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In der Türkei landet derzeit offenbar jeder hinter Gittern, der den Namen Gülen auch nur buchstabieren kann. 130.000 Türken haben schon ihren Job verloren: Das sind die weitaus größten Säuberungen im europäischen Umkreis seit den kommunistischen Machtergreifungen. So weit so schlecht. Noch viel schlechter ist aber, dass fast keine westliche Regierung die richtige Antwort darauf und auf die jetzt reihenweise an alle Staaten mit türkischen Communities gehenden Auslieferungsverlangen findet. Und am übelsten ist, dass jetzt die angebliche Gülen-Verschwörung auch noch zum Vorwand genommen wird, die ohnedies bedrängten türkischen Christen noch mehr zu verfolgen.
Der einzige Beweis der völlig außer Rand und Band geratenen türkischen Machthaber für ihre Attacken auf die Christen ist mehr als lächerlich: Der orthodoxe Patriarch Bartholomaios ist auf einem Foto gemeinsam mit dem islamischen Prediger, Philanthropen und – angeblichen – Putschisten Gülen zu sehen. Ganz abgesehen davon, dass ein solches Foto sowieso nichts beweist, stammt es noch dazu aus dem vorigen Jahrtausend. Damals aber war Gülen noch eng mit dem jetzigen Diktator Erdogan verbündet.
Daraus könnte man ja auch schließen, dass Erdogan selber ein Putschist sein muss, da es viele Fotos von ihm und Gülen gibt. Aber ernstes Faktum jenseits solcher Skurrilitäten ist: Die Lage für die Christen in der Türkei wird zunehmend eng und bedrohlich. Denn gleichzeitig hat die Türkei etwa auch einen Mann einfach freigelassen, der vor zehn Jahren einen katholischen Priester ermordet hat.
Der Islamismus, der in Ägypten, Syrien, Afghanistan, Libyen mühsam zurückgedrängt wird, hat jetzt ausgerechnet in der Türkei seinen üppigsten Nährboden.
Dennoch ist vor kurzem EU-Parlamentspräsident Schulz nach Ankara gereist und hat dort, wie verlangt, zur Niederwerfung des angeblichen Aufstandes gratuliert. Dennoch führt die EU weiter mit der Türkei Beitrittsgespräche. Dennoch wird von der Mehrheit der EU-Länder Österreichs Vorschlag ignoriert, die verlogene Dimension dieser Gespräche richtigzustellen, dass es angeblich um Beitritts-Verhandlungen ginge. Und noch schlimmer: Dennoch nehmen die EU-Staaten die der Reihe nach eingetrudelten türkischen Aufforderungen, irgendwelche angebliche Oppositionelle auszuliefern, offensichtlich ernst.
In Wahrheit müssten diese Auslieferungsanträge aber alle sofort abgelehnt werden – zumindest sofern sich die Empfänger noch als Rechtsstaaten verstehen. Diese Ablehnung der Verlangen des türkischen Diktators müsste vor allem umgehend erfolgen. Aus mehreren Gründen:
Der Rest sind Scheingefechte. Die nur deshalb entstehen können, weil die Türkei keine Ahnung von einer unabhängigen Justiz hat. Oder nicht haben will. Und weil sich die westlichen Länder nicht mehr trauen, klar und sofort zu sagen, dass sie Rechtsstaaten sind und was das bedeutet.
Jeder Tag mehr erinnert das europäische Verhalten gegenüber der Türkei an die Appeasement-Politik gegenüber Nazi-Deutschland bis zum September 1939. Briten, Franzosen, Amerikaner sind vor Hitler bis zu diesem Wendepunkt immer tiefer in die Knie gegangen – bis dieser stark genug war, einen Krieg zu beginnen.
Heute wäre es jedenfalls schon längst fällig, Ankara zu sagen: Auf Wiedersehen, aber für Diktaturen ist kein Platz in der EU, in der Nato, im Europarat. Aber auch die an diesem Wochenende in der Slowakei tagenden EU-Außenminister waren anderer Meinung.
Umso stolzer kann man in dieser Frage auf die österreichische Regierung sein. Sie hat das als erste deutlich ausgesprochen. Daher wieder einmal: Bravo Kurz. Aber auch: Bravo Kern, der sich der Kurz-Position sehr rasch angeschlossen hat. Die Wahrheit offen zu sagen kann nie falsch sein. Vor allem wenn Regierungen ohnedies so viel Vertrauen verloren haben. Und es ist ja auch eine Beleidigung der Türken, wenn man ihnen ständig die Karotte vorhält, dass sie vielleicht doch beitreten könnten. Es aber gar nicht ernst meint.
Dennoch wurde Österreich wieder einmal ein paar Tage lang wegen seines Alleingangs von allen Waschlappen Europas und natürlich insbesondere allen heimischen Gutmensch-Autoren gescholten. Doch siehe da: Nunmehr hat auch Manfred Weber, der Vorsitzende der größten EU-Parlamentsfraktion (der Europäischen Volkspartei), öffentlich ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert. Österreich war offensichtlich mutiger Vorreiter.
Das gleicht lebhaft dem heurigen Frühjahr, als anfangs auch alle Gutmenschen – vor allem in Deutschland und bei den diversen Sozialdemokratien – über Österreich hergefallen sind, weil Außenminister und Innenministerin mit den Balkanstaaten ein weitgehendes Abriegeln der Balkanroute fixiert haben. Heute wird das ringsum als wichtigster und unverzichtbarer Eckstein gelobt.
Jetzt verlangt Ankara allen Ernstes, dass Deutschland eine Bundestagsresolution (über den einstigen Völkermord an den Armeniern) zurücknimmt. Berlin sagt zwar, es tue das nicht. Aber wie ich die heutige deutsche Regierung und den Charakter vieler Diplomaten einschätze, besteht die Gefahr, dass irgendwie auch da ein Weg gesucht wird, um vor Erdogan zu buckeln. Etwa, indem die Berliner Regierung sagt, es sei ja nur der Bundestag, der von Völkermord gesprochen habe, die Regierung selbst habe da gar keine Meinung. Das wäre die nächste verlogene Haltung.
An sich bin ich freilich überzeugt: Angesichts der vielen Grässlichkeiten der Weltgeschichte ist es ein grober Fehler, wenn politische Gremien anfangen, einzelne historische Verbrechen und Völkermorde speziell anzuprangern. Gerechterweise müssten diese Gremien dann ja auch China, Russland, die USA, Iran, Vietnam und viele andere wegen Verbrechen in früheren Jahrhunderten anprangern. Oder beispielsweise auch Frankreich wegen der vielen Millionen Opfer der mutwillig imperialistischen Kriegszüge Napoleons (dessen imposantes Grab im Pariser Invalidendom aber zeigt, wie sehr Napoleon in Frankreich selbst hochgehalten wird). Oder Belgien wegen seines besonders grausamen Kononialverhaltens. Und natürlich sind wir dann bald auch bei der Frage, wer am ersten Weltkrieg und seinen vielen Opfern schuldig sei.
Wir sollten endlich begreifen: Mit politischen oder juristischen Schuldsprüchen zur Geschichte anzufangen ist Unsinn. Es macht kein Opfer wieder lebendig und schafft nur neuen Zwist. Und wir haben schon genug Zores mit all den Konflikten und politischen Verbrechen der Gegenwart.
Aber dennoch sollte umgekehrt ebenso klar sein: Deutschland hat sich nun einmal dazu entschlossen, eines dieser historischen Fakten herauszugreifen. Es wäre daher ein – weiteres – katastrophales Zeichen, wenn das größte Land Europas sich von der Türkei erpressen ließe und nur Ankaras wegen die Armenien-Resolution wieder zurücknähme.
PS: Apropos Österreich: es war eine der klügsten Wendungen des Norbert-Hofer-Wahlkampfs, als dieser die Minister Kurz, Sobotka, Doskozil öffentlich wegen ihrer Politik in Sachen Völkerwanderung gelobt hat. Damit ist die FPÖ endlich von ihrer törichten und langweiligen Haltung abgegangen, dass prinzipiell alles schlecht sei, was die Regierung macht. Auch wenn eine solche Einstellung für jede Oppositionspartei sehr verführerisch ist, so ist sie doch falsch und unglaubwürdig. Damit hat die Partei einen weiteren Schritt weg von allzu primitiver Biertischpolitik gemacht.
PPS: Manche werden fragen: Ist das oben Gesagte auch Kritik an den Gesetzen, die Holocaust-Leugner verfolgen? Ich meine: Solange noch irgendein Opfer lebt, sollten Deutschland und Österreich aus Respekt vor ihnen an diesen Gesetzen festhalten. Aber im liberalen Grundprinzip sind natürlich auch diese Gesetze hochproblematische Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die ja auch immer die Freiheit umfassen muss, nicht nur Richtiges, sondern auch Schwachsinn zu sagen.