventionen sind der klassische Ausdruck für die Unterstützung eines vom Markt abgelehnten Verhaltens. Wenn niemand Maßschuhe oder Maßanzüge nachfragt, ist es widersinnig, Menschen dafür zu belohnen, dass sie Schuhe oder Anzüge per Hand herstellen. Das würde einerseits unwirtschaftliches Handeln fördern und andererseits die Entscheidung von Menschen, die bereits auf dem Markt ihre Präferenzen bekundet haben, indem sie nämlich keine Maßschuhe oder -anzüge kaufen, konterkarieren.

Auf Basis welchen Rechts sollte das geschehen? Subventionen – gleich wofür – widersprechen dem Prinzip der freien Entscheidung des mündigen Bürgers und sind daher abzulehnen. Sie sind ein Instrument planwirtschaftlichen Denkens und führen zwangsläufig zur Konservierung unrentabler Strukturen, zur Umverteilung von produktiven zu unproduktiven Teilen der Wirtschaft, gleich welcher Branche.

Umweltfragen

Eine freie Gesellschaft ist nicht blind für Umweltfragen. Es war der Staat des 19. Jahrhunderts, der – um bestimmte Industrien zu fördern – einseitig in Eigentumsrechte eingegriffen und die Möglichkeit zur Forderung von Schadenswiedergutmachung ausgeschlossen hat – z. B. infolge von Schmutzemissionen.

Ein strikt angewandtes Eigentumsrecht bietet jederzeit Titel zur Klage gegen die individuelle Schädigung durch Fremdeinwirkung. Für die ist allerdings ein Nachweis zu erbringen, der mitunter schwierig gelingt.

Zusammenfassung

Der auf den Erkenntnissen der Österreichischen Schule fußende Libertarismus orientiert sich strikt am Individuum und lehnt jeden Kollektivismus ab. Seine Wurzeln reichen in die Spätscholastik, wie den in Salamanca lehrenden Jesuiten Mariana, in die Philosophie von John Locke und die der schottischen Moralphilosophen David Hume und Adam Smith, sowie zu den französischen Physiokraten wie Jean-Babtiste Say und Frédéric Bastiat zurück.

Der immer wieder gegen den Libertarismus erhobene Vorwurf der „Unchristlichkeit“ entbehrt jeder Grundlage: Das Neue Testament kennt ebenfalls ausschließlich die Verantwortung des Einzelnen! In einer auf strikte Subsidiarität bedachten Gesellschaft freier Bürger ist – wie auch in der christlichen Lehre – kein Platz für Paternalismus, Zwang und Gewalt!

Eine libertäre Alternative zum Zentralismus bildet, neben der oben beschriebenen „voluntaristischen“ Privatrechtsgesellschaft, auch die Kleinstaaterei. Je kleiner die politische Einheit, desto milder der Umgang deren Regierung mit dem Bürger. Die Möglichkeit zur „Abstimmung mit den Füßen“ zwingt die politischen Eliten zum Maßhalten. Positive Beispiele: Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg Hong Kong, Singapur – allesamt im Index of Economic Freedom der Heritage Foundation auf den vordersten Plätzen.

Die radikalere Alternative zum staatlichen System ist dagegen das herrschaftsfreie, privatrechtlich organisiertes System, frei finanziert, ohne die Pflicht zur Leistung von Zwangsabgaben, in welchem der Rechts- und Eigentumsschutz des Bürgers von miteinander konkurrierenden Agenturen wahrgenommen wird. Diese Agenturen könnten etwa aus heute bestehenden Versicherungsunternehmen hervorgehen.

Private Firmen, die sich des Eigentumsschutzes der bei ihnen Versicherten annehmen, hätten – im Gegensatz zum Staat – größtes Interesse an Konflikt- und Schadensvermeidung und würden den Bürger, falls dennoch ein Schaden einträte, abfinden. Der Staat dagegen maximiert unentwegt seine Einnahmen, ohne aber den Bürgern entsprechend verbesserte Leistungen anzubieten.

Am Beginn des Weges steht in jedem Fall die Zurückdrängung von Zwangsgesellschaften durch das Instrument der Sezession. Das bedeutet den Austritt kleinerer aus größeren Organisationen – das Gegenteil dessen, was wir gegenwärtig im Zuge des Ausbaus der politischen Strukturen der EUdSSR erleben. Der Frieden und Wohlstand mehrende Freihandel benötigt keine politische Union – keine harmonisierten Sozialstandards und schon gar keine „harmonisierten“ Steuerlasten.Die Träger des Marktes – freie Bürger – treffen „zwanglos“ täglich ihre demokratischen Entscheidungen mit der Geldbörse: Jede ausgegebene Geldeinheit ist eine Stimme – und damit die perfekte Demokratie der Zahler.

Ob der Wohlfahrtsstaat an seine Grenzen gekommen ist und implodieren wird wie der Sozialismus anno 1989, ist also nicht mehr die Frage. Diese stellt sich lediglich nach dem Zeitpunkt, zu dem das geschieht, und der vermutlich recht dissonanten Begleitmusik dieses Ereignisses.

Margaret Thatcher stellte einst hellsichtig fest: „Das Problem mit dem Sozialismus ist, dass ihm früher oder später das Geld fremder Leute ausgeht.“ Wir sind mittlerweile so weit. Es ist daher an der Zeit für etwas Neues!

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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H.C. Drückeberger drucken

Der Mann kann zwar gut Fahnenschwingen, er hat aber teuflische Angst vor der Regierungsverantwortung. Das wurde seit dem Wahltag endgültig klar. Etwa durch Straches entlarvenden Satz: „Die FPÖ führt keinen Wahlkampf. Sie ist Wahlkampf.“ Wenn man immer Wahlkampf „ist“, dann kann man nie Regierung sein. Vielleicht erzählt aber jemand Strache und der restlichen Für-ewig-Oppositions-Fraktion in der FPÖ, was in Norwegen derzeit geradezu als Selbstverständlichkeit passiert. Und der ÖVP, was sich in Großbritannien und Ungarn andere konservative Parteien trauen (Die Gutmenschen haben die Schwarzen ja ohnedies schon weitgehend an Grüne und Neos verloren).

Zuerst zum freiheitlichen Parteichef. Er zeigt sich auch nach Wahl, auch nach dem Verschwinden der Rivalen vom BZÖ, nicht ernsthaft interessiert, eine Regierung zu bilden. Wenn er sagt, er will „keine Gespräche über die Hintertür“, dann will er gar keine Gespräche, auch wenn man formell ein FPÖ-Verhandlungsteam präsentiert hat. Denn nach den vielen Jahren der Eiszeit und der (gegenseitigen) Aggressionen weiß jeder erfahrene Politiker, dass man zuerst vertraulich Vertrauen aufbauen müsste, bevor irgendetwas in Gang kommen kann.

Wenn man den SPÖ-Klubobmann Cap sofort bloßstellt, dass er einen ersten Kontakt zur FPÖ gesucht habe, dann outet man sich logischerweise einmal gleich selbst als kontaktunwillig. Dasselbe tut man mit A-Priori-Aussagen Richtung ÖVP, dass diese das Interesse an den Freiheitlichen ohnedies nicht ernst meint.

Zwar ist die ÖVP in dieser Frage keineswegs einig, aber bis auf den niederösterreichischen Landeshauptmann Pröll stimmt diese Behauptung so ganz sicher nicht. Und Pröll selbst war auch schon im Jahr 2000 gegen ein Bündnis mit den Freiheitlichen. Er konnte es aber nicht verhindern (beide Male handelt er aus leicht durchschaubarem Egoismus: Er sieht bessere Chancen für seine Wiederwahl, wenn es einen roten Bundeskanzler gibt. Mit dem er im Gegenzug dann auch heftig packeln kann).

Zurück zu Strache. Dieser träumt lieber weiter ganz unverbindlich von der Macht, statt konkret auf eine Regierungsteilnahme hinzuarbeiten. Er tut das schon seit zehn Jahren. Irgendwann einmal, nur nicht jetzt.

Natürlich ist es leichter, auf Protest und Opposition zu machen, als zu regieren, Verantwortung zu tragen und zu erkennen, wie vieles von dem leichtfertig Versprochenen nicht möglich ist. Natürlich hat die FPÖ einst durch die Regierungsbeteiligung einen Rückschlag erlitten; den größten hat sie sich damals freilich in Knittelfeld selbst zugefügt (unter lebhafter Mitwirkung Straches). Natürlich ist so gut wie sicher, dass die Partei bei Verantwortungsübernahme sofort einen Teil des dumpfen Protestpotentials aus der XYZ-Schicht verliert, das prinzipiell gegen jeden ist, der zu „denen da oben“ gehört; aber das wird in fünf, in zehn, in fünfzehn Jahren haargenauso sein wie jetzt.

Europaweit verlieren Regierungsparteien Wahlen (Lediglich Angela Merkels CDU war da eine Ausnahme). Daher ist es durchaus wahrscheinlich, dass solches dann auch der FPÖ droht. Aber kann die Konsequenz sein, nie in eine Regierung zu gehen? Wozu ist man dann eigentlich eine politische Partei? Wer nicht an der Macht teilhaben will, will auch nichts machen. Denn Macht kommt eben von Machen.

In Wahrheit hat die FPÖ sogar schon vor dem Wahltag ihr Desinteresse an der Verantwortung gezeigt. Sie ist zwar alles andere als neonazistisch (das sagen nur ein paar linke Dummköpfe, deren Schallplatte ewig in der gleichen Propagandarille steckengeblieben ist). Sie hat aber so extreme Lizitationsforderungen aufgestellt, dass sie selber um deren totale Unerfüllbarkeit wissen musste.

Weder FPÖ noch ÖVP haben in den letzten Jahren das getan, was eigentlich zum politischen Handwerk gehören würde, wenn man perspektivisch denkt: nämlich gute vertrauliche menschliche Kontakte untereinander aufzubauen. Diese hatte es vor 2000 zwischen ÖVP und FPÖ – in einem eigentlich noch viel explosiveren Klima – hingegen sehr wohl gegeben. Nicht nur in Form des bekanntgewordenen Kaffeehausgesprächs Haider-Bartenstein. Haider hat sogar schon Ende November 1999 im privaten Gespräch die Ministerien genannt, die seine Partei will. Und die sie dann im Februar auch ganz genau bekommen hat.

Mit ihrer totalen Orientierung auf die XYZ-Schicht droht der FPÖ ein klares Schicksal: Sie wird nie wirklich über das Protestpotential hinauskommen. Das sind maximal 20 bis 30 Prozent. Auch die Hoffnung, beim nächsten Mal die wahrscheinlich dann freiwerdenden Stronach- und BZÖ-Stimmen erben zu können, ändert daran nichts Wesentliches. Diese Hoffnung ist überdies zumindest zum Teil falsch. Denn wirtschafts- und sozialpolitisch sind beide Listen eindeutig liberal. Also das Gegenteil des FPÖ-Wahlprogramms. Daher dürften deren Stimmen eher zu den Neos oder auch wieder ÖVP als zur FPÖ gehen.

Wahrscheinlich geht man fehl, wenn man nach Straches strategischer Perspektive forscht. Es ist einfach das dumpfe Gefühl, dass es sich als starker, wenn auch lebenslänglicher Oppositionspolitiker besser leben lässt. Er sieht sich höchstens als Wiener Bürgermeister denn als Mitglied einer Bundesregierung.

Und selbst von jenem Ziel, das Strache einst auf die Frage nach seinem Mindestziel genannt hat, ist er meilenweit entfernt: Er hat ein Drittel der Mandate angestrebt, damit er Verfassungsänderungen blockieren kann. Er steht jetzt bei 20 Prozent.

Im Gegensatz zu dieser Realitätsverweigerung spielt sich gerade jetzt in Norwegen Erstaunliches ab: Vier bürgerliche Parteien beschlossen zu kooperieren; dennoch werden nur die Konservativen und – ausgerechnet – die Rechtspopulisten die Regierung bilden. Die beiden kleineren (zum Teil christlichen) Parteien haben jedoch parlamentarische Unterstützung versprochen. Obwohl sich der Massenmörder B. eine Zeitlang im Dunstkreis der norwegischen Rechtspopulisten bewegt hatte (was nicht einmal die Linksmedien der FPÖ vorwerfen können), haben in Norwegen alle bürgerlichen Parteien gewusst, dass es ihnen die Wähler übel nehmen würden, wenn sie trotz ihrer klaren Mehrheit wieder die Sozialisten an die Regierung ließen.

In Norwegen haben alle bürgerlichen Parteien kompromissbereit verhandelt. So haben die Rechtspopulisten zwar eine strengere Asylpolitik, eine konsequentere Abschiebepolitik, die Anstellung von mehr Polizisten und eine Reduktion der Väterzeit durchgesetzt. Sie mussten aber auf die von ihnen geforderten Ölbohrungen in den Lofoten verzichten und auf eine Öffnung des norwegischen Pensionsfonds, wo Milliarden aus den Nordseeöl-Erträgen für schlechtere Zeiten gehortet sind.

Dass in Österreich nicht einmal ernsthaft über ein ähnliches Modell gesprochen wird, ist schade. Die Neos und die Stronachs haben zumindest anklingen lassen, dass sie so etwas von außen unterstützen könnten. Damit wären es auch bei uns im Übrigen genau vier Parteien . . .

Aber die FPÖ träumt offenbar nur von den Sternen einer irgendwann einmal bevorstehenden absoluten Mehrheit. Und die ÖVP scheint primär von Feigheit beseelt. Sonst würde auch sie – ganz unabhängig von der Koalitionsfrage – zumindest ernsthafter über Vorschläge ihnen nahestehender Parteien diskutieren. So hat der konservative britische Finanzminister Osborne angekündigt, dass Langzeitarbeitslose künftig nur dann das ganze Geld bekommen, wenn sie auch gemeinnützige Arbeit verrichten. So haben die ungarischen Konservativen beschlossen, den Gemeinden das Recht auf Schaffung obdachloser Zonen einzuräumen.

Solche Vorschläge klingen zwar in den Ohren mancher ÖVP-Funktionäre wohl unschön. Aber in Wahrheit ist in der ÖVP das Gefühl verlorengegangen, dass eine Law-and-Order-Politik jedenfalls das Fundament einer bürgerlichen Partei sein muss.

So wie in der FPÖ traurigerweise das Gefühl verloren gegangen ist, dass man ohne wirtschaftspolitische Vernunft nicht regieren kann.

Die verzweifelten bürgerlichen Wähler wollen aber alles, nur nicht ständig einen sozialistischen Bundeskanzler unterstützen. Und das tut die eine Partei durch eine Koalition mit ihm, und die andere durch ihr Desinteresse an einer eventuellen bürgerlichen Koalition.

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Wählen und was dann? drucken

Viele Österreicher wählen am heutigen Tag nur noch mit sehr geringer Begeisterung das nur sehr relativ geringste Übel. Und das war‘s dann wieder? Dann kann wieder nur fünf Jahre geschimpft werden? So verhalten sich in der Tat viele Österreicher. Dabei gäbe es eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich politisch auch über das Kreuzerl am Stimmzettel und eventuell eine Vorzugsstimme hinaus einzubringen. Man muss sie nur nutzen.

Der steigende Frustpegel unter den Menschen ist nicht allein, und vielleicht auch nicht in erster Linie die Schuld der Parteien und der Politik. Er ist vielmehr primär Ergebnis einer immer differenzierter werdenden Gesellschaft, in der über immer mehr Fragen durch Gesetze, Regierung und Verwaltung entschieden wird. Daher ist es eigentlich ganz logisch und zwingend, dass der Drang der Menschen immer größer wird, sich konkret in Einzelfragen einzubringen.

Beim Entstehen der Demokratie im 19. und 20. Jahrhundert waren heute im Vordergrund stehende Bereiche noch gar nicht in irgendeiner Weise Thema der Politik: das unfinanzierbar werdende Pensionssystem, Asylmissbrauch, Finanzmarkt, Gentechnik, Methoden der Energiegewinnung, Geburtenregelung, Politische Korrektheit, Demographie, globale Erwärmung, Gesamtschule: Tausende solcher Fragen beherrschen heute den politischen Raum.

Das macht es völlig unwahrscheinlich, noch eine Partei finden zu können, die dann all diese Fragen genauso sieht wie man selbst. Das geht höchstens bei neugegründeten Oppositionsparteien, die für alles gleichzeitig sind: für 95prozentige Einkommensteuern, um sich als sozial zu geben, und gleichzeitig gegen jede Steuererhöhung, um sich bei wirtschaftlich Denkenden sympathisch zu machen. Daher ist letztlich konkrete Einmischung in konkreten Fragen immer unverzichtbarer geworden. Das gilt auch dann, wenn man eigentlich der Meinung ist, dass der Staat sich lange nicht in so viele Themenbereiche einmischen sollte, wie er das schon tut oder zu tun beabsichtigt. Gerade dann muss man ja erst recht Stellung beziehen.

Das logische Instrument, um auf diese Ausdifferenzierung der modernen Welt zu reagieren, ist die direkte Demokratie. Da kann dann der Bürger unabhängig von 999 anderen Fragen klar seine Meinung sagen, wenn einmal ein konkreter Vorschlag zur Abstimmung kommt. Die direkte Demokratie wird freilich noch von der mächtigen Mandarinenklasse aus Altpolitikern, Beamten und Richtern gebremst. sie will so, wie es am Ende der Feudalzeit der Adel versucht hatte, ihre Macht nicht mit dem gemeinen Volk teilen. Aber immerhin: Schwarz, Blau, Grün haben sich in Richtung der direkten Demokratie – mehr oder weniger – festgelegt. Und selbst die abtretende Regierung hat da zumindest einen halbherzigen, aber keineswegs ganz irrelevanten Entwurf vorgelegt.

Aber selbst wenn in Sachen direkter Demokratie trotz dieser Vorboten doch nichts weitergehen sollte, ist der Bürger keineswegs so ohnmächtig, wie sich der Österreicher hält.

Da gibt es einmal die Möglichkeit, viel mehr Druck auf die Parteien auszuüben. Etwa in den USA ist es vielen Bürgerbewegungen schon gelungen, ihre Partei, ihren Abgeordneten zum Umdenken zu bringen. Durch zahllose Mails, durch Briefe, durch Anrufe in seinem Büro, durch Öffentlichkeitsarbeit, durch soziale Medien.

Politiker wollen ja vor allem eines: wiedergewählt werden. Und da ist es absolut wichtig, ihnen immer wieder zu vermitteln, dass die veröffentlichte Meinung (die ja besonders in Österreich einem dumpfen linksliberalen Mainstream folgt) in den meisten Fragen keineswegs mit der öffentlichen Meinung identisch ist. Politiker, die noch immer glauben, sich mit einem morgendlichen Blick in die Zeitungsausschnitts-Mappe über die Stimmung im Land informieren zu können, müssen zur aussterbenden Spezies gemacht werden.

Genauso wichtig ist es, sich intensiv auch in andere öffentliche Foren einzubringen. In Internet-Foren, in Postings, in Facebook, in Twitter. Ohne Schimpfen, aber mit klaren Positionen. Man glaubt gar nicht, wie sehr auch nur ein einziges kluges Argument, dass man in die Öffentlichkeit bringt, dann bisweilen doch den Gang der Ereignisse mit beeinflussen kann. Keineswegs immer, aber immerhin.

Wir leben eben nicht mehr in Zeiten, wo ein guter – oder schlechter – Kaiser von oben alles reguliert. Und wo wir uns nur noch freuen oder jammern können. Wir leben vielmehr in einer an sich erfreulichen Epoche, wo Politiker im Grund nur noch Angestellte von uns Bürgern sind. Wie ein guter Chef müssten wir ihnen halt künftig viel öfters als bisher sagen, wo es lang geht. Und endlich aufhören, an eine höhere Weisheit von Politikern zu glauben.

Es bedeutet auch jede Äußerung im öffentlichen Raum einen Beitrag zum politischen Klima. Sie wirken am Wirtshaustisch ebenso wie bei öffentlichen Versammlungen. Zugegeben: Da gehört auch ein bisschen Mut dazu. Aber es kann doch nicht sein, dass immer nur die Allerdümmsten bei solchen Veranstaltungen den allergrößten Mut haben, sich zu Wort zu melden.

Die Aktivitäts-Skala eines modernen Bürgers ist eine nach oben offene. Finanzielle Unterstützung für gute Initiativen kommt da genauso in Frage wie Teilnahme an Demonstrationen (obwohl man bei letzteren leicht für etwas mitvereinnahmt werden kann, was man gar nicht so will. Daher ist diesbezüglich Vorsicht am Platz).

Auch die EU-Ebene ist für Mitspracheversuche relevant geworden, seit es das Instrument europaweiter Bürgerinitiativen gibt. Die Antiabtreibungsinitiative „One of us“, die gegenwärtig läuft, ist eine der ersten und schon erfolgreichsten.

Man sollte sich nur vor zwei naiven Haltungen hüten: Erstens gleich wieder frustriert aufzugeben, weil die ersten Mails an Politiker, die dann oft noch von minderbemittelten Assistenten beantwortet werden, nichts bewirkt haben. Und zweitens zu glauben, mit einer Aktion (oder gar der Gründung der tausendsten Neupartei) alle Problem mit einem Schlag lösen zu können. Beispielsweise ist das Verlangen "Verwaltungsreform" noch viel zu diffus und allgemein, um wirksam werden zu können.

Viel wichtiger wäre es, sich mit ganz gezielten Aktionen auf ganz konkrete Einzelziele zu konzentrieren. Ein wunderbares Beispiel hat sich jetzt etwa in Polen abgespielt (es zeigt auch, dass Bürgermut nicht nur in den USA zum Erfolg führt): Dort haben gezielte Proteste im Internet und auf sozialen Medien den Konzern C&A in die Knie gezwungen. Es ging um T-Shirts mit dem Abbild des lateinamerikanischen Massenmörders Che Guevara. Das Produkt wurde als Folge von Boykotten schließlich aus allen C&A-Filialen abgezogen.

In Amerika gelingt es auch immer wieder, durch Druck auf werbende Konzerne ganze Fernsehketten zu Änderungen in ihrem Verhalten zu zwingen. Warum sollte das in Österreich nicht möglich sein? Wenn ein paar Tausend – ernstgemeinter! – Boykott-Ankündigungen etwa bei der täglich zahllose Male im ORF werbenden Möbelkette eingehen, wird diese mit Sicherheit sehr bald ein sehr ernstes Gespräch mit dem ORF führen. Aus nacktem Eigeninteresse.

Natürlich muss klar sein: Das geht nur über den Boykott von besonders werbeaktiven Firmen und nur zugunsten ganz konkreter und auch erfüllbarer Forderungen. Das Verlangen nach „einem besseren Programm“ oder nach einem Austausch der ganzen Redaktion hat da wenig Sinn (so berechtigt es an sich auch wäre). Aber sehr wohl kann der ORF solcherart unter Druck gesetzt werden, beispielsweise seinen Redakteuren polemisches und ideologisches Twittern zu untersagen. Oder ihn zu zwingen, gerichtlich angeordnete Entschuldigungen von grünen Politikern für unwahre Behauptungen auch zu senden. Um nur zwei Beispiele zu nennen.

 

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Der ewig wachsende Nanny-State drucken

Ein Viertel (26 Prozent) der österreichischen Bevölkerung hat den Eindruck, dass es zu viele gesetzliche Bestimmungen gibt, durch die sich der Staat in Bereiche des täglichen Lebens einmischt. Weitere 46 Prozent empfinden derartige Einmischungen als „lästig, aber auszuhalten“.

Man ärgert sich oft im Einzelfall, aber man nimmt das Phänomen der staatlichen Regelungswut (der Mikronominierung des Alltagslebens) selten als „Trend“ wahr. Aber es gibt diesen Trend. Anderswo (USA, UK) hat er sogar einen Namen: Nanny-State.

Von ihm ist die Rede, wenn der New Yorker Bürgermeister große Flaschen, die kohlensäurehaltige Getränke enthalten, verbieten will, oder den (bislang gescheiterten) Versuch unternimmt, Potato chips (Pommes frites) nur in kleinen Tüten zuzulassen. Der Einzelfall scheint harmlos – wenn auch „belämmert“ (wie auch die Forderung der deutschen Grünen, in Kantinen einmal pro Woche einen verpflichtenden „Veggie-day“ einzuführen); aber er ist Ausdruck einer politischen Grundhaltung.

Weniger wäre mehr

Es gibt die „Man-muss-irgendetwas-tun“ Politik. Die ist vermutlich alt. Wenn ein Problem in der Öffentlichkeit auftaucht, schreit es danach beseitigt zu werden – ins Ohr mancher Politiker, die mit ihrer Handlungsbereitschaft Stärke beweisen wollen (oder Problembewusstsein oder Sensibilität, etc.). Dabei spielt es keine Rolle, ob das „Problem“ durch politische Aktion gelöst werden kann, ob Maßnahmen zur Verfügung stehen, die „greifen“ und ob es ein Problem ist, das den Staat etwas angeht. Entscheidend ist, dass man den Willen zur Tat zeigen kann. Hilfestellung leisten da, „allzeitbereit“, selbst- und sogenannte Experten, Lobbyisten, NGOs, die „betroffen“ sind und Medien, die den Nachrichtenraum füllen müssen.

In der Folge werden Einrichtungen geschaffen, die sich um das Problem kümmern sollen: Es wird beobachtet; es werden Pläne erstellt, Maßnahmen getroffen, Kampagnen gestartet; es wird überwacht und analysiert, Aktionspläne werden revidiert, Budgets reserviert und aufgestockt usw. Die mit den Maßnahmen befassten Einrichtungen arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen – und werden (auch aus Eigeninteresse) zu dauerhaften Institutionen.

Besonders gut für die Erfindung solcher Aktivitäten scheinen sich „Gesundheits-, Sicherheits-, und Umweltprobleme“ zu eignen; und natürlich alle Fragen der „Gender-Politik“. Auf dem letztgenannten Gebiet z.B. tut sich ein weites Feld für „Sprachpolizist_Innen“ und Sprachverbesser aller Art auf: Bis hin zu „Bibelübersetzer_Innen“ („der Ewige/die Ewige“ usw.).

Fettleibigkeit? Muss vom Staat bekämpft werden. Rauchen im Auto? Sollte verboten werden – sicherheitshalber. Energieverschwendung? Glühbirnenverbot und Duschkopfverordnung. Die Wirksamkeit (Relevanz) der jeweiligen Maßnahmen steht kaum zur Diskussion; und auch nicht die Frage, ob der Staat oder die EU der notwendigerweise zuständige Akteur ist.

Hauptsache, es geschieht etwas („Man-muss-irgendetwas-tun“). Bezahlung in barem Geld wird ab einer bestimmten Höhe in manchen EU-Ländern verboten (wegen Korruptionsverdacht). Ölflaschen in Lokalen sind aus dem Verkehr zu ziehen (aus Hygienegründen oder wegen einer Olivenöllobby?); Salz- und Zuckergehalt sind in bestimmten Lebensmitteln zu reduzieren (selbstverständlich der Gesundheit wegen und im Vertrauen darauf, dass die Konsumenten es nicht merken und nicht nachsalzen bzw. -zuckern).

Jede Maßnahme erfordert Kontrolle. Es bedarf der Kontrollore. Das kostet Geld. Dieses wird durch Budgets bereitgestellt. Es kommt von den Steuerzahlern. Diese bezahlen somit das „Gehäuse der Hörigkeit“ (M. Weber), das „zu ihrem Besten“ gereichen soll, selbst.

Selten hört man davon, dass eine derartige Einrichtung, ist sie erst einmal geschaffen, abgeschafft wird: Weil sie sich überlebt hat, nichts bewirkt, oder sich selbst für überflüssig hält.

Im alten Athen, das eine direkte Demokratie hatte, lief der Antragsteller für ein neues Gesetz Gefahr, eine Zeit lang des Landes verwiesen zu werden; paradoxerweise auch dann, wenn der Antrag von einer Mehrheit angenommen wurde (zitiert nach Moses Finley. Antike und moderne Demokratie, Reclam 1980). Zu suchen wäre ein modernes Äquivalent für Bürokratiestopp.

Vor einiger Zeit ist in Österreich eine Initiative entstanden, die auf die staatlichen Bevormundungstendenzen aufmerksam machen will. Wenn Sie diese Bemühung unterstützen wollen, besuchen sie:

homepage: www.meinveto.at
facebook: https://www.facebook.com/MeinVeto
twitter: https://twitter.com/meinveto

Dort finden Sie mehr zum Thema und die Möglichkeit, die Initiative, der auch der Autor dieser Zeilen angehört, zu unterstützen.

Rudold Bretschneider ist seit Jahrzehnten in diversen Cheffunktionen bei GfK (früher Fessel-GfK) tätig und einer der prominentesten Marktforscher und politischen Analysten des Landes. 

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Achte Konferenz der Property and Freedom Society drucken

„Kompromisslosen intellektuellen Radikalismus und politische Unkorrektheit“ versprach der deutsche Ökonom Hans-Hermann Hoppe zu Beginn seiner Konferenz deren Besuchern. Das Auditorium wurde nicht enttäuscht. Wieder war es dem Veranstalter gelungen, namhafte Fachleute und Wissenschaftler in Bodrum zu versammeln, die zu Themen, wie „Why are Jews so smart?“, „A Brief History of US Race Relations“ oder „Public Health or Public Totalitarism?“ Gedanken präsentierten, die allesamt als „gegen den Strich gebürstet“ zu bezeichnen sind. Geriert sich die Masse der Intellektuellen anderswo als zuverlässige Propagandisten von Staatsinteressen, herrscht hier ein völlig anderer Geist. Im Mittelpunkt standen erneut Wirtschaftsthemen.

Thorsten Polleit, Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance and Management, sprach über „Organized Crime and the Progression Toward a Single World Fiat Currency.“

Er begann mit der vom FBI stammenden Definition der organisierten Kriminalität: „Organisierte Kriminalität bedeutet jede Gruppe mit einer Art formaler Struktur, deren primäres Ziel es ist, sich Geld durch illegale Aktivitäten zu beschaffen. Solche Gruppen bewahren ihre Position durch den Einsatz oder durch die Androhung von Gewalt, die Korruption von Beamten, Bestechung, Erpressung und haben einen insgesamt signifikanten Einfluss auf die Menschen in den Gemeinden, Ländern und auf den Staat in seiner Gesamtheit.“ Es ist nicht zu übersehen, dass diese auf die Mafia zugeschnittene Begriffsbestimmung in allen Einzelheiten exakt auf den Staat zutrifft.

Der amerikanische Ökonom und Philosoph Murray Rothbard definiert den Staat so: „… eine Organisation, die entweder eine oder beide der folgenden Charakteristiken aufweist: Er akquiriert sein Einkommen durch physischen Zwang (Besteuerung) und hält ein Gewalt-Zwangsmonopol und die Macht zur letzten Entscheidung innerhalb eines gegebenen Territoriums.“ Der libertäre Theoretiker Albert Jay Nock meint: „Der Staat beansprucht und vollzieht ein Monopol der Kriminalität.“

Dass es sich hier nicht um bloße Behauptungen radikaler Staatsfeinde handelt, sondern um nüchterne Tatsachenfeststellungen, folgt aus der Tatsache, dass kein Staat je ohne Gewalt und/oder den Bruch individueller Rechte entstanden ist. Einen konstituierenden „Gesellschaftsvertrag“ sucht man weltweit vergebens. Es gab und gibt keinen.

Die Idee, dass der Staat etwas Gutes und Nützliches sei, ist ein Mythos aus der Zeit Platons, der im Staat eine „moralische Anstalt“ erblickte. Dass nur der Staat privates Eigentum und Eigentumsrechte schützen könne begründet die Fiktion seiner Unabdingbarkeit. Doch exakt hier liegt der fundamentale Fehler, da ja bereits vor der Entstehung des Staates Eigentum vorhanden war, das dieser sich dann (gewaltsam) aneignete.

Es erhebt sich die Frage: Wie kann der Staat überleben? Da der Einsatz brutaler Gewalt auf Dauer zu aufwendig ist und zu viel Opposition schafft, greift er zum Mittel der Propaganda. Den Bürgern werden – von auf die eine oder andere Weise staatsfinanzierten Intellektuellen – die Vorteile der Unterwerfung unter die Staatsmacht schmackhaft gemacht. Es reicht aus, eine relative Mehrheit der Bürger zu überzeugen.

Im demokratischen Wohlfahrtsstaat gibt der Durchschnittswähler jenen Parteien seine Stimme, von denen er erwartet, dass sie seine wirtschaftliche Situation verbessern. Im Laufe Zeit wird der Staat seine Aktivitäten immer weiter ausdehnen, um einem immer größeren Teil der Bürger (vermeintliche) Wohltaten zu verschaffen. Die Finanzierung dieses kostspieligen Unterfangens ist nur mittels der Erlangung totaler Kontrolle über das Geldsystem möglich.

Die Antwort auf die Frage, wie das vor sich geht, gibt Murray Rothbard in seiner 1963 erschienenen Arbeit „What Has Government Done To Our Money?“: Zuerst wird die Münzproduktion monopolisiert, dann die Ausgabe von Geldsubstituten. Dann folgt die Zulassung der Teilreservehaltung durch die Geschäftsbanken und die Schaffung von Zentralbanken als „ultimativer Kreditgeber“. Schließlich wird die Umtauschbarkeit in „echtes Geld“ (= Gold) aufgehoben und damit ein reines Fiat-Geldsystem etabliert.

Aufgrund der damit erreichten Möglichkeiten sehen sich besonders stark inflationierende Staaten alsbald mit Problemen konfrontiert, die durch den Verfall der Währung nach außen entstehen. Analog zur Überlegung, die zur Einführung von Zentralbanken geführt hat, liegt daher die Idee einer internationalen Währung – und einer „Weltzentralbank“ auf der Hand. Diese würde es den Staaten erlauben, im internationalen Gleichschritt zu inflationieren.

Polleit meint, dass in den meisten Staaten der Welt die Ideologie eines „sozialdemokratischen Sozialismus“ herrscht. Damit verbindet sich der Wunsch nach einem Ersatz nationaler Währungen durch eine internationale Fiat-Währung. Tatsächlich hätten die führenden Zentralbanken (FED, EZB, BOE (Vereinigtes Königreich) und BOJ (Japan)) ihre monetären Politiken – in Reaktion auf die Finanzkrise – bereits harmonisiert. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Mundell sagte bereits im Jahr 2000 die Schaffung einer Weltwährung voraus.

Langfristig würde eine welteinheitliche Weltwährung allerdings auch eine zentrale „Weltregierung“ erfordern. Spätestens dann indes würden sich nicht zu bewältigende Schwierigkeiten auftürmen – zumindest bei Beibehaltung demokratischer Standards. Schon 1919 schrieb Ludwig von Mises in „Nation State and Economy“ über die Unmöglichkeit der Etablierung demokratischer Zentralregierungen in multiethnischen Staaten: „In polyglot territories, democracy seems like opression to the minority.“ Seine in diesem Buch niedergelegten Thesen wurden von der Geschichte seither vielfach bestätigt. Auf einen globalen Maßstab übertragen, würde es zu einer gewaltigen Zunahme von Konflikten kommen. Die Etablierung eines „Weltstaats“ ist so bald also nicht zu befürchten. Es sollte indes klar sein, dass der Staat die vermutlich bestentwickelte Form organisierter Kriminalität darstellt…

Verwaltung der Arbeitslosigkeit

David Howden, Ökonomieprofessor an der St. Luis Universität in Madrid, sprach zum Thema „Labor Laws: Legislating Unemplyoment“. Er erläuterte anhand einer Fülle statistischer Daten, dass ein Großteil des in den letzten Jahren ausgewiesenen Wachstums der europäischen Volkswirtschaften – sofern ein solches überhaupt vorhanden war – auf einen vergrößerten Anteil von Staatsaktivitäten entfällt. Wird dieser Effekt berücksichtigt, zeigt sich, dass sowohl das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung als auch das verfügbare Einkommen in fast allen Staaten Europas zurückgegangen ist. Nur in den Niederlanden und in Italien hat sich der relative Anteil des Staates an der Binnenwertschöpfung verringert. Auch das Wirtschaftswachstum Deutschlands, der wichtigsten Volkswirtschaft des Euroraumes, wird allein durch die Steigerung der öffentlichen Ausgaben getrieben. Die Wirtschaft Spaniens, eines der von der Krise an schwersten getroffenen Länder, ist in den zurückliegenden vier Jahren sogar um volle zehn Prozent geschrumpft.

Howden konzentrierte seine Arbeit auf eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Wachstumsentwicklung der einzelnen Staaten in den Jahren der Krise (seit 2008) und deren jeweiligen Anteil an „Schattenwirtschaft“. Das Ausmaß des Anteils „schwarzer“ Geschäfte ist naturgemäß nur schwer abzuschätzen. Deren Quantifizierung ist mit entsprechenden Unsicherheiten behaftet. Dennoch lassen sich relative Veränderungen recht klar herausarbeiten. So fällt auf, dass der Anteil der Schattenwirtschaft in denjenigen Ländern, die unter der Krise am schwersten zu leiden hatten – also Irland, Portugal und Spanien – gewachsen ist, während er ansonsten durchgängig rückläufige Tendenz zeigt.

Die Liste der Gründe für stark ausgeprägte wirtschaftliche Grauzonen reicht von der Steuervermeidung bis zu Problemen mit schwer kündbaren, gesetzeskonform angestellten Mitarbeitern. Als entscheidenden Punkt nennt Howden die Steuermoral, die maßgeblich vom Urteil der Bürger über Regierungen und Beamtenapparate bestimmt wird. Demnach ist es weniger eine hohe Steuerbelastung denn eine starke Korruptionsanfälligkeit in einer Volkswirtschaft, die positiv mit dem relativen Anteil der Schattenwirtschaft korreliert. So lässt sich der geringe Anteil von Schwarzarbeit in den weitgehend korruptionsfreien skandinavischen Hochsteuerländern plausibel erklären.

Versucht nun eine Regierung der Schattenwirtschaft mit verschärften Kontrollmaßnahmen – wie etwa der Einschränkung von Bargeldtransaktionen – und mit erhöhten Strafen zu begegnen, kommt es keineswegs zur erwünschten Erhöhung der Zahl von regulär Beschäftigten, sondern es wird lediglich der Wertschöpfungseffekt der Schwarzarbeit reduziert. Dadurch wird, entgegen der intendierten Absicht, eine wirtschaftliche Abwärtsspirale in Gang gesetzt.

Für Spanien ergibt die Interpretation der erhobenen Daten, dass der tatsächliche Anteil der Arbeitslosigkeit von offiziell 27 Prozent in Wahrheit deutlich niedriger liegt. Dasselbe gilt auch in anderen Staaten mit einem während der Krise gewachsenen Anteil der Schattenwirtschaft.

Die Niederlande sind gegenwärtig das einzige Land im Euroraum, das sowohl Wirtschaftswachstum als auch einen Rückgang des Staatsanteils an der Wertschöpfung zu verzeichnen hat und in dem das reale Pro-Kopf-Einkommen steigt.

Zusammenfassend stellt Howden fest, dass die einseitig negative Annäherung an das Phänomen der Schattenwirtschaft, nämlich mittels staatlicher Repression, keine positiven volkswirtschaftlichen Effekte zeigt. Um die Zahl der Arbeitslosen zu senken und die dafür nötigen Investitionsentscheidungen zu veranlassen sind vielmehr positive Anreize nötig, die derzeit in keiner der von der Krise betroffenen Volkswirtschaften gesetzt werden. Der Staat wird zum bloßen Verwalter der Arbeitslosigkeit…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Die Suche nach dem geringsten Übel drucken

Viele Österreicher zweifeln: Hat es überhaupt einen Sinn, wählen zu gehen? Gibt es überhaupt irgendeine Partei, die meinen Vorstellungen entspricht? Ich kann die Zweifler extrem gut verstehen. Und doch haben sie nicht Recht.

Denn wer nicht wählen geht oder ungültig wählt, schadet nur sich selbst. Und nicht der Politik. Er verschenkt auch noch das winzige Ausmaß an Mitbestimmung, das den Bürgern derzeit zugestanden wird. Er macht nur die Stimmen jener, die sehr wohl hingehen und gültig wählen, automatisch gewichtiger.

Ein verbreiteter Irrglaube ist, dass man solcherart den Politikern – auf gut österreichisch – eine „Watschen“ geben könnte. Das ist naiv, denn keinem Politiker wird damit auch nur ein Haar gekrümmt. Und auch die Zeitungen schreiben maximal drei Tage lang die üblichen, schon im Speicher liegenden Klagen über die geringe Wahlbeteiligung. Dann aber ist das fünf Jahre lang absolut kein Thema. Oder erinnert sich jemand, dass in den letzten Jahren irgendjemand den Umstand erwähnt hätte, dass 2006 und 2008 die Beteiligung unter 79 Prozent gefallen ist? Die jahrzehntelang über 90 Prozent gelegen war!

Unrichtig ist aber auch das häufig gehörte Argument: Die sind eh alle gleich . . . (samt einem meist nicht druckfähigen Eigenschaftswort). Dieser Satz verdeckt nur die eigene Faulheit, die Angebote näher zu analysieren. Oder es steckt die naive Erwartung dahinter, eine Partei zu finden, die ganz den eigenen Erwartungen entspricht. Aber nicht einmal auf den Listen stehende Kandidaten können sich mit allem identifizieren, was als Summe der Strömungen in der eigenen Partei dann deren Linie ergibt.

Wer wirklich eine hundertprozentige Kongruenz der eigenen Ideen mit einer Parteilinie verlangt, der träumt im Grunde von 6,4 Millionen Parteien (das ist die Zahl der Wahlberechtigten). Oder gar von 7,5 Millionen (=Staatsbürger) oder 8,5 (=Einwohner). Zum Glück ist aber – noch? – niemand der Klon eines anderen Menschen. Daher haben selbst die besten Freunde oder Partner in der einen oder anderen Frage des gesellschaftlichen Zusammenlebens unterschiedliche Auffassungen.

Es kann daher immer nur um die Suche gehen: nach der relativ größten Schnittmenge, nach dem geringsten Übel, nach dem, was jedenfalls verhindert werden sollte. Was das aber ist, muss jeder Wähler für sich selbst herausfinden. Gemäß seiner persönlichen Wertehierarchie; mit seinem Wissen um das Scheitern einzelner Gesellschaftsmodelle in anderen Ländern; mit seinen Sorgen um die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen; mit seinen Vorstellungen vom Bildungssystem; mit seinem Vertrauen in einzelne Politiker; mit seinen Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit; mit dem Stellenwert, den man dem Einzelnen und der Familie versus dem Staat (also Gemeinde+Bundesland+Republik+EU+Sozialversicherungen) einräumt.

Das ist durchaus ein mühsamer Nachdenkprozess. Aber niemand hat ja versprochen, dass Demokratie einfach und mühelos wäre.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Was wir brauchen drucken

Was Österreich braucht, ist eine Regierung, die nicht – wie übrigens die aller anderen Länder auch – gegen das Volk regiert, sondern vielmehr die Interessen des Souveräns mit Entschiedenheit vertritt.

Schon arbeiten die so genannten Eliten daran, nach dem Prinzip des Hexeneinmaleins Minderheiten zur Mehrheit zur erklären und den Begriff der Demokratie umzudefinieren. Hieß es vor siebzig Jahren „du bist nichts, dein Volk ist alles“, so transponiert man diesen fragwürdigen Slogan heute auf eine erweiterte Ebene, nämlich: „Dein Volk ist nichts, die Zentraldiktatur ist alles“. Daraus resultiert ein artifiziell konstruierter Begriff von Einheit und Solidarität, der ebenso wenig durchzusetzen ist wie ein etwaiges Postulat, man solle in Notzeiten für fremde Leute sorgen, zu Lasten der eigenen Kinder.

So wie die Familie gesellschaftspolitisch zerschlagen wird, werden Zugehörigkeiten aller Art systematisch untergraben. Der Begriff „Volk“ ist in der veröffentlichten Meinung verpönt, die „Egoismen“ der Nationalstaaten werden kontinuierlich gegeißelt und deren Vertreter nach Möglichkeit isoliert und geächtet. Als flankierende Maßnahme werden Migration und Verfall des Bildungs- und Sozialsystems gewaltig angekurbelt. Auch die Unterschiede der Geschlechter werden eingeebnet und alles, was zumindest bisher dem natürlichen Empfinden entsprach, wird unter dem Begriff der Biologismen abgetan. Dafür floriert der Todeskult der Abtreibung, die man Schulklassen durch Besuch von einschlägigen Kliniken als Lösungsansatz für die Beseitigung der Folgen eines möglichst frühen Sexualverkehrs schmackhaft machen will.

Politiker, die sich dagegen aussprechen (was sich bezeichnenderweise niemand mehr zu tun getraut), würden sofort als „Rechtsextreme“ von weiteren Gestaltungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Auch auf die Religion (besonders die katholische) wird aus vollen Rohren geschossen, weil diese ja den geplanten Entwicklungen mit ihrem Wertekatalog hinderlich sein könnte. Mittlerweile rückt selbst der medial hochgejubelte progressive Flügel der Kirche von früher als unverhandelbar betrachteten Grundsätzen ab. Das ist der traurige Befund, den man nach Belieben weiter ausführen und vervollständigen könnte.

Wo ist nun eigentlich der Politiker, der allen diesen Missständen ernsthaft und mit Konsequenz entgegenträte? Der die gesetzlichen Möglichkeiten eines Vetos auf EU-Ebene einsetzen würde? Der die Möglichkeit eines EU-Austritts zu nützen bereit ist?

Denn die Europäische Union ist ja zumindest hierzulande der Spiritus Rector hinter allen genannten Missständen, auch wenn das einige Unentwegte in Abrede stellen. Zwar sind die meisten der in Brüssel fuhrwerkenden Gestalten zu beschränkt, um alle Zusammenhänge zu sehen, die dahinter stehenden Drahtzieher (Teilnehmer an diversen Geheimkonferenzen in Europa und Vertreter der Hochfinanz vor allem in Übersee) arbeiten aber mit Hochdruck an der Neuen Weltordnung, in welcher unter Vorspiegelung einer Perspektive von Friede, Freude, Eierkuchen eine Masse von gezielt verblödeten Zombies willfährig oder auch nur apathisch, gut choreographiert, nach der Pfeife der so genannten Eliten tanzen soll.

Niemand wird ernsthaft versuchen, Sand in die Maschinerie dieses Treibens zu streuen. Ein solcher Mensch würde ja auch ziemlich gefährlich leben. Überdies wäre jeder Widerstand nicht nur für die eigene Person, sondern möglicherweise auch für die Allgemeinheit riskant. Und dennoch: Sollen sich die herrschenden Tendenzen wirklich ungebremst fortsetzen und weiter verschärfen?

Es gibt Anti-EU-Kleinparteien, die aber mangels medialer Unterstützung chancenlos sind bzw. gar nicht erst zur Wahl stehen.

So bleibt nur die Möglichkeit, die Kräfte auf einem bereits vorhandenen Fundament zu bündeln und sich darüber klar zu werden, was man überhaupt will. Kann man sich nicht einigen, so sind jene Leute, die letztlich im Sinne der derzeit untragbaren Zustände arbeiten auszutauschen gegen solche, die bereit wären Nägel mit Köpfen zu machen.

Manche linientreue Katholiken sind der Meinung, das Heil könne noch am ehesten in der FPÖ liegen, was aber fraglich ist. Ich denke mit Schrecken daran, wie man Barbara Rosenkranz zur Präsidentschaftswahl einerseits aufstellte, ihr aber dann praktisch in den Rücken fiel, weil ein paar Leute ihre heimliche Liebe zur EU nicht auf dem Altar einer charaktervollen, weitblickenden Frau opfern wollten oder auch antiquierte Ansichten hinsichtlich der Bekleidung hoher politischer Ämter durch Frauen hatten. Es war auch kein Glücksgriff, sich im neuen Programm vom Christentum zu verabschieden, obgleich ja neuerdings Bibelzitate plakatiert werden und man die Kurve zwischen säkularer Haltung und einer Verbeugung vor der Religion irgendwie zu kratzen hofft.

Das etwas leiser werdende Gefasel von der Revolution von 1848 war von Anbeginn kontraproduktiv, da diese ganz andere Wurzeln hatte als jene, auf die man sich heute besinnen sollte. Jedenfalls ist aber die Erhaltung des christlichen Abendlandes wenigstens als Kulturgemeinschaft ein vorrangiges Anliegen. Kann man sich teilweise nicht mit der Religionsgemeinschaft identifizieren, so möge man doch bedenken, dass man vor allem im linken Lager die Kirche zu demontieren trachtet und antiklerikales Agitieren lediglich das Geschäft der politischen Gegner besorgt.

Jener Wertekatalog, dessen Beachtung man heute schmerzlich vermisst, ist vor allem in der Kirche verankert oder zumindest hier in konsequenter Form niedergelegt. Man sollte sich nach dem Gebot der Stunde richten und anstelle der Vergangenheit lieber die Fährnisse der Gegenwart zu bearbeiten und zu bewältigen trachten, was in der ursprünglich dazu berufenen ÖVP seit geraumer Zeit nicht mehr stattfindet. Sie ist zu jenem Reichen geworden, der in das Himmelreich nicht eingehen wird und zu dem Jüngling, der traurig davonging, weil er sich nicht von seinen Gütern trennen konnte.

Grundsätze (die dann keine mehr sind) nach der gängigen unerfreulichen Praxis zu richten (wie das selbsternannte Reformatoren verlangen) wird zu keinen befriedigenden Ergebnissen führen. Die scheinbare Unterscheidbarkeit zwischen ÖVP und SPÖ besteht nur noch in kasperltheaterhaftem Geplänkel vor Publikum. Als ich vor Jahren in einer ÖVP-Veranstaltung nach dem offiziellen Teil das Thema Abtreibung und die Unvereinbarkeit mit der noch immer so bezeichneten „Christ“-Demokratie ansprach, wechselten die Herren Tschirf und Hahn (der damals noch nicht in Brüssel war) einen bedeutungsvollen Blick und murmelten einige inhaltslose Floskeln.

Über die Grünen braucht man an dieser Stelle kaum etwas zu sagen. Sie propagieren den „Crossover“ bei allem und jedem und sind selbst ein Hybrid aus Hardcore-Kommunismus und labeltragender Bobo-Community. Sie lassen eine Weste heraushängen, die so weiß gar nicht ist. Das auszuführen würde aber hier zu weit führen.

Alles kleinliche Herumdoktern an unliebsamen Gegebenheiten und Reförmchen in Teilbereichen ist Flickwerk. Jeglicher konkreten Maßnahme vorauszugehen hat eine eindeutige ideologische und moralische Ausrichtung, und es wird schwer genug sein, hier einen gemeinsamen Nenner zu finden, allerdings wäre es bekanntlich die Einigkeit, die stark macht.

Die Grundsätze der fehlenden Partei

Die ideale Partei müsste aus meiner Sicht für folgende Grundsätze glaubwürdig eintreten:

  1. Respekt vor dem einen Gott und allen Religionen, wobei einem politischen Imperialismus, der unter der Flagge der Religion segelt (wie in einer fehlgeleiteten Form des Islam zu beobachten), entgegenzutreten ist. Wenn andererseits islamische Politiker ihre Reden mit den Worten „im Namen des gütigen Gottes“ einleiten, so ist es das, was ihnen jene Kraft verleiht, die uns (bis auf schwache Rudimente) fehlt.
  2. Respekt vor der Natur und dem Leben. Ergreifen sinnvoller Maßnahmen (zu denen z.B. der verbrecherische Bio-Sprit und die überdimensionierte Fleischproduktion nicht gehören). Wichtig wäre die Ablehnung der Abtreibung, die leider auch in „konservativen“ oder „rechten“ Kreisen keineswegs einhellig verurteilt wird, obgleich es hier mannigfache überzeugende Argumente gibt. Mit diesem Thema polarisiert man erfahrungsgemäß am meisten; die Leute verteidigen mit Zähnen und Klauen ihr vermeintliches Recht, ihren Nachwuchs umzubringen. Wer gegen die Abtreibung ist, gilt eo ipso als Nazi, Selbstannullierung ist zur Pflicht geworden.
  3. Kulturelle Institutionen und Veranstaltungen dürfen nicht zu Schauplätzen der politischen Agitation oder zu Spielwiesen für abartige Einfälle aller Art umfunktioniert werden. Die seltsame Koexistenz lasziver sexueller Aufklärung schon im Volksschulalter und gleichzeitiger absurder Prüderie, in der das Küsschen der Großtante bereits zum sexuellen Übergriff stilisiert wird, ist durch eine vernünftige Handhabung dieser Themen zu ersetzen. Die weit verbreitete Frustration von Lehrern, auch deren teilweise unzulängliche Qualifikation, sind durch Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen zu mildern und möglichst zu beheben.
  4. Einbremsung der Immigration. Sich hier die Rosinen herauszupicken halte ich allerdings für problematisch bis fast schon unmoralisch, da z.B. Fachkräfte in ihren Herkunftsländern fehlen und diese folglich in ihrer Entwicklung hin zur Gleichrangigkeit mit den Zielländern beeinträchtigt und ihres Humankapitals beraubt werden. Hier könnte man zur Abwechslung einmal wirklich solidarisch sein und eigene Leute entsprechend ausbilden, damit die Herkunftsländer mit den Zielländern mittelfristig gleichziehen können. Daran bestand aber bisher kein Interesse, da man ja von dem wirtschaftlichen Gefälle zumindest eine Zeit lang profitierte. Die Anreize für weitere Zuwanderung sind drastisch zu reduzieren.
  5. Regulierung des Bankwesens. Kredite sind mit Maß und Ziel zu vergeben, die Einstellung der Konsumenten, man müsse alles sofort haben (auf Pump) ist einzudämmen. Weitere Rettungsschirme für andere Länder sind abzulehnen.
  6. Anordnungen der EU, soferne sie sich schädlich auswirken, sind zu unterlaufen, wenn man nicht überhaupt den Austritt auf den Weg bringt. Da die EU ihre eigenen Regeln bzw. Gesetze wiederholt gebrochen hat, stellt sich die Frage, ob man die unautorisierten Neuregelungen überhaupt befolgen muss. Man könnte hier europaweit einen Stein ins Rollen bringen. Die Voraussetzung wäre, dass die kritischen Kräfte eine Stärke erlangen, die eine dominierende Stellung in der Regierung ermöglicht.

Vielleicht wird sich so manches Problem durch die sich anbahnenden Unruhen von selbst erledigen, allerdings nur dann, wenn man das Rebellieren nicht diversem Geschmeiß überlässt, sondern sich breite Kreise der Bevölkerung den Protesten anschließen, die dann aber auch wissen müssen, was das Resultat sein soll. Zwar dürfte primär das Fressen (nach Brecht) und, wenn überhaupt, dann erst die Moral kommen, aber die Leute sind offenbar zum guten Teil „rerum novarum cupidi“ (begierig auf das Neue), wie das seinerzeit der Lateiner nannte.

Mir (und nicht nur mir) fällt angesichts der Lage der Nation Schillers Wilhelm Tell ein, dessen Wertschätzung heute eine enden wollende ist. Das folgende Zitat könnte die Stimme des Wutbürgers sein: „Ich lebte still und harmlos, … Du hast aus meinem Frieden mich heraus geschreckt, in gärend Drachengift hast du die Milch der frommen Denkart mir verwandelt.“ Und: „Ans Vaterland, ans teure schließ dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen, hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.“

Leute wie Nigel Farage oder Viktor Orban haben wir leider nicht.

Was man als Privatperson tun kann, sind – wenn auch noch so bescheidene – Beiträge in Richtung einer Meinungsbildung, indem man in Internetforen oder auch im Gespräch im privaten Umfeld seine Meinung mit Unerschrockenheit vertritt.

Dkfm. Waltraut Kupf, geb. 1933 in Wien, Matura am Wasagymnasium 1952, Studium an der Hochschule für Welthandel bis zum Diplom, nach einigen kurzzeitigen Jobs von 1958 bis 1969 in der Finanzabteilung der Internationalen Atombehörde, dort wegen Unvereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kindererziehung ausgeschieden, nach dem Selbständigwerden der Kinder verstärktes Interesse für Politik. Mehrjährige Mitgliedschaft beim Akademikerbund und später der FPÖ, aus beiden Organisationen wieder ausgetreten.

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Buchbesprechung: Wir sollen sterben wollen – Todes Helfer drucken

Zentraler Punkt zweier der drei Aufsätze in diesem Buch ist der neue § 217 des deutschen StGB, der die gewerbsmäßige Sterbehilfe untersagt, die private aber – quasi durch die Hintertür – erlaubt. Der Philosoph Andreas Krause Landt und der Medizinhistoriker Axel W. Bauer warnen davor, mit dem individuellen „Selbstbestimmungsrecht“ hinsichtlich der willkürlichen Beendigung seines Lebens am Ende eine Art von „Fremdbestimmungsrecht“ durch Dritte zur Verfügung eines „sozialverträglichen“, frühzeitigen Ablebens herbeizuführen.

Wer heute an Sterbehilfe denkt, hat gewöhnlich einen alten, bettlägerigen, sterbenskranken, schwer leidenden Patienten im Blick, der selbst nicht mehr Hand an sich legen kann und daher der Assistenz eines barmherzigen Helfers bedarf, um seine Qualen vorzeitig zu beenden. Rund 90 Prozent jener Menschen, die im selbst gewählten Tod ein geringeres Übel erblicken als im Weiterleben, seien indes keineswegs an unheilbaren oder gar tödlichen Leiden erkrankt, sondern an Depressionen, die das Denken der Betroffenen maßgeblich verengen und einschränken. Dieser Umstand lasse es daher nicht zu, deren Todeswunsch als „frei und selbst bestimmt“ zu qualifizieren.

Eine wirksame Psycho- oder Medikamententherapie wäre in diesen Fällen meist imstande, die Todessehnsucht zu beseitigen. Mittlerweile allerdings sei es so weit gekommen, dass nicht mehr nur als aussichtslos und unheilbar eingestufte Erkrankungen mit hohem Leidensdruck als „guter Grund“ für das vorzeitig herbeigeführte Lebensende gelten würden, sondern auch schon die bloße Befürchtung, dass etwas Schlimmes drohen könnte (dazu wird das Beispiel von Gunther Sachs angeführt, der zum Zeitpunkt seines Freitodes im Jahre 2011 lediglich den Ausbruch einer Alzheimer-Erkankung befürchtet habe). In Holland, mit seinen diesbezüglich extrem „liberalen“ Bestimmungen, dürften heute bereits 16-Jährige – ohne die Zustimmung der Eltern – ein Programm zur Sterbehilfe in Anspruch nehmen.

Die Strafbarkeit jeder Art von Sterbehilfe müsse allein schon deshalb erhalten bleiben, um sicherzustellen, dass eine „Hilfe aus Mitgefühl“ nicht in Wahrheit aus eigennützigen Motiven (wie etwa Habgier eines potentiellen Erben) gewährt wird. Wer aufrichtig meine, etwa seinen schwer und unheilbar kranken Ehepartner dabei unterstützen zu müssen, seine Qualen zu beenden und aus dem Leben zu scheiden, der würde wohl auch bereit sein, eine nachfolgende Anklage und Strafe in Kauf zu nehmen.

Der Medizinhistoriker Bauer meint, dass die auffallend wohlwollende Haltung verantwortlicher Politiker – namentlich der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger – vor dem Hintergrund der Überalterung der Gesellschaft und den daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Rentenfinanzierung zu sehen sei: Vorzeitiges Ableben zwecks Entlastung der Pensionskassen. Sterbehilfe sei letztlich nichts weniger als ein Synonym für Euthanasie. Wer aber dieser das Wort rede, würde die Büchse der Pandora öffnen – mit völlig unabsehbaren Konsequenzen. Fazit: Das Buch bildet einen bedenkenswerten und erfreulich ideologiefreien Debattenbeitrag zu einem äußerst heiklen Thema.

Wir sollen sterben wollen
Todes Helfer
Über den Selbstmord
Andreas Krause Landt/Axel W. Bauer/Reinhold Schneider
Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, 2013
199 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3-937801-78-0
€ 14,90,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Der Gesundheitsschock: Was alles nötig wäre, und was alles total falsch läuft drucken

Eine kritische Analyse der österreichischen Gesundheitspolitik führt gleich zu mehreren hochriskanten Folgen: Erstens zu Schock über den planwirtschaftlichen Murks, den uns die Politik (Bund, Länder, Sozialversicherungen) als gelungene Reform verkaufen will. Zweitens zu Schock über alles, was da seit Jahren strukturell falsch läuft. Und drittens zu Schock über jene einschneidenden Maßnahmen, die alleine eine sinnvolle Therapie wären.

(eine grundsätzliche Analyse, nichts für eilige Leser).

Zu Beginn zwei persönliche Anekdoten. Erstens jene von meiner Entlassung aus dem Spital. Mein Internist fand nach zwei Nächten sehr beruhigende Worte für mich. Diese Beruhigung endete jedoch abrupt, als ich seinen schriftlichen Bericht las. Dessen Lektüre veranlasste mich zur panischen Anfrage: "Wie lange habe ich denn noch zu leben, da ich jetzt die ganze Wahrheit gelesen habe?" Die Antwort des Arztes: „Aber Nein, das ist ja nur für die Versicherung.“

Ein anderes Erlebnis spielte auf einer orthopädischen Station, als ich mich wie bestellt zu einer Meniskus-Athroskopie meldete. Die erste Frage an der Abteilungs-Rezeption war: „Ambulant?“ Ich reagierte ziemlich erstaunt, denn ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, dass das auch ambulant möglich ist. Ergebnis: Bis zu meiner Entlassung behielt man den mit einer Zusatzversicherung versehenen Patienten Unterberger schließlich fünf Nächte stationär in jener Abteilung. Dabei hatte es keinerlei Komplikationen rund um den Eingriff gegeben. Dafür wurde ich dann auch noch von einem Schlaflabor-Experten beglückt, der meinen ganzen Körper so verkabelte, dass ich keine Minute ein Auge zumachen konnte. Dabei hatte ich nur gesagt, ich schlafe manchmal schlecht, wenn ich am nächsten Tag einen Vortrag habe. aber es zahlt ja eh alles die Allgemeinheit, also scheinbar niemand.

Natürlich weiß ich: Persönliche Erlebnisse können zwar Symptome zeigen, sind aber noch keine Gesamtanalyse eines zentralen Bereichs der Gesellschaft, den ich hier versuchen möchte. Meine Sichtweise ist dabei eine mehrfache:

  • Die eines Juristen, immerhin mein Hauptstudium;
  • Die eines Ökonomen, meines Zweitstudiums;
  • Die eines Abgaben- und Steuerzahlers, meine Haupttätigkeit;
  • Die eines Journalisten (also jene Tätigkeit, die mir ermöglicht, überhaupt Abgabenzahler zu sein), dem einst noch in einer guten alten Lernphase eintrainiert worden war, sich nicht allzu billig abspeisen zu lassen (weshalb ich über Journalisten noch viel kritischer denke als über Ärzte und Gesundheitspolitiker);
  • Und eben die eines von acht Millionen potentiellen Patienten.

Verfolgt man die politischen und medialen Äußerungen des letzten Jahres zur Gesundheitspolitik, dann wird einem die Überzeugung vermittelt: Die Gesundheitspolitik sei am Ziel angekommen; die Finanzierungsprobleme seien gelöst; und man müsse nur noch nachdenken, für welche neuen Aufgaben man jetzt das reichlich vorhandene Geld ausgeben wird.

Der erstaunliche kommunikative Konsens rund um die Gesundheitspolitik wurde nur zeitweilig von Ärztekammervertretern gestört. Die waren freilich nie imstande, sich konsistent zu äußern. Das Donnern der Faust auf den Tisch, Vergleiche der elektronischen Gesundheitsakte Elga mit Auschwitz und Streikaktionen wechselten abrupt mit offenbar zufriedenem Schweigen. Ohne strategische wie inhaltliche Konsistenz und Strategie hat man aber im 21. Jahrhundert in einer kompliziert gewordenen Gesellschaft keine Positionierungs-Chance.

Aber das ist primär das Problem der offensichtlich uneinigen Ärzteschaft.

Die vielen grundsätzlichen Defizite

Hier geht es jedoch um eine ordnungspolitische Sicht auf die Gesundheitspolitik. Die ich ohne hybriden Anspruch eines Gesamtkonzeptes einfach in einigen Überlegungen aufgliedere. Das jetzige Gesundheitssystem hat viele Fehler, die zwar großteils bekannt sind, von denen aber kaum einer durch die groß bejubelte Reform wirklich gelöst wird:

  1. Die Finanzierung der Gesundheit erfolgt in anderen Staaten entweder durch die Versicherungen oder durch Steuereinnahmen. Wir hingegen haben ein Mischsystem, das zu jährlich mehr als 5 Prozent Kostensteigerungen geführt hat.
  2. In einer Art doppelter Planwirtschaft schieben einander öffentlich-rechtliche Moloche ständig gegenseitig Kosten zu, wobei gleichzeitig diese Moloche heftig um die Macht kämpfen.
  3. In keinem Land werden so viele Menschen so lange im Spital behandelt wie in Österreich.
  4. Zumindest statistisch liegt unsere gesunde Lebenserwartung unter dem EU-Schnitt.
  5. Eine Ursache der hohen Kosten ist der Mangel an Pflegebetten, weshalb durch Pflegefälle teure Akutbetten belegt werden.
  6. Eine weitere ist regionalpolitischer Chauvinismus, der um die Erhaltung jedes noch so kleinen Spitals kämpft.
  7. Viele Primariate werde nicht nach Leistung und Können, sondern nach Beziehungen und Parteipolitik besetzt.
  8. Die im Vergleich zu Privatordinationen viel teureren Ambulanzen werden vor allem deshalb aufgesucht, weil man dort immer sofort einen Termin hat, weil vielerorts die Kassen die Zahl der Kassenärzte zu streng limitieren, weil diese ab Freitagmittag kaum erreichbar sind. Aber auch weil oft Ambulanzen trotz ihrer Unpersönlichkeit höhere Qualität zugeschrieben wird.
  9. Die behauptete Teilsanierung der Krankenkassen in den letzten zwei Jahren ist vor allem auf die relativ gute Arbeitsmarktsituation und damit ausreichende Beiträge zurückzuführen, nur zum sehr kleinen Teil auf echte dauerhafte Veränderungen.
  10. Daher ist es absurd, dass wegen einer leichten Verbesserung der Einnahmen sofort dauerhafte Ausgabenerhöhungen beschlossen werden, wie etwa gerade im Bereich Zahnmedizin.
  11. Weltweit ist genauso wie etwa im Schulsystem die ständige fortschreitende Verrechtlichung ein Hauptproblem. In fast allen Ländern, mit den USA an der Spitze, verteuern die ständig steigenden Haftungsfolgen von wirklichen oder vermeintlichen Kunstfehlern, die immer stärker aufgeblähte Bürokratie und Kontrollen das Gesundheitssystem enorm, aber ohne sachlichen Nutzen. Aber Juristen wie Journalisten üben da gewaltigen Druck aus. Nichts darf mehr ohne dramatische rechtliche Folgen passieren. Daher werden auch die Haftpflichtversicherungen für Ärzte massiv teurer. Und damit die kosten des Gesundheitssystems.
  12. Die ständig steigende Lebenserwartung ist zwar ein Erfolg auch der Medizin, sie macht diese aber ebenfalls unweigerlich teurer.
  13. Das tut auch die – an sich sehr erfreuliche – Tatsache, dass früher unheilbare oder gar letale Krankheiten behandelbar geworden sind.
  14. Eine besonders schmerzhafte Tatsache: Vorsorgeuntersuchungen führen zu mehr Behandlungen.
  15. Internationale Statistiken zeigen eine klare Korrelation: Je mehr Ärzte und Spitäler es gibt, umso teurer ist ein Gesundheitssystem.
  16. Berechnet man die Gesundheitskosten korrekt, müsste man primär die bessere Hygiene, Wasserversorgung, Abwasserklärung und – trotz der rapiden Zunahme von Adipositas – wohl ebenso die gesündere Ernährung zu den primären Ursachen der gestiegenen Lebenserwartung rechnen und nur zu 20 Prozent die eigentliche Medizin.
  17. Sehr erfreulich ist auch der Rückgang der Arbeitsunfälle durch Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz. Während die privaten Unfälle, wo man nicht so reglementierend eingreifen kann, hoch blieben. Es wäre aber unerträglich, jedes Jahr einen Kontrollbesuch des Arbeitsinspektors in der eigenen Wohnung zu bekommen.
  18. Besonders die gut bezahlten Operationen nehmen statistisch zu. Nach einer deutschen Studie werden zwei Drittel der zusätzlichen Operationen nur deshalb gemacht, damit Krankenhäuser besser verdienen.
  19. Ein besonderer Kostentreiber in vielen öffentlich rechtlichen Spitälern in Wien: Die jungen Ärzte müssen vieles an Systemarbeit tun, was die Gewerkschaft den Krankenschwestern untersagt.
  20. Die Arbeitszeiten von Spitalsärzten sind unverantwortlich lang. Das zeigt vor allem der Vergleich mit dem sonstigen Arbeitsrecht, wo man als Arbeitgeber bestraft wird, wenn ein Mitarbeiter – auch durchaus freiwillig! – länger als zehn Stunden arbeitet.
  21. In fast keinem anderen Berufsfeld ist die Diskrepanz zwischen extrem gut Verdienenden und sehr schlecht Verdienenden so extrem wie bei den Ärzten.
  22. Schlechte Gehälter, hohe Abgaben und die Dauer wie die Qualität der Ausbildung führen seit einiger Zeit zu starker Abwanderung: 700 Ärzte verlassen Österreich jährlich.
  23. Gut verdienende Ärzte können meist ihre Doppelstellung als ärztlicher Leiter in Spitälern und gleichzeitiger Inhaber einer Privatordination nutzen, ohne dass immer das finanzielle und zeitliche Verhältnis zwischen beiden Einkommen geklärt wäre.
  24. Angesichts ihrer Finanznöte zahlen die Kassen die Allgemeinmediziner sehr schlecht, sodass diese zu wenig Zeit für ärztliches Wirken haben; manche forcieren deshalb ertragreichere Nebengeschäfte, wie etwa fragwürdige Nahrungsergänzungen. Zugleich verstärkt der Mangel an Allgemeinmedizinern den Patienten-Run aufs Spital.
  25. Ein weiterer schwerer Fehler der Kassen ist es, die Bildung von Gruppenpraxen lange ver- oder behindert zu haben.
  26. Zahllose weitere Formen der Geldverschwendung bestehen in Organisationsmängeln, überflüssiger Bürokratie, und Abschiebung der bürokratischen Lasten von den Kassen zu Ärzten und Spitälern.
  27. Selbstverständlich gibt es eine Mehrklassenmedizin, auch wenn es viele Politiker leugnen. Es wird sie mit absoluter Sicherheit auch immer geben; die einzige Frage ist, ob legal oder illegal, ob nur zum individuellen Nutzen oder in einem sinnvollen Gesamtsystem.
  28. Ein ökonomisch explodierendes Problem ist, dass immer öfter Alltagsprobleme als seelische und psychiatrische Krankheiten gesehen und auch behandelt werden. Alleine dieser Aspekt lässt mit Sicherheit die Gesundheitskosten weiter explodieren.
  29. Der Politik wie der Öffentlichkeit ist noch nicht ausreichend bewusst, dass wir aus demographischen Gründen in einen Ärztemangel hineingleiten. Eine neue Uni zu gründen, statt sich auf die Stellung der Jungmediziner zu konzentrieren, ist aber der total falsche Weg, solange so viele Jungmediziner sofort ins Ausland abwandern.
  30. Eine bei Patienten beliebte Betrugsform ist die Verwendung der e-card durch Nichtberechtigte, die durch biometrische Daten leicht gestoppt werden könnte.
  31. Die Patienten sind im hohen Ausmaß zum bloßen Objekt degradiert. Sie durchschauen das System in keiner Weise. Auf der einen Seite wird ihnen einfach das Geld fürs Gesundheitssystem abgenommen, ohne dass sie gefragt werden, ob das nun über die Sozialversicherungsbeiträge oder die Steuern geschieht. Auf der anderen Seite sind sie auch im Krankheitsfall Objekt. Das hat die Menschen in den letzten Jahrzehnten so erzogen, dass sie sich in der Gesundheitsmaschinerie nur noch als Objekt fühlen. Dass sie sich fühlen wie das Auto, das in der Servicewerkstatt steht. Ohne jede Motivation zur Eigenverantwortung.
  32. Hingegen tritt der Arzt meist sowohl als Anbieter wie Nachfrager von Gesundheitsleistungen auf. Daran ändert auch eine teilweise ohne Ärzte ausverhandelte Gesundheitsreform nichts. Die starke Rolle der Ärzte ist zwar zum Teil unvermeidlich. Aber eben nur zum Teil.
  33. Ein unpopulärer Hinweis zur Pharmazie: Zahlen zeigen einen steilen Rückgang der Erträge dieser Konzerne. Die Ursachen sind vor allem durch Preisreduktionen und die Verwendung von Generika. Das ist nur vordergründig und kurzfristig positiv. Langfristig dämpft das jedoch die Ausgaben für Forschung und damit auch den medizinischen Fortschritt. Eine eher kurzsichtige Einsparung.

Alle bejubeln die Planwirtschaft

Jetzt aber zur sogenannten Reform: Wenn die letzten Beschlüsse von Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungen und Sozialpartnern wirklich zu einer effizienteren, billigeren und menschlicheren medizinischen Versorgung führen sollten, dann wäre das eine absolute Premiere: Dann würde zum ersten Mal in der Geschichte noch mehr Planwirtschaft statt Eigenverantwortung und Freiheit zu irgendeinem Fortschritt führen.

Die Erfahrung lässt jedoch statt dessen mit einem weiteren Verlust an Effizienz und Menschlichkeit rechnen. Die Politik und die Planer scheitern in allen Ländern derzeit daran, auch nur einen neuen Flughafen zu planen oder ein neues Konzertgebäude. Oder in Salzburg binnen weniger Wochen festzustellen, wie viele Schulden das Land eigentlich hat. Und da wollen uns Politik und Bürokratie allen Ernstes einreden, ein komplett neues Gesundheitssystem planen und administrieren zu können?

In Wahrheit muss es einen doch vor Entsetzen beuteln, wenn uns ein „Bundeszielsteuerungsvertrag“ und neun dann folgende Landesverträge als Wunderdroge verkauft werden. Oder wenn man ernstlich glaubt, heute – also schon vor Abschluss dieser Verträge! – ein „Dämpfungsvolumen“ von 3,4 Milliarden Euro bis 2016 verkünden zu können. Das erinnert stark daran, dass man uns ja derzeit auch weismachen will, dass es 2016 mit Sicherheit das letzte Budgetdefizit geben werde. Wie oft haben wir das freilich in den letzten Jahrzehnten schon jeweils für andere Zeitpunkte gehört?

Was heißt eigentlich „Zielsteuerung“? Heißt es wörtlich, dass man die Ziele beliebig verändern kann? Derzeit gibt es jedenfalls neun Ziele, die miteinander ungeordnet ohne Hierarchie konkurrieren sollen. Aber auch die jetzt scheinbar friedlich zusammengeschweißten Akteure, die Zahler, die Opfer wie die zahllosen Lobbies haben weiterhin völlig unterschiedliche Ziele und Motive.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn Ambulanzen, wie versprochen, noch besser werden, ist das ökonomisch schlecht im Gesamtsystem. Denn dann werden noch mehr Patienten in Ambulanzen statt Ordinationen gehen.

Man hat die Absurdität einer rein politisch-bürokratischen Regelung der Gesundheitsausgaben ja erst im Frühjahr rund ums Thema Hüfte gesehen. Sobald die Öffentlichkeit auch nur glaubt, dass irgendeine „Kostendämpfung“ die vermeintlich oder wirklich beste Therapie limitiert, beginnt politischer und medialer Druck, bis dann alle unisono verkünden: Nein, natürlich war das nicht so gemeint. Selbstverständlich bekommt jeder unbegrenzt die beste Therapie. Auch wenn er sie gar nicht braucht.

Es geht um die Rechte der Patienten

Fassungslos macht, dass bei den zahllosen Reformgesprächen neben den nur teilweise beigezogenen Ärzten, die aber zumindest viel faktische Macht haben, eine Gruppe völlig ausgeschlossen geblieben ist. Offenbar weil zu unbedeutend. Das sind die Patienten. Zwar machen sich viele zu ihren Sprechern. Aber alle angeblichen Patienten-Vertreter haben in Wahrheit ganz andere Eigeninteressen.

Eine Stärkung der Rechte der Patienten als eigentliche und einzige Kunden des Gesundheitssystems ist in einer entwickelten Demokratie jedoch unverzichtbar. Sie wird auch angesichts der für zentralistische Planer völlig unüberschaubaren Individualbedürfnisse und insbesondere angesichts des bevorstehenden europaweiten Finanzkollapses unumgänglich sein.

Statt Patientenrechte zu verstärken, will die Politik nun von oben her „Best Points of Service“ dekretieren. Ohne zu begreifen, dass sich Menschen, so wie das Wasser, immer ihre eigenen Wege suchen. Egal was dekretiert ist.

Zur Stärkung der Patientenrechte und zur gleichzeitigen Sanierung des Gesundheitssystems gibt es in Wahrheit nur zwei Wege, die durchaus auch additiv gegangen werden können. Der eine Weg ist, den Bürgern die Wahl zwischen mehreren möglichen Krankenversicherungen zu geben. Dadurch entstünde Wettbewerb und Patientenorientierung bei den Kassen.

Das ständige Gegenargument „Was ist mit den schlechten Risken, also insbesondere chronischen Patienten?“ lässt sich wie bei den Autoversicherungen durch Zwangskontrakte leicht lösen. Da bekommen ja auch unfallfreudige Fahrer eine Kaskoversicherung.

Alles (außer dem Populismus) spricht für einen allgemeinen Selbstbehalt

Die zweite mögliche Stärkung der Rolle des Patienten besteht darin, dass sie bei einer Senkung der Sozialversicherungsbeiträge einen zumindest kleinen Teil jeder Behandlung, jeder Medikation selbst in Form eines Selbstbehalts zahlen müssten. In diesem Fall würden sie automatisch viel häufiger fragen als jetzt, ob diese oder jene Behandlung wirklich sinnvoll ist. Dann würde aber auch bei den allermeisten Ärzten ein Umdenken einsetzen.

Denn viele Menschen – und auch Ärzte sind Menschen! – sind nämlich bereit, eine anonyme Allgemeinheit, egal ob Staat oder Privatfirma, ohne sonderliche Gewissensbisse zu schädigen. Sie sind aber viel weniger bereit, einen unmittelbar vor ihnen sitzenden oder liegenden Patienten mit überflüssigen Kosten zu belasten. Wenn der Satz „Zahlt eh die Krankenkassa“ aus unserem Repertoire verschwunden ist, dann wird sich mit Sicherheit im Gesundheitssystem mehr ändern als durch noch so viele papierene Fünfjahrespläne.

Eine stärkere Eigenverantwortung der potentiellen Patienten bei den Behandlungskosten würde mit Sicherheit die noch viel wichtigere Eigenverantwortung auch in Hinblick auf eine gesündere Lebensweise erhöhen. Dabei geht es um ein generelles Umdenken. Viel mehr und verständlich kommunizierte Aufklärung ist dabei aber jedenfalls zentral. Das zeigt etwa die enge Korrelation zwischen Bildung und Gesundheit. Wissen erhält länger gesund. Wissen kann aber natürlich nicht so hergestellt werden, dass man jetzt einfach jedem eine Matura oder einen Master schenkt.

Nicht ein Plan, sondern Selbstdisziplin samt einem freiwillig gewählten sozialen Netz erhält gesund. Das zeigt die hohe Lebenserwartung in Klöstern.

Eine notwendige Konsequenz wäre aber auch das Recht, nein: die Pflicht des Systems zu sagen: Bevor du eine neue Hüfte bekommen kannst, muss das Übergewicht weg. Heute und auch nach der Reform suggerieren wir hingegen: Mach was du willst, die Gesellschaft wird eh die gesamte Reparatur zahlen.

Zur Mündigkeit der Patienten gehören auch viel bessere Informationen über medizinische Qualität. Dazu gehören beispielsweise Vergleiche von Operationszahlen und -erfolgen zwischen einzelnen Spitälern. Amtsgeheimnisse, Datenschutz und ähnliches haben da absolut nichts verloren.

Eines der falschesten Argumente kommt bei dieser Diskussion gerne von der Politik: Wenn Selbstbehalte eingeführt werden, dann könnten sich die Armen keine Gesundheitsausgaben mehr leisten. Das hat zu dem verheerenden Prinzip geführt: Gesundheit darf nichts kosten. Was nichts kostet, ist aber auch automatisch in den Augen der Menschen nichts oder wenig wert. Damit wird auch die Eigenverantwortung drastisch reduziert. Die sogenannten oder wirklich Armen wissen ja hingegen auch bei Essen, Fernseher oder Auto, dass sie sich da selber kümmern müssen.

Ich will hier nicht die gesamte Armutsdebatte aufrollen. Aber ein Hinweis sei gestattet: Die statistisch ärmsten Österreicher geben nicht nur relativ, sondern auch in absoluten Euro-Beträgen mehr für Unterhaltungselektronik aus als die Besserverdienenden.

Eine weitere absurde Randerscheinung der Reformdebatte ist, dass die schon jetzt diskriminierten Privatspitäler neuerlich ignoriert worden sind, obwohl sie bei durchaus gleicher Qualität weniger kosten. Weshalb man von ihnen viel lernen könnte.

Genauso ein Tabu ist auch die Frage, ob nicht mehr Geld für altersgerechte Wohnungen wirksamer sind als mehr Geld für das Gesundheits- und Pflegesystem.

Die Conditio humana

Die wirklich fundamentale, aber nie ausdiskutierte Frage ist die philosophische nach dem Menschenbild, nach der Freiheit. Haben Menschen das Recht zu ungesundem Leben? Ich kann das nur bejahen. Anders lässt sich eine freie Gesellschaft außer in extremem Totalitarismus gar nicht vorstellen. Das muss freilich auch subjektive Konsequenzen haben.

Es wäre der Anfang vom Ende jeder Menschlichkeit, wenn der Staat die Menschen auch zu ihrer Gesundheit zwingen wollte. Dann bekommen wir ihn überhaupt nicht mehr aus unserem intimsten Leben hinaus. Von der Zahnputzkontrolle bis zu den Essens- und Alkoholverboten. Ja, die Krankheit und der ja sichere Tod müssen das Risiko des Patienten bleiben, nicht der Politik. Sie sind Teil der Conditio humana.

Manche meinen nun sicher, ich würde zu ökonomisch argumentieren. Aber gerade mit der Medizin und anderen Naturwissenschaften ist die Ökonomie sehr eng vergleichbar: Ihre Regeln und Gesetze gelten ganz unabhängig vom Willen der Menschen. So können ja auch noch so viele blöde Sprüche von Rauchern wie „Ohne Rauch stirbst auch“ den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs, Herzinfarkt sowie etlichen anderen Krankheiten nicht aus der Welt schaffen. So können ja auch Päpste und alle Mächtigen der Erde nicht die Regeln der Astronomie bestimmen, obwohl sie es einst versucht hatten. So wirkt ja auch die Gravitationskraft ganz unabhängig von Beschlüssen der Politik.

Und ganz genauso gelten auch ökonomische Regeln ganz unabhängig von unserer Zustimmung. Wie etwa der millionenfach bewiesene Zusammenhang: „Was nichts kostet, ist in den Augen der Menschen auch nichts wert und wird verschwendet.“ Oder: „Nur wenn man individuell Kosten tragen muss, werden die Kosten beachtet, niemals, wenn die Allgemeinheit sie trägt.“ Oder: „Kostenfolgen haben sich als einzig funktionierender Weg erwiesen, Eigenverantwortung zu tragen.“ Und ebenso: „Wenn wir nichts tun, wird unsere Gesellschaft, unser demokratischer Rechtsstaat in den nächsten 20 Jahren an drei Kostenfaktoren zerschellen: Pensionen, Gesundheit, Pflege.“ (In dieser Reihenfolge)

Ganz anders ist es um juristische Regeln und Gesetze bestellt: Sie können je nach politischer Lust und Laune abgeändert werden. Sie können auch gegen die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten beschlossen werden. Nur führen sie dann regelmäßig zu unerwünschten Folgen: Wenn man etwa Preise unter die Marktkosten limitiert, wird das Produkt aus den Regalen verschwinden; oder Dienstleistungen werden nur noch zu Schwarzmarktpreisen angeboten. Wie es beispielsweise mit vielen Gesundheitsdienstleistungen auf dem Balkan der Fall ist.

Ebenso unsinnig ist der Satz: „Gesundheit ist ein so hohes Gut, das darf doch keine Frage des Geldes sein.“ Wer so spricht, sollte immer auch die Frage beantworten müssen: Ist er etwa bereit, umsonst im Dienste der Gesundheit anderer zu werken? Das sind eben nur ganz wenige. Lobenswert, aber völlig unzureichend.

Auch das immer  so gern bemühte Prinzip der Gerechtigkeit spricht gegen die gegenwärtige Form der Gratismedizin. Es ist ja zweifellos absolut ungerecht, wenn diszipliniert lebende Menschen ohne Bremse und Limit die statistisch viel höheren Gesundheitsausgaben für Raucher, für Übergewichtige, für bewegungsaverse Couch-Potatoes, für Risikosportler tragen müssen.

Bitte nur kein Gesamtkonzept

Das waren einige Anmerkungen über einige gesundheitspolitische, ethische und ökonomischeZusammenhänge. Dahinter steht zwar eine klare ordnungspolitische Idee, aber sicher nicht die Anmutung, ein neues Gesamtkonzept zu haben. Mir ist im Gegenteil jeder unheimlich, der behauptet, ein solches zu haben.

Ich bin mir auch keineswegs sicher, dass das wohl unvermeidliche Scheitern von Reform wie Praxis automatisch zu mehr Vernunft führen wird. Das Wissen um die Rolle von Eigenverantwortung, um die genannten Zusammenhänge ist nämlich europaweit nicht gerade im Steigen.

Daher ist es auch durchaus möglich,

  • dass wir in einem Jahrzehnt ein noch viel schlechter funktionierendes Gesundheitssystem haben als heute;
  • dass dann immer mehr via Schwarzmarkt geregelt wird;
  • dass dann Planwirtschaft bestimmte Gesundheitsdienstleistungen bestimmten Gruppen, etwa den älteren Menschen vorenthält;
  • dass dann Ärztemangel zum dominierenden Problem geworden sein wird;
  • dass dann wie schon heute in manchen englischen Spitälern, Laken nicht mehr gewechselt werden, Toiletten nicht mehr gereinigt werden und Angehörige das Essen ans Bett bringen müssen.

Aber in einem bin ich mir sicher: Wenn ein Gesundheitssystem funktionieren soll, dann kann es nur in einer Verbindung der Gesetzmäßigkeiten von Ökonomie UND Medizin bestehen. Je mehr hingegen Politik und damit Populismus, Gesetze und Gerichte mitspielen und überregulieren, umso schlechter werden die Dinge funktionieren.

(Diese Ausführungen fassen zusammen, was ich in teilweisen Passagen in der medizinischen Zeitschrift „Spectrum Urologie“, in der „Academia“ sowie in einem Vortrag vor Ärzten formuliert habe)

 

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Die Ideen der Österreichischen Schule als Grundlage einer Gesellschaft freier Bürger drucken

Dem Ruf der veröffentlichten Meinung nach immer mehr hoheitlicher Regulierung aller Lebensbereiche kommt die Politik nur allzu gerne nach. Von der Benzinpreisbildung bis zur Ladenöffnung, von einer „gerechten“ Entlohnung bis zu „angemessenen“ Mieten – so gut wie nichts soll und darf der freien, privatrechtlichen Vereinbarung mündiger Bürger überlassen bleiben.

Wilhelm Röpke (1899 – 1966): „Eines von beiden wird früher oder später weichen müssen: das freie Gesellschafts- und Wirtschaftssystem oder der heutige Wohlfahrtsstaat.“

Ludwig von Mises (1881 – 1973): „Man kann Liberalismus nicht ohne Nationalökonomie verstehen. Denn der Liberalismus ist angewandte Nationalökonomie, ist Staats- und Gesellschaftspolitik auf wissenschaftlicher Grundlage.“

Was gilt schon der Prophet im eigenen Land – noch dazu in einem, in dem „verantwortliches“ Denken allein Politikern, Beamten und staatsabhängigen Intellektuellen überlassen bleibt und wo kritisches Denken zunehmend als Verrat am „Gemeinwohl“ gilt?

Von den Protagonisten der Österreichischen Schule ist hierzulande heute gerade einmal Friedrich August Hayek, dank des 1974 an ihn verliehenen Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften, bekannt. Allenfalls noch Eugen von Böhm-Bawerk ist manchen ein Begriff. Wenigstens als Portrait, das die letzte gültige 100-Schilling-Banknote zierte. Carl Menger, Friedrich von Wieser oder Ludwig Mises dagegen sind der breiten Öffentlichkeit in Österreich heutzutage weitgehend unbekannt. Mit Murray Rothbard oder den Namen der rezenten Vertreter der Österreichischen Schule weiß allenfalls eine kleine Gemeinde ideengeschichtlich interessierter Zeitgenossen etwas anzufangen. In den USA oder in Großbritannien – Ländern mit Jahrhunderte alter liberaler Tradition – liegen die Dinge anders…

Am Beginn der Österreichischen Schule stand die akademische Auseinandersetzung mit der deutschen „Historischen Schule“, zu deren wichtigsten Protagonisten Werner Sombart, Luigi Brentano und der Kathedersozialist Gustav von Schmoller zählten. Der von Carl Menger 1883 angestoßene „Methodenstreit“ stand im Mittelpunkt dieser Kontroverse. Die historische Schule sah keine Möglichkeit, eine konsistente, von Zeit und Ort unabhängige Wirtschaftstheorie zu entwickeln. Sie konzentrierte sich stattdessen auf die Betrachtung eng umgrenzter Untersuchungsbereiche und versuchte, empirisch gewonnene Erkenntnisse induktiv auf andere Zusammenhänge – von Deutschland auf das größere Ganze – zu übertragen.

Der „Vater“ der Österreichischen Schule, Carl Menger (1840 – 1921), ersann eine logisch deduktive Methode, die den Wert konsistenter Theorien betont und die eine bloße Sammlung empirischer Daten, die niemals allgemein gültigen Erklärungswert besitzen können, vergleichsweise gering schätzt. 1871 erschien Mengers Werk „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“, mit welchem er der bis dahin herrschenden klassischen Werttheorie eine „Grenznutzenbewertung“ entgegensetzte. Es ist ein historisch reizvolles Detail, dass Carl Menger Lehrer und Freund des 1889 durch Suizid zu Tode gekommenen österreichischen Thronfolgers, Kronprinz Rudolf, war. Hätte der die Chance gehabt, seine durch Menger beeinflussten Ideen umzusetzen – wer weiß, welchen Weg die k.u.k. Monarchie – ja ganz Europa – in der Folge eingeschlagen hätte und was unseren Vorfahren erspart geblieben wäre…?

Eugen von Böhm-Bawerk (1851-1914), der zweite große Geist der „Austrians“ war nicht nur als Gelehrter, sondern auch in der Politik tätig. Von 1895 bis 1904 wurde er drei Mal, nach einer Beamtenkarriere im Finanzressort, als Finanzminister ins Kabinett berufen. Im Anschluss daran lehrte er bis zu seinem Tode Finanzwissenschaften an der Universität Wien. In seiner Amtszeit als Finanzminister sah er sich einer ausgeglichenen Gebarung der Staatsfinanzen, die er u. a. durch die Einführung einer direkten Einkommenssteuer (mit einem Spitzensatz von fünf Prozent!) erreichte, sowie einer strikten Golddeckung der Währung verpflichtet. Nach seinem wissenschaftlichen Hauptwerk „Kapital und Kapitalzins“ veröffentlichte er unter dem Titel „Macht oder ökonomisches Gesetz?“ eine kleinere Publikation, in welcher er den Nachweis führte, dass auch ein Staat sich der Gültigkeit wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten nicht entziehen kann.

Ludwig von Mises (1881 – 1973), ein Schüler Böhm-Bawerks, war der wohl produktivste Geist aus dem Kreise der Protagonisten der Österreichischen Schule. Angesichts seiner staatskritischen Haltung nimmt es nicht Wunder, dass er zeitlebens niemals eine seinem brillanten Geist angemessene Position auf universitärem Boden erlangte. Das Motto „Wes´ Brot ich ess´ des Lied ich sing“ war seine Sache nicht. 1922 veröffentlichte er – ein Jahr nach der Ausrufung der „Neuen ökonomischen Politik“ durch Lenin (die eine Rücknahme zahlreicher Kollektivierungsmaßnahmen unter dem Eindruck katastrophaler Versorgungsmängel brachte) – ein umfangreiches Werk mit dem Titel „Die Gemeinwirtschaft“ (in der englischen Version: „Socialism“).

Darin führt er den stringenten Nachweis für die – angesichts des Fehlens von Marktpreisen – Unmöglichkeit einer Wirtschaftsrechung in der sozialistischen Planwirtschaft. Eine zentral gelenkte Kommandowirtschaft ist zur willkürlichen Preisfestsetzung, zur systematischen Fehlallokation der Ressourcen und damit zu Verschwendung, Ineffizienz und Wohlstandsvernichtung verurteilt. Es ist bemerkenswert, dass bis zum heutigen Tage keine nennenswerte akademische Erwiderung dieses Frontalangriffs auf die Planwirtschaft vorliegt. Mises selbst durfte die empirische Bestätigung seiner Thesen – den Zusammenbruch des Realsozialismus – nicht mehr erleben.

Mit seinem 1929 – noch vor dem „Schwarzen Freitag“ – erschienenen Text „Kritik des Interventionismus“ zeigte dieser Mann geradezu seherische Gaben. Er beschrieb darin jene durch staatliche Geldmengenausweitung und Wirtschaftsgängelung ausgelöste Dynamik, die schließlich in Börsencrash und jahrelanger Depression ihre notwendigen Konsequenzen fand. Dass es den Staatsinterventionisten anschließend auf ganzer Linie geglückt ist, dieses ausschließlich ihrer Politik geschuldete Desaster zu einer „zyklischen Krise des Kapitalismus“ umzudeuten und daraus die Notwendigkeit noch drastischerer Eingriffe in den Markt abzuleiten, ist ein schlechterdings nicht zu überbietender Treppenwitz der Geschichte. Mises´ Hauptwerk ist das 1940 erschienene Werk „Nationalökonomie“ (in der erweiterten englischsprachigen Fassung: „Human Action“). Darin legt er eine umfassende Theorie menschlichen Handelns vor, die weit über den Bereich der Ökonomie hinaus greift.

Der wirkungsmächtigste Nationalökonom des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, hat die Auseinandersetzung mit den „Austrians“ indes klar für sich entschieden. Seit den Dreißiger Jahren dominieren seine als „Keynesianismus“ kanonisierten Ideen bis heute die Wirtschaftspolitik. Er hat es verstanden, mit seinem Plädoyer für umfassende staatliche Interventionen in die Wirtschaft die politische Klasse und große Teile der tendenziell marktkritisch und antikapitalistisch eingestellten Intellektuellen auf seine Seite zu ziehen. Zwischen den beiden Weltkriegen setzten nationale Regierungen diesseits und jenseits des Atlantiks konsequent keynesianische Ideen ins Werk.

Die „ordentliche Beschäftigungspolitik des dritten Reiches“ unterschied sich nur marginal vom „New Deal“ der Roosevelt-Administration. Beide setzten auf Staatsverschuldung zugunsten von Arbeitsbeschaffungsprogrammen, massive „soziale Umverteilung“ und vermeintliche Kaufkraftsicherung für die Massen. Marxistische und nationalsozialistische Wirtschaftslenkung sind mit freiem Auge kaum voneinander zu unterscheiden – eine Tatsache, auf die Ludwig Mises schon in den Vierzigerjahren mit Nachdruck hinwies (acht von zehn Programmpunkten des „Kommunistischen Manifests“ wurden von den Nationalsozialisten umgesetzt. Lediglich die Abschaffung des Grundbesitzes und des Erbrechts fehlten noch). Liberale „österreichische“ Konzepte hatten – insbesondere unter den Bedingungen eines in den 40er-Jahren weltweit grassierenden Kriegssozialismus – keine Chance.

Die modernen Vertreter der Österreichischen Schule

Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der „Austrians“ – wenn auch nur zum Teil und für jeweils kurze Zeit – z. B. unter der Federführung des Wirtschaftsministers Ludwig Erhard in Deutschland, unter Margaret Thatcher im Vereinigten Königreich, unter Ronald Reagan in den USA und vom Regime Augusto Pinochets in Chile umgesetzt.

Friedrich August von Hayek, (1889 – 1992) ein Schüler L. Mises´, ist der bis heute prominenteste Protagonist der Österreichischen Schule. Seinen Weltruhm begründete er mit dem 1944 erschienen Werk „The Road to Serfdom“ (Der Weg zur Knechtschaft), in welchem er, unter dem Eindruck des Kriegssozialismus, eine eindringliche Warnung vor dem Abgleiten in den Totalitarismus formuliert. Die Veröffentlichung des Textes durch „Readers Digest“ im Jahr 1945 verhalf dem Buch – und dessen Autor – zu weltweiter Popularität. Von größter Bedeutung für sein Werk ist die These von der „Anmaßung von Wissen“, an dem jede zentral planende Macht scheitern muss. 1974 erhält er für „… seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Geld- und Konjunkturtheorie …“ den Nobelpreis für Wirtschaftwissenschaften. Das offizielle Österreich – das Kreisky/Androsch-Regime ist damals auf keynesianischem Kurs – schweigt zu diesem Erfolg eines Landsmannes; es gibt keinerlei Ehrung Hayeks. Seine Thesen finden (in Teilen) ihre reale Umsetzung in der „neoliberalen” Politik Margaret Thatchers im Vereinigten Königreich (insbesondere in deren Kampf gegen die Hegemonie der Gewerkschaften) und den „Reaganomics“ in den USA.

Der in New York geborene Murray Newton Rothbard (1926 -1995) ist der erste nicht aus Europa stammende „Austrian“. Wie sein Mentor Mises versteht er sich eher als politischer Philosoph, denn als Wirtschaftswissenschaftler. Während Hayek und Mises erklärte Vertreter des „Minimalstaatskonzeptes“ waren, lehnt Rothbard jede staatliche Autorität dem Grunde nach ab und wird zum Vordenker einer staatsfreien Ordnung, des „Anarchokapitalismus“. Er steht dabei auf jenem gedanklichen Fundament, das von der spanischen Scholastik und von John Locke (1632 – 1704) gelegt wird, dessen Philosophie strikt dem Konzept des Naturrechts folgt. Rothbards Gedanken basieren auf der Vorstellung von angeborenen, unveräußerlichen Rechten, über die jedes Individuum verfügt und der Locke´schen Idee des „Eigentums an sich selbst“. Wesentliches Kennzeichen seiner Philosophie ist das „Nichtaggressionsprizip“, welches besagt, dass kein Mensch das Recht hat, auf andere Zwang und Gewalt auszuüben oder das Recht, in seinem Namen Zwang und Gewalt auszuüben, an andere zu delegieren. Damit steht er in fundamentalem Widerspruch zu jedem politischen System, dessen Wesen in der Ausübung von Zwang und Gewalt liegt.

Hans-Hermann-Hoppe (geb. 1949) ist einer der bekanntesten lebenden Vertreter der Österreichischen Schule. In Deutschland geboren, unterrichtete er ab 1986 an der Universität von Las Vegas/Nevada Volkswirtschaftslehre. Mit seinem Werk „Demokratie, der Gott der keiner ist“ legt er 2003 eine vernichtende Demokratiekritik vor. Wie sein Lehrer Rothbard plädiert auch er für eine staatsfreie Privatrechtsgesellschaft, deren Konzept er u. A. im genannten Buch skizziert. Der an der Universität Madrid lehrende Jesús Huerta de Soto (geb. 1956), der an der Universität Angers/Frankreich wirkende Jörg Guido Hülsmann (geb. 1966) und Philipp Bagus („Die Tragödie des Euro“) bilden heute die jüngste Generation von Wirtschaftswissenschaftlern, die in der Tradition der Österreichischen Schule stehen. Sie alle haben hochinteressante Abhandlungen zur Geldtheorie vorgelegt, denen – im Lichte der aktuellen Entwicklungen – größte Bedeutung zukommt.

Hoppe meint, wohl zu Recht, dass die Fehler der Massendemokratie nicht auf dem Boden dieses Systems behoben werden können und fordert eine „Nachfolgelösung“. Er meint damit eine (im „Endausbau“) staatsfreie Privatrechtsgesellschaft, in welcher miteinander konkurrierende Agenturen jene Aufgaben wahrnehmen, die der Staat im Laufe der Zeit übernommen hat (z. B. Bildung, Unfall- Kranken und Pensionsversicherung, Straßenbau, Energieversorgung, Rechtsprechung und Sicherheitsproduktion).

Zu glauben, die Schuld der in der „freien westlichen Welt“ (was für ein zynischer Witz!) in den letzten Jahren unübersehbaren Fehlentwicklungen allein einer durch und durch verkommenen Politikerkaste zuschreiben zu können, wäre verfehlt. Die Korruption beginnt vielmehr beim Wahlberechtigten, der, von den vermeintlichen Segnungen des Demokratismus und der vom Wohlfahrtsstaat scheinbar garantierten Sicherheit gegen sämtliche Fährnisse des Lebens geblendet, seiner eigenen Entmündigung, Ausplünderung und Unterdrückung bedenkenlos Vorschub leistet.

Darüber nachzudenken, wie das kurz vor dem Einsturz stehende Gebäude des Wohlfahrtsstaates vor dem Kollaps bewahrt werden könnte, ist verlorene Liebesmüh. Ein bis in die Grundmauern defektes Bauwerk ist durch das bloße Aufbringen einer neuen Fassade einfach nicht zu sanieren. Ein Abriss bis auf die Grundmauern wird sich nicht vermeiden lassen – falls beabsichtigt ist, seine Bewohner davor zu bewahren, bei dessen Zusammenbruch verschüttet zu werden. Andernfalls kann weitergewurstelt werden wie in den letzen Jahren…

Die wohl einzig brauchbare Alternative zum allsorgenden Wohlfahrtsstaat besteht nicht im „Nachtwächterstaat“ (© Ferdinand Lasalle), sondern in einer staatsfreien Privatrechtsgesellschaft.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Fußnote 482: Intellektuelle Selbstverteidigung drucken

Gerade rechtzeitig vor dem Höhepunkt des politischen und medialen Verdummungswahlkampfes hat die neugegründete Plattform „Agenda Austria“ ein „Handbuch zur intellektuellen Selbstverteidigung“ herausgebracht.

Darin werden viele der Mythen zertrümmert – so wie es oft schon auch dieses Tagebuch unternommen hat. Dabei geht es etwa um die populären Behauptungen: „Die Globalisierung bedroht unsere Gesellschaft und Arbeitsplätze“, „Wirtschaftswachstum zerstört unseren Planeten und hilft nur den Reichen“, „Die Banken müssen endlich streng reguliert werden, damit sie der Wirtschaft nicht mehr schaden“, „Föderalismus ist ineffizient und teuer“, „Die Wirtschaft schwächelt – deshalb braucht es höhere Löhne“, „Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich. Mehr Umverteilung behebt diese Ungerechtigkeit“ oder: „Der Staat wird kaputtgespart und der Sozialstaat der Wirtschaft geopfert“. Zu jedem einzelnen Satz wird sehr plausibel dargelegt, warum er – auch wenn in hunderten Leitartikeln verwendet – falsch oder schädlich ist.

PS: Tagebuch-Leser, die diese auf 126 Seiten zusammengestellten Argumente genauer kennenlernen wollen, können sich die Broschüre gratis zusenden lassen: durch ein Mail (mit der eigenen Adresse) an office@agenda-austria.at. Da der Ansturm inzwischen alle Grenzen übersteigt und es zu längeren Wartezeiten kommt, empfehle ich den Download direkt von der Webseite: www.agenda-austria.at.

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Was für uns zählt, hat keinen Preis! drucken

„Satanische Verse“ wider die „reine“ Ökonomie des Mainstreams, vorgetragen von Tomáš Sedlacek. Es gehört zu der bitteren Wahrheit des schleichenden Kulturverfalls, dass auch in der Wirtschaftswissenschaft Vorlesungen über die Entwicklungsgeschichte der Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre kaum noch gehalten werden. An die Stelle der Dogmengeschichte ist die „reine“ Ökonomie getreten mit ihrem „ökonomischen Kalkül“ von Nutzen und Aufwand, Kosten und Ertrag, „pleasure and pain“ (W. St. Jevons). Mathematik, Ökonometrie, Modelltischlerei haben sich derart verselbständigt, dass der Verlust ihres Bezugs zur Realität nun schon von den Klagemauern der Massenmedien widerhallt.

Als Musterbeispiel dürfen hier die Voraussagen der hochkarätigen Experten der „Troika“ (IWF, EZB, EU) über die Entwicklung von Griechenlands Wirtschaft angeführt werden, die, kaum veröffentlicht, gleich wieder revidiert werden mussten. Die Versuche, die Entwicklung des Bruttosozialprodukts auf zehntel Prozentpunkte genau vorauszusagen, ruft heute nur noch Kopfschütteln hervor.

Ist Ökonomie Wissenschaft? Nicht im naturwissenschaftlichen Sinn!

Angesichts dieser Leerstelle, den der universitäre Lehrbetrieb offen lässt, darf es uns nicht wundern, dass sich das Buch eines jungen Ökonomen (Jg. 1972) zum Bestseller mausern konnte, welches die herkömmlich gelehrte und praktizierte „reine“ Theorie in Frage stellt oder, wenn wir noch deutlicher werden dürfen, als Humbug entlarvt. Wenn nämlich nach Auguste Comte „der Zweck aller Wissenschaften die Voraussage ist“, dann ist die Ökonomie keine Wissenschaft. „Die letzte Wirtschaftskrise hat erneut gezeigt, dass die Ökonomen die Zukunft einfach nicht vorhersagen können“. (S. 379).

Der Autor, der sich nach dem Urteil vieler seiner Kollegen zu solchen Aussagen „erfrecht“, der Tscheche Tomáš Sedlácek, ist kein meckernder „misfit“ (Ungustl), sondern Chefökonom der größten tschechischen Bank. Er ist Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrates. Er hält Vorlesungen an der Prager Karls-Universität und wird laufend zu Gastvorlesungen an namhaften Universitäten in den USA, der Schweiz und sogar Österreich eingeladen. In Yale, Oxford, Cambridge oder London gilt er gar als Kanone („big gun“) und Popstar unter den Ökonomen. Während der Amtszeit von Vaclav Havel war er Berater des Präsidenten, und ihm hat er auch das Vorwort zu seinem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ zu verdanken.

In der deutschen Edition ist der Untertitel weggeblieben, der in der tschechischen Originalausgabe und auch in der englischen Übersetzung angeführt ist: „Die Frage nach dem Sinn und nach der Bedeutung des Wirtschaftens vom Gilgameschepos bis zur Finanzkrise“. Mit Fug und Recht darf Tomáš Sedlácek behaupten, er habe mit diesem Buch eine „Kulturgeschichte der Ökonomie“ für gebrannte Kinder geschrieben, die mit der Krise von heute nicht fertig werden. Und dass er das auch noch auf kreative, einfallsreiche und humorvolle Weise getan hat, macht sein Buch zu einer ernsten, bedenkenswerten und zugleich amüsanten Lektüre.

Die falsche Auffassung der Ökonomie als Grund für die Krise

„Einer guten Theorie hält die Wirklichkeit nicht stand“, hat uns Hegel gelehrt. Leider gilt sein Satz auch für schlechte Theorien. In ihnen erkennt Tomáš Sedlácek den eigentlichen Grund für unsere Misere. Unsere Wirtschaftsauffassung ist einfach falsch. Wir betrachten Wirtschaft nicht mehr als Teil unserer Kultur und Zivilisation, sondern glauben, wir könnten sie sich selbst überlassen, irgendeine mystische, geheimnisvolle „unsichtbare Hand“ sorge dafür, dass die Bäume des Eigennutzes in den Himmel des Gemeinwohls wachsen. Wir glauben, die Wirtschaft funktioniere wie ein Mechanismus, nach Regeln der Physik.

Wie bei der Konstruktion eines Automotors ethische Vorschriften nichts zu suchen haben, so verhielte es sich auch mit dem „Wirtschaftsmotor“, der, wenn richtig konstruiert, nach den Mechanismen des Marktes abläuft. Ethische Normen oder „Werte“, so die Auffassung der meisten Ökonomen von Adam Smith bis zu den „Austrians“ (Mises, Hayek etc.), könnten den reibungslosen Ablauf nur stören. Doch, so die These von Sedlacek, in jeder wirtschaftlichen Entscheidung, ob sie nun ein Manager trifft oder der Käufer einer Banane, ist Moral mit im Spiel. „In every purchase, every managerial decision there is moral impact on others”, schärfte er den „Leaders of Tomorrow” in St. Gallen (Schweiz) ein.

Was ist eigentlich ist „wertvoll“ oder „gut“?

Wie konnte es dazu kommen, fragt sich Tomáš Sedlácek, dass eine Wissenschaft, in der „Werte“ eine so große Rolle spielen, „Werte außen vor lässt“, wie man heute neudeutsch sagt? Es ist für ihn geradezu „paradox, dass ein Gebiet (Anm.: gemeint ist die Ökonomie als Wissenschaft), das sich vorwiegend mit Werten beschäftigt, wertfrei sein will“. Er kann Milton Friedman nicht verstehen, für den die Ökonomie eine „positive Wissenschaft“ zu sein hat, „wertneutral“, „die Welt so beschreiben(d) wie sie ist, nicht wie sie sein sollte“ (S. 18). „Im wirklichen Leben“, wendet Tomáš Sedlácek ein, „ist die Ökonomie keine positive Wissenschaft“, die meisten Wissenschafter versuchen sie nur dazu zu machen, um „lästigen Grundfragen – das heißt der Metaphysik – aus dem Wege zu gehen“ (S. 19).

Ein schwerer, doch treffender Vorwurf! Indem wir die Grundfragen nicht mehr stellen, wissen wir auch nicht, ob das, was wir tun, verlangen, veranlassen, eigentlich „gut“ oder „böse“ ist. Ist hohes Wachstum des BIP gut oder sollten wir uns bescheiden mit dem, was wir bereits haben und die ständige Unzufriedenheit aufgeben (vgl. . 400)? Sollen wir Konkurrenz anheizen oder runinöse und halsabschneiderische Konkurrenz dämpfen? Müssen wir über Monopole und hohe Preise, wie Friedrich August von Hayek es vertritt, sub specie aeternitatis froh sein, weil sie den verschwenderischen Umgang mit nichterneuerbaren Rohstoffen hintanhalten oder sollen wir die Rohstoffkonzerne zwingen, sie billig auf den Markt zu bringen, um unsere gegenwärtigen Lebenshaltungskosten zu Lasten der Versorgung künftiger Generationen zu senken? Dürfen wir (ethisch gesehen) alles machen, was wir (technisch) machen können, z.B. die Gene von Pflanzen manipulieren, Tiere oder gar Menschen klonen? Was ist eigentlich überhaupt der Zweck der Ökonomie? Wofür nehmen wir die ganzen Anstrengungen auf uns? Doch wohl nur, um ein gutes Leben zu führen. Doch was ist das, das „gute Leben“?

Die Ökonomie und das gute Leben

Die Antwort geben uns nicht Graphiken, Tabellen, ökonomische Kalküle von Nutzen und Aufwand oder mathematische Modelle, mit denen unsere Lehrbücher voll gestopft sind. Wir finden die Antworten viel eher in unseren Annahmen, Vor-Urteilen, Überzeugungen, Ideologien, Welt-Anschauungen, philosophischen Erkenntnissen und zuletzt sogar in unseren religiösen Überzeugungen. Wirtschaft ist nämlich, so die triviale, doch wahre Aussage von Tomáš Sedlácek, eine kulturelle Erscheinung, ein Produkt unserer Zivilisation.

Dem sollten Ökonomen Rechnung tragen, sie sollten die Grenzen ihres Fachs überschreiten, fordert er. Die Ökonomie kann nämlich nicht verstanden werden ohne „Einbettung“ in die Gesellschaft, also in ihre Gestaltung durch Religion, Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Ethik, Moral, Recht, Politik, Machtverhältnisse, staatliche Strukturen, bildungsmäßige Voraussetzungen der Bevölkerung, Arbeitsauffassung, demographische Entwicklung, Stand der Technik, Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen.

Der Mensch, ein unnatürliches Wesen

Das war schon immer so. Im Gilgamesch-Epos wird vor mehr als viertausend Jahren das beschrieben, was wir heute „Stadtwirtschaftspolitik“ nennen. Der Held des Epos, Gilgamesch, will das Leben in der Stadt Uruk für die Bewohner sicherer und angenehmer gestalten. Um sie gegen die Bedrohung von außen zu schützen, umgibt er sie mit einer Mauer und zieht so eine Grenze gegen die drohende, unheimliche, von Dämonen und bösen Geistern beherrschte Umgebung, den undurchdringlichen „Wald“. Gilgamensch scheut den Wald nicht, er holzt ihn ab und zeigt uns Späteren, dass „die Natur existiert, um den Städten und Menschen Rohstoffe und Produktionsmittel zu liefern“ (S. 40).

Hier werden wir Zeugen einer wichtigen geschichtlichen Veränderung: Die Menschen fühlen sich in einem unnatürlichen, künstlichen Konstrukt, in der von ihnen gebauten Stadt, wohl. Gilgamesch lehrte uns, uns als Geschöpfe zu begreifen, „für die es natürlich ist, unnatürlich zu sein“ (S. 342). „Die Natur ist nicht mehr der Garten, … in den er (der Mensch) gesetzt wurde, um den er sich kümmern und in dem er wohnen sollte, sondern nur noch ein Reservoir natürlicher Ressourcen“ (S. 41). Sie liefert Bauholz. Innerhalb der Stadtmauern können sich Reichtum und Wohlstand entwickeln, die Bewohner können sich spezialisieren, Handwerk und Handel blühen auf, durch Erziehung und Zivilisation wird der Mensch aus der Abhängigkeit von der Natur oder, wie Marx schrieb, „aus der Idiotie des Landlebens“ befreit, er gewinnt an „Menschsein“.

Doch das hat seinen Preis: Je mehr Zivilisation, desto abhängiger wird der Mensch von der Gesellschaft (vgl. S. 46). So wie Gilgamesch verhalten wir uns gegenüber der Natur: Wir beuten sie nur noch aus. Und das auf Kosten künftiger Generationen. In „Global 2000“ haben im Auftrage des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter tausende Experten eindrücklich beschrieben, wie wenig nachhaltig wir mit unseren Lebensgrundlagen umgehen.

Was uns die Juden lehren

Zu einem der interessantesten Kapitel des Buches gehört jenes über den Einfluss der Juden, welchen sie seit dem Alten Testament bis zum heutigen Tage auf unsere ökonomischen Auffassungen ausüben. „Die Juden“, so gleich der erste Satz des relevanten zweiten Kapitels, „haben bei der Entwicklung der heutigen europäisch-amerikanischen Kultur und ihrer Wirtschaftssysteme eine Schlüsselrolle gespielt – doch weder die führenden Fachbücher zu ökonomischen Ideen noch andere Wirtschaftstexte haben ihnen viel Platz eingeräumt“ (S. 65). Dabei „können wir den Einfluss des jüdischen Denkens auf das gegenwärtige Stadium der freien Marktwirtschaft gar nicht überbewerten“ (S. 121). Der Autor, so sei hier eingeschoben, verwendet die Bezeichnungen Jude, Hebräer oder Israeli synonym. Mit den führenden Köpfen, die wirtschaftsgeschichtliche Fragen diskutieren, ist er sich über die ausschlaggebende „Bedeutung des Beitrags des jüdischen Denkens und seiner Rolle bei der Entwicklung der modernen kapitalistischen Ökonomie“ einig. Die Juden sind es, die den Himmel auf die Erde holten: „Die hebräische Religion ist also stark mit dieser Welt verbunden, nicht mit irgendeiner abstrakten Welt“ (S. 67).

Die Juden bringen uns die Idee des Fortschritts, ihr Zeitverständnis ist linear, nicht, wie für Gilgamesch, zyklisch, Zeit hat für sie Anfang und Ende. Am Ende kommt der Messias, bringt allen Völkern das „gute Leben“, das Paradies auf Erden, Wohlstand und ewigen Frieden. Mit dem Kommunismus hat Marx diese religiöse Vorstellung in eine säkularisierte Form gebracht.

Reichtum ist keine Schande

Für Juden ist Reichtum keine Schande, ihre Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, die Begründer des Judaismus, waren alle reich. Reichtum, auch wenn er nur der Befriedigung durch und durch irdischer Bedürfnisse diente, betrachteten die Hebräer als Ausdruck der Gnade Gottes. Sich an äußeren Gütern zu erfreuen und leibliche Bedürfnisse zu befriedigen, ist für Juden keine Sünde, ist doch auch die materielle Welt von einem guten Gott erschaffen. Askese und Armut gehören nicht zu den von Juden gepflegten Tugenden.

„Die Religion des Alten Testaments agierte nicht als asketische Religion, sie untersagte irdische Freuden nicht. Ganz im Gegenteil“ (S. 97). Die Helden der Juden sind keine Heiligen, sondern eher „Trickster“ (S. 75) und manches Mal heroisch Leidende wie Ijob und Jesaja. Sie machten aus ihren Königen und Herrschern keine Götter, sondern wiesen ihnen ihre Fehlbarkeit nach und unterwarfen sie scharfer Kritik. Sie verließen sich lieber auf die Richter, die weniger Exekutivmacht hatten. Politik konnte hinterfragt werden, sie ist alles andere als unfehlbar.

Heute wird Politik und Politikern kaum noch Vertrauen entgegengebracht oder Kompetenz zugetraut. Und was die Ablehnung von Askese für den Konsum bedeutet, braucht hier nicht besonders hervorgehoben zu werden, haben wir doch die Konsum-Ankurbelei und das Güterwachstum zu einer säkularen Religion gemacht.

Wir sind in die Wachstumsfalle hineingetappt und glauben, Güterfülle bedeute mehr Glück und Zufriedenheit. Wir merken gar nicht, wie teuer sie oft erkauft ist. Manchmal nämlich durch Schulden, die uns zu Sklaven machen.

Nur noch Arbeitstier?

Nicht weniger bedeutsam ist die Einstellung zur Arbeit. Anders als bei den Griechen, ist für Juden Arbeit ursprünglich nicht mit Erniedrigung verbunden. Arbeit im Paradies sollte Adam Spaß machen, ihm war die ganze Schöpfung zur Pflege anvertraut, er „herrschte über die Fische des Meeres über die Vögel des Himmels, die Tiere, die sich auf dem Lande regen“, sie alle folgten ihm aufs „Wort“. Der Mensch sollte als Vollender der Schöpfung fungieren. Leider hat sich das mit dem Sündenfall geändert. Vertrieben aus dem Paradies, muss er nun „sein Brot im Schweiße seines Angesichts essen“. Arbeit wurde zum Fluch, der Mensch zum „Roboter“. Robotnik ist das slowakische Wort für „Arbeiter“.

Doch nach jüdischer Auffassung soll der Mensch nicht zum Arbeitstier werden, noch soll die Ökonomie die Gemeinschaft zerstören. Wie Gott bei seiner Schöpfungsarbeit, so sollte auch der Mensch am siebenten Tage ruhen, nachdenken und sich sammeln. Im siebenten Jahr sollte der Boden ausruhen und nicht bebaut werden. Alle sieben Jahre sollten auch die Hebräer, die durch hohe Schulden in die Sklaverei gefallen waren, von ihren Herren aus der Sklaverei und in die Freiheit entlassen werden. Alle sieben mal sieben, also nach 49 Jahren sollten alle Schulden erlassen werden und das Land an die ursprünglichen Stammesfamilien zurückgegeben werden.

Das Wachstum des BIP war also nicht das letzte Ziel aller wirtschaftlichen Aktivitäten, die „Sabattökonomie“ beschränkte es, sogar auf Grund strikter göttlicher Gebote. Gesetzliche Ruhetage, Bodenbrache, Forderungsverzicht, Restitution, ist das ökonomisch vernünftig? Sicher nicht. Ökonomen würden ja zwecks Optimierung am liebsten die Pausen in einer Sinfonie streichen, spottet Vaclav Havel im Vorwort, Pausen „ sind ja schließlich zu nichts gut, sie halten nur den Lauf der Dinge auf, und die Mitglieder des Orchesters können doch nicht dafür bezahlt werden, dass sie nicht spielen…“ (S. 10).

Glück lässt sich nicht messen

Für die Wirtschaftsauffassung der Griechen haben Poesie und Philosophie größte Bedeutung. Zur Arbeit sind wir Menschen nach Hesiod verdammt durch die Strafe, welche die Götter über den „krummgesinnten Prometheus“ verhängten, der ihnen das Feuer raubte. Tiere brauchen kein Feuer, wir brauchen es zum Leben. Manches Mal verbrennt es uns. So wie in Sodom und Gomorra, Hirsoshima, Nagasaki, Fukushima, Tschernobyl.

Pythagoras lehrte uns Zahlen („numbers“) zu schätzen, aber Zahlengläubigkeit kann man auch übertreiben. Das, worauf es im Leben ankommt, „Glück“, messen sie nicht. Was Glück ist, haben uns Sokrates, Platon und Aristoteles beizubringen versucht – nämlich ein fortwährendes Streben nach dem „Guten“ im persönlichen Leben wie in der Gesellschaft.

Sie räumten jeden Zweifel aus über das, was denn das Gute sei, nämlich das Göttergleiche, ewig Wahre, Schöne und Gerechte. Es sollte Menschsein und Ordnung im Staate bestimmen. Doch das Gute, so lehrten sie es uns, wird einem nicht geschenkt. Zu erreichen ist es nur durch große Anstrengung, Führung und Erziehung zur Tugend. Weisheit, Gerechtigkeitssinn, Klugheit, Tapferkeit, Maßhalten und die überschießenden Triebe zähmen, das gelte es zu entwickeln und dazu müsse auch der Staat, die ganze Politik und selbst die Wirtschaft in die Pflicht genommen werden.

Es gibt kein gutes Leben im falschen

Den Griechen war bewusst, dass der Mensch, dieses „zoon politicón“, dieses auf die „polis“, die Gemeinschaft oder Gesellschaft angewiesene „Tier“, den gut geführten Staat braucht, um ein gutes Leben führen zu können. Die Staatsführung sollte deshalb den „Weisen“ vorbehalten werden, denn „bevor nicht die Philosophen Könige werden oder die Könige Philosophen“, sei an ein Ende der ärgsten Übel im Staate nicht zu denken.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wo Demagogen herrschen – Platon nennt sie „Volksverführer“ – ist mit dem guten Leben Schluss. Bald zweieinhalb Jahrtausende nach Platon und Aristoteles findet Theodor Adorno für die Einsicht dieser beiden griechischen Meisterdenker in die Notwendigkeit einer rechtgestalteten und -geführten „Polis“ (= Stadt, Gesellschaft, Gemeinschaft, Staat) die prägnante Formulierung: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

Für manche Güter gibt es keinen Markt

Allergrößten Einfluss auf die Entwicklung der modernen Ökonomie hat das Christentum genommen. „Ohne das Christentum“, so die gewagte These von Tomáš Sedlácek, „wären die heutigen westlichen Demokratien mit ihrer freien Marktwirtschaft kaum denkbar“ (S. 170). Dem Christentum ist es gelungen, wesentliche Elemente des jüdischen und griechischen Denkens aufzunehmen, mit seinem Erlösungsglauben eine neue Dimension hinzuzufügen und so zur „Entwicklung der europäisch-amerikanischen Zivilisation“ (S. 170) wesentlich beizutragen.

Zumindest lehrte es uns, den weltlichen Dingen nicht Priorität zuzuerkennen, denn hier auf Erden haben wir keine ewige Heimstätte. Zum Unterschied zum Judentum wird Armut gepriesen. Für das Heil der Seele gibt es keinen Markt, was für uns von wirklichem Wert ist – Freundschaft, Liebe, Selbstzufriedenheit – kann man nicht kaufen. Reichtum öffnet keine Tür zum Himmelreich, der Reiche kommt nicht durchs Nadelöhr.

Gerechtigkeit ist in der Welt nicht zu haben

Neunzehn von dreißig Gleichnisreden Jesu schneiden ökonomische Fragen in einer Weise an, die Ökonomen vor den Kopf stößt. Die Arbeiter im Weinberg erhalten abseits jeder Form von Gerechtigkeit gleichen Lohn für ungleiche Leistungen. Die Verschwendung des Verlorenen Sohnes wird vom Vater dem Fleiß seines Bruders vorgezogen. Der barmherzige Samariter verzichtet auf Kompensation. Die wieder gefundene Drachme wird sogleich verfeiert. Die zwei Münzen, welche die arme Witwe in den Opferkasten wirft, sind mehr wert als die vielfach größere Spende des Wohlhabenden. Die überreiche Ernte einzulagern, wird als wenig sinnvoll bezeichnet. Sich um die Nahrung für den nächsten Tag zu sorgen, erscheint überflüssig, die Sperlinge, für die der Herr sorgt, tun es ja auch nicht (S. 180).

Von überragender Bedeutung ist die Streichung von Schulden. Der Betende bittet den Herrn um die Vergebung seiner Schuld und verspricht auch seinen Schuldigern zu vergeben. Die Schuldner werden von Christus „losgekauft“, und das sogar unter Opferung des eigenen Lebens. Heute halten wir das Versprechen der Schuldvergebung ein, indem wir unsoliden Staaten und Banken ihre Schulden erlassen und sie mit Unsummen loskaufen, die umso größer sind, je mehr sie versagt und je unökonomischer sie gehandelt haben.

Den Gestrauchelten aufzuhelfen, gehört zum Liebesgebot. Unsere ganze moderne Gesellschaft, so Tomáš Sedlácek, „kann ohne die ungerechte Vergebung von Schulden nicht funktionieren“ (S. 174). Marktwirtschaft und Wettbewerbsregeln werden in der Krise ohne Hemmung außer Kraft gesetzt.

Glück ist ein Geschenk

Das Schenken und die „Gnadengabe“ gehören zum Christentum wie das Amen zum Gebet. Die Erlösung ist kostenlos, wir können sie uns nicht „verdienen“, weder durch gute Werke noch Taten (S. 174f). Für Menschen, die sich nahe stehen oder in einer Gemeinschaft zusammenleben, spielt Geld und Bezahlung gar keine oder höchstens eine sehr untergeordnete Rolle.

„Freunde sind Menschen, die sich gegenseitig so viel schulden, dass sie vergessen wie viel“ (S. 178). Ihre Beziehung in Geld oder Preisen auszudrücken, gilt als „vulgär“. Der Vorwurf der „Profitgier“ wird als kränkend empfunden. Privateigentum ist kein absolutes Recht, „die Erde gehört allen gemeinsam“, die Ausübung von Besitzrechten steht unter dem Gemeinwohlvorbehalt (vgl. S. 193).

In den frühchristlichen Gemeinschaften „nannte keiner von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam“ (S195, unter Bezug auf Apostelgeschichte 2, 44 – 4, 35). Tomáš Sedlácek ist der Ansicht, dass die Kommunisten den Christen die Idee des Gemeineigentums verdanken, fügt allerdings hinzu, die Geschichte zeige, „dass die marxistische Vision vom Kommunismus keine funktionierende Alternative zum Kapitalismus bieten konnte“ (vgl. S. 195).

Den idealen Staat gibt es nicht

Mit der Verurteilung der irdischen Welt als „civitas diaboli“ durch Augustinus wurde uns für immer eingeprägt, dass es auf dieser Erde weder den idealen Staat geben, noch den Bürgern der „civitas terrena“ Gerechtigkeit zuteil werden kann. Das Böse kann nicht ausgerottet werden, Unkraut und Weizen gedeihen nur gemeinsam. Das „laissez faire, laissez passé, le monde va de lui même“ der Liberalen findet nach Tomáš Sedlácek hier einen seiner Ursprünge. Noch ältere hat er bei den Stoikern und Aristophanes entdeckt (vgl. S. 203).

Mehr Wirklichkeitssinn als von Augustinus erhielt das Christentum erst durch Thomas von Aquin (1225-1275) und die von ihm vorgenommene „Taufe“ des Aristoteles. Statt Weltverneinung erfolgt jetzt Weltbejahung. „Gott ist in allen Dingen“ (Summa theologica, I, 8, Art. 1), alles was Dasein hat, ob lebendig oder nicht, ob materiell oder geistig, ob vollkommen oder armselig, ja, ob gut oder böse, ist „heilig“ (S. 199), „denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut“ (S. 200).

Ontologisch gesehen, ist jedes Phänomen (Ding, Tatsache), wenn auch noch so unvollkommen und verzerrt, Ausdruck seines „Wesens“ (Noumenon), und dieses ist immer „gut“. „Es existiert kein Böses an (und für) sich“, es gibt kein Heil ohne Unheil, kein Licht ohne Dunkel, „selbst Satan, die Verkörperung des Bösen, spielt eine Doppelrolle: In seiner bösen Rolle hat er die Funktion zu etwas Gutem beizutragen“ (S. 204), er ist „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ (S. 205).

Kein Böses ohne das Gute: Gott pflügt mit dem Teufel

Hier wagt sich Tomáš Sedlácek außerordentlich weit vor. Die größten Gräueltaten wurden, wenn auch irrtümlich, in dem Bemühen begangen, irgendetwas Gutes zu bewirken (S. 202). „Selbst die großen Übel (wie der Holocaust und die Hexenverbrennungen) werden unter dem Vorwand (rhetorisch, aber auch aus Überzeugung vieler heraus) begangen, dass hinter diesem Bösen ein größeres Gutes steht (die Nazis führten an, das deutsche Volk brauche einen größeren Lebensraum, die Inquisitoren, sie würden die Welt durch ihr Handeln vom Bösen befreien).“ Die Einfügungen in Klammer finden sich im Original!

Diese Passage hat Tomáš Sedlácek den Vorwurf des Antisemitismus eingetragen, doch damit wird er wohl fertig werden. Seine zugespitzte Aussage entspricht nicht nur katholischer Lehre, sondern der Logik. „Es ist unmöglich, Böses zu tun, ohne dass es etwas Gutes gäbe, um dessentwillen man das Böse tut“ (S. 201, unter Berufung auf Thomas v. Aquin, Summa contra gentiles, III. Buch, Kapitel 4, 6-7).

Der Vernunft eine Gasse, doch ohne Vorfahrt

Durch Thomas von Aquin wurden Vernunft und Logik gegenüber dem Glauben ihr Recht eingeräumt. Eine Tat, die für die spätere, „wissenschaftlich“ geprägte Zivilisation und ihre Ökonomie ausschlaggebend wurde. Anders als für Martin Luther, für den die Vernunft „des Teufels Braut“ und eine „Metze“ ist (S. 209), besteht der Aquinate darauf, dass natürliche Vernunft und rechter Glaube sich niemals widersprechen können, denn Gott, der ja selbst Geist ist und sich im Logos der Schöpfung offenbart, täuscht weder sich noch uns. Auflehnung gegen die Vernunft ist gleichbedeutend mit der Auflehnung gegen Gott.

Der „Vernunft als Vertretung Gottes im Menschen“ kommt es zu, zu herrschen, nicht auf sie zu hören und entsprechend zu handeln ist für Thomas „Sünde“ (S. 210). Eine höhere Anerkennung kann der Vernunft nicht zuteil werden, sie ist Ausgangspunkt für den „Rationalismus“, der in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft bald triumphieren sollte. Durch übertriebene Rationalisierung wurden Großbetriebe, Verwaltungen und Büros für viele Arbeitnehmer zu frustrierenden, „stählernen Gehäusen der Hörigkeit“ (Max Weber), die ihnen die Lebensfreude nahmen und sie zu Eskapisten machten.

Der Mensch, das gesellige Wesen, braucht Ordnung und Führung

Besondere Beachtung verdient das Hohelied der Gemeinschaft, mit dem Tomáš Sedlácek, gestützt auf Thomas von Aquin, jede individualistische Gesellschaftsauffassung, wie sie heute in liberalen Kreisen gang und gäbe ist, in die Schranken weist. „Es ist aber die natürliche Bestimmung des Menschen, das für gemeinschaftliches und staatliches Leben erschaffene Geschöpf zu sein, das gesellig lebt“, weil es anders seinen Zweck nicht erreicht und auch nicht an den Kulturgütern teilnehmen kann, welche die Gesellschaft ihm bietet. „Wenn er (der Mensch) jedoch in einer Gesellschaft lebt und deren Vorteile nutzen will, muss er Teil der Ordnung sein, die es der Gesellschaft ermöglicht, ein gemeinsames Ziel anzustreben“ (S. 212). Als Teil der Ordnung muss er sich der Führung der Gesellschaft, die auf das gemeinsame Wohl Bedacht nimmt, unterordnen, denn „wo kein Regent ist, zerstreut sich das Volk“ (S. 209, unter Berufung auf Buch der Sprüche 11, 14).

Die Gesellschaft braucht also einen „Steuermann, der am Ruder steht“ (S. 209). Wenn jeder nur auf das bedacht ist, was ihm nützt, würde die Gesellschaft auseinander geraten, „falls nicht eben jemand da wäre, der für das Sorge trägt, was das Wohl der Gesellschaft betrifft“ (S. 209).

Was bleibt außer dem Zweifel?

Die auf die lutherische Verneinung der Autorität von Vernunft und Kirche folgenden politischen Wirren, der dreißigjährige Glaubenskrieg (1618-1648), ließen Zweifel an allem aufkommen, was bis dahin durch Offenbarung, Dogma, Sitte, Recht, Brauchtum oder breiten Konsens als gesicherte Wahrheit galt. Diesen Zweifel griff einer der schärfsten Denker jener Zeit auf, René Descartes (1596 – 1650).

Er ließ nur eine einzige Gewissheit zu, dass er – wie auch jeder andere Mensch – es nämlich selbst ist, der da zweifelte und nach Erkenntnis des Wahren ringt: Cogito ergo sum.

Das „Ich“ oder „Subjekt“, ausgesetzt einer Vielfalt von äußeren Eindrücken, Erfahrungen und Einflüssen unterschiedlichster Art und Stärke, wie konnte es da zu einer allen gemeinsamen und von allen anerkannten Wahrheit gelangen, einem Wissen, dass jedem zugänglich sein sollte? Mit der Stellung dieser Frage leitete Descartes das bis heute andauernde „wissenschaftliche Zeitalter“ ein. Ab nun setzte sich wissenschaftliches Denken zum Ziel, „eine Methode zur Untersuchung der Welt durchzudrücken, die keinen Zweifel zuließ und frei von jeder subjektiven, disputablen Dimension war“ (S. 215).

Das war nur möglich durch Beschränkung auf die „körperlichen“ Teile der Welt, die mit den Sinnen erfasst, gezählt, gemessen und gewogen, deren Bewegungen im Raum beobachtet und zueinander in Beziehung gesetzt werden konnten. Wissenschaft war von nun an nur das, was beobachtet und durch Experiment bewiesen werden konnte. „Unsichtbaren Dingen“, von denen im Credo die Rede ist, oder „Werte“, die auf subjektiven Empfindungen und Urteilen beruhen, waren von da an keine Gegenstände der „science“ mehr.

Die Gegenstände oder „Objekte“ der Wissenschaft, die physischen Körper, zerlegte die Atomistik in ihre kleinsten Teile, die Mechanistik erfasste ihr Zusammenwirken, die aufgefundenen Regelmäßigkeiten wurden als Naturgesetze formuliert und ausgedrückt in einer kulturunabhängigen, allen gemeinsamen Sprache: der Mathematik.

Das ökonomische Kalkül

Tomáš Sedlácek sieht in dieser kartesianischen Beschränkung und Methode „den großen Durchbruch, besonders für Ökonomen“. Der kleinste Teil der Wirtschaft ist das Individuum, das nicht mehr teilbare „Atom“ der Gesellschaft, das so gut es nur kann, seinen „Nutzen“ sucht, mithin der berühmte „homo oeconomicus“. Seine hedonistische (A-)Moral stammt von Epikur. Seine mathematische und mechanistische Seite verdankt er Descartes. Der homo oeconomicus „ist ein mechanisches Konstrukt, das gemäß unfehlbaren mathematischen Prinzipien und durch reine Mechanik funktioniert“ (S. 218).

Das Individuum, „der Mensch wird nicht im Kontext der Gesellschaft definiert“ (S. 226), er wird reduziert „auf ein mechanisch-mathematisches Kalkül“, auf „eine mathematische Gleichung: kalt, distanziert, für alle gleich, historisch und räumlich konstant“ (S. 226). Für eine Rechenmaschine ist es gleich, ob sie in China oder in der Schweiz ihre ökonomischen Kalküle von Nutzen und Aufwand, Ertrag und Kosten, Lust und Unlust, ausführt. „Das einheitliche, fundamentale und alles erklärende Prinzip, zu dem die Ökonomie bei nahezu jeder Gelegenheit neigt, ist verständlicherweise das Selbstinteresse“ (S. 219), der Egoismus, die Selbstsucht.

In allem sein Selbstinteresse zu verfolgen, gehört seit Descartes zum Prinzip der Wirtschaftstheorie des Mainstreams. Die herkömmliche Theorie besteht darauf, keine ethische Wissenschaft zu sein und daher zwischen Gut und Böse nicht zu unterscheiden. Moralische „Werturteile“ verbannt sie in die subjektive Sphäre.

Die Verwandlung von Amoral in Moral

Der Zynismus dieses Systems findet eine kaum überbietbare Darstellung in der berühmten „Bienenfabel“ des Bernhard von Mandeville, durch welche private Unmoral und Laster („private vices“) als Beitrag zum Gemeinwohl („public benefits“) gefeiert werden. Als sie 1723 in zweiter Auflage erschien, rief sie eine riesige Kontroverse hervor, denn alle Gutmenschen und Moralprediger der damaligen Zeit sahen sich der Heuchelei angeprangert und überführt.

„Mandeville begründete die Auffassung, dass der materielle Wohlstand umso größer ist, je mehr Laster es gibt. Das ursprünglich universelle Konzept des Zusammenhangs zwischen Ethik und Ökonomie, dem wir schon im Alten Testament begegnen, wird auf den Kopf gestellt“ (S. 230). Er „war derjenige, der das Konzept in das westliche Mainstream-Denken einführte, dass moralische Laster des Einzelnen dem Ganzen wirtschaftlichen Wohlstand bringen können“ (S. 231).

Er, „nicht Smith, muss als erster moderner Ökonom gelten“ (S. 231). Seine These: „Es gibt keinen Handel ohne Betrug, keine Obrigkeit ohne Bestechung und Korruption“ (S. 232). Sie sind Bedingung für eine florierende Gesellschaft. Wenn der Luxus zusammen mit den oberen, lasterhaften Gesellschaftsschichten schwindet, haben die „kleinen Leute – Bauern, Diener und Dienstmädchen, Schuhmacher und Schneider – unter der gesunkenen Nachfrage zu leiden“ (S. 233).

„Stolz, Luxus und Betrügerei
Muss sein, damit das Volk gedeih …
Mit Tugend bloß kommt man nicht weit;
Wer wünscht, dass eine goldene Zeit
Zurückkehrt, sollte nicht vergessen:
Man musste damals Eicheln essen“.

Mit der Pflege der Kardinaltugenden wird kein Suppentopf gefüllt und kein Rock genäht (vgl. S. 235). Auf welches Wirtschaftssystem haben wir uns da eigentlich eingelassen? Wagen wir es, diese Frage überhaupt noch zu stellen?

Durch die unsichtbare Hand wird aus Gier Fortschritt

Die Wandlung oder Transsubstantiation von Selbstinteresse in Gesamtinteresse, Eigennutz in Gemeinnutz, Eigenwohl in Gemeinwohl geschieht, so unser neuer Glaube, durch eine mystische, geheimnisvolle, „unsichtbare Hand“ („invisible Hand“), deren wunderbares Wirken Mandeville einige Jahre vor Adam Smith wiederentdeckt hat. Und auch dem Markt ordnet er hohe Bedeutung zu. „Nach Ansicht von Mandeville sind die Märkte nicht nur Koordinatoren der menschlichen Interaktionen, sondern (sie) können auch persönliche Laster in öffentliche Vorteile verwandeln“ (S. 239).

Selbst Gier, dargebracht auf dem Altar des Marktes, wird zum „Heilsgut“ oder „Sakrament“: Gier ist „notwendige Bedingung für den Fortschritt einer Gesellschaft“ (S. 238).

„Mandeville war eindeutig ein Befürworter des hedonistischen Programms“. Ja „er ging sogar noch weiter als die Hedonisten: Unsere Nachfrage muss immer weiter wachsen, denn das ist … der einzige Weg zum Fortschritt. In dieser Hinsicht ist die moderne Ökonomie aus seinem Denken erwachsen“ (S. 238). Nie mehr sollten wir zufrieden sein mit dem, was wir haben, denn das würde Stillstand bedeuten. Der „Bliss Point“ (Sättigungspunkt) wird umso schneller höher geschraubt, je mehr wir uns ihm nähern. Massen arbeiten in Jobs, „die sie hassen, nur damit sie kaufen können, was sie gar nicht wirklich brauchen“ (S. 299).

Ist Ziel der Wirtschaft mehr Wirtschaft? Wie kann mehr Wirtschaft ökonomisch sein? Hängt Ökonomie nicht mit dem richtigen Haushalten zusammen, dem Kräftesparen, dem „Optimieren“? „Wenn die Ökonomie ihr Ziel verliert, bleibt uns nur noch eines – ein Wachstum, das nichts kennt als sich selbst, da es kein Ziel als Maßstab hat“ (S. 301). Ist Ziellosigkeit unser Ziel? „Die ganze Produktion scheint eine Leere zu füllen, die sie selbst erzeugt“ (S. 303).

Der schizophrene Adam Smith

Joseph Schumpeter, der in seinem Leben der größte Don Juan, der größte Herrenreiter und der größte Nationalökonom werden wollte (und bedauerte, die beiden ersten Ziele nicht erreicht zu haben), hatte für einen Hagestolz wie Adam Smith, der nie mit einer anderen Frau als seiner Mutter verkehrte, und die Schönheiten und Leidenschaften des Lebens nur aus Literatur kannte, nichts übrig. Er sprach ihm auch als Nationalökonom jede Originalität ab, „denn keine einzige analytische Idee oder Methode und kein analytisches Prinzip“ hätte er neu hervorgebracht (S. 263). Er war sich darin mit Friedrich August von Hayek einig, der sich weigerte, in Adam Smith einen großen Ökonomen zu sehen (ebenda).

Der Historiker Norman Davis hält den kauzigen Schotten gar für einen „chaotischen Mann“, der in Edinburgh zu wiederholten Malen halb nackt auf den Straßen herumlief und schwadronierte, mit seltsam affektierter Stimme und wie in Trance hitzig mit sich selbst debattierend, bei seiner Mutter wohnte und nie eine Chance hatte, eine Frau zu finden (vgl. S. 243). Tomáš Sedlácek – und mit dieser Ansicht ist er keineswegs allein – hält ihn gar für schizophren (vgl. S. 253). Lehnt Smith doch in seinem Buch über die Theory of Moral Sentiments Selbstsucht und Eigeninteresse als verwerflich ab, während er sie in den Wealth of Nations als „die einzige, offenbar ausreichende Verbindung zwischen den Menschen“ ansieht und zur Notwendigkeit von Sympathie, gegenseitigem Wohlwollen und moralischen Gefühlen als Kitt der Gesellschaft „kein einziges Wort sagt“ (S. 252). 

Für Sedlácek kann Smith als Moralphilosoph gelten, „nicht als Ökonom“. Zum „Vater der klassischen Nationalökonomie“ wurde Smith nur bei Freunden der kartesianischen Engführung dieser Wissenschaft, welche bis heute in der Nutzenmaximierung des Egoisten ihr einigendes und einziges Prinzip sehen.

Die Entleerung des Nutzenbegriffs macht die meisten Lehrbücher zur Makulatur

Diesen Freunden wirft Tomáš Sedlácek vor, den Nutzenbegriff derart von allem Inhalt entleert zu haben, dass er jede Bedeutung verlor. Johan Hus maximiert seinen Nutzen, indem er lieber die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen in Kauf nimmt, als seine „ketzerischen“ Überzeugungen zu widerrufen. Ob die Tschechen je diese Tragödie als Verletzung ihres Nationalstolzes überwunden haben und was sie für ihren Sonderweg durch die europäische Geschichte auch wirtschaftlich bedeutete, interessiert Nationalökonomen nicht. Für sie hat Johan Hus seinen Nutzen genauso selbstsüchtig maximiert wie Judas, der seinem Herrn untreu wurde und ihn um 30 Silberlinge verriet.

Den Trick, Selbstsucht moralisch als Laster zu verurteilen und sie in das eher salonfähige, neutralere und weniger anstößige Eigeninteresse „umzutaufen“ (vgl. S. 251), gelang bereits Adam Smith, dem „Moralphilosophen“. Seine Moralphilosophie, so sei nebenbei bemerkt, basierte er im Übrigen, ganz ähnlich wie sein Freund David Hume, auf „Gefühlen“ („sentiments“), ohne zu erkennen, dass irrationale Gefühle niemals imstande sind, eine verbindende und verbindliche Form von Gesellschaftsethik hervorzubringen.

Für Thomas Hobbes war dieses Unvermögen der Grund, nach dem Leviathan zu rufen, der festlegt, was als Gut oder als Böses gilt und der das mit dem Monopol auf Gewalt im Staat auch durchsetzt: auctoritas facit legem.

Gary S. Becker bekam 1992 seinen Nobelpreis für die absurde These, dass alle menschlichen Entscheidungen, seien es wichtige wie die Ehe, oder auch nebensächliche wie der Kauf einer Kinokarte, durch den ökonomischen Ansatz abgedeckt werden. Wie alle Ökonomen des Mainstreams brachte er damit die Ansicht zum Ausdruck, „dass jeder – ganz egal was er macht – seinen Nutzen maximiert“ (S. 279).

Doch was bedeutet das Wort „Nutzen“? „In der Flut der ganzen mathematischen Definitionen haben unsere >strengen< Lehrbücher aber leider vergessen, zu definieren, was der Begriff >Nutzen< eigentlich bedeutet“.

Das geschah ganz mit Absicht, denn wenn ihre Verfasser „eine Definition des Nutzens liefern würden, würden die Studenten schnell das Interesse an ihren Büchern verlieren“ (S. 280). Sie wären bloß noch Makulatur. Die Jahre, die sie Studenten zwingen, sich mit tausenden von Optimierungsrechnungen zu befassen, täuschen darüber hinweg, dass ihr Erkenntnisgewinn auf tautologischen Leerformeln beruht, nach dem Muster „TautoUtlity, MaxU“ (S. 279).

Ob der Homo oeconomicus untätig herumsitzt, mit seinen Kindern plaudert, schläft oder arbeitet, er kann gar nicht anders, als in allem, was er macht, seinen Nutzen zu maximieren. Damit tappen die Ökonomen in die poppersche Falle der Unüberprüfbarkeit ihrer Modelle: Wenn es für den homo oeconomicus ausgeschlossen ist, seinen Nutzen nicht zu maximieren, sind Theorie und Modelle, die sein Verhalten erklären wollen, „de facto sinnlos“ (S. 283), sie können nicht „falsifiziert“ werden.

Heute macht sich sogar der Nobelpreisträger Paul A. Samuelson – nach Sedlácek der „orchestrator of the orchestration“ des uniformen Mainstream-Denkens ganzer Generationen von Studenten aller Kontinente – über den tautologischen Inhalt des „Gesetzes von Angebot und Nachfrage“ lustig: Warum ist der Preis von Schweinefleisch so hoch? Weil der Preis für Futtermais so hoch ist. Und warum ist Preis für Futtermais so hoch? Weil der Preis von Schweinefleisch so hoch ist!

Ökonomie ist keine wertfreie und empirische, sondern eine normative Sozialwissenschaft

„Blasphemische Gedanken“ überschreibt Tomáš Sedlácek den zweiten und letzten Teil seines Buches. Blasphemisch sind die geäußerten Gedanken, weil sie allen wesentlichen Annahmen und Methoden der herkömmlichen Wirtschaftstheorie und ihren prominentesten Vertretern widersprechen. Wir fassen hier seine wichtigsten Aussagen zusammen.

Für Tomáš Sedlácek ist die Ökonomie keine empirische Wissenschaft. Es gibt in ihr keine „Gesetzmäßigkeiten“, die sich aus Erfahrungen, Beobachtungen oder Zeitreihen ableiten ließen. Mit ökonometrischen Methoden lassen sich keine Kausalverhältnisse feststellen, z. B. lässt sich die Inflation nicht immer durch die Geldmenge erklären. „Die Benutzung ökonometrischer Modelle für die Projektion der wahrscheinlichen Ergebnisse verschiedener politischer Entscheidungen … gilt weithin als nicht zu rechtfertigen oder sogar als Hauptursache der Probleme, die in letzter Zeit aufgetreten sind“ (S. 366, unter Berufung auf Jeffrey Sachs, Christopher Sims und Stephen Goldfeld: Policy Analysis with Econometric Models, Cambridge 1997, S 107).

 „Mathematik ist eine reine Tautologie.“ (S. 363). „Numerische Einheiten … tragen ihre Existenz in sich, beziehen sich auf nichts, verweisen auf nichts, repräsentieren nichts, stehen für nichts, zeigen nichts an und bedeuten nichts außer sich selbst“ (S. 361). Mathematik hat zur äußeren Welt von sich aus keine Verbindung, die entsteht erst in unserem Kopf. Mathematik benutzen wir als Sprache zur sehr eingeschränkten Beschreibung der Welt.

Wir können die Sonne als Kreis beschreiben, doch sie ist für uns weit mehr. So ist es auch mit mathematischen Modellen. Sie bilden die Realität, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt ab. Ihre Ergebnisse sind nur logische Ableitungen aus getroffenen Annahmen. Ändern sich die Annahmen – und die ändern sich im Zeitverlauf immer – dann auch die Ergebnisse. Mathematische Modelle eignen sich daher auch nicht für Prognosen. Kein mathematisches Modell konnte vor dem Zusammenbruch von Märkten schützen (S. 356).

Die Ökonomie ist keine wertfreie, positivistische Wissenschaft. Sie trifft Aussagen über das, was „ist“ (Analyse), was sein „soll“ (angestrebter Zustand, Ziel) und über die Wege (Maßnahmen, Politik), wie das „Soll“ erreicht werden kann. Urteile über „wirtschaftlich“ und „unwirtschaftlich“, „produktiv“ oder „unproduktiv“, „effizient“ oder „ineffizient““, „exzellent“ oder „dürftig“, „gut oder böse/schlecht“, sind grundsätzlich normativ oder „value loaded“ (Nobelpreisträger Gunnar Myrdal), sie orientieren sich an „Vollkommenheitszuständen“.

Der kartesianische Ansatz der herkömmlichen Ökonomie ist nicht zu halten. Das isolierte, an allem zweifelnde „Ich“ existiert nicht. Die individualistische Gesellschaftsauffassung, derzufolge die Gesellschaft nur eine Summe von Individuen ist, entspricht nicht der Realität.

Der Mensch ist von seiner Natur her ein Gemeinschaftswesen, er wurde „geschaffen als Mann und Frau“ (Genesis 1, 27), er existiert nur als „geselliges Wesen“, als animal culturalis et socialis. Er ist kein „Individuum“, sondern „Person“, in welcher der Geist der Gemeinschaft „tönt“, durchklingt und Ausdruck findet.

Die einzelne Person handelt daher immer nur als „Gemeinschaftswesen“, als „Organ“ einer Gemeinschaft, in deren Auftrag und für diese. Auch das Individuum, der einzelne Mensch, ist kein Homo oeconomicus, der selbstsüchtig seinen Nutzen abwägt, sondern er ist eine Person, die ihre Aufgaben und Pflichten gegenüber der Gemeinschaft mehr oder minder gut erfüllt und dafür von dieser entsprechend geachtet und gesellschaftsüblich (z.B. Beamtengehaltsschema, Kollektivvertrag, im Familienverband häufig auch nichtmonetär!) belohnt wird.

Wie die einzelne Person, so steht auch die ganze Wirtschaft im Dienst des Gemeinwohls, des Bonum commune. Wirtschaftlich primär ist darum nicht das Wohl des Einzelnen, sondern des „Ganzen“. Das „Ganze“, die Gemeinschaft, hat den Vorrang vor den Teilen, den „Angehörigen“, den „Mitgliedern“. Ihre Aktivitäten und Besitztümer stehen unter Gemeinwohlvorbehalt. Den Nachweis für diesen Vorrang bringt Tomáš Sedlácek im kulturgeschichtlichen Teil seines Buches (Gilgamesch, Judentum, Griechentum, Christentum).

In den Bereich der Wirtschaft fällt die Bereitstellung der äußeren Mittel, welche für die Erreichung der von der Gemeinschaft oder „Gesellschaft“ vorgegebenen Ziele notwendig sind. Obwohl betroffen, entscheidet über diese Ziele nicht das einzelne Individuum, es nimmt höchstens Teil an diesen Entscheidungen und beeinflusst sie als mitbestimmendes Glied der Gemeinschaft.

Alle wesentlichen, wirtschaftlich relevanten Entscheidungen werden nicht nach Nutzenkalkülen getroffen, sondern „politisch“ nach den Zielen oder Bedürfnissen der jeweiligen Gemeinschaft (der Nutzen von „to put a man on the moon“ ist keine Rechengröße!). Entschieden wird von den Repräsentanten der Gemeinschaft darüber, welcher Aufwand oder welche Kosten vertretbar erscheinen, und welche nicht. Politische Entscheidungen werden gefällt im politischen „Prozess“. „Die“ Wirtschaft kann in diesem Prozess nur ihren Sachverstand einbringen, der sich auf die Bereitstellung der Mittel bezieht.

Mit Paul Feyerabend warnt Tomáš Sedlácek vor den „Irrwegen der Vernunft“. Der Versuch, die Realität an falsche Denkansätze und Modelle anzupassen und zu vergewaltigen, ist nicht nur für die Wirtschaft von Nachteil, er kann ganze Kulturen und Völker „abschaffen“. Beide fordern auf, die Spanischen Stiefel auszuziehen, die uns an Grenzüberschreitungen hemmen und wieder mehr auf unsere innere Stimme zu hören, welche neue Wege weist: „Farewell to reason“, „anything goes.“ (vgl. S. 396).

Ein Plädoyer für „wildes Denken“

Mainstream-Ökonomen werden sich damit abfinden müssen, dass sie von Fachkollegen herausgefordert werden, welche mit Tolkiens „Herr der Ringe“ oder dem Film „Matrix“ die Ökonomie neu interpretieren.

Solche Fachkollegen warnen vor einem Volk wie die „Orks“, dessen Angehörige wie verrückt daran arbeiten, das Bruttoinlandsprodukt zu steigern und dunklen Mächten als willige Vollstrecker dienen. Die Vertreter dieser neuen Generation von Fachkollegen halten es lieber mit den Elben, jenen Zauberwesen, die in ihren Träumen, Geschichten und Mythen leben und vieles, was sie an Wertvollem besitzen, aus der Vergangenheit schöpfen. Sie schätzen immaterielle Güter höher als materielle und wissen, dass geistiges Kapital der wichtigste Produktionsfaktor ist, um, wie Tomáš Sedlácek meint, „alles nach oben zu ziehen“.

Er und seine Freunde sympathisieren mit den „Auserwählten“ im Film, die Widerstand gegen die „Matrix“ leisten, die die Menschen durch eine hochkomplexe Computersimulation in einer virtuellen Welt gefangen hält, welche Realität suggeriert und von den Gefangenen als „Energielieferanten“ auch noch erhalten wird. Sie loben den Hacker „Neo“ – heute Assange, Manning, Snowden – der das System knacken will, jedoch verfolgt und vom Agenten des Systems, (Adam?) Smith, erschossen wird. Im Film wird der Tote durch den Kuss seiner Komplizin und Freundin „Trinity“ wieder auferweckt. Er fängt dann an, ein paar Menschen aus der „Matrix“ zu befreien, um dann bald nach Art des Superman in den Lüften zu entschwinden. Die biblische Geschichte wird so den Kindern von heute nahe gebracht, freut sich Tomáš Sedlácek, und auch darüber, dass die Zahl seiner Hörer in der Welt von Tag zu Tag wächst.

Vielleicht hängt mit dem Durchbruch, den er durch sein Buch erzielt hat, zusammen, dass nun auch „The Other Austrians“ (T. Ehs, 2011), sehr zum Missfallen der Linken und Liberalen, neues Interesse erwecken. Diese „anderen Österreicher“ – schon 1953 hat F. A. Graf von Westphalen für die Kongressbibliothek der USA einige von ihnen gewürdigt – haben nie aufgehört, eine „ganzheitliche“ oder christlich-naturrechtliche Nationalökonomie zu vertreten, welche größten Wert auf die „Einbettung“ von Mikro- und Markroökonomie in Kultur, Politik und Soziales gelegt hat.

Erinnert sei hier nur an Johannes Messner, Anton Orel, Leopold Kohr, Ferdinand Graf von Degenfeld-Schonburg, Othmar Spann, Walter Heinrich, Wilhelm Andreae, Ferdinand A. Graf von Westphalen, Anton Tautscher, Fritz Ottel, Erich Hruschka, Erich Loitlsberger, Joseph Kolbinger, Michael Hofmann, Hans Bach, J. H. Pichler, Anton Schöpf, Adolf H. Malinsky, Geiserich E. Tichy, Ernest Kulhavy, Walter Sertl u. v. a.

Obwohl nach 1945 zu einer „unerwünschten Forschungsrichtung“ zählend, haben sie sich nicht davon abhalten lassen, sich vielfach mit äußerster Schärfe gegen die individualistisch-liberale Gesellschaftsauffassung, die naturwissenschaftlichen Methoden in den Sozialwissenschaften und die neoklassischen Theoreme zu wenden. Im Unterschied zu Tomáš Sedlácek, haben sie ihr eigenes „wildes Denken“, mit dem sie zahlreiche Durchbrüche schafften, durch Ringen um System in geordnete Bahnen gezwungen. Ihre unzähligen Schüler danken es ihnen noch heute.

Tomáš Sedlácek: Die Ökonomie von Gut und Böse, Carl Hanser, München 2012, 447 Seiten. (Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ingrid Proß-Gill), ISBN 978-3-446-42823-2, Euro 24,90

Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er verfasste u.a. „Wirtschaft der Mitte“ (Salzburg), „Die Theorie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ (Berlin), „Die ideologischen Elemente der neoklassischen Theorie – eine Auseinandersetzung mit Paul A. Samuelson“ (Berlin), „Vier Traktate über das Wesen des Konservativismus“ (Wien), „Die Rechte der Nation“ (Graz), „Der Sinn der Geschichte“ (Kiel).

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Die Todsünden des klassischen Liberalismus drucken

Friedrich August von Hayek verdanken wir die folgende Einsicht: „Der echte Liberalismus zeichnet sich dadurch aus, dass er die nicht auf politischem Zwang beruhenden Konventionen des gesellschaftlichen Zusammenlebens als wesentliche Faktoren für die Erhaltung einer sozialen Ordnung betrachtet.“ Der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 1974 stellt das im Gegensatzpaar von Kosmos und Taxis in seinem Opus Magnum „Die Verfassung der Freiheit“ dar.

Kosmos bezeichnet das, was er eine „spontane Ordnung“ nennt – eine, wenn man so will, „informelle“ Ordnung, die nicht in Gesetzesform gegossen sein muss, die aber jedenfalls nicht oktroyiert wird. Beispiel: die Sprache. Der Begriff Taxis dagegen bezeichnet die (staatliche) Sphäre von Befehl und Gehorsam. In der Sicherung der Rechte des Bürgers mittels einer strikten Beschränkung (der staatlichen) Macht, erblickten die Vertreter des klassischen Liberalismus den Schlüssel zur Bewahrung der Freiheit.

Hans-Hermann Hoppe, einer der prominentesten lebenden Vertreter der „Austrian School“ und radikaler Staatskritiker, sieht den ersten fundamentalen Fehler des klassischen Liberalismus darin, dass er sich – anstatt konsequent Freiheit und Eigentum der Bürger zu schützen – auf die Seite des Staates stellt, der gewaltsam in deren Eigentum eindringt, indem er – ohne Zustimmung der Betroffenen – von ihm festgelegte Zwangsabgaben (Steuern) erhebt. Denn der Staat „… eine durch zwei typische Charakteristika geprägte Agentur: den Anspruch, innerhalb eines begrenzten Territoriums monopolistischer „Rechtsetzer und Letztentscheider“ zu sein; und dem Recht, Zwangsabgaben einzuheben,“ schafft das ihm genehme Gesetz, anstatt Recht zu suchen und zu finden – ein fundamentaler Widerspruch zur klassisch-liberalen Forderung nach der Rule of Law.

Stefan Blankertz kommt in seinem 1997 erschienen Aufsatz „Wie liberal kann ein Staat sein?" zu folgendem Befund: „Missachtung des Eigentumsrechts führt zu einer nicht freiwilligen Interaktion. Diese ist die Struktur der Herrschaft. Prinzipiell kann von jedem Menschen Herrschaft ausgeübt werden. Die Wegnahme oder Zerstörung von Eigentum (eingeschlossen das Eigentum der Selbstbestimmung) ist kriminell, nicht weil es gegen ein Gesetz, sondern weil es gegen das Recht verstößt. Kriminell verhält sich jeder Mensch, der mit Gewalt in die Entscheidungen anderer Individuen interveniert.“ Er liefert damit eine einleuchtende Begründung für das libertäre „Nichtaggressionsaxiom“.

In keiner sozialen Gruppe würde einem Einzelnen je das Recht zugestanden, auch in Streitfällen, in die er selbst involviert ist, als Schiedsrichter zu fungieren. Der Staat jedoch nimmt sich dieses Recht unwidersprochen heraus. Im Fall einer Auseinandersetzung eines Bürgers mit dem Staat entscheidet immer der Staat in letzter Instanz. Der Staat als parteilicher, enteignender Eigentumsschützer – ein offensichtlicher Widerspruch!

Einen zweiten Kardinalfehler des klassischen Liberalismus sieht Hoppe in dessen völlig unkritischer Parteinahme für die Demokratie. Der historische Grund dafür liegt auf der Hand: Die Privilegien des Königs sollten verschwinden. Allerdings wurden im antimonarchistischen Überschwang die persönlichen Privilegien des Monarchen durch funktionelle Privilegien der demokratischen Funktionsträger ersetzt. Dieser Gedanke wird von Bertrand de Jouvenel in seinem Buch „On Power“ bereits Ende der 1940-er Jahre elaboriert ausgeführt. Die Grundannahme, dass Liberalismus und Demokratie natürliche Verbündete wären, ist ein sich hartnäckig haltender Mythos, der durch die Fakten längst widerlegt ist. Totalitärer als die zunehmend alle Lebensbereiche regulierende Demokratie hat kein absoluter Monarch jemals agiert. Den Bürgern sogar vorzuschreiben, auf welche Weise sie ihr Stiegenhaus zu beleuchten haben, oder was und wo sie rauchen oder trinken dürfen, ist selbst den übelsten autokratisch regierenden Tyrannen niemals in den Sinn gekommen.

Während ein Monarch sein Land als Privateigentum betrachtet und „nachhaltig“ bewirtschaftet – schließlich hat er ein dynastisches Interesse an dessen Werterhaltung – folgt das Denken demokratisch gewählter Funktionäre gänzlich anderen Erwägungen. Der demokratische Politiker ist nämlich dem angestellten Unternehmensmanager vergleichbar, nicht aber dem einen Betrieb führenden Eigentümer! Er hat folglich größtes Interesse daran, innerhalb der kurzen, ihm zugestandenen Funktionsperiode das Maximum an Ertrag herauszuholen, zu dessen Gunsten er langfristige Ziele vernachlässigt. Er denkt eben nur in Vier- oder Fünfjahreszyklen.

Die von Karl Popper (in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“) formulierte Überlegung, dass Demokratien die Möglichkeit bieten, schlechte Funktionäre abzuwählen und durch bessere zu ersetzen, ist durch die Realität nicht zu belegen. Der Grund liegt in den völlig unterschiedlichen Funktionsweisen der Sphären von Markt und Politik. Zum Verständnis dieses Umstandes lesenswert ist das 1914 erschienene Buch „Der Staat“ von Franz Oppenheimer. Er definiert darin zwei Arten, Einkommen zu erwerben: Erstens das wirtschaftliche Mittel, also den freien Austausch von Waren oder Dienstleistung gegen Geld – ein Verfahren, bei dem beide Seiten gewinnen. Zweitens das politische Mittel – die gewaltsame Enteignung der einen Seite durch die andere – ohne, dass den Enteigneten dafür ein Anspruch auf eine konkrete Leistung erwächst. Während aber den wirtschaftlichen Wettbewerb stets die Besten gewinnen – zum Wohl des Konsumenten – siegen im politischen immer die Übelsten: Diejenigen, die am besten lügen und betrügen können – zum Schaden der Bürger.

Politiker sind skrupellos, der Staat produziert Ungüter

Der Schuster, der Kaufmann und der Zahnarzt – sie liefern aus freien Stücken nachgefragte Leistungen. Sie und alle anderen auf dem Markt tätigen Akteure schaffen Werte – Güter. Hier kann ein Wettbewerb der Nachfrageseite nur Vorteile bringen – unabhängig davon, ob diese nun in niedrigeren Preisen oder in höherer Qualität ihren Niederschlag finden. Der Staat dagegen produziert – nichts.

Man könnte es noch pointierter formulieren, indem man sagt, er produziert nicht nur keine Güter, sondern sogar Übel, also „Ungüter“. Da das so ist, kann ein Wettbewerb in der politischen Sphäre nie zu etwas Gutem führen! Hoppe: „Es kann kein öffentliches Interesse an einen Wettbewerb bestehen, wer der effizienteste KZ-Kommandeur oder der brutalste Räuber ist.“ Schon Kirchenvater Augustinus wusste um dieses Problem, als er dem Staat attestierte, unter Umständen nichts anderes zu sein als eine Räuberbande (zitiert von Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch im Deutschen Bundestag am 22. September 2011).

In einer Erbmonarchie besteht die Möglichkeit, dass zufällig ein dafür charakterlich, geistig und körperlich geeigneter, oder wenigstens „netter“ Mensch auf den Thron gelangt (in Preußen und Großbritannien war es mehrfach der Fall, dass solche Persönlichkeiten die Krone trugen. Österreich hatte leider weniger Glück). Im demokratischen Wettbewerb dagegen würde ein „netter Mensch“ niemals eine Chance haben zu obsiegen. Den demokratischen Wettstreit gewinnen stets die skrupellosesten Individuen. In Österreich etwa hatten anständige Biedermänner wie Josef Klaus oder Josef Taus gegen Bruno Kreisky keine Chance. Was die große, weite Welt angeht, reicht ein Blick auf Figuren von Abraham Lincoln über Georges Clemenceau bis Jacques Chirac. Wer kennt heute noch die Namen ihrer einstigen Gegner?

Das demokratische Prinzip ist nur auf unterster Ebene sinnvoll anzuwenden – also in kleinen Gemeinden, wo jeder jeden kennt und daher die Gefahr einer institutionalisierten Ausbeutung einer Minderheit durch die Mehrheit gering ist (was auch der gerne – kontrafaktisch – als Generalanwalt des Demokratismus zitierte Jean-Jacques Rousseau genau so sah!). Der klassische Liberalismus dagegen – und das ist ein weiterer seiner Kardinalfehler, hatte als Ziel stets eine Weltregierung im Blick.

Da das Wesen der Demokratie in der Aneignung fremden Eigentums mittels Stimmzettels liegt, kann man sich unschwer ausmalen, was angesichts der internationalen Bevölkerungsverteilung in einem solchen Fall heute geschehen würde: Eine asiatisch dominierte Koalitionsregierung würde den in Europa und den USA vorhandenen Wohlstand nach Fernost umverteilen – immerhin leben dort und in Ozeanien mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung!

Der klassische Liberalismus hat einfach übersehen, dass die Demokratie – als Gegenentwurf zur Monarchie – zu einer weithin unbeschwerten Akzeptanz staatlicher Machtansprüche führt: Immerhin bietet sich Krethi und Plethi eine zumindest theoretische Möglichkeit, selbst einmal an die Schalthebel der Macht zu gelangen, was in einer dynastischen Monarchie unmöglich wäre. Die Chimäre der möglichen eigenen Beteiligung an den Staatsgeschäften bildet somit einen billigen Trostpreis für die zunehmende Ausbeutung durch den Staat.

Die Entkoppelung von Recht und Verantwortung einerseits, von individuellen Ansprüchen und Verpflichtungen andererseits, ist im demokratischen Wohlfahrtstaat am Beginn des 21. Jahrhunderts nahezu vollständig verwirklicht. Der Schutz der Rechte des Individuums ist dem Streben nach (wirtschaftlicher Ergebnis-) Gleichheit geopfert worden. Freiheit und Gleichheit sind eben schlicht unvereinbare Ziele.

Der größte Triumph des klassischen Liberalismus bestand wohl in der Sezession von dreizehn amerikanischen Kolonien von deren Mutterland England. Dieses Ereignis liegt mehr als 200 Jahre zurück. Seit damals ging es mit ihm bergab. Spätestens seit Beginn des Ersten Weltkriegs ist der klassische Liberalismus – großteils selbstverschuldet – weltweit mausetot…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien. 

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Es ist Bürgerkrieg – und wo stehen wir? drucken

Neuerliche Blutbäder in Ägypten: Die Vorgänge im größten arabischen Land können nur noch als Bürgerkrieg eingeordnet werden. Dieser ist aber im Grund eine weitere Etappe eines in zahllosen Ländern der islamischen Welt schon seit Jahrzehnten ablaufenden Bürgerkriegs mit vielen hunderttausenden, wenn nicht Millionen Todesopfern, der an immer neuen Schauplätzen aufflammt. Das ist schon wegen der Gefahr eines Übergreifens extrem beklemmend. Genauso beklemmend ist aber noch ein zweiter Aspekt: Der Westen taumelt hilflos und widersprüchlich herum. Er weiß nicht, welche Haltung und Reaktion richtig ist.

Der Westen, also Amerika und Europa, weiß nicht, auf welcher Seite er denn eigentlich steht: bei den Islamisten, bei den Gemäßigten, bei den Diktatoren, bei den Demokraten? Der Westen weiß nicht, warum er jeweils dort steht, wo er zu stehen scheint. Einmal da, einmal dort. So macht er sich alle zum Feind. Aber auch für eine echte Neutralität fehlt ihm die Kraft und Kohärenz.

In Kürze sei rekapituliert:

  1. In Algerien steht der Westen an der Seite der Militärs, die den Wahlerfolg der dortigen Islamisten mit aller Härte hinweggefegt haben.
  2. In Marokko steht der Westen an der Seite des Königs, der eine ähnliche Politik verfolgt.
  3. Im Iran stand man einst eisern und bis zuletzt an der Seite des autoritären Schahs und liegt bis heute mit dem (schiitisch-)islamistischen Regime im Clinch.
  4. Dem Iran droht man wegen der Entwicklung einer Atombombe sogar mit einem großen Krieg; beim viel chaotischeren und Terrorismus Richtung Afghanistan wie Indien exportierenden Pakistan nimmt der Westen die Beschaffung (und den heimlichen Export!) von Nuklearwaffen hingegen schulterzuckend hin.
  5. In Syrien steht der Westen, wenn auch nur dreiviertelherzig, jedoch an der Seite der teils islamistischen, teils demokratischen Revolutionäre, die gerade gegen Präsident Assad den Kürzeren zu ziehen scheinen.
  6. In Libyen hat der Westen sogar mit einer militärischen Intervention einen relativ laizistischen und auf seine alten Tage berechenbar gewordenen Diktator gestürzt, wo nun Islamisten viel mehr Spielraum haben.
  7. In Saudi-Arabien und Bahrain paktiert der Westen hingegen heftig mit den totalitären Herrschern, die jedes Aufmucken niederwalzen. In Saudi-Arabien wird sogar jedes kleine Anzeichen einer westlichen Lebensform wie das bloße Autofahren von Frauen, der Konsum von Alkohol oder der Besitz einer Bibel drakonisch verfolgt. Beim heftig bekämpften Assad war hingegen all das und noch viel mehr an Verwestlichung nie ein Problem.
  8. In Syrien haben die USA in aller Deutlichkeit angekündigt, beim Beweis des Einsatzes chemischer Waffen militärisch einzugreifen. Dann behauptete man, diesen Beweis zu haben – und seither ist überhaupt nichts mehr geschehen.
  9. In der Türkei steht der Westen wieder total an der Seite des Islamismus-verdächtigen Premierministers und ignoriert völlig die demokratisch-liberalen Demonstranten.
  10. In Tunesien und Ägypten waren die alten Machthaber, man könnte sie als nichttotalitäre Diktatoren bezeichnen, lange im Westen überaus wohlgelitten und wurden von Barack Obama durch einen Besuch geehrt; sie waren sogar bei der Sozialistischen Internationale. Nach den ersten Demonstrationen – genauer: Nach der ersten Medieneuphorie über die angebliche Twitter-Revolution – wurden diese Männer jedoch fallgelassen wie ein heißer Erdäpfel. Dann bejubelte man die Demokratie – und stand damit plötzlich an der Seite der Islamisten. Und man bekam kaum mit, wie diese begannen, die Demokratie von innen auszuhöhlen. Und jetzt, seit sich die Bevölkerungsmehrheit vom formal gewählten islamistischen Präsidenten abgewendet hat, seit das Militär mit aller Brutalität dessen Amtszeit beendet hat, weiß der Westen überhaupt nicht weiter. Man tadelt die Armee, sodass man dort alle Freunde verliert; man lässt die griechischen Kopten im Stich, die jetzt als die Allerschwächsten von den verfolgten Islamisten abgeschlachtet werden; und man kann aber niemals auch nur einen einzigen Freund bei den Islamisten gewinnen.

Damit sind nur einige Beispiele einer absolut chaotischen Politik des Westens gegenüber der arabischen Welt genannt. Die Tatsache, dass mit „Westen“ in vielen – nicht allen (siehe Libyen) – Fällen nur die Amerikaner gemeint sind, weil es meist gar keine europäische Politik gibt, lassen wir heute einmal beiseite.

Das Hauptübel der Malaise auf den Punkt gebracht: Weder die USA noch Europa haben klare Prinzipien für den Umgang mit solchen Ländern. Sie haben nie geklärt – weder nach innen noch nach außen –, ob die Unterstützung des formalen Prinzips „Demokratie“ die oberste Leitlinie darstellt, oder andere Interessen.

Was wäre da nun wirklich richtig? Nun, eine nüchterne politische Analyse müsste die westlichen Ambitionen und Illusionen (ob nun neokonservativ oder sozialistisch) dramatisch zurücknehmen und sich auf logische und durchsetzbare Leitlinien einigen:

1.    Am wichtigsten für die Haltung des Westens einem Drittweltstaat gegenüber sollte sein, ob sich das Land nach außen korrekt verhält, ob es Grenzen beachtet, niemanden bedroht, keinen Terrorismus unterstützt, keine Atombomben entwickelt. Dabei ist es egal, ob es sich um ein wirklich demokratisches System handelt – das es ohnedies fast nirgends in der islamischen Welt gibt – oder um ein autoritäres. Nur wenn nach außen Gefahr droht, ist auch die Außenwelt moralisch zum Eingreifen legitimiert.

2.    Wenn die außenpolitische Friedfertigkeit eines Landes gesichert ist, dann muss der Westen für die vielen zwischen Islamisten, Armeen, Diktatoren, Liberalen, Stämmen und ethnischen oder religiösen Minderheiten tobenden Bürgerkriege ein Prinzip aus früheren Epochen reaktivieren: das der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Denn der Westen ist ja ohnedies zu schwach, um Ordnung zu schaffen. Könnte er intervenieren, dann wären überdies auch bald alle gegen ihn. Zugleich ändern sich in solchen Ländern die Fronten dauernd. Jede Seite erzählt einem die abenteuerlichsten Schauergeschichten. Man weiß daher oft nicht, wer die wirklich Guten sind, und ob es überhaupt welche gibt.

3.    Menschenrechtsverletzungen sind eine schlimme Sache. Die Medien sollen sie auch kritisch aufzeigen, die Menschen in Europa und Amerika können und sollen kräftig dagegen protestieren. Aber die westlichen Regierungen sind kein Weltpolizist, der überall militärisch eingreifen könnte, wo Menschenrechte verletzt werden. Er hat nicht einmal eine völkerrechtliche Legitimation dazu. Daher ist zähneknirschende Neutralität oft schlauer und hilfreicher. Und wenn man menschenrechtlich aktiv werden will, dann sollte man einmal mit den dazu geschaffenen Gremien beginnen: Wieso sitzen Polizeistaaten aus Osteuropa noch immer unhinterfragt in Europarat und Menschenrechtsgerichtshof? Warum können üble Regierungen Mitglieder (und Quasi-Richter) des UN-Menschenrechtsrates werden – von dem sich sogar Musterstaaten wie selbst Deutschland demütig ohrfeigen lassen? Solange man nicht einmal auf rechtlicher Ebene für Sauberkeit sorgt, können Menschenrechte politische oder gar militärische Interventionen von außen schon gar nicht rechtfertigen.

4.   Vor allem Europa muss jedes Interesse haben, dass es zu keinen neuen Flüchtlingsströmen kommt. Es sollte daher zumindest sein ganzes ökonomisches Gewicht in die Wagschale werfen, solche zu verhindern. Denn sonst wären in Kürze in Europa mehr echte oder falsche Flüchtlinge als Europäer (was dank der Linken und der Caritas ohnedies bald der Fall sein wird).

5.    Erst dahinter stehen Wirtschaftsinteressen wie das – zum Glück an Bedeutung verlierende – Öl. Dabei darf man ohnedies annehmen, dass friedliche Länder ohnedies langfristig auch ganz seriöse Handelspartner sind.

6.    Und an allerletzte Stelle hat der missionarische Glaube zu rücken, man könne mit dem Geist unserer Demokratie alle Übel dieser Welt heilen. Das funktioniert meist nicht einmal theoretisch: Denn nicht alles, was sich demokratisch nennt, ist es auch. Denn in der Geschichte sind immer wieder Herrscher halbwegs demokratisch an die Macht gekommen, die dann undemokratisch die Macht nie wieder friedlich hergegeben haben. Denn manches lässt zweifeln, ob etwa die islamische Welt auf Grund ihrer kulturellen Prägung überhaupt zur Demokratie imstande ist (oder „reif“, wie manche formulieren). Denn in manchen Situationen mag die Demokratie überhaupt nicht das beste System für eine Nation sein.

Aber in Wahrheit ist das alles irrelevant. Denn in Wahrheit wird die Außen- und Interventions/Nichtinterventions-Politik des Westens von ganz anderen Faktoren als rationalen Regeln bestimmt:

  • Wie intensiv berichten die eigenen Medien über die jeweilige Krise und Region? Haben sie gerade, Zeit, Lust und Möglichkeit, das massenweise zu tun oder sind sie gleichzeitig in einer anderen Region gebunden (siehe beispielsweise 1956 der fatale Zusammenfall des Nahostkrieges mit der ungarischen Revolution)?
  • Welche Seite hat die bessere PR-Agentur engagiert, um Stimmung für ihre Sache zu machen (die christlichen Kirchen übrigens, die früher in Sachen PR ganz gut waren, haben heute ganz schlechte Public Relations – sonst würde viel mehr über die Hunderttausenden vor allem in der islamischen Welt getöteten Christen berichtet werden)?
  • Wer hat mehr ausländische Politiker bestochen (man schaue nur die seltsam hektische Aktivität einiger heimischen Politiker ausgerechnet in der kasachischen Causa Alijew an!)?
  • Welche wirtschaftlichen Interessen sind im Spiel?

Das sind die entscheidenden Punkte. Oder sieht irgendjemand andere Regeln wirksam für den Umgang Europas und der Obama-USA mit dem Chaos in Ägypten&Co?

 

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Wie ernst ist uns der Schutz einer Minderheit? drucken

Derzeit touren die sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Österreichs und Deutschlands durch die Lande und rechtfertigen ihre Steuererhöhungspläne mit dem Argument, dass nur eine Minderheit von einem bzw. fünf Prozent betroffen wäre. Machen wir uns über dieses Quantitätsargument einmal demokratiepolitische Gedanken.

Zunächst erscheint die Sache ja demokratisch in Ordnung zu gehen. Warum sollen in einer Demokratie nicht 95 Prozent beschließen dürfen, dass die restlichen fünf Prozent überproportional enteignet werden? Mehrheit ist schließlich Mehrheit.

Es wäre in Ordnung, wenn es nicht die Grund- und Freiheitsrechte gäbe. Jedermann weiß, dass 95 Prozent der Wähler nicht beschließen können, dass die übrigen fünf Prozent gehängt werden.

Zu diesen Grund- und Freiheitsrechten gehört auch der Gleichheitsgrundsatz, der es schon prinzipiell erschwert, eine bestimmte Minderheit – und auch die Wohlhabenden stellen eine Minderheit dar – ungleich zu behandeln.

Gerade Sozialdemokraten müssen also über ihr Gleichheitspostulat springen, wenn sie die Wohlhabenden mit einer Sondersteuer belegen wollen.

Besonders pikant erscheint diese Sondersteuer unter dem Gesichtspunkt, dass es gerade die von demokratischen Politikern erkämpfte Chancengleichheit gewesen ist, die diese ungleiche Vermögensverteilung stark begünstigt hat. Wenn ein Wlaschek, ein Mateschitz oder auch ein Schlaff heute zu den reichsten Österreichern zählen, dann verdanken sie diesen Wohlstand in erster Linie ihrer eigenen Tüchtigkeit in einem nicht privilegierten Umfeld.

Wer also das Vermögen der genannten Herren im Namen der Gerechtigkeit angreifen möchte, sagt implizit, dass die Chancengleichheit zu einem unerwünschten Ergebnis, nämlich einer Ergebnisungleichheit, geführt hat.

Letztlich bedient ein solcher Ungerechtigkeitssinn nur den Neid, der in Wirklichkeit gar nicht so verbreitet ist, wie die Politiker glauben. Wenn an jedem Wochenende 22 reiche Menschen vor Zehntausenden Armen um einen Ball spielen – die für das Zuschauen auch zahlen – und selbst eine Steuernachzahlung eines Herrn Messi von zehn Millionen Euro keine Proteststürme auslöst, erscheint die Neidverbissenheit der Menschen gar nicht so ausgeprägt.

Im Übrigen hat die Entfesselung des Neides in der Geschichte niemals vor den Reichen Halt gemacht. Schon in der französischen Revolution endete das, was man mit dem Slogan „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ begann, mit tausenden und abertausenden Toten. Auch die Enteignung der weißen Farmer in Simbabwe hat nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern zu Nahrungsmittelknappheit geführt. Jeder mag sich seine eigenen Beispiele finden, wenn Minderheiten im Namen des Neides der gesellschaftlichen Aggression ausgeliefert wurden.

Auch die Minderheit der Reichen verdient den Schutz der Gesellschaft, die von dieser Minderheit umso mehr profitieren wird, je größer sie ist. Wer nicht die gleichmäßige Verteilung der Armut anstrebt, muss die ungleiche Verteilung des Reichtums in Kauf nehmen. Nicht weniger Reiche, sondern mehr Reiche zu haben muss daher das Ziel einer erfolgreichen Politik sein.

Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt mit Schwergewicht auf Gesellschaftsrecht und Wahrnehmung von Aktionärsinteressen in Publikumsgesellschaften.

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Kritik des Wohlfahrtsstaats drucken

Viele große Denker des 20. Jahrhunderts stehen der Massendemokratie mit ihren gezählten, nicht gewogenen Stimmen aus gutem Grund kritisch gegenüber. Zu ihnen zählen Bertrand de Jouvenel und Erik von Kühnelt-Leddihn oder lebende Zeitgenossen wie Anthony de Jasay, Gerd Habermann und Hans-Hermann Hoppe. Sie sehen in dieser Art der Demokratie, die nur dem Namen nach etwas mit dem in der Polis der griechischen Antike praktizierten System zu tun hat, den Wegbereiter des Totalitarismus, ein Synonym für Pöbelherrschaft und Sozialismus.

Damals ging es nicht ums Wählen, sondern um eine Partizipation verantwortlicher Männer an der Politik. Der rezente Wohlfahrtsstaat hingegen bildet die letzte Entwicklungsstufe der auf gewaltsame Nivellierung gerichteten Massendemokratie. Seine Grenze zur totalitären Demokratie – zur Diktatur des Pöbels – ist fließend.

Der moderne Wohlfahrtsstaat am Beginn des 21. Jahrhunderts ist – scheinbar – ein Paradies: Wir genießen Fürsorge und Versorgung von der Wiege bis zur Bahre, losgelöst von individueller Leistung und Bedürftigkeit. Alles ist gratis – Schulen, Hochschulen, Renten, Gesundheitsdienstleistungen. Das alles ist staatlich monopolisiert und damit bombensicher.

Die funkelnde Krone auf alledem bildet die „Grundsicherung“. Damit wurde endlich auch ein einklagbares Recht auf Faulheit gesetzlich verankert.

Wo gehobelt wird, da fallen allerdings Späne – und so sind kleine Opfer unvermeidlich: Obrigkeitliche Regulative bis in den privaten Lebensbereich sind hinzunehmen; sie dienen ja nur dem Besten der Bürger. Die nunmehr vorgeschriebene Verwendung staatlich anerkannter Leuchtmittel und eine dräuende „Duschkopfverordnung“ sind prächtige Beispiele. Massive Eingriffe in die Privatrechtsautonomie, teilweise sogar deren Abschaffung, sind an der Tagesordnung. Eine Aufhebung der Vertragsfreiheit in vielen Bereichen – z. B. im Arbeitsrecht, bei der Ladenöffnung, im Mietrecht und auch Preisvorschriften – erscheint bereits ganz selbstverständlich…

Wir erleben die totale Gängelung der Bürger – weit jenseits dessen, woran George Orwell dachte, als er seine 1984er-Dystopie ersann. Das Schlimme ist: Regulierung und Überwachung sind nicht nur unproduktiv, sondern sie behindern sogar die Produktion. Darüber hinaus verursachen sie hohe Kosten! Und da – den falsch gesetzten Anreizen sei Dank – eine stetig kleiner werdende Schar von Produktiven die Chose finanzieren muss (der Rest führt eine parasitäre Existenz als Mitarbeiter oder Klient des Wohlfahrtsstaats), steigt deren Steuerlast unentwegt – was die Effizienz des Gesamtsystems weiter reduziert.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 1986, James Buchanan, stellte treffend fest: „Die Steuerlast ist endlich“. Spätestens bei 100 Prozent Steuerbelastung lässt auch ein notorischer Workaholic den Herrgott einen guten Mann sein und setzt sich lieber in den Park.

Im Wohlfahrtsstaat wird weniger produziert als unter Marktbedingungen. Alle essen nun mit gleich großen Löffeln, die Schüssel, aus der sie das tun, ist indes kleiner. Im Land am Strome sind weniger als 50 Prozent der Bevölkerung erwerbstätig. Der Rest sitzt als Pensionist, Früh- oder Invalidenrentner, Sozialhilfebezieher oder Langzeitstudent herum, ohne zu produzieren.

Von den Werktätigen liefert – der progressive Einkommensteuertarif macht es möglich – die Hälfte keine direkten Steuern ab. Zieht man von der Zahl der Erwerbstätigen jene ab, die von Steuern leben, also den öffentlichen Dienst, Kammermitarbeiter, Politfunktionäre etc., dann bleiben rund 20 Prozent als Nettozahler übrig. Diese Opfer der Umverteilung sind genötigt, zwei Drittel ihres Einkommens an den Fiskus abliefern (43% direkte Steuern, + 16,66% USt. + Abgaben + Arbeitgeberanteil zur SV). Aber trotz einer nie da gewesenen Ausbeutung der Leistungsträger durch den Staat erleben wir einen Staatsschuldenexzess ohnegleichen, da die staatlichen Anmaßungen nicht mehr allein durch Steuern finanziert werden können, ohne massive Widerstände auszulösen.

  • Offizieller Schuldenstand: (explizite Schulden) 232 Mrd. € (1970: 3,42 Mrd.)
  • Pro Bürger: € 31.000,-
  • Pro Erwerbstätigem: € 55.400,-
  • Zinsendienst p. a.: derzeit 8,2 Mrd. € (aktuelle Zahlen laut OeNB-Statistik).

Ohne die von den jüngeren Generationen dereinst abzuzahlenden Schulden wäre der Wohlfahrtsstaat längst nicht mehr finanzierbar. Seine Grenzen sind erreicht. Am deutlichsten sieht man das wohl in Griechenland, dem Land mit dem größten Anteil an mittelbar und unmittelbar Staatsbediensteten im zivilisierten Teil der Welt.

Paradoxerweise nimmt – trotz des laufend steigenden Umverteilungsvolumens – die Zahl der Armutsgefährdeten dennoch ständig zu. Das ruft die Linken auf den Plan und veranlasst sie zum Ruf nach einer noch höheren Enteignungsquote für die Leistungsträger. Möglich ist das, da die Ergebnisgleichheit – Gleichverteilung des Wohlstands – ein zentrales Anliegen des Wohlfahrtsstaats ist. Armut ist vorgeblich sein Hauptgegner.

Was aber bedeutet Armut? Kein Dach über dem Kopf zu haben, krank zu sein und nichts zu essen zu haben! Wer so etwas sehen will, muss heute nach Kalkutta, nach Lagos oder wenigstens nach Moldawien reisen. Die Armutsbekämpfungs- Umverteilungs- und Wohlfahrtsindustrie ist hierzulande daher im Grunde arbeitslos. Abertausende ihrer Mitarbeiter (die Caritas ist inzwischen einer der größten Arbeitgeber im Lande!) – alle gut ausgebildet und mit ansehnlichen Bezügen dotiert – wären überflüssig, wenn sie nicht ein geniales Alternativkonzept entwickelt hätten: Das Konzept der relativen Armut.

Damit ist ein Perpetuum Mobile geschaffen, denn relative Armut wäre nur mittels totaler Gleichmacherei auszurotten. Und die hat es selbst unter Stalin und Mao nicht gegeben. Zur Veranschaulichung der aberwitzigen Grundlage dieser Vorstellung: „Armut“ bemisst sich am Medinaeinkommen. Wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens bezieht, ist „armutsgefährdet“! Auch eine Verdoppelung aller Einkommen hätte demnach keine Wirkung auf die Zahl der „Armen“.

Eine Abwanderung der Reichsten dagegen senkt nach diesem irrwitzigen Konzept die Armenquote:

Legende: Gelb unterlegt das Medianeinkommen, rosa markiert die Armutsgefährdeten.

Gerd Habermann,(„Polemisches Soziallexikon“): meint: „Der Wohlfahrtsstaat ist das reformerische Nachfolgemodell des versinkenden Sozialismus“. Und weiter:„Der Wohlfahrtsstaat ist eine Methode, die Leute mit ihrem eigenen Geld vom Staat abhängig zu machen.“

Gerard Radnitzky (1921 – 2006) stellt fest: „Der Wohlfahrtsstaat hat eine neue Art des „Individualismus“ hervorgebracht: den Individualismus ohne Verantwortung.“

Auf Wikipedia lesen wir:„Wohlfahrtsstaat bezeichnet einen Staat, der weit reichende Maßnahmen zur Steigerung des sozialen, materiellen und kulturellen Wohlergehens seiner Bürger ergreift.“ Der Wohlfahrtsstaat geht daher weit über den Sozialstaat hinaus, der nur Existenzsicherung in Notlagen bietet. Im Wohlfahrtsstaat ist Sozialpolitik nicht mehr allein auf bedürftige Gruppen ausgerichtet.

Die Wiege des Wohlfahrtsstaats steht in Preußen, und zwar nicht erst seit Bismarck, der – ebenso genialer wie zynischer Machtmensch, der er war – die Sozialversicherung „erfunden“ hat, um den damals im Aufwind befindlichen Sozialisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Schon Friedrich II. („der Große“) hatte klare Vorstellungen von der Beglückung seiner Untertanen – z. B. mittels „Magazinpolitik“, Handelsbeschränkungen, um die eigene Produktion zu schützen (z. B. Seide), und Staatsmonopolen. Der Staat sollte der Fürsorger für seine Bürger, für ewig unmündige Kinder, sein.

Bereits damals regte sich allerdings Kritik an staatlicher Bevormundung und Handelshemmnissen: Graf Mirabeau nahm den Autarkiegedanken unter Beschuss: Der Wohlfahrtsstaat „…macht weder reich noch glücklich (…) bringt um den Vorteil der internationalen Arbeitsteilung…“. Und weiter, als ob die Zustände im europäischen Immigrantenstadel der Gegenwart beschrieben würden: „…durch königliche Geschenke angelockt, [sei] Gesindel hingewandert, das nicht die geringste Arbeitslust mitgebracht habe“(!) „Der König müsse nicht schenken, er müsse nur frei erwerben lassen“. Mirabeau fordert völlige Gewerbefreiheit und „Genußfreiheit“ (z. B. für das „unnötige Luxusprodukt“ Kaffee).

J. Wolfgang v. Goethe, Beamter und Minister: „Kehre jeder vor seiner eigenen Tür … Das Glück des Ganzen – eine „bewegliche Ordnung“ – ergibt sich so als Ergebnis spontanen individuellen Handelns“.

Friedrich Schiller formuliert einesystematische Kritik des gängelnden Staates in seinen „Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen“ als „Sparta vs. Athen“. (Wohlfahrts-)Staat vernichte die Moral. „Zur moralischen Schönheit der Handlungen ist die Freiheit des Willens die erste Bedingung, und diese Freiheit ist dahin, sobald man moralische Tugend durch gesetzliche Strafen erzwingen will."

Wilhelm von Humboldt spricht vom „… passiven Leben des genährten Sklaven“ Persönlichkeit ist für ihn wichtiger als ein komfortables Leben. Nicht auf fremde Hilfe verlassen – das stumpft ab, macht passiv, untüchtig, verhindert Erfahrungen – und es erzieht zu asozialem Verhalten: Er lehnt, wie Adam Smith, beamtete Erzieher ab. Der Staat soll nicht Unternehmer sein. Einziger Staatszweck sei dieProduktion vonSicherheit nach innen und außen.

Immanuel Kant sieht die menschlicheWürde davon abhängig, seine Ziele selbst definieren zu können: „… dem Leben durch Handlungen einen Wert zu geben.“ Menschen als unmündige Kinder zu halten, sei dagegen „… der größte denkbare Despotismus“.

Eine Fundamentalkritik von Lysander Spooner (1808-1887, US-Sklavereigegner und Anarchist), die über den wohlfahrtstaatlichen Gedanken hinausgreift und sich mit dem Prinzip der politischen Vertretung durch Abgeordnete kritisch auseinandersetzt [aus dem Aufsatz „No Treason“ ]: „Wenn ein Mensch mein Diener, Agent oder Anwalt ist, bin ich im Rahmen der ihm von mir übertragenen Vollmacht notwendigerweise verantwortlich für alle seine Handlungen. Wenn ich ihm, als meinem Agenten, entweder absolute oder irgendeine Macht über Personen oder Besitztümer anderer Menschen als mir selbst übertragen habe, bin ich dadurch notwendigerweise gegenüber diesen Personen verantwortlich für jeden Schaden, den er ihnen zugefügt hat, solange er innerhalb des Rahmens der Machtbefugnis wirkt, die ich ihm gewährt habe. Kein Individuum jedoch, das in seiner Person oder seinem Eigentum durch Handlungen des Kongresses geschädigt worden sein mag, kann sich an die individuellen Wähler wenden und sie für diese Handlungen ihrer so genannten Agenten oder Repräsentanten zur Verantwortung ziehen. Diese Tatsache beweist, dass diese anmaßenden Agenten des Volkes – von uns allen – in Wirklichkeit die Agenten von Niemandem sind.“

Die neoliberale Kritik des 20. Jahrhunderts richtet sich primär gegen das Setzen falscher Anreize durch den Wohlfahrtsstaat. Statt Eigentum zu schaffen und die Produktion zu steigern, wird zum Neid angestachelt und eine wohlstandsvernichtende Umverteilung – Kapitalverzehr – gefordert und befördert (Ludwig Erhard, Wilhelm Röpke).

Abseits der funktionalistischen Kritik, die auf die reduzierte Effizienz des Systems zielt, ist der Wohlfahrtsstaat aber vor allem deshalb zu kritisieren, weil er den frei geborenen Menschen daran hindert, seiner Vorstellung gemäß nach Glück zu streben. Stattdessen wird der Mensch – wie der Zoologe und Verhaltensforscher Konrad Lorenz feststellt – „verhausschweint“ und den Fährnissen einer wandelbaren Sozialpolitik unterworfen. Der Verlust der Freiheit ist die logische und unvermeidliche Folge.

Auch wenn die Sozialisten in allen Parteien es – ganz besonders vor Wahlen – nicht wahrhaben wollen: Auch dem Staat ist es nicht auf unbegrenzte Zeit möglich, immer höhere Schuldenberge aufzutürmen, ohne die Gesellschaft zu zerstören. Margaret Thatcher stellte einst hellsichtig fest: „Das Problem mit dem Sozialismus ist, dass ihm früher oder später das Geld fremder Leute ausgeht.“

Wir sind so weit. Es ist daher an der Zeit für etwas Neues! Dieses Neue wird auf dem Boden der bestehenden (Un-)Ordnung allerdings nicht zu errichten sein…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Das Internet und die Zukunft der Demokratie drucken

Über die Zukunft nachzudenken ist, wenn man die Sache ernst nimmt, ein schwieriges Geschäft; schon die Vergangenheit richtig zu analysieren hat so seine Probleme: Muss man doch wohlbegründete Hypothesen haben, welche gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen, technologischen Faktoren (Variablen) den Gang der Ereignisse mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmt haben bzw. bestimmen werden. Ein sicheres Wissen um die Zukunft ist, was die menschliche Gesellschaft etwa im Jahr 2025 betrifft, nicht möglich.

Das gilt sogar für ihren demographischen Aufbau. Das gilt für ihre politischen Werthaltungen. Das gilt für die technischen Tools, die in 12 Jahren zur Verfügung stehen werden. Oder haben Sie im Jahre 2000 auch nur geahnt, was Sie mit Ihrem Handy zwölf Jahre später alles in Sekundenschnelle empfangen und senden können, oder wer aller Ihre Botschaften beobachten und gegebenenfalls analysieren kann?

Und dennoch kann man verschiedene Annahmen machen, wie die nähere bzw. weitere Welt in 10-12 Jahren aussehen wird. Fast alle Menschen tun das; implizit oder explizit: jeder Unternehmer, jede Familie, die z.B. ein Haus baut, jede Gemeinde, die vorsorgt, jede Institution, die noch länger überleben will.

In dieser ausklingenden Legislaturperiode wird der Begriff der Partizipation noch mit herkömmlichen Verfahren der „direkten Demokratie“ diskutiert: Die Instrumente des „Volksbegehrens“, der „Volksbefragung“, der „Volksabstimmung“ – und ihr Verhältnis zueinander – spielen eine dominierende Rolle; ebenso der mögliche (verstärkte) Einfluss der Wähler auf die Kandidatenauswahl.

Ich erspare mir eine durchaus mögliche Kritik am Einsatz von Volksbegehren und Volksbefragung, wie sie in der jüngeren und ferneren Vergangenheit und in der Gegenwart praktiziert worden sind. Die Erinnerung daran, wer die Fragen formuliert, wie sie formuliert sind, und wozu die Ergebnisse (etwa der letzten Wiener Volksbefragung) ge- und missbraucht werden, mag genügen.

Für eine wertende Kurzcharakteristik fehlt mir etwas, was mir selten fehlt: die Worte. Also kurz und neutral: Was gefragt wurde, wie gefragt wurde und wie interpretiert wurde, oblag der Wiener Koalitionsregierung. Es war Partizipation zum Abgewöhnen.

Das periodische Auftauchen des Partizipationskonzepts hat – auch in Österreich – eine lange Geschichte. Erinnern Sie sich an den Slogan der Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie (K. Blecha). Dieser machte als Sozialforscher auch ernsthaft den Vorschlag, man solle die Demoskopie als Instrument der Demokratie nutzen. Angesichts der Verwendung von Umfragen im politischen Marketing sträubt sich beim bloßen Gedanken daran mein nicht mehr vorhandenes Haupthaar. Abgesehen davon, dass auch bei Umfragen die Fragen „von oben“ kommen und der Befragung kein Prozess der systematischen Information, der Überlegung und Willensbildung vorausgegangen ist. Die Demoskopie ist keine neutrale Institution, die die „Vox populi“ wertfrei widergibt – auch wenn sie manchmal vorgibt, eine Abbildungsmaschine zu sein, die fast auf Knopfdruck die sogenannte öffentliche Meinung, die dann in den Medien „erscheint“, abzubilden.

Oft stellt sie, in Zahlen ausgedrückt, etwas dar, was es vor der Befragung gar nicht gegeben hat: Sie summierte Reaktionen auf Fragen, die sich der Einzelne nie bewusst gestellt hat; das ist „öffentliche Meinung“, die es als wahrnehmbares Phänomen nur durch das Instrument der Meinungsforschung gibt – und nirgends sonst, außer später in den Medien.

Nein, das Instrument der Meinungsforschung ist kein Demokratieersatz, keine wünschbare Form der Mitwirkung, wie sie für eine Demokratie immer wieder gefordert wird (zu ihrer Vitalisierung, zur Stärkung der Verantwortlichkeit, um die Bereitschaft, Entscheidungen mitzutragen zu erhöhen, ja um konkrete Entscheidungen zu legitimieren).

Die Geschichte der Bürgerbeteiligung

Der Gedanke, die Bürger einer Demokratie, den demos, entscheidend entscheiden zu lassen, ist alt; so alt wie die athenische direkte Demokratie. Die Griechen haben bekanntlich nicht nur die Demokratie entdeckt, sondern auch die Politik, also die Kunst, durch öffentliche Auseinandersetzung Entscheidungen zu erreichen und diesen dann zu gehorchen.

Elias Canetti hat das so gedeutet, dass der Kampf nicht mehr physisch ausgetragen wird und mit der Vernichtung eines Kontrahenten endet, sondern durch das Zählen von Stimmen. Joseph Schumpeter sah in demokratischen Verfahren eine Methode, die darauf abzielt, eine entscheidungsfähige Regierung hervorzubringen. Andere betonten, dass Wahlen dazu zwingen, zwischen miteinander konkurrierenden Expertengruppen/Eliten/Parteien zu wählen.

Bei den griechischen „Erfindern“ war die Sache noch etwas komplexer und zugleich einfacher. In der Volksversammlung wurden nicht nur Beamte auf Zeit gewählt, meist ein Jahr (so kamen im Lauf der Zeit viele dran und erwarben „Erfahrung“). Es wurden auch auf Antrag einzelner Sprecher (die meisten hörten wohl nur zu) konkrete Entscheidungen getroffen. Nur wenige waren stimmberechtigt. Und Teilnahme war gefordert. So heißt es in einer berühmten Perikles-Rede: „Denn einzig bei uns heißt einer, der daran (an den staatlichen Dingen) überhaupt keinen Teil nimmt, nicht ein stiller Bürger, sondern ein nutzloser“. Wer sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmert, der war ein „Idiot“ (nicht in unserem Sinne).

Die Teilnahme, die Teilhabe an den politischen Entscheidungen gehörte zu einem „guten Leben“. Von diesem Ideal sind wir heute weit entfernt. Die Selbstverwirklichung wird im „privaten Leben“ angestrebt; zu ihrer Realisierung ist – wohl nach Auffassung der meisten Menschen, die in demokratischen Ländern leben – die regelmäßige, aktive Teilnahme am politischen Leben nicht nötig. Vielfach beschränkt man sich auf den einschlägigen Medienkonsum, auf das Haben (und Wechseln) von Meinungen, auf gelegentliche Gespräche im engeren Lebenskreis, auf die Teilnahme an Wahlen.

Oft wird die Lethargie der Bevölkerung beklagt. „Politikverdrossenheit“ und Desinteresse werden analysiert und es wird nachgedacht, wie man diesen als gefährlich empfundenen Phänomenen entgegenwirken könnte. Dabei wird oft übersehen, dass eine gewisse Lethargie der Bevölkerung durchaus ihr Gutes hat. Eine permanenten Erregung aller über alles wäre auf die Dauer unerträglich, eine Dauerpartizipation vermutlich lähmend, eine ständige Mobilisierung eher ein Kennzeichen einer revolutionären Atmosphäre.

Wie so oft, ist das richtige Maß an politischer Teilnahme der Bevölkerung zu bestimmen. Es liegt zwischen den Extremen der völligen Apathie und der Dauererregung – leider ohne Gedenkstein. Und es ist ziemlich sicher abhängig von unreflektierten Traditionen, gesellschaftlichen Trends, aktuellen Ereignissen und technischen Möglichkeiten.

Einstellung der Österreicher zur direkten Demokratie

Versuchen wir – anhand rezenter sozialwissenschaftlicher Studien und Beobachtungen – einen Blick auf die gegenwärtige Situation zu werfen, auf die Rahmenbedingungen für mehr Teilnahme am politischen Geschehen jenseits von Wahlen: Da sind zum einen Einstellungen/Werthaltungen, zum anderen technische Voraussetzungen zu beachten. Nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung interessiert sich eingestandenermaßen „sehr stark“ für Politik (12 Prozent), ein weiteres Drittel (33 Prozent) bezeichnet sich als „einigermaßen interessiert“.

Das sind (abhängig von der Problemlage) sehr variable Größen. Interesse drückt sich u.a. im einschlägigen Medienkonsum, in Gesprächen über politische Ereignisse, in (schwankenden) Beteiligungsraten bei diversen Wahlgängen, aber auch in Einstellungen zu Instrumenten der direkten Demokratie aus. Auf Grund der Ergebnisse des letzten „Demokratievolksbegehrens“ („Mein Oe“) könnte man glauben, dass an einem Mehr an Partizipation nur wenig Interesse besteht; aber das wäre ein Fehlschluss.

Die geringe Unterzeichnerzahl hat viele Ursachen: Eine davon ist der Umstand, dass nicht ein inhaltliches, sondern ein formales Thema (Verfahrensfragen) angesprochen wurde. Dieses ist „kühler“, erfordert „Kennerschaft“, stellt Verfahren als Lösung politischer Fragen zur Diskussion. Bei der Abstimmung zum Bundesheer war hingegen – entgegen den Erwartungen vieler politischer Beobachter/Meinungsforscher – die Beteiligung hoch (obwohl das Interesse am Bundesheer üblicherweise gering ist, traditionelle Parteistandpunkte irritierenderweise verlassen worden waren und das Thema in Zeiten einer Schuldenkrise kaum von brennender Aktualität war).

Obwohl nur ein kleiner Teil der österreichischen Bevölkerung als politisch „stark interessiert“ gelten kann, gilt: Mehr als 50 Prozent finden, dass Instrumente der direkten Demokratie verstärkt zum Einsatz kommen sollten (Herbst 2012), etwa 4/10 finden, man sollte mit dem Ausbau der direkten Demokratie eher vorsichtig vorgehen.

Nur eine knappe Mehrheit findet (in einer Umfrage, in der naturgemäß ohne viel Reflexion, ohne Abwägung nach Konfrontation mit pro und contra-Argumenten geantwortet wird), dass die Bevölkerung nicht automatisch über Verfassungsgesetze abstimmen können soll (falls ein entsprechend starkes Volksbegehren das „erzwingt“). Immerhin 45 Prozent halten eine Abstimmung in einem solchen Fall für wünschenswert.

Für zwei Drittel ist auch eine Abstimmung über Menschenrechte vorstellbar, für fast ebenso viele eine über Steuern und Gebühren. Zwar hält man (ebenso oft) die Warnung für berechtigt, dass bei „verpflichtenden Volksabstimmungen“ (nach entsprechend starken Volksbegehren) viele Entscheidungen am Parlament „vorbei“ fallen. Aber dennoch: Geht nicht „alles Recht vom Volk aus“? Ist nicht das Volk der Souverän (das hat man so gelernt)?

Ja, und rund die Hälfte der Bevölkerung wäre für den Vorschlag, dass man sich via Internet an Volksbegehren beteiligen kann. Demokratische Partizipation per Mausklick, Mitwirkung at our finger tips. Beppe Grillo lässt grüßen. Sein Erfolg mit seiner bizarren Internet-Utopie zeigt, welche Folgen das Versprechen von Mitwirkung durch moderne Mittel unter bestimmten Voraussetzungen (radikale Enttäuschung durch „herkömmliche Politik“) haben kann.

Die „Schwarmintelligenz“ und die „flüssige" Demokratie

 

 

In seiner „besten aller möglichen Welten“ befreit die „Schwarmintelligenz“ den „entmündigten Bürger“ von „vermittelnden Instanzen“. Er träumt von einer radikalen Form der Demokratie, „ohne Parteien, ohne Regierung“, in der (Web-)Bürger über das Netz Kandidaten wählen, Gesetze diskutieren und beschließen. Nachzulesen in dem Buch „5 Sterne“ (von Dario Fo, Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio). Über Demokratie und die Zukunft Europas.

Das Internet ist modern; es ist Teil des Lebens. Hilfsmittel für alles und jedes. Für Information und Kommunikation, für Ein- und Verkäufe, für Bewertungen und Einholung von Bewertungen, für Sammlung und Speicherung von Erfahrungen anderer Menschen, für Austausch mit Gleichgesinnten, für die Organisation von Events, für Instant-Abreaktion in einem Shitstorm … usw. Vor 20 Jahren war es erst wenigen gebrauchs-geläufig. Heute würde sein Zusammenbruch bei vielen Menschen Entzugserscheinungen auslösen.

94 Prozent (2012) haben persönlich die Möglichkeit aufs Internet zuzugreifen. Fast 80 Prozent davon tun das zumindest einmal täglich von zuhause aus. 40 Prozent der User gebrauchen es auch für politische Information (Medienangebote, Blogs, politische Kommunikation). 45 Prozent sind bei einem sozialen Netzwerk angemeldet; weitere 8 Prozent gleich bei mehreren. Rund knappe 2/3 haben ein Smart-Phone mit Internetzugang. Die praktischen Voraussetzungen für „Grillini“ aller Spielarten sind somit einigermaßen gegeben.

Aber mit der Verfügbarkeit von technischen Mitteln steigt nicht automatisch das politische Interesse, das Engagement, der Informationsgrad über Konsequenzen politischer Entscheidungen. Interesse, Engagement, Informiertheit sind vielmehr ein Resultat eines längeren Prozesses, einer politischen Sozialisation. Am Anfang steht oft (nicht immer) das Aufwachsen in einem politischen Milieu (eher abnehmend), die regelmäßige Beschäftigung mit öffentlichen Themen (medial bzw. im sozialen Austausch), Betroffenheit durch ein Problem (beruflich oder privat), die Politisierung durch ein Thema (Atom, EU, Sterbehilfe), das „überpersönliche“ Fragen, z.B. ethische Fragen berührt und längere Zeit in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

Auch diese Sozialisation wird sich künftighin im Netz abspielen und andere Formen des politischen Lernens ermöglichen als bisher vorhanden. An einem Beispiel ausgedrückt: Bisher schrieb man (und tut es noch) bei besonderer Erregung Leserbriefe oder Briefe an Abgeordnete (mühsam). Heute reagiert man „spontan“ (und leicht) via E-mail; Treffen in Selbsthilfegruppen oder mit „Gleichgesinnten“ erforderten früher einen längeren Such- und Organisationsprozess – heute sucht und findet man auf Knopfdruck (wenn man weiß, was man sucht).

Und dabei vermischt sich, vom Einzelnen oft unbemerkt, der private und der öffentliche „Raum“. Schließlich „agiert“ man oft von „zuhause“ aus und ist doch vielen öffentlich sichtbar. Die Probleme, die die Verwischung der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem aufwirft, seien hier nur angedeutet: „Öffentliches Auftreten“ hat eine gewisse Verbindlichkeit, folgt anderen Verhaltensregeln und Rollenmustern als privates Agieren. „Im Netz“ benimmt man sich oft wie eine private oder auch anonyme Person und ist doch zumindest potentiell in einer sichtbaren Öffentlichkeit. Und manche wundern sich, dass sie gesehen werden, wenn sie sich in einer belebten Fußgängerzone blicken lassen. Es ist keine Frage, ob die Möglichkeiten des Netzes für die öffentlichen Angelegenheiten, die „res publica“, genutzt werden. Es ist nur die Frage, wie dies mittel- und langfristig geschieht und wie sich die politische Kultur dadurch verändert.

Viele mit den Fragen „direkter Demokratie“ befasste Menschen, auch sogenannte „Fachleute“, denken in konventionellen Bahnen, wenn sie über Möglichkeiten der Nutzung der „electronic tools“ (Internet & Co) nachdenken: Sie sprechen über die „Wahlen per mouse-click“, wie sie im Baltikum teilweise schon üblich sind; wie sich ein solches Angebot auf die Wahlbeteiligung z.B. bei Hochschülerschaftswahlen auswirken würde; über die mögliche Benachteiligung der nach wie vor „internetfernen“ Bevölkerungsschichten; über Gefahren, die durch eine mögliche „Instant-Politik“, die extrem stimmungsbeeinflusst ist, drohen.

Seltener reflektiert man die Möglichkeiten, die mit den neuen Mitteln gegeben sind – und deren Realisierung freilich wohlüberlegt sein will (was, wie).

Da gibt es z.B. die Möglichkeit, politische Vorhaben frühzeitig einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen; und die Stellungnahmen und Expertisen vieler einzuholen (weit über den Kreis der derzeitigen „Begutachter“ hinaus). „Crowd Intelligence“ heißt das. An einem solchen Prozess könnten unterschiedliche „Anrainergruppen“ teilnehmen: Solche, die nur anonym mitdiskutieren wollen; solche, sie sich durch fachliche Kenntnisse oder berufliche Qualifikation ausweisen (Freilich: Wer bestimmt die?); solche, die unmittelbar vom Problem betroffen sind (Wer definiert das?).

Eine andere Form der politischen Partizipation entwickelt sich unter dem etwas irreführenden Begriff „Liquid democracy“. Da wird nicht einfach abgestimmt, sondern es wird ein politischer Prozess bei einer definierten Gruppe (Parteimitglieder, Gemeindebürger, definierte Betroffene) in Gang gesetzt. Vorschläge werden zu einer bestimmten Frage gemacht – und modifiziert. Man kann seine „Stimme“ an Vertrauensleute delegieren und auch wieder entziehen. Der Diskussionsprozess und seine Schritte und Ergebnisse sind für alle Beteiligten transparent und erst am Schluss erfolgt allenfalls eine Abstimmung.

Geeignet erscheint mir ein solches Modell für regionale Diskussionen/Fragen/Projekte. Die Beteiligung setzt Engagement, Betroffenheit etc. voraus; so wie sich weiterbilden Bildung voraussetzt, erfolgreiche Informationssuche, das Wissen, was man sucht usw.

Das Netz vergisst nicht

Sich als „Konsument“ im Netz zu bewegen ist – nach verhaltensmäßig kurzer Zeit – für sehr viele Menschen geradezu selbstverständlich geworden. Dabei benützt man etwas, dessen Mechanismen und Nebenwirkungen man kaum versteht: Man bestellt Bücher (und wundert sich, dass man wenig später artverwandte Publikationen angeboten bekommt); man erledigt seine Bankgeschäfte online und verlässt sich darauf, vom Rest der Welt unbemerkt zu bleiben; man bucht Flüge und Reisen, spielt im Internet, googelt (statt ins Lexikon zu schauen), dokumentiert auf Facebook & Co jeden kleinen Lebensschritt, kauft und verkauft usw.

Im „Mitbewusstsein“ ist zwar präsent, dass man Spuren hinterlässt, dass „das Netz nicht vergisst“, dass die eigenen Daten gesammelt und verwertet werden können – aber Verhaltenskonsequenzen hat dieses „Mitbewusstsein“ kaum. „Kein Mensch weiß, wie viel Chemiker an ihn denken“, heißt es im metaphorischen Sinn bei Paul Valery. Nun, man weiß nicht, wer sich aller für die „Spuren im Netz“ interessiert, aber man ist erschrocken, wenn man merkt, wer aller Gelegenheit hat beziehungsweise bekommt, darauf zuzugreifen. Nicht nur „internationale Skandale“, auch die permanenten, allgemein gehaltenen Warnungen von offiziellen oder selbsternannten Datenschützern tragen zur Irritation bei. Das Gerücht um „big data“ macht die Medienrunde („dein Verhalten ist komplett vorhersagbar“, du bist durchsichtig“, „wenn man die Daten verknüpft, entsteht der gläserne Mensch“ etc.). Ich wage die (leichte) Prognose, dass derartige Botschaften in Hinkunft zunehmen werden.

Das schafft unter Umständen Probleme für elektronische politische Partizipation. Es mag einem ja (hierzulande!) ziemlich egal sein, ob jemand via Amazon & Co erfährt, welchen Krimi man gekauft hat, in welchem Hotel man gewohnt, welchen YouTube-Beitrag man sich angesehen hat. Welche politischen Stellungnahmen man abgegeben hat, mit wem man über Politik kommuniziert hat, wie man „gewählt“ oder abgestimmt hat: Das aber sollte in aller Regel – außer man will an die Öffentlichkeit treten – geheim bleiben.

Wenn man, so meine These, im Netz als „politisches Wesen“ agiert – in welcher Form auch immer – will man darauf vertrauen können, dass die Daten „sicher“ sind, und dass kein Missbrauch betrieben werden kann (durch Verknüpfung oder Weitergabe). Man will sicher sein, dass Daten nur zu dem Zweck genutzt werden, den man bei seiner Beteiligung im Sinn hatte.

Man möchte vertrauen können; muss vertrauen können. Aber Vertrauen ist eine „veränderliche Variable“. „Veränderliche Variable“ das ist eine Bezeichnung aus der Statistik. Sie bezeichnet z.B. im Experimente jene Größe, deren Variation beobachtet wird, während sich die Rahmenbedingungen ändern. In meinem Beruf als Sozial- und Marktforscher hat man es oft mit der „veränderlichen Variable Vertrauen“ zu tun: So geht es bei vielen Studien um die Frage: „Was konstituiert bzw. gefährdet Vertrauen in Personen (z.B. Politiker), Parteien und andere Institutionen, in Berufsstände, in Marken, Medien, in die Politik oder die Wirtschaft oder gar in die Zukunft“.

Ich will kurz verdeutlichen, wie weit verbreitet das Verlangen nach Vertrauen ist, wie allgegenwärtig im Alltag und in spezifischen Lebenswelten. Es ist im Kern ein Verlangen nach konstanten Verhältnissen, die man kennt. Neues, vom Vertrauten Abweichendes, kann Gefahr bedeuten und mehr als nur das psychische Gleichgewicht stören.

Ein Kind braucht „vertraute“ Personen, sogenannte „Bezugspersonen“, denen es vertrauen können will; es braucht sie nicht nur im Säuglingsalter. Störungen dieses „Urvertrauens“ haben oft lang andauernde negative Folgen. Jugendliche wollen ihren Freunden vertrauen können, dass sie „verstanden“ werden. Lehrer aller Spielart müssen das Vertrauen der ihnen Anvertrauten/der sich ihnen Anvertrauenden gewinnen, um ihrer Rolle gerecht werden zu können. Permanente Skepsis würde gerade in einer arbeitsteiligen Gesellschaft alle notwendigen Abläufe blockieren. Man möchte darauf vertrauen, dass sich die anderen an die gleichen Regeln halten (im Spiel und im Straßenverkehr – siehe „Vertrauensgrundsatz“). Man möchte seinem Partner vertrauen können – auch der chronisch Eifersüchtige, der die Vertrauensbasis durch Kontrollwahn zerstört.

Die „Vertrauensfrage“ ist allgegenwärtig

Man möchte dem Arzt vertrauen, den man aufsucht, dem Handwerker, den man beauftragt, der Bank, der man sein Geld hoffentlich nur temporär überlässt, der Pensionsversicherung, in die man für spätere Zeiten einzahlt, ja auch den Politikern, die für das Gedeihen von Staat, Land oder Gemeinde sorgen sollen. Man möchte „der Wissenschaft“, deren Haus bekanntlich viele Räume hat, vertrauen können, den Medien, die man zur Information nutzt; ja und auch dem eigenen Glauben (ob es sich nun um eine säkulare oder religiöse Weltanschauung handelt).

Die Aufzählung war klarerweise nicht vollständig. Sie sollte nur vor Augen führen, dass „vertrauen können“ allüberall gebraucht wird. Ohne zu vertrauen ist jegliches Handeln schwierig. Ständig zu prüfen, ob man den Bezugspersonen, den Freunden, den Vorgesetzten, den Ärzten, den Wissenschaftlern, den Beamten etc. vertrauen kann, ist praktisch unmöglich; selbst für den habituellen Skeptiker.

Manche Leser werden sich bei dem einen oder anderen Punkt meiner Aufzählung gesagt haben: „ja aber wie soll man denn „denen“ vertrauen können“? Und dennoch ist es bis zu einem gewissen Grad geradezu notwendig. Man lebt nicht nur auf Grund der eigenen Erfahrung. Nicht in der „vertrauten Welt“, schon gar nicht in der „gedeuteten Welt“ (Rilke).

Wenn man politische Partizipation mittels moderner Kommunikationstechniken geordnet auf den Weg bringen will, spielt das Vertrauen in jene Institutionen, die Strukturen und Rahmenbedingungen dafür bereitstellen, eine Schlüsselrolle.

Fragen Sie sich selbst, welchen Institutionen, welcher Einrichtung sie vertrauen würden, wenn es um ihre allfällige politische Partizipation geht; und wie unbedingt das Vertrauen ist. Wodurch kann es allenfalls erschüttert oder gar zerstört werden? Ist es ein Vertrauen auf Zeit (z.B. für einen bestimmten, zeitlich begrenzten Prozess) oder „für immer“? Ist es „blindes“ Vertrauen oder muss es durch gute Argumente gerechtfertigt sein.

Bekanntlich können sich nicht nur Technologien ändern, sondern auch politische Systeme. Daten, die theoretisch unsterblich sind, weil sie nie gelöscht werden, können unbeabsichtigte Folgen haben.

Man darf nie aus dem Auge verlieren, wozu politische Partizipation letztlich dienen soll: Es ist ein altes, ehrwürdiges Ziel, das unter ganz anderen Bedingungen „erfunden“ wurde. Teilnahme am politischen Leben ermöglicht eine Selbstentfaltung, Verwirklichung, die für das „zoon politicon“ charakteristisch ist. Nicht allein (und durch Konsum) wird der Mensch glücklich, sondern erst im Zusammenleben und -wirken mit seinesgleichen. Das Mitwirken stärkt das Vertrauen und das Gefühl, mitverantwortlich zu sein. Hehre Ziele … Es wird vertrauen-können vorausgesetzt, um Vertrauen zu stärken.

Es sind nicht nur technische Lösungen, die vertrauensbildende Wirkungen haben; es muss wohldurchdachte Gesetze geben, die Missbrauch verhindern. „Leaks“ (auch späte) müssen durch Datenlöschung unmöglich werden. Man muss „Bremsen“ in die möglichen Partizipationsprozesse einführen – um nur einige Beispiele zu nennen.

Viele Fragen bleiben offen. Es wird darauf ankommen, sich/einander die richtigen Fragen zu stellen und keine allzu schnellen Expertenantworten darauf zu geben.

Rudold Bretschneider ist seit Jahrzehnten in diversen Cheffunktionen bei GfK (früher Fessel-GfK) tätig und einer der prominentesten Marktforscher und politischen Analysten des Landes.

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Worüber man nicht sprechen darf: Intelligenz, Berufs- und Schulerfolg sind (auch) erblich drucken

Eine OECD-Sonderauswertung von PISA-Ergebnissen beschuldigt Österreichs Lehrer, reiche Kinder bei der Notengebung zu bevorzugen. Dabei ignoriert man die Korrelation von schulischem bzw. beruflichem Erfolg mit Intelligenz – und deren teilweise Erblichkeit.

Seit 50 Jahren beklagt Österreichs linker Mainstream die konstant hohe Erblichkeit von Bildung – obwohl er die Schul- und Bildungspolitik fast ebenso lange dominierte. Nun hat man einen neuen (alten) Buh-Mann ausgemacht: die Lehrer. Weil Schüler aus beruflich erfolgreichen Elternhäusern seit Jahrzehnten bessere Noten schreiben, und alle Menschen offensichtlich gleich talentiert sein müssen, deuteten die schulfernen Sozialwissenschaftler an, man hätte die Noten von „Rich Kids“ wohl hinaufkorrigiert.

Tolerant und (links-)liberal

Die Ergebnisse von Tests und Schularbeiten lassen sich aber auch bei bösestem Vorsatz nicht fälschen, schon seit geraumer Zeit müssen Notenschlüssel und Erfolgskriterien auf jedem Test abgedruckt werden.

Auch Schülerkataloge verraten heute nur mehr wenig über die soziale Lage von Eltern – geschweige denn ihr Einkommen. Und ein Lehrer, welcher Nachforschungen über die soziale Stellung eines Schülers (oder gar von 150) anstellen wollte, wäre sofort auffällig – und geächtet. Denn es ist vielen Lehrern geradezu wesensimmanent, besonders für die Schwächeren zu fühlen. Nicht zufälligerweise sind Pädagogen in jeder Gesellschaft stets toleranter, weltoffener und (links-)liberaler als andere Bevölkerungsgruppen.

Was bedeutet Korrelation?

Für die Frage, wie weit die eine Variable, Intelligenz, zur Ausprägung einer anderen, Schulerfolg, führt, müssen Testergebnisse so ausgewertet werden, dass man deren Korrelation r messen kann. Der Wert r nimmt einen Wert zwischen 0 und 1 ein.

Je größer die Stichprobe ist, desto niedriger kann r sein. So genügt bei 30.000 untersuchten Personen bereits ein Wert von 0.2, um einen starken Zusammenhang der beiden Variablen zu untermauern. Bei nur befragten 30 Personen müsste r hingegen 0.9 einnehmen.

Talente bedingen Schul- und Berufserfolg

Die Korrelation zwischen Intelligenz und Schulerfolg gehört zu den höchsten in der psychologischen Diagnostik. Für Schulnoten liegt sie laut American Psychological Association bei r = 0,50, für Schulerfolg bei r = 0,55. Bei Asendorpf von der Berliner Humboldt Universität korrelieren „höchste abgeschlossene Ausbildung“ (bis zu einem Alter von 40) und Intelligenz sogar mit 0,7.

Im Jahr 2009 verdichtete Kramer von der Uni Bonn in einer aufsehenerregenden Metastudie 244 Intelligenz-Studien mit über 30.000 Probanden – beginnend von 1928 bis 2006 – zur Meta-Aussage: Intelligenz korreliert mit beruflicher Lernleistung extrem stark (r=0.62), ebenso mit Einkommen (0.35) und beruflichem Erfolg (0.33). Entgegen oft vorgebrachter Einwände, solche Tests wären wenig valide, zeigte sich, dass gerade Intelligenztests zu den Testverfahren mit der höchsten Validität gehören.

Arme nicht weniger intelligent

Dabei ist der Rückkehrschluss, Wenig-Verdiener wären weniger intelligent, nicht zulässig. Auf der einen Seite trachten immer mehr Menschen immer seltener nach hohem Einkommen – schon eher nach Freizeit oder Sicherheit. Auf der anderen Seite verhindern auch negative Umweltfaktoren entsprechende Entwicklungen: So schaffen es manche Gesellschaften noch immer nicht, hochtalentierten, aber allein erziehenden Frauen eine angemessene Karriere zu ermöglichen.

„Intelligenz ist erblich“

So eröffnete der deutsche Tagesspiegel 2012 eine Diskussion, der sich mittlerweile auch „Spiegel“ & Co angenommen haben. Grundtenor: Intelligenz ist (ziemlich) erblich. Je älter Menschen würden, desto größer wäre der Einfluss ihrer Gene. Das Postulat der 68er-Generation, „bei entsprechender Förderung könnten selbst Hilfsarbeiter Uniprofessoren werden“, hätte sich als frommer Wunsch herausgestellt. „Der Durchschnitts-IQ von naturwissenschaftlichen Akademikern liegt 30 Punkte über dem von Packern“, so der Wissenschaftspublizist Dieter Zimmer („Die Zeit“).

Was Menschen – privat gefragt – als selbstverständlich ansehen, nämlich die Erblichkeit von Merkmalen, wird von Österreichs Mainstream als „Biologismus“ abgekanzelt, eine öffentliche Diskussion damit verboten. Dabei ist die Erblichkeit von Talenten fast so hoch wie die der Körpergröße. Bei US-Mittelschichtkindern werden die Talente laut Turkheimer von der University of Virginia zu 72 Prozent von Genen beeinflusst, bei solchen aus der US-Unterschicht (mit ihren extremen Ausformungen von Armut) hingegen fast gar nicht.

Mit „5er“ aufsteigen

Österreichs Schule muss die Potentiale seiner Schüler aber besser ausschöpfen. Stattdessen drängt es junge Menschen aus dem System, nur weil sie auf einem einzigen Gebiet, etwa der Mathematik, untalentiert sind. Man zwingt Eltern und Kinder, große Energien für den (oft aussichtslosen) Ausgleich einer Teil-Schwäche zu verschwenden, anstatt sich auf die (erträglichere) Förderung der vielen anderen Talente zu konzentrieren.

Auch Ganztagesschulen, modernere Gebäude mit Freizeitmöglichkeiten und „Summer School“-Angebote nach US-Vorbild könnten lernschwache Kinder künftig stärker fördern.

Noten messen nicht Leistung

Wo PISA Recht hat, ist der Vorwurf, Österreichs Schulnoten würden nicht immer die tatsächliche Leistung messen. So wurde jeder fünfte Wiener Volksschüler in Deutsch mit „Sehr Gut" (3 Prozent) oder „Gut" (17%) benotet, obwohl er laut Erhebung massive Probleme beim Lesen hatte.

Neben den natürlichen Problemen, die sich aus einer starken Zuwanderung ergeben, liegt es aber auch an der mangelnden Güte vieler Testfragen. Oft werden diese (trotz neuer Vorgaben) so konstruiert, dass mit der auswendig gelernten Wiedergabe eines homogenen, abgeschlossenen Stoffgebietes die meisten Punkte erzielt werden. Auf Verknüpfungen mit anderen Inhalten beziehungsweise die eigenständige Anwendbarkeit wird weniger geachtet.

Dies ist aber (auch) der Entwicklung der letzten 20 Jahre geschuldet: Statt – vereinfacht gesagt – wie früher 8 Fächer mit jeweils 4 Wochenstunden gibt es heute 16 Fächer mit jeweils 2. Damit erwirbt man pro Fach zwar weniger Kompetenzen, verbreitet seine Kenntnisse aber durch neue Fächer wie Computer, Internet oder Rhetorik horizontal.

„Lehrer-Verschwörung“ abgesagt

Die meisten hoch begabten Schüler kommen weltweit aus Mittel- und Oberschicht. Aber nicht weil ärmere Kinder an der Schulpforte abgewiesen oder von sadistischen Lehrern bewusst diskriminiert und ausgegrenzt würden, sondern weil die Kinder ihre Intelligenz von jenen Eltern geerbt haben, denen schon ihre eigene Intelligenz zu sozial hohem Status verholfen hatte.

Wer jetzt eins und eins zusammenzählt, den Einfluss der Talente auf Noten und Einkommen und deren teilweise Erblichkeit, der kann die These, Lehrer würden Schüler aufgrund ihrer Herkunft mehr oder weniger bewusst diskriminieren, nicht mehr aufrechterhalten.

Der Betriebswirt und Wirtschaftspädagoge Michael Hörl ist Lehrer an den Tourismusschulen Salzburg Klessheim. In seinem letzten Buch, „Die Gemeinwohl-Falle“, befasste er sich mit den Mythen des „linken Mainstreams“.

www.michaelhoerl.at

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Sie werden immer gefährlicher: die Psych.s drucken

Sieben Jahre lang war der Nürnberger Gustl Mollath in einem psychiatrischen Krankenhaus interniert. Bis ihn jetzt endlich ein Gericht freiließ. Die Ursache des Justizskandals: Das ist die viel zu große Macht, die Psychiater und andere Psych.-Berufe errungen haben. Und diese Macht ist viel bedrohlicher als das parteipolitische Vorwahlgezänk, das in Deutschland um den Fall Mollath entbrannt ist.

Ohne in die Details des Falles eintreten zu wollen: Alles hat mit gegenseitigen Vorwürfen und Anzeigen im ehelichen Rosenkrieg begonnen. Daraus entstand das Drama des Herrn Mollath: Gerichtsgutachter attestierten ihm gravierende psychische Störungen und Wahnvorstellungen.

Ein Hauptgrund für diese Gutachten war, neben den Vorwürfen seiner Frau: Mollath hatte – im Gegenzug zu den ihn treffenden Anschuldigungen seiner einst besseren Hälfte – dieser (sowie etlichen ihrer Kollegen und Kunden) vorgeworfen, in ihrem Bankjob bei der HypoVereinsbank in Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäfte verwickelt zu sein.

Die Justiz und die Psychiater glaubten ihm aber nicht, gingen den Vorwürfen auch nicht sonderlich nach, sondern nähten ihn unbefristet in der Klinik ein. Dort wurde er seither behalten, denn dort traf ja dann ein weiterer Psych.-Vorwurf sogar wirklich zu: Der Mann zeigte keine Einsicht, dass er krank ist. Er kämpfte vielmehr immer weiter um die Wiedergewinnung seiner Freiheit. Lange Zeit vergeblich.

Aber dann passierte das Unerwartete: nicht die Justiz oder Polizei oder gar ein Psych., sondern ein interner Revisionsbericht der Bank fand heraus, dass Mollaths Vorwürfe zumindest großteils zutreffen. Was jedenfalls für die Bank spricht. Dennoch gab es noch etliche ablehnende Entscheidungen zu seinen Anträgen. Erst jetzt ließ ihn ein Obergericht in Freiheit setzen.

Ein beklemmender Justizskandal. In dessen Kern finden sich gleich zwei deprimierende Aspekte, die man immer öfter auch in Österreich beobachten kann: Erstens ist das die neuerlich bestätigte Tatsache, dass Polizei und Justiz nur ungern zum Umdenken bereit sind, wenn sie einmal in die falsche Richtung galoppieren. Zu ihren Galoppier-Stereotypen zählt etwa in Ehekriegen halt auch oft automatisch: Der Mann ist der Böse.

Noch beängstigender ist der zweite Aspekt: Das ist die viel zu große Macht, die Psychiater und Psychologen über unser Leben errungen haben. In allen möglichen Bereichen.

Über manche Aspekte dieses Psychosiegs könnte man ja fast lächeln, wenn nicht die Anlässe traurige wären: Heute kann fast kein Unglücksfall mehr passieren, ohne dass nicht sofort Psych.s auf Angehörige und Überlebende losgelassen würde. Früher hat einen halt – wenn man es überhaupt wollte – ein Priester unentgeltlich getröstet; aber diesen Beruf hat man ja längst zur Seite gedrückt (und es gibt auch viel zu wenig von ihnen). Jetzt wird hingegen ständig nach dem Psych. als fixem Bestandteil eines Unglücksablaufs gerufen.

Heute kann auch kaum ein Kind mehr Probleme in der Schule haben oder heftig pubertär werden, ohne dass es nicht sofort zu Psych.s geschickt wird, wo es mit Pillen oder kostspieligen Therapien gequält wird. Man wundert sich geradezu, dass es vor dem Psych.-Boom überhaupt jemanden gegeben hat, der seine Pubertät, seine Schulprobleme oder einen Unglücksfall überstanden hat.

Noch schlimmer: Am Beginn vieler Berufslaufbahnen - etwa eben auch des Richterberufs! - stehen psych. Gutachten. Mit vielen fragwürdigen Tendenzen. So berichten empörte alte Richter, dass manche höchstqualifizierte Richteramtsanwärter abgewiesen worden sind, weil ein Psych. gemeint hat, ein religiöser Mensch könne doch nicht ein guter Richter sein.

Über die Rolle der Psych.s in der Justiz kann man aber nicht einmal aus der Distanz lächeln. Denn dort maßen sie sich an, in Situationen die Wahrheit herauszufinden, wo diese einfach nicht herausfindbar ist. Viele Richter schließen sich aber allzu oft bedenkenlos den Psych.-„Erkenntnissen“ an. Statt den wunderbaren alten Rechtsgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ zu praktizieren, freuen sie sich über ein Gutachten, in dem ein Psych. behauptet, die Wahrheit herausgefunden zu haben. Und schon können die Richter ein „auf Gutachten gestütztes“ Urteil verkünden, das dann angesichts dieser Stütze meist auch in der Instanz hält.

Wie ist das Leben doch dadurch für die Richter leicht geworden! Sie müssen sich nicht mehr mit alten Rechtsgrundsätzen oder mit der philosophischen Erkenntnis „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ begnügen. Wunderbar. Die Wahrheit ist ja heutzutage nur jeweils ein Gutachten entfernt.

Das ist freilich für viele Opfer dramatisch. Denn in aller Regel können sie ja nicht mit dem Mollath-Zufall rechnen, dass zumindest Jahre später eine Bankrevision die Wahrheit aufdeckt und die Psychs. Lügen straft.

Man denke nur über den Fall hinaus. In wie vielen familienrechtlichen Konflikten verkünden die Psych.s bloße persönliche Meinungen als Wahrheiten, wie viele Kinderschicksale werden durch sie – bisweilen nach wenigen Minuten Diagnose! – entschieden. Was die Rolle der Psych.s besonders dramatisch macht: Immer öfter wird gerade bei Scheidungskriegen ein „Missbrauch“ erfunden und in die Schlacht geworfen. Gegen den (Ex-)Mann, gegen den neuen Freund der Mutter. Fast nie gibt es jedoch Beweise. Dennoch wird allzu oft ein Psych. zum allmächtigen Entscheider, der so tut, als könnte er alles herausfinden.

Einer aus ihrer Gilde hat vor kurzem in einem konkreten Fall diagnostiziert, ein tatverdächtiger Jugendlicher wäre noch zu unreif gewesen, um das Verbotene seiner Tat einzusehen. Der selbe Jugendliche ist aber davor nicht zu unreif gewesen, um Passanten mit Hilfe eines Messers um Handy und Bargeld zu erleichtern. Aber offenbar hat er halt nicht gewusst, dass man das eigentlich nicht tun sollte. Und daher könne man ihn doch nicht bestrafen.

Ein anderer Psych. hat sogar behauptet, dass 90 Prozent aller jugendlichen Straftäter eigentlich psych. Fälle seien. Das heißt natürlich im Klartext: All diese 90 Prozent gehören eigentlich ihm und seinen Berufskollegen.

Wenn solche Wahrheitsspender und Gurus Gehör finden, hört sich letztlich der Rechtsstaat auf. Denn die logische Folge aus all dem ist ja die Abschaffung von Straf- und Familiengerichten und ihre Ersetzung durch die Weisheit der allwissenden Psych.s.

Die Wahrheit gepachtet zu haben, ist gut fürs eigene Ego

Woher kommt dieser absurde Trend? Drei Wurzeln sind wohl entscheidend:

Zum ersten ist es für jeden Menschen, also auch einen Psych., sehr verführerisch, wenn ihm a priori die Behauptung abgenommen wird, dass er die Wahrheit kennt. Es erhöht das eigene Ego ungemein, wenn man das anderen einreden kann. Warum sollte man da zugeben, dass man eigentlich nur Vermutungen äußert, oder gar, dass man bloß aktuellen (Psych.-)Modetrends folgt?

Zum zweiten ist das gutachterliche Urteilen über andere Menschen eine einträgliche Einnahmequelle. Das ist selbst dann der Fall, wenn man sich mit seinen „Objekten“ eingehender, also zeitaufwendiger zu befassen bereit ist und nicht bloß eine Viertelstunde lang.

Und zum dritten ist dieser Trend eine logische Folge der reinen Quantität. Denn die Menschen mit irgendeiner Psych.-Ausbildung werden ja immer zahlreicher. Und wie in vielen anderen Bereichen gilt auch hier: Wenn es nicht genug Arbeit für eine Berufsgruppe gibt, schafft sie sich halt welche.

Aber schuld an dem Irrweg sind eigentlich die Richter, die Lehrer – und wir alle. Denn wir trauen diesen Psych.s viel zu viel zu. Wir fallen immer wieder auf ihre wissenschaftlich verbrämte Durchblicks-Attitüde hinein. Und mangels anderer Orientierungen gefällt uns das auch oft. Sind doch Seele und/oder Geist für die meisten von uns sowieso so etwas wie eine Blackbox. Uns ist jedenfalls das Psych.-Gerede viel lieber als die Erkenntnis, dass sich die Wahrheit gerne der menschlichen Erkenntnis entzieht. Das kennen wir ja auch in anderen Bereichen, wo Menschen massenweise und leichtgläubig einem Guru folgen. Umso lieber, je abstruser er ist.

Das alles heißt nun gewiss nicht, dass ich automatisch alle Psychologie und Psychiatrie für einen Nonsens halte. Aber den Psych.s stünde – wie vielen anderen Berufen – ein ordentliches Stück Demut und Bescheidenheit dringend an.

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Politisch korrekte Philosophie drucken

Auf 271 Seiten versucht Markus Gabriel – mit Jahrgang 1980 der wohl jüngste Philosophieprofessor Deutschlands – zu begründen, „warum es die Welt nicht gibt". Seine wort- und einfallsreichen Begründungen lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Es gibt die Welt nicht, weil es Gott nicht gibt. Gott existiert nicht „in dem Sinne, dass es eine Person gibt, die Gesetze verhängt oder sich außerhalb des Universums an einem unzugänglichen Ort befindet" (S. 208).

Gott ist „kein Prinzip, das alles zusammenhält und organisiert. Die Welt gibt es nicht. Auch Gott kann es demnach nicht geben, wenn wir unter <Gott> ein solches Prinzip verstehen" (S.211).

„Man könnte provokativ sogar sagen, dass Religion die Einsicht ist, dass es Gott nicht gibt, dass Gott kein Objekt oder Supergegenstand ist, der den Sinn unseres Lebens garantiert" (S. 211). „Wenn man meint, dass es einen großen Regenten gibt, der das Universum und das menschliche Leben steuert, täuscht man sich. Denn es gibt kein solches Weltganzes, das dann auch noch jemand zu regieren hätte" (S. 212). Religion als „Vorstellung von einem allumfassenden, alles beherrschenden Weltprinzip" ist „Fetischismus" (S. 185). „Der Fetischismus identifiziert ein Objekt als den Ursprung von allem und versucht, aus diesem Objekt die Identitätsmuster zu entwickeln, denen alle Menschen Folge leisten sollten. Dabei spielt es dann nur noch an der Oberfläche eine Rolle, ob Gott oder der Big Bang verehrt wird" (S. 190).

Gabriels Auffassung hat politische Konsequenzen: Wenn es Gott und die Welt nicht gibt, „dann gibt es auch keine einheitliche deutsche Gesellschaft, in die man dann irgendjemand integrieren müsste" (S. 236). Demokratie steht „dem Totalitarismus entgegen, weil sie in der Anerkennung der Tatsache besteht, dass es keine abschließende, alles umfassende Wahrheit" gibt (S. 236). Weil die eine Welt nicht existiert, „existieren viele Sinnfelder" und Perspektiven (vgl. S. 240). „Die Vielzahl real existierender Perspektiven anzuerkennen ist gerade die Pointe moderner Freiheit (…), die nicht auf eine unnötige Vereinheitlichung setzt" (S. 254). Politik ist gefordert, sich dem „Perspektivenmanagement" zu stellen (S. 236).

Markus Gabriel nennt seine Anschauungen „Neuen Realismus". In ihm spiegelt sich die heute allgegenwärtige „Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt" (J. Ratzinger, 2005). Nichts gegen Philosophen, welche sich dieser Diktatur unterwerfen und, gestützt auf Film- und Fernsehserien, eine Art Show about Nothing abziehen. Doch zum akademischen Comment gehört es, sich mit der wichtigsten Gegenstimme auseinanderzusetzen, die sich dieser Diktatur des Relativismus widersetzt. Das ist heute wie seit eh und je das Lehramt der katholischen Kirche, dessen Äußerungen zu philosophischen Grundfragen höchste Beachtung verdienen.

Zum einen kommt in diesen Äußerungen nicht eine persönliche Meinung, sondern eine kollektive Stimme zum Ausdruck, die für über eine Milliarde Menschen spricht, ihnen Handlungsnormen und Werte vorgibt, und schon deswegen in der Öffentlichkeit ein weites Echo findet. Zum anderen sind lehramtliche Äußerungen häufig das Ergebnis intensiver Beratungen, an denen die feinsten Geister teilgenommen haben. Dadurch erhalten diese Äußerungen eine natürliche Autorität, die auf Argumentation und geistiger Gültigkeit beruht.

Solche autoritativen, kollektiven Äußerungen stellen häufig genug „Zeitgeistsperren” dar. Sie zu unterschlagen beruht entweder auf Ignoranz, oder meist auf dem Vorsatz, dem Lumen gentium keinen Platz einzuräumen und einer Auseinandersetzung mit diesem „Licht der Völker” aus dem Wege zu gehen. Für Markus Gabriel ist das typisch.

Im Quellenregister finden sich zwar zeitgenössische Regisseure wie Christoph Schliengensief oder Jean-Claude Brisseau, nicht jedoch philosophische Denker vom Rang eines Joseph Ratzinger oder Karol Wojtyla. Eine Auseinandersetzung mit so beutenden Enzykliken und Lehrdokumenten aus jüngster Zeit wie jenen über das Verhältnis von Glaube und Vernunft (Fides et ratio, 1998), von Wahrheit, Freiheit und Moral (Veritatis splendor, 1993), der Religionen zueinander (Nostra aetate, 1965), von Kirche und Welt (Gaudium et spes, 1965), von Kirche, Naturrecht und Demokratie (Evangelium vitae, 1995) oder über die Würde des Menschen (Dignitatis humanae, 1965) oder über die Soziale Frage (heute zusammengefasst im „Kompendium der Soziallehre der Kirche”, 2004), sucht man bei Gabriel vergebens.

Obwohl er die gleichen Themen in extenso behandelt, verzichtet er auf die Heranziehung dieser Weltdokumente. Philosophisch bewegen sich diese Dokumente auch auf der Ebene der „natürlichen Vernunft” und nicht nur der Theologie. Sie als die entschiedene und starke philosophische Gegenstimme gegen Relativismus und Modernismus nicht zu berücksichtigen, verkitscht den „Neuen Realismus” Gabiels zu einer primitiven Rechtfertigungs- und Beschwichtigungsphilosophie zum Zwecke der politisch korrekten Affirmation einer uns vorgespiegelten „heilen” Welt, welche die Sinn- und Wahrheitsfrage nicht mehr stellt und in einem wohlfeilen Gebräu aus Toleranz und Pluralismus ertränkt.

Cui bono? Der Unisono-Beifall aus der Ecke der gelenkten Qualitätsmedien (NZZ, FAZ, Spiegel, Süddeutsche, Welt, TV) legt die Antwort nahe.

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er veröffentlichte zuletzt „Die Rechte der Nation“ (Stocker, Graz 2002), „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011) und „ESM-Verfassungsputsch in Europa“ (Schnellroda 2012).

Markus Gabriel: Warum es die Welt nicht gibt. 271 Seiten. 5. Aufl. Ullstein-Verlag, Berlin 2013. ISBN 978-3-550-0810-4. 18,00 €

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Die Ökonomie von Gut und Böse drucken

Der Autor, Tomáš Sedlácek, Chefökonom einer tschechischen Großbank, lehrt an der Universität Prag Wirtschaftswissenschaften und fungierte während der Amtszeit von Präsident Václav Havel als dessen Berater. Kein ausschließlich im Elfenbeinturm sitzender Gelehrter also, sondern vielmehr ein Mann mit praktischem Zugang zu den in seinem Buch behandelten Fragen.

Der von John Stuart Mill (dem „Vater“ des Utilitarismus), später auch von F. A. Hayek, formulierte Gedanke „Wer nichts anderes ist, wird wahrscheinlich kein guter Volkswirt sein“, charakterisiert die Arbeit Sedláceks. Hier schreibt eher der Philosoph, weniger der Ökonom. Sein zentrales Anliegen ist es, der Frage nachzugehen, ob es sich auszahlt, gut zu sein, oder ob das Gute außerhalb jedes Nutzenkalküls liegt.

Zu diesem Behufe schlägt der Autor – nicht ohne Witz und mit scharfem Blick fürs Wesentliche – einen weiten Bogen von den Anfängen aller schriftlichen Überlieferungen, dem Gilgamesch-Epos, über das Alte und Neue Testament (letzteres hat er akribisch auf seine erstaunlich zahlreichen wirtschaftlich relevanten Aussagen untersucht) und die „Klassiker“ der Ökonomie, bis in unsere von einer langjährigen Schulden- Währungs- und Demokratiekrise gekennzeichneten Tage.

Sedlá?ek geht mit seiner eigenen Zunft durchaus hart ins Gericht. So kritisiert er etwa scharf deren Reduzierung des Menschen auf den Homo oeconomicus und dessen rein mathematische Funktionen. Die moderne Ökonomie lege seiner Meinung nach „zu viel Gewicht auf die Methode anstatt auf die Substanz.“ In der Tat: Moderne Lehrbücher der Ökonomie sind – seit Paul Samuelsons „Economics: An Introductory Analysis“ – anders als die der Klassiker, voll mit Formeln und Diagrammen. Man meint, es mit Werken zur Physik zu tun zu haben…

Betrachtungen der Phänomene Geld, Zinsen, Wert und Bedeutung der Arbeit (die dem Menschen erst mit seiner Vertreibung aus dem Garten Eden zum Fluch wurde) bilden ebenso Bestandteile seiner Ausführungen, wie solche zum Unterschied von Tausch- und Gebrauchswert von Gütern und die Beschäftigung mit der Spieltheorie.

Der heutzutage so gut wie ausschließlichen Festlegung von Studenten der Wirtschaftswissenschaften auf die total mathematisierte „Neoklassik“ steht Sedlácek kritisch gegenüber: „Obwohl wir am stärksten an die menschliche Entscheidungsfreiheit glauben, erlauben wir es den Stundenten ja nicht, ihre eigene ökonomische Denkschule auszuwählen – wir lehren sie nur noch den Mainstream.“ Man meint, den Befund eines Protagonisten der „Austrian Economics“ vor sich zu haben.

Bilanz des Autors: „Wir haben zu viel Weisheit gegen Exaktheit getauscht, zu viel Menschlichkeit gegen Mathematisierung.“ Mein Fazit: Erhellende Sommerlektüre!

Die Ökonomie von Gut und Böse
Tomáš Sedlácek (Carl Hanser Verlag, München 2012
ISBN 978-3-446-42823-2
447 Seiten, gebunden, € 24,90,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Angepasste Hosenscheißer drucken

Bernhard Heinzlmaier ist ein bekannter und renommierter Jugendkulturforscher. Er hat Lehraufträge an der Popakademie in Mannheim, am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Innsbruck oder am Joanneum Graz, er ist gefragter Gast in Radio und Fernsehen, hat mehrere einschlägige Bücher geschrieben und leitet das Marktforschungsinstitut Tfactory in Hamburg.

Politische Parteien, Ministerien, NGOs, Verlagshäuser, Konzerne und Universitäten hören auf das, was Herr Heinzlmaier über die junge Generation und ihre Vorlieben, Interessen, Motive und Ziele zu sagen hat. Politiker, Beamte, Staatsanwälte, Journalisten, Studenten, Programmgestalter, Lehrende und Marketingmenschen beziehen ihr Wissen über die junge Generation zu einem beträchtlichen Teil von solchen Wissenschaftlern und Instituten.

Der Einfluss, den Heinzlmaier und seine Kollegen auf Gesellschaft, Kultur, Medien, Politik und damit auf unser aller Leben haben, ist nicht zu unterschätzen. Zu den TFactory-Kunden gehören etwa die Arbeiterkammer NÖ, der ORF, die ÖBB, die Kinder- & Jugendanwaltschaft Salzburg, das Sozial- und das Innenministerium, der Salzburger Landeskulturbeirat oder die Stadt Wien. Die Erkenntnisse eines Herrn Heinzlmaier finden so ihren Niederschlag in Werbekampagnen, Parteiprogrammen, Wahlkampfstrategien, Lehrplänen, Drehbüchern, Förderrichtlinien, Gesetzestexten usw.

Herr Heinzlmaier hat dem Jugend-Internetmagazin „paroli“ jetzt ein Interview gegeben. Darin spricht er über seine Gedankenwelt, seine Ressentiments und seine ideologische Verortung. Ein äußerst aufschlussreiches Gespräch, auch wenn oder vor allem weil Heinzlmaiers Ein- und Ansichten, was er über die Gesellschaft und die Jugend denkt und zu sagen hat, nicht neu und wenig originell sind. Er ist ein geradezu idealtypischer Vertreter der rezenten Geistes- und Sozialwissenschaften.

Obwohl um ein paar Jahre zu spät geboren, ist Heinzlmaier ein waschechter Alt-68er. Da verwundert es auch nicht weiter – Jugendkulturforscher hin oder her – wenn er in „paroli“ über den „Trend zum angepassten Hosenscheißer“ lamentiert. Ja, ja die heutige Jugend ist nicht zu vergleichen mit dem jungen Heinzlmaier. Was war der früher nicht für ein unangepasster Teufelskerl und Revoluzzer. Keine Spur von Hosenscheißer: „Damals habe ich von Tag zu Tag gelebt und mir das Recht herausgenommen, keine Pläne zu haben. (…) Das Leben kann auch daraus bestehen, dass man sich täglich besäuft und bekifft und Nietzsche liest.“

Wow! So wie Klein-Heinzlmaier haben damals allerdings ein Großteil der Studenten gedacht, gelebt und gehandelt. Er war nicht mehr und nicht weniger als ein Kind seiner Zeit: Ein linker Mitläufer, der wie viele andere auch schlicht und einfach jene großzügigen Angebote und Freiräume, die Politik, Staat und Gesellschaft damals der Jugend machten, intensiv ausgenutzt hat. Das hatte mit Unangepasstheit, Eigenständigkeit, „kreativer Selbstverwirklichung“ oder gar Mut rein gar nichts zu tun. Die zumeist aus der Mittelschicht stammenden gut behüteten linken Studenten haben nie irgendetwas riskiert. Man rannte lediglich offene Türen ein. Darauf sind Heinzlmaier und seine linken (Alters)Genossen auch noch heute mächtig stolz.

Und während der Forscher seine eigene Jugend in schönsten Pastellfarben ausmalt, drischt er unbarmherzig auf die jetzige ein. Im Klappentext seines aktuellen Buches „Perfomer, Styler, Egoisten“ heißt es großspurig: „Doch die gut ausgebildeten Ungebildeten sind ängstliche Kreaturen mit begrenztem Horizont und engem Herz (…)“ Und im „paroli“-Interview mokiert sich der blasse Alt-68er über „langweilige Menschen, die alle im gleichen Jargon und den gleichen Vokabeln daher reden und alle dieselben Absichten und dasselbe Erfolgskonzept haben, das mit ihren persönlichen Gefühlen und mit ihrem Leben und Bedürfnissen überhaupt nichts zu tun hat.“

Wie immer schuld: der Neoliberalismus!

Die ängstlichen blöden jungen Spießer bräuchten sich doch nur an den 68-ern und ihren Epigonen ein Beispiel nehmen. Die hatten alle eine ganz individuelle Sprache und ganz unterschiedliche Vokabeln (und konnten sich trotzdem verständigen) und natürlich total individuelle Ziele und Pläne (man sieht ja was aus ihnen geworden ist). Und wer ist schuld, dass die Jungen nicht mehr so toll wie früher sind? Bingo! Der böse Neoliberalismus. Der Beelzebub und Sündenbock aller frustrierten Altlinken.

Vor allem in Österreich ist die neoliberale Ideologie ja besonders dominant, in einem Land in dem – mit einer einzigen kurzen Unterbrechung – seit 1970 sozialistische Bundeskanzler an der Macht sind und das eine der höchsten Steuer- und Abgabenquoten weltweit hat. Neoliberalismus in seiner reinsten Ausprägung eben. Aber Heinzlmaier ruft einfach: Haltet den Dieb!

Natürlich wird der wirtschaftliche Druck auf die junge Generation immer größer. Kein Wunder, befindet sich doch Österreich und ganz Europa im wirtschaftlichen Sinkflug. Das hat allerdings wenig mit Neoliberalismus und viel mit den Folgen leistungsfeindlicher sozialistischer Umverteilungspolitik zu tun. Die europäische Jugend zahlt jetzt die Zeche für die „kreative Selbstverwirklichung“ der vielen Tausenden Heinzlmaiers, die noch immer vom sozialistischen Schlaraffenland träumen: „Der Neomaterialismus steht für eine Grundhaltung, die postmaterielle Werte der ‘68er Generation wie Solidarität, Toleranz, idealistische Selbstverwirklichung und die Kritik an gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und Unterdrückung durch ein neomaterialistisches Wertesetting ersetzt.“

Wenn man das liest, bekommt man richtig Lust, sein Che-Guevara-T-Shirt überzuziehen, eine Grateful Dead Platte aufzulegen, einen Joint anzuzünden und ein bisschen in der Mao-Bibel zu schmökern. Und weil diese Zeit damals so furchtbar toll war, hat sie auch so großartige Geister und Denker wie Herrn Heinzlmaier hervorgebracht: „Aber ich bevorzuge den ausgeflippten Punk, oder einen alten, versoffenen Philosophen gegenüber den coolen, performenden Anzug-Typen, die vorbei laufen und ihre komische, lächerliche Erfolgsgeschichte inszenieren, die zum Beispiel darin bestehen kann, irgendeine verblödete Applikation für das Handy zu programmieren und diese dann verkaufen. Diese Typen interessieren mich einfach nicht. Das sind langweilige, öde Menschen.“

Denn, so der spannende Heinzlmaier: „Strebsam sein ist an sich widerlich“. Sein brillanter Gegenentwurf zur widerlichen neoliberalen Leistungsgesellschaft und zum angepassten Hosenscheißertum: „Auf dem Weg zu diesem Interview bin ich an Punks vorbeigegangen, die mit Hunden auf der Straße sitzen, denen ich auch immer Geld gebe, denn das ist für mich der richtige Weg zu einer Erneuerung der Gesellschaft. Diese „Verpunkung", also dass wir uns mit Hunden irgendwo auf die Straße setzen und Bier trinken und das Leben an uns vorbeiziehen lassen: Das wäre ein Ideal, das ich dem heutigen Ideal entgegen halten würde.“

Man kann seine Vision zur Erneuerung der verkommenen europäischen Gesellschaft richtig vor sich sehen: Mit Graffiti beschmierte Großstädte voll mit besoffenen Punks samt verdreckten streunenden Hunden und dazwischen die letzten verbliebenen widerlichen angepassten Hosenscheißer, die ständig für Nachschub an Dosenbier, Haarfärbemittel, Lederjacken und Sozialhilfegeldern sorgen müssen. Man muss wohl mehrere Semester Germanistik studiert haben und bekannter Jugendkulturforscher sein, um solch richtungweisende gesellschaftliche Utopien entwerfen zu können. Fragt sich nur, warum Herr Heinzlmaier nicht selbst mit Irokesenschnitt und speckiger Lederjacke herumläuft? Liegt es vielleicht daran, dass er selbst das ist, was er der Jugend vorwirft? Man will doch schließlich nicht die Marktingabteilung von Procter und Gamble oder der ÖBB vor den Kopf stoßen.

Und weil die widerliche und langweilige Jugend Heinzlmaiers feuchte Träume partout nicht realisieren möchte, schmollt er eben bisschen: „Es ist ein Menschentypus dominant, der, wenn er das Wort Solidarität gebraucht, dann in erster Linie seine Freunde und Familie damit meint.“

Wie können sie nur. Familie! Wie widerlich. „Ich selbst möchte am liebsten morgen schon nicht mehr aktiv sein. Ich hasse das Aktiv-Sein. Aber meine finanzielle Situation erlaubt es mir nicht anders.“ Vielleicht hätte er halt doch eine unnötige App entwickeln sollen. Aber so muss er weiter über die dumme, angepasste, langweilige und widerliche Jugend „forschen“ und publizieren. Und das ist fatal. Schließlich glauben viele Politiker, Beamte, Marketingmenschen und sonstige Entscheidungsträger das wissenschaftlich verbrämte Geschwätz eines frustrierten Alt-68ers.

Das gesamte Interview mit Bernhard Heinzlmaier: http://www.paroli-magazin.at/dargestellt/interview/ich-sehe-den-trend-zum-angepassten-hosenscheisser/

Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Von ihm ist 2012 „Die roten Meinungsmacher – SPÖ-Rundfunkpolitik von 1945 bis heute” im Deutschen Wissenschaftsverlag erschienen. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Geschichte, Politik, Ideologie und Ziele der österreichischen Grünen.

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Depressiv, dekadent und überflüssig: Europa 2013 drucken

Der große Historiker Walter Laqueur mag mit seinen 92 Jahren nicht mehr lange unter uns weilen. Aber die Weisheit, mit der er dieser Tage Europa analysiert hat, geht wohl weit über die Spanne seines Lebens hinaus. Es ist wohl das klügste, aber auch bestürzendste Interview gewesen, das man in den letzten Jahren über Europa lesen konnte.

Dabei ist das, was Laqueur da in einem Interview mit dem „Spiegel“ gesagt hat, in fast jeder Zeile von großer, ja verzweifelter Liebe zu Europa geprägt. Er spricht in vielem das aus, was man selber für die Zukunft des Kontinents fürchtet.

Vergnügungspark für die Neureichen aus anderen Kontinenten

Dennoch klingt seine Zukunftsvision aufs erste und oberflächlich recht harmlos. „Die Möglichkeit, dass Europa ein Museum oder ein kultureller Vergnügungspark für die Neureichen der Globalisierung wird, ist nicht völlig von der Hand zu weisen.“ Dies ist in Wahrheit ja heute schon der beherrschende Eindruck, den die Städte des Kontinents vermitteln.

Prinzipiell ist das – auch für den Historiker Laqueur – ja nichts Schlechtes: „Das Ausscheiden aus der Champions League ist nicht das Ende.“ Nur sollte man sich dessen eben auch bewusst sein. Denn „dann wäre es vielleicht auch ratsam, die freigiebige Verteilung von guten Ratschlägen an andere Länder etwas einzuschränken und die eigenen Leistungen weniger pathetisch zu beschwören.“

Laqueur sieht das aus der weit vom Objekt der Betrachtung zurücktretenden Perspektive des Analytikers (und sicher auch seines eigenen Alters): „Aufstieg und Zerfall von Reichen sind Konstanten der Geschichte.“ Das erinnert stark an Oswald Spengler, der schon am Beginn des vorigen Jahrhunderts den Untergang des Abendlandes prophezeit hat. Für Laqueur ist diese Perspektive entweder eine Konsequenz des Alterungsprozesses Europas oder die Folge seines Wohlstandes; dieser habe eine furchtsame Gesellschaft herausgebracht, die allen Konflikten ausweichen will und alle Warnsignale missachtet, durch die sie ihren Wohlstand gestört fühlt.

„Bevor der Zusammenbruch kommt“

Man sollte sich bei der Beurteilung nicht durch seine die relative Stabilität Europas in den letzten Jahrzehnten täuschen lassen: „Es gibt immer ein retardierendes, beharrendes Moment, bevor der Zusammenbruch kommt.“ Europa hoffe auf ein Wunder – wende aber jenes Rezept an, dass auf längere Sicht den geringsten Erfolg verspreche: „ein bisschen Reform hier, ein Stück Flickschusterei da und eine Dosis business as usual.“ Dahinter habe Europa aber das Gefühl für die klare und unmittelbare Gefahr verloren, welche seine Krise bedeutet. Der europäische Antiamerikanismus, „der auf der Linken wie auf der Rechten stets latent geblieben ist“, habe nämlich den Blick auf die eigenen Schwächen Europas verstellt, so Laqueurs unbarmherziges Urteil.

Die Europäer bleiben lieber in Deckung. Sie versuchen gar nicht mehr, wieder zu einer politischen Großmacht aufzusteigen. Aber: „Die Europäer haben noch nicht begriffen, dass es keinen Schutz vor den Folgen der Weltpolitik gibt.“ Ein Rückzug biete keine Sicherheit vor den Konsequenzen.

Europa sei von einer unerklärlichen Willenlosigkeit erfasst. Die europäische Krise sei nämlich keineswegs vorrangig eine Schuldenkrise. „Europäische Werte mögen noch so oft angerufen und angepriesen werden – Willensschwäche, Trägheit, Ermüdung, Selbstzweifel, mangelndes Selbstvertrauen, das läuft auf die psychologische Diagnose eines schwachen Egos hinaus.“

Den Umgang mit Rüpeln und Schurken lernen

Diese Ängstlichkeit strahle Europa naturgemäß auch nach außen aus. „Das merken die Rüpel, und das spüren auch die Hilfsbedürftigen.“ Laqueur verlangt von Europa, dass es endlich zur Kenntnis nehmen solle, in einer Welt zu leben, „in der allzu oft das Chaos herrscht, nicht das internationale Völkerrecht.“ Es müsse daher lernen, sich nach zwei verschiedenen Methoden in der Welt zu verhalten: „einmal nach solchen, die den Umgang untereinander regeln“; jedoch „wenn es um die Rüpel und Schurken geht, die noch nicht den aufgeklärten Zustand der Postmoderne erreicht haben“, dann sollte Europa begreifen, das ganz andere Methoden notwendig sind.

Zweifellos könnte man auch Europas unsichere Reaktion in der aktuellen NSA-Überwachungskrise so interpretieren. Die Europäer sehen in diesem Zusammenhang immer nur brave und anständige Bürger als Opfer, die Amerikaner (und zum Teil Briten) haben hingegen immer Schurken und Schurkenstaaten als Ziel all der Abhöraktionen vor ihrem Auge. Daher fällt es Europa auch so furchtbar schwer, mit den Amerikanern einen Konsens bei der Interpretation der Geheimdienstaktionen zu erzielen.

Zurück zu Laqueurs Bilanz. Sie ist jedenfalls deprimierend. Europa habe seinen moralischen Kredit weitgehend verspielt, fürchtet er. „Es scheut sich Sanktionen zu verhängen; es tut sich unendlich schwer, in Krisen außerhalb Europas zu intervenieren; es hat seine weitgehende Ohnmacht sogar bei Kriegen im eigenen Hinterhof bewiesen.“

Spielball der Weltpolitik

Europa spiele zwar in Wirtschaft und Handel weiterhin eine Rolle. „Aber bis heute steht der Kontinent politisch und militärisch nicht auf eigenen Füßen.“ Das wäre aber nur möglich, wenn global die Machtpolitik keine Rolle mehr spielten würde. „Die Konflikte sind jedoch nicht zurückgegangen, der Fanatismus und die Leidenschaft in ihnen brennen weiter“. Das mache es daher fragwürdig, ob der Gedanke einer europäischen Unabhängigkeit von der Weltpolitik realistisch ist.

Europa erweise sich angesichts der heraufziehenden Stürme vielmehr als hilflos und werde zu einem Spielball dieser Weltpolitik.

Brillante und mutige Gedanken zur Lage des Kontinents und der Union, die einem viel zum Nachdenken geben. Am beklemmendsten ist aber wohl, wie weit diese Gedanken ganz offensichtlich von der Realität Europas, von den Themen seiner Wahlkämpfe und von der Denkwelt seiner Politiker entfernt sind.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Fußnote 459: Die Ganztagsschule, die „Experten“ und die Demokratie drucken

Nur rückständige Hinterwäldler und die Lehrergewerkschaft verhindern den brennenden Wunsch der Eltern, dass ihre Kinder ganztägig und „verschränkt“, also mit Nachmittagsunterricht, in Schulen unterrichtet werden.

In Wahrheit aber wollen die Eltern das ganz und gar nicht. Diese Schulform könnte nämlich schon seit Jahren dort eingeführt werden, wo ein Drittel der Eltern zustimmt (also ohnedies nur eine Minderheit). Daher haben nur 1,8 Prozent der Schüler an AHS-Unterstufen solchen Unterricht bekommen. Viel mehr Schüler saßen hingegen in „unechten“ Ganztagsschulen, wo am Nachmittag nur Lernbetreuung angeboten wird. Diese Form lässt Kindern die Möglichkeit, an externen sportlichen oder kulturellen Aktivitäten teilzunehmen, am Reit-, Klavier- oder Balletttraining. Und die ganz große Mehrheit der Eltern hat sich überhaupt für die traditionelle Halbtagsform entschlossen. Quer durchs Land. Es waren immer die Eltern und praktisch nie die Lehrer, welche die progressive Reform abgelehnt haben. Dabei hatten Ministerium, Androsch und Industriellenvereinigung diese ihnen seit Jahren einzutrommeln versucht. Das alles hat jetzt das Unterrichtsministerium selbst zugegeben. Das alles ist doppelt erfreulich: Erstens weil einmal sogar von dort ein Teil der Wahrheit zu hören ist. Und zweitens, weil die große Mehrheit der Eltern durchaus willens und interessiert ist, die eigenen Kinder selbst zu betreuen. Was wieder einmal zeigt: die Menschen sind familienorientiert und jedenfalls viel vernünftiger als Medien, Politik und selbsternannte „Experten“.

 

 

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Wir zahlen für die Fiesta drucken

Wie sich binnen weniger Tage eines so zum anderen fügt. Beide spanischen Großparteien sind derzeit wegen schwerem Korruptionsverdacht in der Krise. Niemand aber braucht lange nachzudenken, woher denn das Bestechungsgeld für sie eigentlich gekommen ist. Die Antwort gibt diesmal sogar der sonst zahnlose und verschlafene EU-Rechnungshof: Er hat fast zeitgleich mit dem Platzen der Korruptionsaffären enthüllt, dass ein Quadratmeter Fahrbahn in Spanien fast doppelt so teuer ist wie in Deutschland. Na, bumm.

Der Rest ist geradezu zwingend logisch. Denn da spanische Arbeitskräfte nicht teurer sind als deutsche, ist die Vermutung in Wahrheit längst Gewissheit: Das europäische Geld für den Autobahnbau ist in dunkle Kassen geflossen.

Ein Teil floss zu den spanischen Eigentümern der Bauindustrie; diese hatten ja einige Jahre lang jede Summe Geldes, um von der Alpine bis Hochtief jede Baumaschine zusammenzukaufen. Der andere Teil floss zu den Parteien. Der konservative Ministerpräsident, der von einem Parteifreund verpfiffen worden ist, hängt ja seit einigen Tagen als mutmaßlicher Geldempfänger schwer groggy in den Seilen. Und die Sozialisten haben sich insbesondere in ihrer Hochburg Andalusien ebenso heftig an öffentlichen Geldern bedient.

„Öffentliche Gelder“ ist freilich ein recht unpräziser Ausdruck. Denn die spanischen Autobahnen sind nur zum Teil mit spanischem Geld, sondern vor allem mit EU-Geldern finanziert worden. Wie? Nun, die spanischen Regierungen haben seit Jahrzehnten Europa ständig erpresst. Sie haben diversen wichtigen Beschlüssen immer nur zugestimmt, wenn es frisches Geld für sie gab.

Dieses Geld wurde dann mit Hilfe von für die Durchschnittseuropäer kaum verständlichen Programmen nach Süden geschafft. Welcher Europäer fängt denn schon etwas an mit Worten wie „Kohäsionsfonds“ oder „Strukturgelder“? Jeder Europäer hat aber bei einem Spanien-Besuch gesehen, wie quer durchs Land kaum benutzte Luxus-Autobahnen gelegt worden sind. Er hat nur nicht begriffen, dass er selbst und nicht etwa die Spanier diese bezahlt hat.

Womit wir bei einer der vielen Erkenntnisse der neoliberalen Marktwirtschaft sind: Wenn nicht der Empfänger bezahlt, sondern ein Dritter – meist der Steuerzahler –, dann sind Verschwendung und Korruption nicht weit. Ja, meist stehen sie sogar im Zentrum der Dinge.

Und was tun unsere „Volksvertreter“ Swoboda oder Karas in der EU? Sie verlangen lauthals nach immer noch mehr von unserem Steuergeld. Mit dem offensichtlichen Zweck, damit die EU dieses in Spanien&Co verteilen kann. Glauben die beiden ernsthaft, dass irgendeiner ihrer Wähler sie auch beim nächsten Mal wieder wähnen wird?

PS: Ich würde fast wetten, dass die Spanier zur Ablenkung bald einen der alten ethnischen Konflikte wieder neu aufflammen lassen. Offen ist nur, welchen. Wird es wieder gegen die Basken oder Katalanen gehen? Oder gar gegen Gibraltar?

 

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Wir haben in Scheremetjewo keine Grenze. Leider, leider drucken

Wir haben in den letzten Tagen glasklar gelernt, wie halt die Macht in der Welt verteilt ist. Das ist zwar vielleicht ernüchternd, aber Tatsache. Viel ärgerlicher ist jedoch, wie Politiker aller Länder ständig an dieser Tatsache vorbei herumreden und herumlügen. Das zeigt der Fall des Edward Sowden besonders anschaulich.

In Google finden sich momentan schon über 110 Millionen Eintragungen zu seinem Namen. Natürlich hat die niemand alle gelesen. Aber jede Wette gilt, dass der allergrößte Teil der nichtamerikanischen Eintragungen ein und denselben Tenor hat: massive Solidarität mit Snowden und heftige Kritik an den neugierigen amerikanischen Geheimdiensten. Insbesondere Europas Regierungen klingen so empört, dass man fast glauben könnte, den USA werde demnächst unter großem Jubel der Massen der Krieg erklärt.

Die Verlogenheit beginnt jedoch spätestens dort, wo es um die konkreten Antworten auf die Asylanträge des schüchtern wirkenden Brillenträgers geht. Diese Anträge werden dann plötzlich unter den absurdesten formalistischen Vorwänden abgelehnt, nur nicht mit der Wahrheit. Meistens wird gesagt, der Mann stehe ja nicht an der Grenze des eigenen Landes oder auf dessen Boden. Daher könne ihm leider, leider deswegen kein Asyl gewährt werden. Sonst natürlich…

Geht’s noch mieser? Warum stellt sich keiner hin und sagt die Wahrheit? Die da lautet: „Wenn sich nicht einmal Russland und China trauen, dann trauen wir uns natürlich auch nicht; wir fürchten uns alle vor den unberechenbar gewordenen Amerikanern. Und Solidarität unter den derzeitigen Kritikern der USA würde es im Falle einer Asylgewährung mit Sicherheit sowieso keine geben. Also denken wir nicht daran, ihn zu nehmen.“

Das wäre die einzige Wahrheit zu diesem Thema. Aber niemand spricht sie aus. Staaten haben halt nur Interessen, keine Moral. Sie tun nur so, als ob sie eine hätten.

Dabei wären die Menschen – zumindest in Österreich – durchaus reif genug, um die Wahrheit auch zu begreifen. Sie werden statt dessen von ihrer Regierung angelogen. Genauso verlogen sind übrigens die Oppositionspolitiker, die nach Asyl für Snowden rufen. Sie brauchen sich ja bloß nach der Stimmung im Internet zu richten. Sie würden freilich sofort einen Grund finden, doch Nein zu Snowden zu sagen, sobald sie selbst in die Verantwortung rutschen würden.

Würde das Argument von Grenze und so stimmen, dann wäre es jedenfalls absolut unverständlich, wieso die Asylwerber in Österreich vor allem aus Russland, Afghanistan, Syrien, Pakistan, Algerien und Nigeria stammen. Wieso haben die hier allesamt Chancen? Sind das neuerdings Nachbarländer? Oder nehmen wir sie halt auf, weil sonst niemand – oder zumindest keine Supermacht – Interesse an diesen Menschen hat?

Dabei sind sie in Wahrheit meist ungebildete Arbeitsmigranten, deren Freiheit nicht bedroht ist, und schon gar nicht so wie die von Snowden. Gilt bei ihnen das Argument vom österreichischen Boden nicht mehr so richtig? Oder hätte Snowden halt auch nur irgendeinen Schlepper bezahlen müssen, der ihn auf geheimen Wegen bis vor eine österreichische Polizeiinspektion bringt, wo dann das Formalargument vom österreichischen Boden wegfällt?

Die Lehre der letzten Tage: Wir sind eben nur in Teilbereichen ein Rechtsstaat. Und sonst ein opportunistisch seine Eigeninteressen suchender Kleinstaat. Was im Falle Österreichs ja sogar irgendwie verständlicher ist als bei Deutschland oder Frankreich. Die sind nicht nur größer, sondern für sie haben sich noch dazu Amerikas Spione wirklich interessiert. Bei uns glaubt ja nur der Herr Fellner (ein von SPÖ-nahen Inseraten lebender Boulevard-Journalist), dass sich irgendjemand für die Worte eines Faymann interessieren würde.

PS: So viel sind die 110 Millionen ja auch nicht, habe ich mich inzwischen beruhigt. Selbst ich habe 340.000 Google-Ergebnisse. Und die kann auch niemand alle zur Gänze lesen…

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Freuen wir uns über unsere Reichen drucken

Er ist eine der beliebtesten Hassfiguren in öffentlichen Diskussionen quer durch Europa geworden: der Reiche. Ständig werden wir mit Statistiken bombardiert, wie viel Prozent die obersten Promille/Prozent/Dezile/Quintile an irgendeinem fiktiven nationalen Gesamtvermögen besitzen würden. Das sind für uns Normalsterbliche aufs erste eher unvorstellbare Dimensionen. Daher versuchen viele, damit auf Marktplätzen populistisch Stimmung zu machen und dabei unterschwellig den Eindruck zu erwecken, Vermögen würde ohnedies nur in Luxus, Nachtlokale oder lockere Frauen investiert. Konsequenz: Wegnehmen, enteignen, zumindest kräftig besteuern. Damit der weise Staat mit den Vermögen Klügeres anstellt.

Aus dieser Denkweise folgt dann mit der gleichen Logik gleich die geradezu zwingende Folgerung: Wenn wir das tun, dann können wir locker das Schlaraffenland des anstrengungslosen Wohlfahrtsstaates weiter finanzieren. Selbst wenn diese Annahmen stimmen – was sie nicht tun –, dann ist  die ganze Überlegungskette auch deshalb völlig unsinnig, weil mehrere entscheidende Fragen dabei nie gestellt oder untersucht werden. Sie lauten:

  1. Hat jemals in der Geschichte so ein Modell dauerhaft funktioniert?
  2. Woher kommt Reichtum?
  3. Was passiert, wenn der Staat auf private Vermögen/Erbschaften zugreift?

Zuerst zu den historischen Beispielen. Versucht sind solche Finanzierungsmodelle ja in der Tat schon oft worden. Die Realisierungen haben jedoch alle bitter geendet. Das gilt nicht nur für den überhaupt größten derartigen Versuch, also die einige Jahrzehnte agierenden kommunistischen Regime mit ihren zahllosen Abarten. Immer wurde den Ärmeren, den Arbeitern und Bauern, dabei eingeredet, man müsse nur die Besitzenden, die Adeligen, das Bürgertum, die Großbauern enteignen, und schon wären die Probleme der Armen gelöst. Und insbesondere Schriftsteller und Künstler mit ihrer großen Multiplikatorwirkung fanden das (auch im vermeintlichen eigenen Interesse) faszinierend.

Wie wir heute eigentlich alle wissen sollten: Nichts war gelöst. Das Gegenteil trat ein. Am Schluss war für (fast) alle viel weniger da als zu den Zeiten des bösen Reichtums. Arbeiter und Bauern gerieten im Kommunismus auf Generationen in noch tiefere Armut. Und Künstler konnten nur überleben, wenn sie regimekonform agierten.

Es dauerte jedenfalls nach der Abschaffung des Kommunismus Jahrzehnte, bis die Arbeiter und Bauern wieder mit denen gleichziehen konnten, die ohne die großen Umverteilungen ausgekommen sind. Besser ging es einzig der Funktionärsklasse, der Nomenklatura, die sich in die Villen der Reichen setzte, aber ohne Reichtum zu schaffen oder auch nur zu erhalten.

Den Armen helfen nur freie Aufstiegschancen

Es ist heute statistisch eindeutig nachweisbar: Je weniger Umverteilung, umso besser geht es auch den untersten Schichten. Das sieht man von der Schweiz bis Amerika. Zwar herrschen in solchen Ländern oft größere Verteilungsunterschiede als in anderen. Aber relevant kann ja nur sein, ob es den Armen durch Umverteilung langfristig und nachhaltig besser geht also ohne. Und das war nie der Fall.

Zur Bekämpfung der Armut muss etwas ganz anderes gewährleistet sein: dass Arme, Nichtadelige, Ungebildete ohne rechtliche oder formale Schranken genauso jede wirtschaftliche Tätigkeit ausüben können wie jene, die durch Adel und dergleichen einen scheinbaren Startvorteil haben. In den westlichen Staaten passierte das historisch in der Epoche zwischen der amerikanischen Tea Party und dem Sturz beziehungsweise der Entmachtung der Feudalsysteme. Sobald das möglich war, erfolgte in den nächsten Generationen eine große, friedliche UND nachhaltig erfolgreiche Umverteilung, eine Explosion an nationalem Reichtum.

Man denke nur an den sensationellen Aufstieg der europäischen Juden ab Ende der Diskriminierung und der Herstellung der Startgleichheit. Zünfte und Aristokratie hatten lange mit Tricks, Standesdünkeln und Ressentiments den Aufstieg der Bauern (die waren ja lange „schollegebunden“, also leibeigen), Juden und Handwerksgesellen zu verhindern versucht. Konkrete Beispiele dieser Tricks waren etwa Innungsmauern, Zugangshindernisse zu bestimmten Tätigkeiten und Zollmauern.

Sobald die benachteiligten Schichten aber gleichberechtigt waren, überflügelten die Fleißigen und Talentierten unter ihnen im Wettbewerb sehr oft die bisher dominierenden Schichten.

Von Zimbabwe bis Schweden: Umverteilung gescheitert

Gescheitert sind auch alle nichtkommunistischen Versuche, durch Reichenhatz zu Wohlstand zu kommen. Man denke etwa an das dramatische Beispiel Zimbabwes. Das Land war lange Zeit der führende Nahrungsproduzent und Exporteur Afrikas. Als aber ein angeschlagener Diktator dann populistisch zur Jagd auf die nicht einmal 5000 meist weißen Farmer rief (die im Vergleich zu den anderen Zimbabwe-Bürgern in der Tat sehr reich erschienen), errang er zwar kurzfristig den Beifall der vermeintlichen Profiteure aus seinen Reihen. Ein oder zwei Ernten später brach jedoch der bittere Katzenjammer aus: Es brach eine gewaltige Hungersnot aus, vor der Millionen Menschen ins Ausland flohen, wo sie bis heute noch darben.

Enteignung hat sich wieder einmal als der völlig falsche Weg erwiesen, um im Wettbewerb voranzukommen.

Aber auch Schweden ist hier anzuführen. Gewiss gab es dort kein Blutvergießen, keine Jagd auf politisch Missliebige oder Hungersnöte. Strukturell war das Ergebnis dennoch ähnlich: Jahrzehnte des immer intensiveren Zugriffs auf die „Reichen“, ständig erhöhter Steuern, ständig noch heftiger Regulierungen stürzten das lange von manchen als „Vorbild“ gehandelte Land in den Neunziger Jahren in eine tiefe Krise. Nur ein gewaltiger nationaler Kraftaufschwung mit Steuersenkungen, Abbau vieler „Errungenschaften“ und eben wieder mehr Rücksicht auf die Reichen hat Schweden seither wieder nach oben gebracht. Das hat auffälligerweise dazu geführt, dass keiner der Ideologen heute mehr vom schwedischen Vorbild spricht, wie es davor jahrzehntelang üblich gewesen ist.

Erbschaften sind nicht die Hauptqelle des Reichtums

Aber nicht nur der Blick in die Geschichte und auf die internationalen Beispiele sollte dringend vor Reichenhatz warnen. Zu dem selben Ergebnis führt auch der Blick auf die Quellen des Reichtums. In der Propaganda wird oft der Eindruck erweckt, dass dieser primär durch seit Generationen akkumulierte Erbschaften zustandegekommen und daher arbeitsloses Einkommen sei.

Das stimmt nur überhaupt nicht. Weder ein Bill Gates noch ein Dietrich Mateschitz noch ein Karl Wlaschek bauten nach dem Krieg auf irgendeinem vorgefundenen Reichtum auf, um nur einige Namen der in ihren Ländern jeweils Reichsten zu nennen. Das gilt auch für die meisten anderen auf den in manchen Medien so beliebten Listen der Reichen und der großen Vermögen.

Die meisten Reichen wurden als Unternehmer reich

Eine internationale Studie (Barclays) kommt zu dem Ergebnis, dass die durch unternehmerische Tätigkeit erworbenen Vermögen gegenüber den ererbten in einem Größenverhältnis von 40 zu 26 stehen. Das heißt, dass unternehmerische Aktivitäten den weitaus größten Teil der Vermögensbildung erzielen. Dass es aber kaum gelingt, Vermögen über mehrere Generationen zu erhalten. Dass man primär durch Arbeit und Leistung – und gewiss dem nötigen Quäntchen Glück – reich wird.

Nun können gewiss Moralisten die Nase darüber rümpfen, dass es ein zentrales Motiv vieler Unternehmer ist, reich zu werden. Realisten werden das aber im Sinne der Allgemeinheit zu nutzen versuchen. Denn sie wissen und haben an unzähligen Beispielen gelernt, dass ein Land ohne ausreichende unternehmerische Tätigkeiten in die Armut absinkt. Nur Unternehmer schaffen Arbeitsplätze.

Logischerweise stammt auch der weitaus größte Teil der Einkommensteuer-Einnahmen von Gutverdienern, von Reichen, von Unternehmern oder leitenden Angestellten, die wie ein Eigentümer Entscheidendes zum Erfolg eines Unternehmens beitragen.

An dieser Tatsache kann auch der Umstand nichts ändern, dass es Steuerhinterzieher gibt. Die sind mit allen rechtlich erlaubten Methoden zu verfolgen. Die illegalen Einkommen vom Pfusch bis zum Drogenschmuggel können aber niemals die teilweise oder gar gänzliche Konfiskation legal erworbener und versteuerter Vermögen legitimieren.

Wer nicht reich werden kann, strengt sich nicht an

Vor allem ist jede gänzliche oder teilweise Konfiskation kontraproduktiv. Denn die Dynamik, die Leistung, die Risikobereitschaft von Millionen auf Reichtum hoffenden Menschen ist absolut unersetzbar. Der Versuch, diese Motivation – polemisch neuerdings oft Gier genannt – durch Beamte und staatliche Planer zu ersetzen, ist immer dramatisch gescheitert.

Eine weitere schädliche Folge der Reichenhatz: Viele Menschen stellen ihre Anstrengungen ein, wenn sie keine Chance mehr sehen, Reichtum zu erwerben. Überdies sind schon unzählige Male Unternehmer und Leistungsträger in ein anderes Land übersiedelt, wenn ihnen der Staat ihr erarbeitetes Vermögen wieder wegzunehmen beginnt. Solange nicht wieder Eiserne Vorhänge aufgezogen werden, ist Abwanderung von Vermögen leicht und schnell. Lediglich bestimmte Freie Berufe (insbesondere Rechtsanwälte und Steuerberater) können meist nur im eigenen Land hoffen, reich zu werden.

Die angeblich arbeitslosen Vermögen

Nun wird von den Reichenjägern argumentiert: Es ginge ja nur um die arbeitslosen Vermögen. Dabei lügen sie aber gleich mehrfach:

  • Erstens kann man die erarbeiteten nicht von den ererbten und geschenkten Vermögen trennen.
  • Zweitens sind die meisten Vermögen in aller Regel wieder in Unternehmen angelegt. Eine Besteuerung würde also die Investition in Unternehmen reduzieren.
  • Drittens unterliegt fast jede Vermögensvermehrung ohnedies auch in Ländern ohne Vermögenssteuer längst der Besteuerung, etwa durch Kapitalertrags- oder Aktien- und Immobiliengewinnsteuern. Unversteuert sind de facto bis auf winzige Ausnahmen nur jene Vermögen, die sich nicht vermehren oder die gar an Wert verlieren, was eine Besteuerung besonders absurd macht.
  • Viertens zählen zu den wenigen derzeit unversteuerten Vermögenszuwächse vor allem die Wertgewinne von Bildern und anderen Kunstwerken. Das sind aber sehr volatile Wertgewinne. Es gibt viel mehr Kunstwerke, die nach Abflauen einer Modewelle kaum mehr wert sind als die bemalte Leinwand. Daher wird sich kaum noch jemand eine Kunstsammlung anschaffen, wenn allein deren Besitz besteuert wird. Die wahren Opfer eines Zugriffs auf die Reichen wären daher die Künstler, auch wenn es diese noch gar nicht richtig begriffen haben.
  • Fünftens trifft man mit Reichenhatz in fast jeder Konstruktion immer auch die Eigenheimbesitzer. Man würde also eine Steuer auf Wohnraum einheben, den die Politik eigentlich zu fördern versprochen hat.
  • Sechstens würden bei einer Besteuerung privater Vermögen natürlich viele Gold und Schmuck kaufen – und dann sofort vergraben oder sonstwie verstecken.
  • Das führt siebentens zwangsläufig zu einem widerlichen Eindringen von Finanzbeamten in den Intimbereich, die im Wäschekasten nach Golddukaten fahnden. Eine absolut abstoßende Vorstellung.

Sind Erbschaften wirklich leistungsfrei?

Aber die Erbschaften! Die sind doch wirklich leistungsfreies Einkommen, sagen da manche. Und liegen auch damit völlig falsch. Denn für den Erblasser sind sie keineswegs leistungsfrei, sondern ganz im Gegenteil die Summe seiner Lebensleistung. Für viele Erblasser war und ist es eine oft sogar dominierende Motivation, Werte für die Kinder zu schaffen und hinterlassen.

Noch abschreckender sollte auch die Tatsache sein, dass große Erbschaften fast immer primär aus unternehmerischem Vermögen bestehen. Dadurch würde also wiederum unternehmerische, arbeitsplatzschaffende Aktivität belastet. Es gibt viele Beispiele aus Ländern mit Erbschaftssteuer, wo Betriebe den Todesfall des Eigentümers auf Grund der Steuerlast nicht überleben konnten.

Dennoch wollen die österreichischen Gewerkschaften sogar schon ab 150.000 Euro nach den Erbschaften greifen. Dieser Betrag ist in der Summe von Autos, Briefmarkensammlungen, Häusern, Bargeld und vielem anderen in den meisten Familien erreicht, noch bevor man auf Unternehmensanteile und Aktien kommt.

Doppelte Steuer bei zwei Todesfällen

Was ebenfalls gerne übersehen wird: Bei einem doppelten Schicksalsschlag, also bei zwei Todesfällen in kurzer Abfolge, ist die Erbschaftssteuer dann gleich doppelt zu bezahlen, also für kaum jemanden noch finanzierbar.

Eine Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer hätte noch eine weitere Wirkung: Sie würde zu einer Fülle von Umgehungskonstruktionen führen, weil ältere Menschen eben alles tun, um ihren Besitz zur Gänze ihren Erben zu sichern. Sie lassen sich auch dadurch nicht abhalten, dass diese Konstruktionen meist sehr teuer werden, nicht nur wegen der Anwaltskosten. Oder dass sie sich erfahrungsgemäß später oft ärgern werden, wenn sie in Notsituationen ohne ihr einst erworbenes Vermögen dastehen, wenn sie nicht mehr Herr im eigenen Haus sind.

Die Konklusion kann also nur heißen: Seien wir froh, wenn wir Reiche haben. Je mehr desto besser. Lassen wir sie und das von ihnen Erworbene in Ruhe, zu Lebzeiten wie am Todestag. Es wäre für uns alle schlechter, wenn es keine Reichen, keinen Reichtum oder viel weniger davon gäbe.

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Permanente Revolution: Totalitarismus im Zeitalter des internationalen Bürgerkriegs drucken

Das nun erstmals in deutscher Sprache vorliegende Werk des 1933 aus Deutschland emigrierten Soziologen und Historikers Sigmund Neumann ist insofern bemerkenswert, als es 1942 publiziert wurde. Das war also ein Zeitpunkt, da noch keineswegs absehbar war, in welcher Weise sich der ständig eskalierende Zweite Weltkrieg weiter entwickeln würde.

Dieses Buch stand stets im Schatten jener der Totalitarismusforscherin Hannah Arendt, die mit Werken wie „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ weltweite Berühmtheit erlangte. Dem hierzulande wenig bekannten Autor gebührt indes Respekt dafür, mit „Permanente Revolution“ als erster eine vergleichende Untersuchung verschiedener Formen des Totalitarismus vorgelegt zu haben. Er konzentriert sich dabei auf die Entwicklung in Deutschland, Italien und der Sowjetunion. Spanien, andere europäische Diktaturen und Japan finden nur am Rande Erwähnung.

Dass Neumann den Hauptteil seiner Arbeit einer Analyse der Ereignisse in Deutschland widmet, hat ihm nach dem Krieg einige Kritik eingetragen: Er habe sich bei der Beurteilung der Entwicklung der Sowjetdiktatur deshalb zurückgehalten, weil diese damals zum Kreis der gegen die Achsenmächte kämpfenden Alliierten zählte.

Neumann sieht in den drei untersuchten Fällen den vorangegangenen Ersten Weltkrieg als eine der Hauptursachen – ja geradezu als Bedingung – für den weiteren Weg in den Totalitarismus, so unterschiedlich dieser auch verlaufen sein mag. Fünf Kernelemente identifiziert der Autor als in jedem der gewählten Beispiele gleichermaßen verwirklicht:

  1. das Versprechen von Sicherheit und Stabilität
  2. permanente Aktion statt eines konsistenten Programms
  3. eine pseudodemokratische Legitimierung
  4. die Geburt der Totalitarismus als „Kind des Krieges“ und
  5. das Führerprinzip

„Das erste Ziel des Totalitarismus ist es, die Revolution zu verewigen und zu institutionalisieren.“ So schreibt Neumann in der Einleitung. Die Institutionalisierung ist erforderlich, da ein klares Ziel – abseits von vagen Verheißungen, alles besser zu machen – fehlt. Aktionismus wird zum Ersatz für ein Programm. Die Entwicklung, die der Begriff Diktatur seit der Antike genommen hat, wird durch deren „modernen“ Anspruch auf Permanenz deutlich. Die für den Alltag moderner Diktaturen typische Durchdringung aller Lebensbereiche mit Politik ist ebenfalls ein Element, das den Despotien vergangener Zeiten fehlt.

„Vier Kriegsjahre hatten eine Kultur der Gewalt hervorgebracht.“ Besonders im besiegten, durch „Versailles“ gedemütigten und gesellschaftlich zerrütteten Deutschland, standen die Bedingungen für eine totalitäre Entwicklung demnach günstig.

Im Gegensatz zu den Nationalsozialisten verfügten die Kommunisten über ein vollständiges Weltbild. „Der Bolschewismus war die Revolution der radikalen Intelligenz.“ Der Kampf gegen Großgrundbesitzer, die Kontrolle über die Industrieproduktion und die Beendigung des Krieges sind zentrale Elemente der Sowjetrevolution. Dass die Umsetzung der von Karl Marx nicht mit praktischen Handlungsanweisungen versehenen Theorie auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, findet in der 1921 von Lenin ausgerufenen „Neuen Ökonomischen Politik“ ihren Ausdruck. Damit wird, sehr pragmatisch, ein Teil der vorangegangenen Kollektivierungsmaßnahmen wieder rückgängig gemacht.

Italien, das „Land der Städte, nicht der Metropolen“, sieht Neumann – wie Deutschland – als „verspätete Nation“. Das Land befand sich nach dem ersten Weltkrieg in einem recht frühen Stadium des Kapitalismus. Eine Parteienstruktur, wie im weiter entwickelten England, Frankreich oder Deutschland, existierte nicht. Politische Fraktionen basierten auf persönlicher Gefolgschaft, nicht auf einem Programm. Obgleich das Land zu den Siegermächten des Ersten Weltkrieges zählt, ist den meisten Italienern klar, dass seine „Triumphe eher seinen ruhmreichen Verbündeten geschuldet“ sind, als eigenen Anstrengungen. Dies wird zur Quelle nationaler Minderwertigkeitskomplexe. Der faschistische Schlachtruf „Wer ein Schwert hat, hat auch Brot“, fällt bei den durch die Nachkriegsdepression am schwersten getroffenen Gesellschaftsgruppen auf fruchtbaren Boden – bei jungen Facharbeitern und Angestellten.

Neumann analysiert Herkunft und Werdegang der Führer der drei totalitären Bewegungen und hebt die wichtige Rolle von deren Stellvertretern für die innere Organisation ihrer Parteien hervor. Er weist außerdem darauf hin, dass es sich – insbesondere bei den nationalsozialistischen Revolutionären der ersten Stunde – um, im Vergleich zum politischen Establishment, durchwegs junge Männer handelt.

Das Phänomen der Masse, das Wesen des Einparteienstaats, die institutionellen Rahmenbedingungen zur Kontrolle der Massen und die Konsequenzen des für den Totalitarismus sinnstiftenden, permanenten Krieges, sind weitere Schwerpunkte des Buches. In der von den Westmächten bis 1939 betriebenen Politik des „Appeasement“ sieht der Autor eine Konsequenz der völligen Fehleinschätzung des seinem Wesen nach auf permanente Expansion gerichteten Nationalsozialismus´. Das Dilemma Deutschlands, das im Nationalsozialismus seinen letzten Ausdruck findet, fasst Neumann so zusammen: „Es ist das Herz Europas, sein Bollwerk gegen den Osten, und gleichzeitig der große Fremde inmitten der europäischen Zivilisation.“

In einer zwanzig Jahre nach der Ersterscheinung geplanten zweiten Auflage geht es Neumann um einen „Weg zur Theorie des Totalitarismus“. Wegen des frühen Todes des Autors kommt dieses Projekt über den Rahmen einer Konzeption nie hinaus.

Aus heutiger Sicht erscheint es – angesichts der unverkennbar totalitären Tendenzen in den Imperien beiderseits des Atlantiks – befremdlich, dass der Autor die Gefahr des Totalitarismus´ ausschließlich mit autokratischen Regimes verbindet, nicht aber mit Demokratien. Autokratische Regimes können jedoch in mancher Hinsicht durchaus „liberal“ sein (man denke an Chile unter Augusto Pinochet, in dem ein radikal wirtschaftsliberaler Kurs gefahren wurde, von dem das Land heute noch profitiert), während (am Ende alle?) Demokratien sich mehr und mehr zu geschlossenen Zwangserziehungsanstalten für ihre Bürger aufschwingen. Stalin, Mussolini oder Hitler jedenfalls dachten niemals daran, ihren Bürgern das Rauchen zu verbieten oder vorzuschreiben, auf welche Weise sie ihre Wohnungen zu beleuchten hätten. Die politischen Führer der EU sind da aus völlig anderem Holz geschnitzt. Die Frage zu beantworten, weshalb das so ist, bleibt rezenten Totalitarismusforschern vorbehalten…

Permanente Revolution
Sigmund Neumann
LIT-Verlag 2013
472 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-64312046-5
49,90 €

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Fußnote 450: Der Mann hinter den Enthüllungen und seine Freiheit drucken

Überaus erfreulich: Der Mann, der die US-Regierung bloßstellte, versteckt sich nicht in Anonymität, sondern stellt sich nun mit vollem Namen der Öffentlichkeit.

Es ist der 29-jährige Techniker Edward Snowden. Er hatte enthüllt, dass die USA in großem Umfang bei Google, Facebook und Microsoft Daten sammeln. Selbst wenn das durch den Kampf gegen Terrorismus gerechtfertigt wird – was in einigen Fällen auch stimmen dürfte –, so ist es dennoch dringend an der Zeit, aller Welt klarzumachen, dass die schönen sozialen Medien vieles können und kennen, nur eines nicht: Privatheit. Daher sollten insbesondere auch die jungen Menschen mit ihrem Hang zum Exhibitionismus die Konsequenzen beachten. Es sind ja auch nicht nur die Amerikaner, die da wie wild herumspionieren. Daher sollte die eigentlich normale Vorsicht in den sozialen Medien erst recht am Platz sein. Speziell in Zeiten, wo die Political correctness die Meinungsfreiheit immer mehr einschränkt. Man hat mehr „Freunde“, als man denkt. Wir sind jetzt gespannt, wie die US-Regierung reagiert. Denn zum Unterschied von den Wikileaks-Enthüllungen kann sie nicht behaupten, die Sicherheit und Soldaten wäre durch die Enthüllungen gefährdet worden. Daher müsste eigentlich die theoretisch (noch immer) in der US-Verfassung garantierte Freiheit von Informationen und Meinungen auch Edward Snowdens Freiheit garantieren. Schauen wir mal.

 

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Die Armen werden immer ärmer: unwahr und gelogen drucken

Immer mehr Menschen werden immer ärmer. Tausende Leitartikel, Sonntagspredigten und Politikererklärungen werden in ganz Europa auf diesen Satz und seine Konsequenzen aufgebaut. Meistens will man damit schlechtes Gewissen erwecken, damit man noch mehr Schulden machen, noch mehr Steuern erhöhen kann. Zum Nutzen der Sozialindustrie und der eigenen Klientel. Nur stimmt der eingangs stehende Satz nicht. Ganz und gar nicht. Das Gegenteil stimmt: Die Menschheit befindet sich trotz ihrer Vergrößerung in Milliardendimensionen nachweislich im steilsten Aufwärtskurs ihrer Geschichte. Lediglich Europa hat es vorgezogen zu stagnieren.

Das Erstaunliche: Diese wichtigste und erfreulichste Botschaft seit Menschengedenken wird von den Medien und der Politik weitgehend ignoriert. Sie leben nämlich (fast) alle von den negativen Nachrichten. Und sie wollen schon gar nicht zugeben, dass der Zuwachs an Lebensqualität genau jenen Faktoren zu danken ist, die sie und andere Gutmenschen ständig verurteilen.

Armut und Hunger nehmen ab, die Lebenserwartung steigt

Faktum ist, dass in den letzten Jahrzehnten die Lebenserwartung (mit wenigen Ausnahmen wie das kommunistische Nordkorea, wie das in Korruption versinkenden Russland oder das von einem senilen Diktator gequälten Zimbabwe) jedes Jahr um einige Monate länger wird. Faktum ist, dass es kaum noch Hungersnöte in der Welt gibt, die jahrtausendelang fixer Teil der Conditio humana waren. Und ebenso Faktum ist, dass die ersten Jahre des neuen Jahrtausends seit 2000 „den schnellsten Rückgang der Armut in der Geschichte der Menschheit gebracht haben“.

Dieses Zitat stammt wohlgemerkt nicht von einer Schönfärbeagentur, sondern aus einer mehr als unverdächtigen Quelle: aus der neuen Millenniumsstudie der UNO.

Der Einfluss der Sozialindustrie-Profiteure

Über diese Studie und diese Fakten wird nur erstaunlich wenig geredet. Denn ganz offensichtlich ist das Interesse vieler an der Armuts-Behauptung größer als an der Wahrheit. Die Sozialindustrie lebt ja vom schlechten Gewissen all jener, die keine Probleme haben, sich täglich sattzuessen, ein wohnliches Heim zu besitzen, hie und da auf Urlaub zu fahren und ihre Kinder in die Schule schicken können. Und sie lebt hervorragend davon, weil eben die Zahl und der Anteil dieser für schlechtes Gewissen empfänglichen Menschen ständig größer werden.

Gewiss, die Sozialindustriellen können auf Knopfdruck Einzelbeispiele von schrecklichen Einzelschicksalen präsentieren. Seriöse Studien gehen hingegen von der gesamten Menschheit aus. Nur so lassen sich gesamthafte Aussagen machen. Tatsache ist, dass die absolute Zahl der Armen trotz Bevölkerungsexplosionen in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als halbiert worden ist. Die relative noch viel mehr.

So mancher weitblickende Europäer denkt schon daran, in welchem Zustand sich das heute noch so viel von Armut redende Europa selbst befinden wird, wenn einmal viele Länder Asiens Europa überholen. Das wird noch in diesem Jahrhundert passieren. Auch viele Länder Lateinamerikas und Afrikas erzielen seit Jahrzehnten ein höheres Wachstum als die EU. In Europa schauen hingegen die Zukunftserwartungen dank Geburtenverweigerung, Schulden, Sozialstaat, Abgabenhöhe und Überregulierungen gar nicht gut aus.

Entwicklungshilfe ist ein Irrweg

Umso wichtiger wäre es, die Faktoren zu kennen, die der Dritten Welt zu einem solchen Erfolg verholfen haben. Der politisch am häufigsten genannte Faktor hatte dabei aber keine entscheidende Bedeutung: die Entwicklungshilfe. Die hat zwar sicher auch etliches Positives bewirkt. In der Summe aber hat sie nicht nur Korruption und Fehlentwicklungen vermehrt, sondern in den am meisten unterstützten Ländern deren Wachstum beschädigt. Entwicklungshilfe löst nämlich einen sozialökonomischen Hospitalismus aus: Man muss nur laut genug jammern, und schon wird einem von außen geholfen.

Eigene Anstrengungen und Lernprozesse sind hingegen bei der Entwicklungshilfe-Rhetorik kein Thema, ja sogar schädlich. Nützlich ist es hingegen, möglichst oft von Kolonialismus (der schon zwei Generationen her ist), Neokolonialismus (was auch immer das genau sein soll) und Global Warming (wobei jede Infragestellung der diesbezüglichen Thesen streng verfolgt wird) zu reden sowie die absurde Behauptung zu verbreiten, der Reichtum anderer Teilnehmer des Welthandels wäre die Ursache der eigenen Armut.

All diese so gerne verbreitete Rhetorik ist jedoch Nonsens. Würde sie stimmen, müssten ja Länder wie Nordkorea, die sich fast zur Gänze vom Welthandel abkoppeln, besonders gut dastehen. Das müsste auch in jenen Ländern der Dritten Welt der Fall sein, die nie Kolonien waren. Umgekehrt kann diese Rhetorik auch nicht erklären, warum in vielen Statistiken ausgerechnet die Schweiz und Singapur an der Spitze stehen, die nie Kolonien hatten.

Die Rezepte eines Welt-Erfolgs

Was aber hat wirklich die Menschheit vorangebracht? Die wichtigsten Elemente des globalen Erfolgsrezepts:

  1. Die moderne Hygiene (etwa Trinkwasser- und Abwasser-Versorgung) hat viermal so viel zur Verlängerung der Lebenserwartung beigetragen wie die moderne Medizin. Trotzdem hat auch diese eine positive Auswirkung insbesondere auf die Erhöhung der Lebensqualität.
  2. Die moderne Landwirtschaft kann ein Vielfaches jener Massen ernähren – und sogar mit Fleisch versorgen! –, als vor wenigen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten irgendjemand zu hoffen gewagt hätte. Dabei waren moderne Züchtungen, Genveränderungen, Pflanzenschutzchemie, Kunstdünger und viele andere wissenschaftliche Methoden im Spiel. Mit den von den vielen NGOs rund um die Grünen verfochtenen Zurück-zur-Natur-Methoden wären hingegen Hunderte Millionen verhungert.
  3. Alleine das bei uns heute so verpönte DDT hat viele, viele Millionen Menschen gerettet.
  4. Der Menschheit steht heute mehr Energie denn je zur Verfügung. Wachsender Energieverbrauch von der Dampfmaschine bis zu den Atomkraftwerken war und ist untrennbar mit jeder Verbesserung der Lebensdauer und -qualität verbunden.
  5. Viele Fehlentwicklungen konnten verhindert oder gestoppt werden, weil als Ergebnis der neuen Grundrechte vor allem die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft die Fortsetzung von Irrwegen meist rasch beendet haben. Umso schlimmer sind die zunehmenden europäischen Versuche, diese zentralen Grundrechte im Zeichen der Political correctness zu reduzieren und durch die Gleichstellung mit „sozialen“ Grundrechten (Recht auf Gesundheit usw.) total zu relativieren.
  6. Bis auf den Islam verzichten heute erstmals alle Religionen auf Gewalt und offensive Missionierung.
  7. Die Zahlen der Eroberungskriege, die blutigen Folgen von nationalistischem und ideologischem Expansionismus sind im historischen Vergleich stark zurückgegangen.
  8. Gesellschaftliche Ungleichheit ist zwar kein erstrebenswertes Ziel. Aber dort, wo sie zugelassen wird, hat sie sich als starker Antrieb erwiesen. Denn nur in ungleichen Gesellschaften hat es Sinn, sich anzustrengen, damit man zu den erfolgreichen zählt. Das ist in Feudalgesellschaften nicht möglich, wo die aristokratische Abstammung entscheidet und nicht die Leistung. Aber in einer offenen Gesellschaft ist es extrem hilfreich, Reichtum zuzulassen. Nichts treibt den Erfolg eines Landes mehr voran. Und daher ist auch nichts dümmer, als die Reichen durch Hochsteuern zu vertreiben, wie etwa jetzt in Frankreich. Umgekehrt war es viel schlauer, einem Gates, einem Stronach, einem Mateschitz zu erlauben, reich zu werden, als sie von Anfang an daran zu hindern. Und abertausenden anderen. Viele von ihnen finanzieren dann Stiftungen und Spenden mit viel besserer Wirkung, als es die von Beamten und Politikern verteilten Steuergelder jemals haben.
  9. Und last not least ist der Liberalismus zu nennen, egal ob man ihn Neo-, Alt-, Paläo- oder Wirtschaftsliberalismus nennt. Die Entfesselung der Kräfte des „Kapitalismus“, wie er von seinen Feinden genannt wird, also die Dynamik der eigenen (genauer: der familiären) Interessen von Milliarden Menschen: All das hat mehr für die Menschheit getan als alle anderen Faktoren zusammen.

Jede Vielfalt ist zentral verwalteten Staaten und Unionen überlegen

Nur mit all diesen Faktoren war es möglich, das Wissen und Können von so vielen Menschen zu aktivieren. Diese Summe ist selbst dem klügsten zentralistischen Fünfjahresplaner um ein Vielfaches überlegen. Natürlich passieren auch ohne Planwirtschaft Fehler, Dummheiten, Gaunereien. Aber in liberaler Vielfalt und Freiheit setzt sich das Bessere – eben meist auch das Gewinnträchtigere – viel rascher durch als in einem zentralverwalteten Staat oder in einer solchen Union. In einem zentralistischen Gebilde dauert es viel zu lange, bis eine Planungsbehörde einmal eingesteht, dass sie auf dem Holzweg unterwegs gewesen ist. Wenn sie es überhaupt tut.

Und Europa? Jahrhundertelang war der Kontinent nicht zuletzt auf Grund der Vielfalt seiner Staaten und Nationen, vielleicht auch wegen seines Klimas, sicher auch durch Christentum, Judentum, Aufklärung und das Erbe der griechisch-römischen Antike allen anderen weit überlegen. Heute jedoch ist Europa alt und müde geworden. Es kann sich offensichtlich nicht mehr aus den lähmenden Banden eines trügerischen Wohlfahrtssystems retten. Es muss daher zumindest am Beginn des neuen Jahrtausends im Gegensatz zu den letzten 2000 Jahren allen anderen Regionen den Vortritt lassen. Ob das noch einmal revidiert werden kann, werden erst unsere Nachfahren wissen. Sofern es solche überhaupt gibt.

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Plakat-Wahrheit und Wirklichkeit drucken

Jetzt wird also gegen den früheren Kanzler Alfred Gusenbauer wegen des Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeit ermittelt. Dass die Aufregung sich ebenso schnell legen wird wie die Ermittlungstätigkeit der Wiener Staatsanwaltschaft, ist vorauszusehen. Kein Medium wird die fütternde Hand des SPÖ-Kanzlers beißen, dem die Affäre Gusenbauer gerade im Wahlkampf nicht zupass kommt. Aber so ist das eben: Auch in einer Partei, die gegen Gier und für Gerechtigkeit agitiert, sind manche von der Parteimoral ausgenommen.

Alfred Gusenbauer, der einst sowjetischen Boden küsste, hat sich, kaum aus dem Kanzleramt gedrängt, hochbezahlt in die Dienste des Kapitals gestellt. Da ist die Firma Novomatic, der Glücksspielkonzern, für die er nicht erst jetzt als Aufsichtsrat werkt, sondern schon früher im Südamerika-Geschäft mitmischte (ach ja, noch früher ist ihm beim Thema Südamerika nur die Solidarität mit den revolutionär-marxistischen Sandinistas ein Anliegen gewesen...). Als Aufsichtsrat der Strabag gibt’s 50.000 Euro, als Vorsitzender der Familienstiftung Haselsteiner lukriert er angeblich 200.000 Euro, ebenso viel bringt sein Engagement beim Luxusimmobilien-Entwickler René Benkö ein. Daneben ist er Miteigentümer einer Investmentgruppe, Direktor eines chilenischen Investmentfonds.
Und für den ehemaligen Bundeskanzler einer demokratischen Republik besonders unschön: Er verdingte sich als Berater des kasachischen Diktators Nursultan Nazarbajev. Freilich ist er da nicht der einzige, denn der Kasache hält sich fast die gesamte ehemalige europäische Sozialdemokratie - von Schröder bis Blair. Pecunia non olet.
Und diesem seinem kasachischen Herrn soll Gusenbauer nun Untersuchungsausschuss-Material über dessen abtrünnigen Schwiegersohn Rakhat Alijew weitergegeben haben, dessen Auslieferung er erfolglos von Österreich begehrt.
Den Vorwurf des Landesverrats weist Gusenbauer empört zurück. Und vielleicht ist ihm da auch nur bei seinem sprichwörtlichen Geschick eine späte Rache an Michael Häupl daneben gegangen? An dessen Lieblingsprojekt „Medienquartier Marx“ (apropos: auch da ist der „Sankt“ vorm Marx verschwunden) soll nämlich Alijew mit dubiosen Geldern beteiligt sein.
Und diese nicht unbedenkliche Beteiligung untersucht ausgerechnet – die Consultatio.
Jene Steuerberatungskanzlei, die Hannes Androsch 1970 gegründet hat, die in der Zeit seiner Tätigkeit als Finanzminister geschäftsmäßig nahezu explodiert ist – und an der er immer noch beteiligt ist.
Und da wären wir bei dem zweiten Fall von Plakat-Dichtung und Wahrheit. Schließlich ist Androsch mittlerweile ein großer Industrieller. Kein böser Kapitalist, denn er tut Gutes mit seinem Geld - etwa finanzierte er das Bildungsvolksbegehren in Sachen Gesamtschule. Seinen eigenen Sohn hätte der (ausgebliebene) Erfolg ohnehin nicht betroffen. Den hat er vorsorglich in einer katholischen Privatschule (Marke: Gymnasium) untergebracht. Für alle anderen aber soll endlich „Chancengleichheit“ gelten.
Dass Androsch so viel Geld in Parteianliegen investieren kann, ist kein Wunder. Schließlich ließ er sich bei der Privatisierung der Verstaatlichten von Viktor Klima den Leiterplatten-Hersteller AT&S zuschanzen. Ein prosperierendes Werk mit tausenden von Arbeitsplätzen, das immer weiter expandiert – allerdings längst in Shanghai. Weil die Arbeitskräfte dort billiger sind.
Ein anderes österreichisches Paradeunternehmen, der Flugzeugzulieferer FACC, gehörte bis vor kurzem auch Androsch. Das war die Firma, die am stärksten von den Gegengeschäften im Abfangjäger-Deal profitieren konnte. Mittlerweile hat er sie verkauft – an Chinesen.
Nicht dass man es nicht wüsste, dass antikapitalistische Überzeugung dort aufhört, wo es das eigene Bankkonto betrifft. Aber der neidgenossenschaftliche Angriff auf jeden, der es zu Wohlstand bringt, klingt dann noch verlogener – besonders wenn sich Werner Faymann gerade wieder moralisch erregen musste, dass die Zahl der Millionäre in Krisenzeiten gestiegen ist.
Vielleicht sollte er an seine eigene berufliche Zukunft denken, bevor er Reichensteuern einführen lässt. Wer weiß, wen er dann lukrativ beraten darf.
 

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